10. März 2017
"Es ist eine dreckige Scheidung"
Interview geführt von Michael SchuhBei New Order ist Peter Hook raus, aber der Bassist kämpft an allen Fronten: Er prozessiert, schreibt Bücher und veröffentlicht Platten. Nun mit "Hacienda Classical" sogar ein Fusionsalbum, in dem House-Klassiker von einem Orchester begleitet werden.
Zusammen mit Graeme Park und Mike Pickering, den früheren DJs des Kultclubs Hacienda in Manchester, konzipierte der frühere New Order- und Joy Division-Bassist Peter Hook das "Hacienda Classical"-Projekt. Dort treffen legendäre Dance- und Acid House-Hits auf die Arrangements des Kammerorchesters Manchester Camerata. Nach begeistert aufgenommen Live-Auftritten in Großbritannien 2016, darunter die Royal Albert Hall, erscheint die Club-meets-Classic-Sause nun auf Albumlänge. Darunter befinden sich Klassiker wie "Pacific State" von 808 State, "Voodoo Ray" von A Guy Called Gerald, "Ride On Time" von Black Box und natürlich "Blue Monday" von New Order. Wir erreichen Hook zuhause in Manchester.
Das "Hacienda Classical"-Projekt erscheint zwar gerade auf LP und CD und dürfte für deutsche Fans neu sein, in England kennt man eure Fusion aber schon aus dem letzten Jahr, wo ihr das Konzept mehrfach live vor ausverkauften Häusern erfolgreich aufgeführt habt. Wird es dir schon langsam langweilig oder bist du noch so begeistert wie am ersten Tag?
Peter Hook: Nein, es ist ein großer Spaß. Wir sitzen sogar schon an einer Fortsetzung, die noch mehr in die Acid House-Richtung gehen wird. Die Platte erscheint noch in diesem Jahr. Acid House ist nun mal mein Spezialgebiet. Davon abgesehen ist es sehr spannend zu sehen, welche Songs der Dirigent aus unseren Vorschlägen auswählt und wie seine Grundarrangements klingen. Beim Konzert in Dublin hatten wir zum Beispiel nicht das Camerata Orchester aus Manchester dabei. Und es klang total anders. Es ist eine andere Erfahrung als mit einer Band zu spielen, weil viel mehr Varianz gefragt ist. Es kann gar nicht langweilig werden.
Die nächste Platte hievt also speziell Acid House aufs Podium, dann verrate uns doch schon mal, was dir da an Songs so vorschwebt.
Mit einem Orchester zu arbeiten hat den Nachteil, dass es sich um eine orchestrale Reproduktion der House-Platten handelt, die jeder kennt (lacht). Für mich wurde während der Arbeit daran erst so richtig klar, wie viele Menschen tatsächlich mit dieser Musik aufgewachsen sind. Ich bin mir nicht sicher, wie es bei euch in Deutschland ist, aber hier in England sind das enorm erfolgreiche Platten gewesen.
Chicago und Detroit haben die Dance-Szene damals massiv verändert. Die Songs laufen auf Hochzeiten und auf Beerdigungen. Aber nur die wenigsten haben diese Songs jemals in einem Livesetting erlebt, weil manche Acts nie Konzerte gaben oder nur One-Hit-Wonder waren. Wir erwecken diese Songs nun zum Leben und dafür gibt es hier ein riesiges Interesse. Gott sei Dank, denn wer kauft heute schon noch Platten?
Erzähle doch mal, wer da alles auf der Bühne steht, wenn ihr die Show aufführt.
Auf der Bühne sind das Orchester, ein Chor und ein Sänger, die DJs Mike Pickering und Graeme Park legen dazu Platten auf und ich spiele Bass. Und wir laden verschiedene Gäste ein wie Shaun Ryder und Rowetta von den Happy Mondays.
Basiert diese Fusionsidee auf dem Club-/Klassik-Konzept, das Derrick May seit 2014 in den USA auf die Bühne bringt?
