2017 ist jeder Tag Frauentag, mit 365 Interpretinnen und Bands, grob sortiert nach Genres. Heute mit Vorreden von Elle P. und Hans Nieswandt.
Konstanz (skb) - In der letzten Episode unserer "Die Frau in der Musik"-Reihe suchte Kool Savas in seinem Vorwort eine Antwort auf die Frage, warum es im Hip Hop so wenige Produzentinnen gibt: "Frauen, die Musik machen, spielen ja auch seltener irgendwelche Instrumente. Männer sind ja eh sehr technische Wesen. Wir sehen viele Sachen relativ emotionslos und lernen erst einmal die technische Seite. Beim Produzieren ist es genauso: Du musst den Computer beherrschen, die Programme und so weiter."
Dass er damit nicht vollständig richtig liegt, zeigt unser heutiger Blick in die elektronische Musik, die auch Hip Hop immer wieder stark beeinflusste. In der Geschichte der elektronischen Musik fanden sich schon immer innovative Frauen, die ihren Kollegen künstlerisch eine lange Nase drehen. Obwohl es die Gesellschaft ihnen ungemein erschwerte, brachten weibliche Freigeister das Genre bereits voran, als die Jungs von Kraftwerk noch bestenfalls ein Leuchten in den Augen ihrer Eltern waren. Wir streifen diesmal durch Electro-Pop, House oder Minimal Techno und zeigen euch ...
30 Elektro-Musikerinnen und DJanes
Die weitere Vorrede überlassen wir wie immer zwei Menschen vom Fach:
Elle P:
(Media Artist, Vocalyricisdance-Performer und Pop-Weirdo)
(Foto, wie auch das Artikelbild, von Kerstin Groh. Danke!)
Elektronische Musik interessierte mich nie unter dem Aspekt, ob sie von einer Frau oder einem Mann produziert wird. Das kam erst viel später. Ich höre John Cage und Ruth White im gleichen Atemzug. Die jeweiligen Musikstücke geschlechtlich aufspalten? Wozu?
In der Vorderkammer meines Pulsschlags flimmerte immer die Notwendigkeit und Laune, Musik zu machen, zu komponieren, ohne auf das Endprodukt oder auf mich als Produkt plus Vermarktung zu schielen. Das verstand ich erst später.
Soeben brüllt mir die App-Werbung "Jeder kann Musiker sein" aus dem kleinkarierten Berliner Fenster in die Augen. Oh, Elend.
Für das Komponieren von Musik muss ich nicht mehrere Instrumente spielen. Eines reicht. Wenn klar ist, wie man es nutzt und ausschöpft. Beherrscht man zwei, den Computer und seine Programme, steigen die Chancen enorm, dass das eingesetzte Können nicht von technischen Spielereien weggenudelt wird.
Auch wenn der weibliche Anteil bei der Superbooth ansteigt, die Frau in der Musik ist immer noch, um es mit Christina Kubisch zu sagen, ein "Emergency Solo" - sie spielt Musikinstrumente mit angezogenen Boxhandschuhen. Anscheinend. So eine Performance fällt doch nur einer Person ein, die ihr Instrument beherrscht. Wie Laurie Anderson. "O, Superman, when force is gone, there's only Mom. So, hold me, Mom, in your arms. In your electronic arms."
Hans Nieswandt:
(DJ, Produzent, Dozent, Autor und Bescheidwisser)
Elektronische Musik wird, wie eigentlich fast jede Form von Pop außer Girl Groups, gern für eine reine Männerdomäne gehalten. Man verbindet ihre Erzeugung mit allem, was Männer so umtreibt: Computergenialismus, Adapterautorität, die eigene Gotthaftigkeit. Gerade der letzte Aspekt bestimmte das Bild der ersten elektronischen Popstars der 70er Jahre wie Tangerine Dream, Vangelis, usw. Solitäre Genies, die kolossale Maschinensysteme beherrschten und bändigten und sich dadurch zu magischen Mittlern zwischen profanen Erdlingen und den Schwingungen des Kosmos stilisierten und erhoben.
