12. Oktober 2016

"Die Zukunft wird richtig cool!"

Interview geführt von

Patrice ist einer der begnadetsten deutschen Pop- und Reggae-Künstler. Im Interview zur Veröffentlichung seines neuen Albums "Life's Blood" erzählt der Kosmopolit, warum er gegen nationale Grenzen ist und wie die perfekte Welt für ihn aussieht.

Hallo Patrice! Wie läuft es so bei dir? Alles gut oder gerade stressige Promophase?

Nene passt, alles gut.

Man tut eben was nötig ist...

Ja so ist das (lacht).

Jetzt kommt direkt eine harte Frage zum Einstieg, für die ich mir gerade den Übergang so grandios geschaffen habe: Glaubst du, dass die Politik aktuell das tut, was nötig ist?

(Überlegt lange) Puh, was heißt nötig...also ich würde das anders machen, sagen wir es so!

Was müsste man denn anders machen?

Das fängt eigentlich schon bei den Medien an. Oder besser gesagt, das fängt schon in der Schule an, ich denke so weit muss man zurück gehen. Das was wir lernen, ist bereits falsch.

Wie meinst du das genau?

Naja, es gibt doch einfach ein übertriebenes Missverhältnis auf der Welt. Zwischen erster, zweiter und dritter Welt. Wobei: Eine zweite Welt gibt es ja eigentlich nicht. Auch innerhalb bestimmter Länder gibt es ein großes Missverhältnis zwischen arm und reich, beziehungsweise nicht mal zwischen arm und reich, sondern zwischen ganz reich und allen anderen. Mit diesem Verständnis werden die Kinder hier in unserem Kulturkreis aufgezogen. Und die Medien machen genau da weiter.

Echt?

Klar, wir befinden uns aktuell ja de facto in mehreren Kriegen...

...wenn du mit wir die gesamte Weltbevölkerung meinst, gebe ich dir recht.

Ja genau. Wir kriegen das nur nicht so richtig mit, was beispielsweise in Syrien passiert. In Deutschland ist man doch abgeschottet von der Wahrheit. Man erfährt die Realität überhaupt nicht. In Russland wird anders darüber berichtet als hier. Oder in Amerika. Wobei, das ist ja gerade das krasse, in Deutschland, Frankreich und den USA, also da wo ich mich auch oft aufhalte, wird genau gleich berichtet. Und alleine dadurch entsteht bereits eine Grundstimmung zwischen Ländern und Kulturen, eine gewisse Philosophie, dass der Westen zum Beispiel bestimmte Ansprüche auf Dinge hat, die andere nicht haben. Oder dass es beispielsweise schon eine Leistung ist, irgendwo geboren zu sein. Man kann und darf stolz sein auf eigene Leistungen, ja, aber nicht darauf, irgendwo geboren zu sein.

Du meinst damit Nationalismus?

Ja, das darf es einfach nicht geben! Ich meine, wenn irgendjemand wo anders geboren ist, dann hat der nach dieser Auffassung eben einfach die Arschkarte gezogen, ohne dass derjenige oder diejenige überhaupt etwas dafür kann. Ein Mensch, der in Syrien oder Burkina Faso geboren ist, soll einfach so weniger wert sein und weniger Rechte haben? Das ist doch verrückt! Ich meine, in so einer Welt muss es doch früher oder später zu Kriegen kommen.

Aber deshalb gibt es ja so etwas wie Diplomatie.

Aber wenn die Politik schon auf dieser Philosophie aufbaut – und das tut sie leider – dann kann sie ja gar nicht gut sein beziehungsweise gut werden. Da ist bereits die Basis kaputt. Ich meine, wie kann denn ein Trump sagen: 'Ich baue, wenn ich gewählt werde, hier eine Mauer!' Woher nimmt er sich dieses Recht? Seine Vorfahren sind in 'sein' Land eingefallen. Wieso kann er sich seiner Meinung nach einfach über andere Gruppen hinwegsetzen und sagen, er sei moralisch im Recht? Okay, er könnte sagen: 'Hey ich bin ein Arschloch, deshalb mache ich das'. Dann wäre das ja okay, weil dann macht das ein Arschloch. Das wäre immerhin ehrlich. Aber so wie es momentan läuft, ist es einfach nur verrückt.

"Die Mitte muss sich radikalisieren."

Was geschehen ist, ist geschehen. Beeinflussen kann man nur noch die Gegenwart und die Zukunft. Was muss die Menschheit also tun, um die Zukunft besser zu machen?

Zunächst mal muss jeder einzelne erkennen, dass es schon ein unfassbares Glück ist, überhaupt hier zu sein. Es ist doch unglaublich, dass das Leben überhaupt stattfindet. Und das ist kein Optimismus von mir, sondern eine Tatsache. Auf dieser Basis muss vor allem die breite Mitte, also alle die nicht radikal sind, Stellung beziehen. Viel zu viele sind in ihrer Meinung einfach zu schwammig. Die Mitte muss sich radikalisieren. Wir müssen für die Werte unserer Verfassungen ehrlich einstehen und Leuten, die Schwachsinn erzählen, diese Verfassungen wieder vor Augen halten. Dann gewinnt die Mitte auch wieder Stabilität und verschiebt sich nicht zusehends nach rechts oder links.

