Die Hohepriesterin der Pop-Avantgarde liefert eine moderne Natur-Oper aus. Pfiffe für Greta Thunberg bleiben nicht aus.

Leipzig (trl) - Die Hohepriesterin der Pop-Avantgarde schlägt ihr Utopia zum zweiten Deutschland-Konzert in Leipzig auf. Nach dem Konzert in Hamburg, bei dem die isländische Sängerin noch ihren 58. Geburtstag feierte, füllt sich die ausverkaufte Arena am vergangenen Freitag mit einem vorfreudigen Publikum. "Cornucopia" (deutsch: Füllhorn) heißt die Show, die 'Mutter' Björk seit 2019 auf die Bühnen der Welt bringt, im Detail immer wieder verändert und abgespeckt.

Reduziert und aufregend

Zu Beginn wird per Durchsage darum gebeten, auf Foto- oder Videoaufnahmen zu verzichten und lieber Teil der Show zu werden: Eine Bitte, die das Hallenpersonal erstaunlich konsequent durchsetzt. Dann beginnt Björks Reise durch ihr Füllhorn von Eindrücken mit "The Gate". Wer nun ein 'Greatest Hits"-Konzert erwartet, wird enttäuscht. Im Mittelpunkt der Show stehen die beiden aktuellen Alben "Utopia" (2017) und "Fossora" von 2022, ältere Songs wie "Venus As A Boy" oder "Isobel" bleiben die Ausnahme.

So entwirft die Isländerin eine perfekte, in sich stimmige Utopie ihres avantgardistischen Schaffens der vergangenen Jahre. Unterstützt von drei Musiker:innen (die US-Amerikanerin Katie Buckley an der Harfe, der Österreicher Manu Delgado an den Schlaginstrumenten sowie Landsmann und Music Director Bergur Þórisson), die für die Untermalung sorgen, entsteht ein reduziertes aber aufregendes Klangbild. Dazu schwirrt das isländische Flöten-Septett Viibra elfengleich um die in Holz gekleidete Protagonistin herum und trägt ebenfalls einen Großteil zur musikalischen und visuellen Umsetzung bei.

Das beeindruckende Bühnenbild zieht die Arena sofort in seinen Bann. Sich ständig verschiebende Vorhänge aus silbernen Fäden werden mit allerlei beeindruckend-fantastischen Visuals bespielt. Die Natursymbolik des Füllhorns wird deutlich, wenn sich Bilder aus Blüten immer neu zusammensetzen, sich Netzwerke von Pilzen andeuten oder das Publikum auf eine Fahrt durch verwurzelten Unterboden mitgenommen wird. Björk selbst ist währenddessen viel unterwegs, singt ihre Lieder mal vor, mal hinter den Vorhängen, für A capella-Einlagen zieht sie sich in eine eigens dafür auf der Bühne errichtete Hall-Kabine zurück.

Intensiv, dunkel, verstörend

Die zweite Hälfte der Show gerät intensiver, dunkler und verstörender. Björk verlässt den reinen Naturlehrpfad und begibt sich auch visuell auf die persönliche Ebene. Die Visualisierungen zeigen nun mehr von der Sängerin selbst. Aus ihren Musikvideos bekannte Transformationen der eigenen Figur schwirren über die Vorhänge und simple grafische Elemente und Farbflächen kommen zum Einsatz. Die Elfen von Viibra wirken plötzlich gar nicht mehr so zart, wenn sie die Querflöten gegen Klarinetten tauschen. Vereinzelte Pfiffe mischen sich unter den Applaus, als eine Botschaft der Klimakativistin Greta Thunberg abgespielt wird, die mit eindringlichen Worten für mehr Klimaschutz wirbt.

Zum Grande Finale fordert die Zeremonienmeistern das Publikum dann zum Tanzen auf, große Teile der Menge strömen sofort Richtung Bühne und geben der bis dahin gediegenen Veranstaltung ihren wohlverdienten Ausbruch. Anderthalb Stunden sind wie im Flug vergangen - ein bisschen länger hätte die Show dauern dürfen. Den hervorragenden Gesamteindruck schmälert das jedoch kaum: "Cornucopia" ist nicht einfach ein Konzert, sondern eine moderne Oper, eine in Ton und Bild gegossene Utopie. Intensiv, aufregend und wunderschön.

Von Benjamin Troll.

Fotos

Björk

Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe) Björk,  | © Santiago Felipe (Fotograf: Santiago Felipe)

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laut.de-Porträt Björk

Sie ist klein und stammt aus Island. Ihre Musik aber ist groß und von Welt. Björk Gudmundsdottir wird am 21. November 1965 in Reykjavik geboren und …

4 Kommentare mit 51 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Ich war dort, es war wirklich wunderschön! Sie übrigens 58 geworden.

  • Vor 11 Monaten

    Pfiffe für Greta...Fremdscham. Egal, wie viel man von ihr als Aktivistin konkret hält. Es gibt zig sinnvollere Feindbilder. Idioten.

  • Vor 11 Monaten

    Nach der fantastischen Zugabe hätte ich eine weitere Stunde wirklich nicht abgelehnt, aber auch so war es wahrlich beeindruckend. Bemerkenswert auch, dass, obwohl die Tour bald endet und das Album "Utopia" an dem Tag auch schon wieder sechs Jahre alt wurde, Björks Vortrag keine emotionale Kraft vermissen ließ, im Gegenteil, gerade bei "Sue Me" und "Tabula Rasa" spürte man, dass sie immer noch fühlt, was sie tut. Als wäre es eine völlig frische Inszenierung. Auch die restliche Besetzung hat abgeliefert. Jede Sekunde war ein Genuss.

  • Vor 11 Monaten

    Das Konzert war grausam!

    Ich möchte hier nicht Björks Performance schmälern, aber die Auswahl der Location war ein absoluter Fehlgriff. Die Akustik war derart mies - tiefe Frequenzen waren völlig übersteuert, Ähnliches galt für die hohen Töne. Und wer Björk's Stimme kennt, der weiß, wie schnell sie schrill werden kann.

    Ein riesiger Kabelstrang hing von der Decke, der die Sicht auf die Bühne versperrte, in den hinteren Reihen sah man im Grunde nichts, denn seitliche Monitorwände waren nicht vorgesehen. Das war reine Geldmacherei der Verantstalter, denn die Plätze hinter dem Tonmischer hätte man schlichtweg nicht verkaufen dürfen. Die 90€ pro Karte sind dafür eine absolute Frechheit.

    Und ja, Greta zu zeigen polarisiert nun mal und schämen kann mich sich höchstens für ihre irrationalen Statements. Björks Act war somit natürlich auch hochpolitisch, was die blumigen, psychedelisch anmutenden, Bilder nicht zu kaschieren vermochten.

    Die Kunstfigur Björk ist sicherlich eine der letzten Musik-Ikonen vergangener Jahrzehnte und ihren Anti-Pop kann man mögen oder nicht. Fest steht, sie ist letztendlich auch nur ein Rad der raffgierigen Musikindustrie - bis zum Schluss wirkte sie leider unnahbar, bis ihr nach 90 Minuten mal ein "Guten Abend" über die Lippen kamen. Aber anscheinend reicht das für Viele...