"Größen des Deutschrap" wie Capital Bra, Massiv oder Manuellsen sprechen über Heimat und Fremde.
Germania (dani) - Seit 2017 zeigt die YouTube-Reihe "Germania" nun schon "neue Perspektiven auf unser Land" auf. Musiker*innen, Schauspieler*innen, YouTuber*innen, Comedians und Politiker*innen erzählten in diesem Rahmen bereits von ihrem Verständnis vom Deutschsein. 2018 gabs, völlig verdient, einen Grimme-Preis dafür. Juri Sternburg gießt das Format nun in Schriftform und liefert mit "Das ist Germania" (Verlagsgruppe Droemer Knaur, 272 Seiten, Hardcover, 20 Euro) einen der seltenen Fälle, in denen der Film dann doch viel besser ist als das Buch.
Aus den zahlreichen geführten Interviews pickt Sternburg, wie der Untertitel verrät, "die Größen des Deutschrap", um "über Heimat und Fremde" zu erzählen. So weit, so sinnvoll, mit Blick auf die anvisierte Zielgruppe. Dass neben Kool Savas, Capital Bra, Massiv, Manuellsen, Celo & Abdi auch Yonii, Enemy oder Younes Jones als "Deutschrap-Größen" durchgehen: geschenkt. Ehrlich bedauerlich finde ich aber, dass als einzige Rapperin die inzwischen mehr als abgehalfterte Lady Bitch Ray auftaucht. Die beiden anderen vertretenen Frauen unter den "Deutschrap-Größen": Beauty-YouTuberin Hatice Schmidt und Reality-Soap-Darstellerin Sandra Lambeck. Naja.
Einblicke und Role Models
Die Auswahl der Gesprächspartner*innen ist allerdings weniger das Problem. Als in Deutschland lebende Menschen mit Migrationshintergrund haben die Porträtierten allesamt spannende, hörenswerte Geschichten zu bieten, die oft genug von Alltagsrassismus, Diskriminierung und Benachteiligung erzählen, aber auch von gebotenen und ergriffenen Chancen. "Das ist Germania" gestattet damit denen, die das Glück haben, dass ihre Familiengeschichten nicht von Flucht und Vertreibung geprägt wurden, Einblicke in andere Lebensrealitäten und fördert bestenfalls Verständnis und Empathie. Denen, die sich in ähnlichen Lagen wie die Protagonist*innen befinden, liefert "Das ist Germania" reichlich Role Models und Identifikationspotenzial. Beides ist nur zu begrüßen.
Klischee-Kulissen überall
Beides wäre allerdings noch in weit stärkerem Maße gegeben gewesen, hätte man - wie in den Videos - die Befragten für sich selbst sprechen lassen. Oder ihnen zumindest größere Redeanteile zugestanden. Statt dessen strickt Sternburg um jedes Interview Rahmen, die im Grunde nur vom Kern der Sache ablenken. Wer, bitte, braucht eine an Floskelhaftigkeit kaum zu überbietende Beschreibung der Frankfurter Zeil ("Hier treffen die Menschen einer Stadt aufeinander, die von ihren Extremen lebt. Millionäre und arme Schlucker, Durchschnittsbürger und schillernde Figuren, Bänker und Drogenkranke. Wobei letzteres manchmal das Gleiche ist"), wenn er Celo & Abdi hat, die um Welten amüsanter und origineller formulieren? Wer will eine krampfige Abhandlung über die Gebrüder Grimm lesen, bloß um über "das Dickicht beziehungsweise die Gänge des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums, wie die Bibliothek der Hummboldt-Universität heißt", auf den Medizin studierenden Enemy überzuleiten?
Wen zum Teufel juckt, was "das Internet generell und Seiten wie zitate.de im Speziellen ... beim Suchbegriff 'Humor'" ausspucken? Hilfreicher wäre gewesen, an dieser Stelle vielleicht mal rudimentär zu erklären, wer diser Younes Jones überhaupt ist. Oder Hatice Schmidt. Oder Sugar MMFK, dessen Name außerhalb der Rap-Blase sicher auch nicht unbedingt ein feststehender Begriff ist. Statt die Protagonist*innen vorzustellen oder gar eine (eventuell sogar kritische) Einordnung vorzunehmen, wirkt Sternburg oft genug fanboy-ish bis komplett starstruck.
Lieber als wie Manuellsen "die Boxhandschuhe wieder auszieht und sich abtrocknet", als tue das irgendetwas zur Sache, hätte ich mehr von seinen Erfahrungen gelesen. Aber, hey! "Der Mann ist eine Erscheinung", außerdem ist es "grau und nieselig, passendes Wetter, um durch eine Arbeiterstadt im Ruhrpott zu flanieren". Ganz anders als "die kleine baden-württembergische Stadt Leonberg, mit pittoresken Fachwerkhäusern, einem alten Schloss und der angeblich schönsten Dorfstraße Süddeutschlands". Jesses, da fehlt nur noch der Slogan "von der Sonne verwöhnt".
Wie klingt das?
Die Klischee-Kulissen allüberall sind zwar dämlich, stören aber weniger als der ständig leise belehrende Tonfall. In einem fort bekomme ich von Juri Sternburg erläutert, wie etwas "klingt": "Es mag pathetisch klingen." "Es mag einfach klingen." "Das klingt für viele erstmal ungewöhnlich." Alter! Wenn es wirklich so klingt, dann merk' ich das schon selbst. Denen, denen man etwas zeigen oder erklären möchte, unentwegt aufs Brot zu streichen, dass man sie für unmündig hält, für unfähig, irgendetwas angeblich Offensichtliches von alleine zu raffen: meist nicht die beste Basis, um irgendeine Erkenntnis zu transportieren.
Immer wieder distanziert sich der Autor zudem (gar nicht so wahnsinnig subtil, auch) von der herrschenden Meinung oder was er dafür hält. Das "Ich aber nicht!!!" schwingt stets mit, wenn er umreißt, wie "man" "in Deutschland" irgendetwas sieht. "Sich in die Lage der Betroffenen zu versetzen, ist für die zentraleuropäische Nachkriegsgeneration meist so gut wie unmöglich." Ja, dazu müsste man die Betroffenen halt zu Wort kommen lassen. Oder, wie es im Lady-Bitch-Ray-Kapitel heißt: "Einfach mal die Klappe halten und zuhören."
1 Kommentar mit 2 Antworten
Dani, Du hast vergessen Comedians zu gendern.
Danke, LuchsaugIN!
Ahh... jetzt verstehe ich endlich seinen Nickname. Nicht schlecht, schon nicht unwitzig