Glaubst du, dass man mit Musik in dieser Hinsicht etwas verändern kann?

Am Ende machen die Köpfe was sie wollen. Man kann nur versuchen, als gutes Beispiel voran zu gehen und die Menschen mit seiner eigenen Arbeit zu inspirieren und zum Nachdenken anzuregen. Ich glaube, wenn mehr Leute das tun würden, hätten wir eine bessere Welt.

Wie sähe denn die perfekte Welt deiner Meinung nach aus?

Im Grunde ist die Welt, die wir haben, schon beinahe perfekt. Also nicht die Welt, wie wir sie uns gebaut haben, sondern so wie sie im Ursprung war und ist. Wenn wir das erhalten könnten, würde es niemanden geben, der mit einem roten Knopf alle spalten könnte. Vielmehr würden sich alle miteinander vermischen, kulturell und auch ethnisch. Es würde mehr um Inhalte gehen als um das Aussehen. Und ich glaube auch, dass sich das irgendwann verwirklichen wird. Ich bin mir sicher, die Zukunft, auf die wir zusteuern, die wird richtig cool!

Da bin ich auch ganz zuversichtlich. Vor allem weil ich das Gefühl habe, dass sich die Menschheit momentan irgendwie verändert.

Das könnte tatsächlich stimmen...

"Das Blut des Lebens ist das Wasser."

Kommen wir zu deinem Album: Im Opener "Burning Bridges" geht es darum, Brücken zu verbrennen, die uns an alte und festgefahrene Meinungen und Einstellungen binden und dadurch hindern, fortschrittlich in die Zukunft zu gehen. Welche Brücken dieser Art hast du denn persönlich zuletzt eingerissen?

Mh gute Frage ... ich glaube, dass ich momentan versuche, mich nicht immer nur in sicheren Gegenden und Wohlfühlzonen aufzuhalten, sondern auch mal dahin zu gehen, wo es ungewiss ist. Wichtig zu erkennen ist dabei aber, dass es nicht nur darum geht, Brücken zu verbrennen. Vielmehr sollte man auch neue Brücken entstehen lassen. Das spürt man dem neuen Album denke ich an.

Das wollte ich eben auch ansprechen. Ich finde, du hast einen sehr zeitgemäßen und modernen Sound gewählt, der sicher nicht der Vergangenheit verhaftet ist. Würdest du mir da zustimmen?

Absolut! Das war genau das Ziel. "Life's Blood" ist eine Art Erneuerung. Es ist ein sehr modernes Album, da hast du recht.

Du hast dafür mit mehreren Leuten zusammengearbeitet. Diplo oder die Picard Brothers beispielsweise. Wer hat denn den Spund der Platte am meisten beeinflusst?

Da kam einiges zusammen. Ich habe viel ausprobiert und mich mit vielen tollen Menschen ausgetauscht. Eine bestimmte Person herauszuheben, wäre nicht richtig.

Auch hast du auf deinem neuen Album keinen Titelsong - wie auf den meisten deiner Veröffentlichungen, mit Ausnahme deiner ersten EP und "How Do You Call It?". Welcher Song auf "Life's Blood" entspricht denn dem Titel am meisten?

'Life's Blood' - das Blut des Lebens - ist ja das Wasser. Mein 'Life's Blood', also das, was mich am Leben hält, ist in erster Linie natürlich das ganze Album beziehungsweise grundsätzlich meine Musik. Irgendwie entsprechen alle Songs auf dem Album seinem Titel. Ich habe ja in jeden einzelnen unglaublich viel Herzblut und Inspiration reingesteckt.

Es ist jedenfalls ein Album, das sich erst in seiner Gesamtheit voll entfaltet, wie ich finde. Einen einzelnen Song herauszupicken, der für die LP einsteht, finde ich unglaublich schwer. Dennoch möchte ich auf einen bestimmten Titel eingehen: das von Gwyn Allen gesungene "What A Wonderful World". Was war der Grund, dieses Armstrong-Cover auf "Life's Blood" zu packen?

Gwyn Allen, den ich aus Sierra Leone kenne, singt den Song ja auf kreolisch. Damit wollte ich das Lied in gewisser Weise brechen und kaputt machen. Es steht zusätzlich vor allem aber in Zusammenhang mit einem anderen Titel, nämlich "Still Wonderful". Eine der Grundaussagen des Albums ist ja, wie ich eingangs schon erwähnt habe: Auch wenn es um uns herum manchmal nicht so cool ist, it's still a wonderful world, weißt du was ich meine?

Voll und ganz. Ein schöneres Schlusswort hätte ich mir nicht vorstellen können. Vielen Dank für das Gespräch!

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