Der Schlagerstar erteilt Lektionen in Demut. Seine Autobiografie: gelebte deutsch-deutsche Geschichte voller Action, Drama und reichlich Comedy.
Berlin / Münster / Dresden (dani) - Menschen da draußen! Völlig egal, ob ihr Roland Kaiser-Fans seid, ob ihr mit Schlager etwas anfangen könnt, selbst wenn euch (nicht sehr wahrscheinlich, diese Klientel auf laut.de anzutreffen, aber ich sags trotzdem) Musik generell überhaupt nicht interessiert: Lest "Sonnenseite" (Heyne Verlag, 408 Seiten, gebunden, 20 Euro), ihr werdet es nicht bereuen. Knapp vierhundert Seiten umfasst die Autobiografie, die der Schlagersänger mit Unterstützung seiner Co-Autorin Sabine Eichhorst schrieb, und jede einzelne garantiert beste Unterhaltung. Zwischen diesen Buchdeckeln stecken dermaßen viel Action, Drama und Comedy, dass sich der Wälzer völlig mühelos in einem Rutsch verschlingen lässt.
Hätten Sie's gewusst?
Meine Illusion, wenigstens rudimentär über Roland Kaiser Bescheid zu wissen, implodiert gleich im ersten Kapitel. Alter, einen Scheiß hab' ich gewusst! Nicht, dass seine leibliche Mutter ihn auf einer Kirchentreppe ausgesetzt hat. Nicht, dass seine Pflegemutter mit einem Schlaganfall von einer Leiter fiel und wenig später an den Folgen starb, als er, der seinerzeit noch den weniger klangvollen Namen Ronald Keiler trug, gerade 15 war. Nicht, dass er (damals noch Gebrauchtwagenverkäufer) den Grundstein für seine Sangeskarriere mit großspurigem Gerede legte, so ein bisschen Trallala sei doch wohl keine Kunst, das könne doch jeder (woraufhin er eine Einladung zum Vorsingen erhielt).
Dass er seinen Durchbruchs-Hit "Sieben Fässer Wein" nie so recht mochte, wusste ich zwar. Nicht jedoch, dass Kaiser den bloß eingesungen hatte, weil Rex Gildo zu einer vereinbarten Aufnahmesession nicht erschienen war. Nur als Gefälligkeit für seinen Produzenten und unter der Bedingung, dass diese Aufnahmen das Studio niemals verlassen dürfen, nahm Roland Kaiser den Song, den er als beeindruckend dämlich empfand, trotzdem auf. Die Plattenfirma scherte sich nicht darum, veröffentlichte die Schunkel-Nummer dennoch und bescherte ihrem Neuling damit einen ersten Erfolg und den Bierzelten dieser Republik einen Evergreen.
Strand, Exotik, Sonne und Liebe
"Santa Maria", seinen Überhit, den wollte Roland Kaiser zwar aufnehmen - allerdings hatten er und sein Mit-Texter Norbert Hammerschmidt ganz andere Zeilen für die deutschsprachige Fassung des Songs von Oliver Onions ersonnen. Ihre Version drehte sich um Christoph Kolumbus' Schiff namens Santa Maria und den Aufbruch zu neuen Ufern. Hat kein Hitpotenzial, befanden sie beim Label (dummerweise erst, nachdem die Single bereits gepresst war). So werde man das nicht veröffentlichen, man wünsche "Strand, Exotik, Sonne und Liebe".
Die Erzählung, wie Kaiser und Hammerschmidt ihren Ärger über diese Entscheidung in Rotwein ersäufen und dann unter Dauergegackere einen neuen, albernen, völlig überzeichneten Text ausbrüten (nämlich den, die wir heute alle kennen), und wie die Plattenfirma diese Kitschfloskelparade begeistert abnickt ("Riesig." "Bitte?" "Sensationell." "...?" "Das wird ein Hit." "Thommy, das ist eine Persiflage. Ein Scherz ..." "... den wir aufnehmen und veröffentlichen werden!"): die lustigste Anekdote in diesem an lustigen Anekdoten überreichen Buch.
Now you know!
Ich hab' nicht gewusst, dass Roland Kaiser Hobbypilot ist. Ich wusste nicht, dass er die TV-Produktionsfirma mitbegründet und geführt hat, die unter anderem "Schreinemakers Live" oder "RTL Samstag Nacht" verantwortete. Ich wusste nicht, dass er mit Schauspielerin Anja Schüte verheiratet war und mit ihr einen gemeinsamen Sohn hat. Ich wusste zwar, dass er Songs für zahllose andere Künstler*innen geschrieben hat, nicht jedoch, dass er dies für Peter Maffay unter dem Pseudonym Wolf Wedding tun musste, weil dieser harte Rocker seinen Namen nicht mit dem eines Schnulzensängers in Verbindung gebracht wissen wollte.
