Jake Scott lässt das "Woodstock der 90er" mit restaurierten Aufnahmen Revue passieren.

Knebworth/England (rnk) - Meine eigene Knebworth-Geschichte fand in Wahrheit nie statt, und Schuld daran trägt meine Mutter. Wie ich mir das denn bitte vorstelle, allein und mit 16 Jahren nach England zu fliegen. Ich schlug wie so oft wütend die Tür zu und hörte unter Tränen so laut wie möglich das "Morning Glory"-Album durch. Ja, so rückblickend wirkt der Plan wie aus der Euphorie geboren, aber bei Gott, ich hätte wirklich alles für dieses Erlebnis getan. Es war der heilige Gral und der Höhepunkt der Oasis-Mania. Die Verkaufszahlen von "Morning Glory" wuchsen exponentiell auf dem ganzen Planeten, und tatsächlich waren sie 1996 die größte Band. Welcher Fan wollte also nicht an diesem Ereignis teilnehmen?

Immerhin, nicht nur für mich in der germanischen Diaspora war das goldene Ticket der Britpop-Generation - übrigens für heute lächerliche 22 Pfund - ein Wunschtraum, auch in Großbritannien gingen Hunderttausende Menschen leer aus. "Nur" 250.000 zogen das große Los, es hätten achtmal so viele Menschen sein können. Ein Ausmaß wie zu Beatles- oder Led Zeppelin-Zeiten. Der Höhepunkt einer Erfolgsgeschichte. Wie könnte es noch größer werden?

Heute wissen wir natürlich, dass es genau das nicht wurde. Es war der große Abschluss-Event des Britpop, die letzte und allergrößte Party. Schon die Oasis-Doku "Supersonic" hört mit einem bittersüßen Moment auf; die Band-Mitglieder merken, dass man besser mit dem großen Knall abgetreten wäre. Keine vier Jahre später war der große Rausch vorbei und der Pop-Sänger und Helene Fischer-Freund Robbie Williams schaffte es auch noch, den Knebworth-Konzert-Rekord zu brechen.

Regisseur Jake Scott - ja er ist der Sohn von "Alien"-Regisseur Ridley Scott - lässt lieber die Fans sprechen, die erzählen, wie sie daheim das Telefon belagerten und tatsächlich an das Ticket kamen. An die stundenlange Fahrt dorthin und wie es ist, kurz vor dem Gig mitgeteilt zu bekommen, dass man Vater wird. Oder wie man stundenlang in der Schlange ansteht und dann wie verrückt nach vorne läuft, um den Idolen ganz nah zu sein. Vielleicht hätten 7.000 Fans noch eine Chance auf ein Ticket gehabt, aber genau diese Anzahl wurde für die Gästeliste reserviert. So sieht man auch Jarvis Cocker in der Menge oder Kate Moss im Backstage. The Prodigy, die ein Jahr später mit in 22 Ländern auf Platz eins stehen, dürfen vorher anheizen. Nicht wenige behaupten, dass sie Oasis an dem Tag in Sachen Bühnenpräsenz übertrumpften. Sehr wahrscheinlich entspricht das der Tatsache, da die Heroen aus Manchester ja einfach nur auf der Bühne stehen mussten und mit ihren gerade mal zwei Alben übermächtig wirkten. Besonders ausgefeilte Videos oder Ideen der Bühnenpräsentation haben sie nie gejuckt. Es war einfach Rock'n'Roll, der Rest nur nerviges Beiwerk.

Noel sagt in dem Film, dass er trotz der Menschenmasse einfach keine Angst verspürte. Und auch das zeichnet diese Abende aus. Oasis benehmen sich nicht wie Megastars, sondern immer noch wie Rotzlöffel, die auf der falschen Bühne landeten. Noel albert wie ein Teenager mit Liam rum, der auf der Bühne eher unkoordiniert herumläuft und übermütig den Mikroständer umwirft. Die damaligen Konzertbesucher erzählen aus dem Off launige Anekdoten. Ein Fan bettelt Liam ewig aus der ersten Reihe um das Tamburin an, und als er am dritten und finalen Tag die Hoffnung aufgibt, erinnert sich dieser und schreitet zu ihm herunter. Lucky Bastard.

"Knebworth 1996" ist ganz klar ein Film für uns Fans, der Rest ist entweder immer noch nachtragender Blur-Ultra oder einer dieser vielen Alemannen, die diese "arroganten Inselaffen" nie leiden konnte. Heute würde sicherlich das sehr männliche Line-Up kritisiert werden. Das Woodstock der 90er ist es natürlich nicht, wie ein euphorisierter Fan jubelpersert. Eher ein kurzer Moment am Ende der Jugend. Oder sogar des Lebens, wie der tragische Tod eines Fans zeigt, der mit seiner Schwester noch "Live Forever" singt und schon kurz darauf an Krebs stirbt.

Liam Gallagher kündigte gerade an, dass er 2022 nach Knebworth zurückkehrt. Es wird einfach nicht mehr das Gleiche sein. Es war das perfekte Zusammenspiel von einer Band auf ihrem Zenit, der euphorisierenden Aufbruchstimmung und den Fans, die diesen Wahnsinn erst möglich machten.

"Oasis: Knebworth 1996" läuft seit dem 26. September in den Kinos, am 19. November folgt der DVD/Blu-ray-, CD- und Vinyl-Release.

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Oasis und The Prodigy

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