Ja, wir haben uns das angesehen. Das Schöne daran ist: Es muss 1983 oder 1984 gewesen sein, als Derrick May bei uns in der Hacienda aufgelegt hat. Der Club war leer. Mike Pickering machte damals das Booking und zusammen mit den damaligen Besitzern Rob Gretton und Tony Wilson stand er total auf die Housemusik aus Chicago und Detroit, nur leider tat das außer ihnen keiner. Es gab dafür damals kein Publikum.
Erst als der Acid House-Boom einsetzte, rasteten die Leute plötzlich aus, zu einem Sound, den die Hacienda schon fünf Jahre vorher gespielt hat. Zu sehen, wie Derrick May Techno mit einem Orchester interpretiert, hat uns beeindruckt, ebenso wie Pete Tongs Live-Interpretationen, die meiner Ansicht nach aber deutlich poppiger sind als unser Rave, der klar auf den Club abzielt.
"Der Streit mit New Order geht weiter"
Trotzdem wirst du diese Frage nicht zum ersten Mal hören: Ist es wirklich nötig, House-Klassiker von einem Orchester begleiten zu lassen?
Am Anfang war ich nicht überzeugt, als man mir die Idee erklärt hat. Das konnte doch einfach nicht funktionieren. Aber dann sah ich in der ersten Nacht die Reaktion der Leute. Unfassbar. Der Sound hat die Leute an einen ganz besonderen Ort mitgenommen. Und dann muss man bedenken, dass dies ja der Sound ist, der zu allererst von Menschen geliebt wurde, die in einem stickigen Nachtclub bis obenhin mit Ecstasy voll waren. Genau diese Musik wird nun in teilweise bestuhlten Konzerthallen aufgeführt. Und selbst wenn es da einen Dancefloor vor der Bühne gibt: Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. (lacht) Aber was soll ich sagen, es funktioniert. Die Konzerte sind ausverkauft.
Und dieses Mal sogar ganz ohne Ecstasy.
(lacht) Ich bin trockener Alkoholiker und seit 13 Jahren frei von allem Zeug. Das heißt nicht, dass die Leute nicht auch was einwerfen können, wenn sie Bock drauf haben. Ein paar meiner Kumpels sind der ein oder anderen Stimulanz jetzt auch nicht völlig abgeneigt. Der Vibe ist immer noch da und es ist einfach ein großer Spaß, diese Songs zu hören. Es hat sich dann heraus gestellt, dass die Übertragung des Live-Konzerts auf Platte ein riesiger Aufwand ist. Es war das größte und schwierigste Aufnahmeprojekt, an dem ich je beteiligt war und ich bin seit 41 Jahren Musiker.
Man kann sich das nicht vorstellen. Ich bin da auch recht lässig herangegangen, nach dem Motto: Ich bin 59 Jahre alt, mir bringt niemand mehr groß was bei. Und dann stehst du vor diesem Orchester und fühlst dich wie ein blutiger Anfänger. Ich bin ja Autodidakt und das sind alles gestandene Profis. Es war die Hölle. Der Clicktrack läuft, das Orchester spielt live und so weiter. Der Mischer Phil Murphy, mit dem ich übrigens die Gruppe Man Ray gegründet habe, hatte da alle Hände voll zu tun. Zumal wir in Nordengland kein Studio finden konnten, in dem so ein ambitioniertes Unterfangen realisierbar war. Schließlich mussten wir es in London aufnehmen.
Der NME nannte eure Birmingham-Show "den besten Rave seit 1997".
Und weißt du was: Der Promoter unseres Konzerts in der Castlefield Bowl in Manchester hat genau dasselbe gesagt. Die Leute, denen man dafür danken muss, heißen Tony Wilson von Factory Records und Rob Gretton, der Manager von Joy Division und New Order, denn sie haben das alles begründet. Dann die Menschen in Manchester, die immer eine große Unterstützung gewesen sind. Der Geist lebt weiter, was auch ein großartiges Kompliment für uns ist. Umso mehr, seit ich bei New Order unter diesen abscheulichen Umständen rausgeflogen bin, wogegen ich nach wie vor prozessiere. Der Erfolg, den wir mit dem Hacienda-Projekt letztes und dieses Jahr erfahren dürfen, relativiert den Ärger ein wenig. Man ertappt sich bei der Frage: Muss ich mich wirklich mit denen herumärgern, wenn sie mich sowieso nicht mehr haben wollen? (lacht)
Ich habe jetzt ja etwas, das genauso gut ist. Gleichzeitig wären diese Konzerte ohne die anderen nicht möglich gewesen. Ohne Barney (Bernard Sumner, Anm. d. Red.), Steven und Gillian gäbe es die Hacienda nicht. Vielleicht freut sie dieser Erfolg, wovon ich leider nicht ausgehe, aber es ist einfach ein riesiges Kompliment.
