In "Blessed" rollt Kollegah seine Vergangenheit auf und reanimiert den alten Selfmade-Kollegen. Widersprüche und Wiederholungen: traditionell kein Problem.

Frankfurt (dani) - Inzwischen sollten es auch die Desinteressierteren unter uns mitbekommen haben: Ein neues Kollegah-Album wirft seine Schatten voraus. "Still King" ist für den 3. August angekündigt, als angeblich letzter Streich des Gottkaiserimperator-Weltmonarchen (sicher doch). Mit "Blessed" spielt Kollegah folgerichtig erneut das Full-Circle-Spiel, erinnert sich an früher und stolpert auf seinem Weg back to the roots über einen ehemaligen Selfmade-Kollegen. Och, guck, Favorite steht wieder:

Über den Beat brauchen wir wahrscheinlich nicht weiter zu reden. Johnny Illstrument verpasst ihm, passend zum religiös gefärbten Titel mittels Chören halt noch einen sakralen Touch: nicht aufregend, wenig originell, kennen wir so. Was Kollegah da in zahlreichen Selbstzitaten erzählt, weiß man im Grunde auch schon fast alles: Früher war und hatte er nix. Jetzt ist und hat er alles. Wieder einmal lässt er die Vergangenheit an sich vorbeiziehen wie Rauch (oder umgekehrt), und ich wundere mich wirklich, dass die x-te Aufdröselung von Kollegahs Rags-to-riches-Märchen seine, wie der Blick in die Kommentarspalte zeigt, immer noch treu ergebene Jüngerschar immer noch nicht zu langweilen scheint. Das scheint wohl nie aus der Mode zu kommen, genau wie diese ewigen Wie-Vergleiche.

Moment ... wie bitte?

Bisschen süß und doch einigermaßen befremdlich finde ich, mit welcher Vehemenz Kollegah sich da als habenichtsiger Ex-Ticker inszeniert. Wieso macht der denn jetzt auf Kind des Frankfurter Asphalts? Für die Dramatik bietet diese Legende natürlich mehr Fallhöhe als der Aufstieg eines Jurastudienabbrechers aus einer stinkreichen Taunusgemeinde zum Popstar. Aber haben tatsächlich alle vergessen, was früher doch eigentlich jeder und seine Mutter wusste? Dass Kollegah "in echt" gar nicht der überzeichnete Super-Pimp war, dessen Image er sich übergeworfen hatte, sondern ein milchgesichtiger Hänfling mit schlaffem Händedruck, den sie seinerzeit im Bahnhofsviertel nicht abgestochen hätten, sondern ausgelacht?

Egal, die Zuhälter-Pose hatte Kollegah anfangs wirklich ziemlich smart bedient - bis seine Kunstfigur die Person hinter der Maskerade erfolgreich aufgefressen hatte. So, wie er jetzt (und das ja nicht zum ersten Mal) seine angebliche Origin-Story runternudelt, sieht es jedenfalls schwer danach aus, als habe er seine Mythen inzwischen so oft gesponnen, dass er sie sich mittlerweile selbst glaubt.

Widersprüche: kein Problem

Kollegahs Klientel stört sich traditionell nicht an Widersprüchlichkeiten. Wen damals nicht zweifeln ließ, dass Kollegah in seinem Buch teils noch nicht einmal eine Seite brauchte, um das genaue Gegenteil von dem zu behaupten, das er gerade noch geschrieben hatte, den juckt wohl auch jetzt die Diskrepanz wenig, zwischen "Hab' vom ganzen Siegerlächeln Lachfalten" und dem Ratschlag, den er im Rahmen von "Das ist Alpha!" noch erteilte: "Lächle nie zu oft und übertrieben, vor allem beim Kennenlernen einer neuen Person. Dies wird als Unsicherheit und Unterwürfigkeit gedeutet."

Ich hätte wirklich gern eine Vorstellung von der Altersverteilung in Kollegahs Zielgruppe: Ich kann mir ja beim besten Willen nicht vorstellen, dass es erwachsene Menschen sind, die sich diesen Unsinn wieder und wieder andrehen lassen. Aber wenn nicht: Wissen Kollegah-Hörer also überhaupt, wer dieser Hollywood Hank gewesen ist, den ihr Idol da shoutoutet? Erinnern sich die wirklich an Favorite, den Kollegah für den letzten Vers wieder aus der Versenkung zieht, oder wundern sich diese Kinder ein bisschen über den nuschelnden Freak? Wundern sich Kollegah-Hörer überhaupt noch über irgendetwas? Hat der Konsum der Alpha-Sigma-Boss-Scheiße nicht längst jede gesunde menschliche Regung erstickt?

Selbstgefälliger Vaterstolz

An mir selbst stelle ich beruhigt fest: Ich hab' offenbar trotz allem noch nicht genug davon gehört, ich fühl' nämlich noch was. Zum Beispiel auf der einen Seite riesige Freude und Erleichterung, Favorite nach all den Abgründen, aus denen heraus er auch schon gewunken hat, wieder etwas stabiler, gesünder und auch wieder halbwegs passabel rappen zu sehen. Zum anderen die berechtigte Angst, dass "back to the roots" für einen rekonvalenszenten Junkie wohl die beschissenste Idee von allen ist.

Eine Rückkehr ins Musikgeschäft dürfte echt das Letzte sein, das Favorite brauchen kann, und dann noch an Kollegahs Seite? Come on! Welchen Wert dieser der Freundschaft beimisst, hat er ja in der Vergangenheit schon mehrfach offenbart. Ich erinnere mich zum Beispiel leider noch bestens an ein Meet & Greet, bei dem Kollegah einem traurigen Teenie-Fan erzählt hatte, wenn er vorankommen wolle, müsse er sich zunächst einmal von seinen Schlurifreunden trennen, die würden ihn nur aufhalten und runterziehen.

Dieser durch und durch berechnende Typ steht jetzt neben Favorite, und dabei fällt ihm so dermaßen schmierig selbstgefälliger Vaterstolz aus der Visage, als habe er ihn eigenhändig aus der Gosse gezogen, gewaschen und gesalbt, und gebe ihm jetzt gnädig etwas vom eigenen Rampenlicht ab.

Wenn Kollegah wirklich Favs Bestes im Sinn hätte, würde er ihm aus seinem angeblich so üppigen Vermögen die nötige Zahnsanierung bezahlen und ansonsten dafür sorgen, dass er dem Musikbusiness, seinen ekelhaften Mechanismen und seinen noch ekelhafteren Akteuren so fern wie nur irgend möglich bleibt. Aber das brächte halt keine Klicks.

Fotos

Kollegah

Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion) Kollegah,  | © Selfmade (Fotograf: Laion)

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