Frauen haben bei diesem Unfug zum Glück nie mitgemacht, obwohl es ab den späten 60er Jahren, spätestens mit Wendy Carlos, viele Pionierinnen der elektronischen Musik gab. Keine von ihnen wurde ein Star. Die faszinierenden Geschichten von Elaine Radigue, Suzanne Ciani, Laurie Spiegel oder Doris Norton werden erst jetzt, im Zuge der retromanischen Begeisterung für legendäre Charaktere, wieder ausgegraben. Es sind nicht nur heroische, abgefahrene Bioghraphien, sie inspirieren auch neue Generationen von Musikerinnen und Programmiererinnen. So hört man von der Berliner Fachmesse für Modularsynthesizer “Superbooth“, dass insbesondere die Workshops für, sozusagen, Grundlagenforschung einen besonders hohen Frauenanteil aufweisen. Sich Module, Teilmodule und Teile von Teilmodulen selbst zusammenzulöten, Hüllkurvengeneratoren selbst zu stricken, anstatt sich fertige Geräte im Geschäft zu kaufen (wo doch nur wieder einer dieser genialen, gottgleichen Besserwisser berät), scheint immer mehr junge Produzentinnen anzusprechen.
Aber nicht nur die Herstellung von Geräten, auch der gesamte, mittlerweile angenehm niedrigschwellige Prozess des elektronischen Musikmachens, -verpackens, -inszeniernes ist heute ein äußerst attraktives (um nicht zu sagen geniales) Feld der künstlerischen Arbeit. Das Schlüsselwort ist Selbstbestimmung. Selbst im ebenfalls stark weiblich konnotierten Camp der souligen oder folkigen, tendentiell konventionellen Singer/SongwriterInnen, wo traditionell nicht viel läuft ohne die Herren Produzenten, Toningenieure, Chef-Gitarristen usw., greifen die emanzipatorischen Möglichkeiten des Laptop-gestützten Anywhere-Recordings wie auch der Effekt-gestützten Solo-Live-Performance zunehmend um sich. An Ambient Electronica, Deep House oder Trap-Beats kann man hingegen sogar im Pyjama auf der Couch arbeiten, oder was für ein Setting man auch bevorzugt und erschafft - man kann es auf jeden Fall selbst beherrschen und bändigen und so zu seinem, einem unabhängigen Menschenleben mit und in der Musik machen.
21 Kommentare mit 4 Antworten, davon 14 auf Unterseiten
Also, mensch kann ja zu ihrer Musik nach der Punk/Wave-Phase stehen, wie er/sie will, aber das gemessen am thematischen Rahmen "Die Frau in der Musik" in der Elektronikliste ihr Name nicht auftaucht, obwohl sie (biografisch betrachtet) vermutlich der personifizierte Inbegriff des Titels ist, lässt mich an dieser Stelle schon mal etwas lauter folgende Frage formulieren:
"Wo zum Teufel ist Gudrun Gut?"
(Props gehen an alle, die jetzt dachten, ich würde nach Marusha krähen. Hatte ich auch ganz kurz vor. )
Gudrun ist mit Malaria bereits in der zweiten Folge. Zweimal nennen find ich doof. Jeder nur ein Kreuz.
Haste auch wieder recht, dafür bietet jedes Genre inzwischen auch zu viele fähige und dabei zu wenig gehörte Künstlerinnen!
...und wenn wir eh gerade von Frauen sprechen, die über den Umweg der ersten Punk-Bewegung zur elektronischen Musik gekommen sind:
Marcelle van Hoof? (http://www.anothernicemess.com)
Phantogram oder Ladi6 passt nicht ins Genre?
In diesem Reigen poppen gleich ein Dutzend meiner Lieblinge auf, und eine weitere Hand voll wird in den begleitenden Texten genannt, so dass ich mich gewiss nicht beschweren darf. Trotzdem vermisse ich noch einige, die ich nicht unerwähnt lassen möchte. Antye Greie-Ripatti (AGF), Liz Harris (Grouper), Pauline Oliveros und Anja Plaschg (Soap&Skin)
Auch ein paar Unbekannte gab es für mich zu entdecken, die ich mir auf jeden Fall noch anhören werde. Danke
Clara Rockmore
Was ist mit Anne Clark?
Ist für einen anderen Zeitpunkt eingeplant.