Atemlos
Dass Roland Kaiser an der chronischen Atemwegserkrankung COPD litt und eine Lungentransplantation hinter sich hat, wusste ich. Von den übermenschlichen Anstrengungen, die er unternommen hatte, um seine Beeinträchtigung jahrelang nicht nur vor der Öffentlichkeit, sondern auch vor seinem Umfeld geheim zu halten, ahnte ich jedoch so wenig wie vom Ausmaß der Härte seines Kampfs zurück ins Leben. Beeindruckend lakonisch und gar nicht weinerlich erzählt Kaiser von Komplikationen, die während seiner Reha auftraten (Stimmverlust, Wirbelbruch, OP, nächster Wirbelbruch, nächste OP, Achillessehnenriss, "Ich ignorierte den Schmerz (ich war schließlich ein Kerl, außerdem hatte ich langsam genug von Operationen). Meine Ignoranz sollte sich rächen ...").
Wie Kaiser, wieder genesen, sich an seiner wiedergefundenen Stimme erfreut und seiner Gattin im Supermarkt voller Begeisterung die Beschriftung von Produkten vorliest - "Ja, und zwar so laut, dass alle Leute es hören und gucken" - gerät dann wieder herzerfrischend komisch.
Deutsch-deutsche Geschichte aus erster Hand
Ganz nebenbei steckt in "Sonnenseite" eine Lektion in deutsch-deutscher Geschichte: Aufgewachsen in kleinen Verhältnissen im Berlin der Nachkriegszeit, hat Roland Kaiser den Bau der Berliner Mauer und ihren Fall miterlebt. Er erinnert sich an historische Ansprachen von Willy Brandt und die berühmte "Ich bin ein Berliner"-Rede von Präsident John F. Kennedy. Nachvollziehbar zeichnet er seine politische Sozialisierung nach und erklärt, warum er Mitglied der SPD und einer ihrer engagierten Wahlkämpfer wurde.
Klare Kante gegen Rechts
Die Gefahr, er könne Teile seines eventuell eher konservativ eingestellten Schlagerpublikums verschrecken, hat den Entertainer noch nie davon abgehalten, sich glasklar und entschieden gegen Rechts zu positionieren. Er plädiert für Zusammenhalt, für Solidarität mit Schwächeren und engagiert sich entsprechend karitativ. Zudem predigt er Dankbarkeit, Höflichkeit und Demut - was auch gerade deswegen so eindringlich gerät, weil er die Phasen, in denen er all diese Tugenden selbst nicht unbedingt an den Tag legte, nicht unter den Teppich kehrt.
"Don't come back!"
Ein beeindruckender, reflektierter, kluger Typ, dieser Roland Kaiser. Fast schon frustrierend. Kann der eigentlich alles? Zum Glück nicht. Weil er seine Fähigkeit, sich auf der Bühne zu bewegen, für ausbaufähig hielt, buchte er einen Kurs bei einem Broadway-Musicalstar, der in Charlottenburg ein Studio für Jazztanz betrieb:
"Nach drei Wochen bat mich Milton Jones in sein Büro. Er saß am Schreibtisch, und als ich eintrat, sah er mich mit seinen großen, dunklen Augen an und schob wortlos einen Umschlag über den Tisch. 'Was ist das?' 'Deine Kursgebühr, die 500 Mark.' 'Warum?' Einen Moment schien es, als suchte er nach Worten. 'Listen, Roland', sagte er dann in seinem amerikanischen Deutsch. 'You're a really nice guy, aber die anderen sagen, sie würden nichts lernen, so lange du hier herumhopst. Dein Gehampel demotivates them, so they asked me to ask you, nicht mehr zu kommen.' Er zuckte mit den Schultern, als wolle er sagen: Was soll ich machen, soll ich vielleicht meine Existenz aufs Spiel setzen? (...) 'Roland, believe me, du wirst niemals ein guter Tänzer. So please, tu mir den Gefallen and don't come back.'"
1 Kommentar
Ich bin jetzt nicht der Riesen-Fan seiner Musik aber ich mag Roland Kaiser als Typ. Gerade, weil er trotz seiner großen Karriere sehr reflektiert, selbstkritisch und bodenständig rüberkommt.
Beim lesen der Headline hatte ich fest damit gerechnet, hier einen totalen Verriss dieses Buches zu finden. Das wäre ihm nicht gerecht geworden und ich bin froh, das der Redakteur das hier erkannt hat.