Hast du Feedback auf euer Projekt von ihnen bekommen?
Nein, wir sprechen seit fünf Jahren nicht mehr miteinander.
"Drogen sind wie ein Bankkredit: Irgendwann musst du alles zurückzahlen"
Aus der Sicht eurer Fans, zu denen ich mich zähle, ist diese Geschichte einfach sehr traurig mitanzusehen. Es sind nun zehn Jahre vergangen, seit New Order und du getrennte Wege gehen. Ist es denn nicht möglich, das Kriegsbeil mal zu begraben?
Ich fände das auch schön, aber keine Seite scheint gesteigerten Wert auf einen Kompromiss zu legen. Also geht der Streit weiter. Manche wissen, dass es in der Geschichte von New Order eine Gewohnheit gegeben hat, sich zu trennen und wieder zusammen zu kommen. Nur dass die anderen das 2011 ohne mich getan haben. Hinter meinem Rücken, während ich in China war. Sie haben sich zusammen gesetzt, eine neue Firma gegründet und meinen Anteil an der Marke New Order eiskalt von 25 Prozent auf 1 Prozent gekürzt, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen.
Sie haben mir buchstäblich meine Existenzgrundlage entzogen. Danach habe ich mit meiner Band The Light Konzerte gespielt und versucht, den Fans zu begreifbar zu machen, wie viel mir an dieser Musik liegt. Ein fairer Umgang unter Kollegen sieht sicher anders aus. Ich würde dies niemandem antun. Oder was hättest du in meiner Lage getan?
Die Details mit den Prozenten höre ich zum ersten Mal. Aber die Geschichte klingt immer noch schrecklich.
Ja, ist sie auch. Sie zieht mich jeden Tag runter, muss ich leider zugeben.
Du hast wieder ein Buch geschrieben: "Substance" handelt von deiner Zeit bei Joy Division und New Order. Ich habe es noch nicht vorliegen, aber der Guardian hat geschrieben, es ginge zügelloser und ausschweifender zu als in einer Led Zeppelin-Autobiografie.
Haha, so ist es. Das war mir natürlich beim Schreiben schon bewusst. Wahrscheinlich sind gerade die Bücher ein großes Problem im Verhältnis unter uns ehemaligen Bandkollegen. Bernard hat ja auch eins über unsere gemeinsame Zeit geschrieben, das einfach schrecklich und verleumderisch mir gegenüber war. Ich musste einige unwahre Passagen darin per Gerichtsbeschluss ändern lassen, was mir gelungen ist.
In meinem Buch steht jetzt die Wahrheit. Und zwar sämtliche Details, die mit New Order zu tun haben und die uns in all den Jahren passiert sind. Bernard hatte dahingehend bestürzend wenig zu berichten. Wer sich für die Geschichte von New Order interessiert, muss mein Buch kaufen. Und wenn du nicht gerade Barney, Steven oder Gillian bist, wirst du dabei auch viel Spaß haben. Denn bei allem Respekt: Was sie mir finanziell angetan haben, ging ihnen ja komplett am Arsch vorbei. Es ist aber passiert und deshalb darf ich es aufschreiben. Letztlich leiden unter der Geschichte ja besonders die Fans, das ist mir klar. Es ist wie eine dreckige Scheidung.
Dein Buch "How Not To Run A Club" über deine Zeit als Mitbetreiber des Hacienda Clubs hat mir sehr gut gefallen. Darin stellst du die These auf, dass in all den Jahren jeder Besucher des Clubs dich persönlich zehn Pfund gekostet hätte.
Korrekt.
Könnte man dann sagen, dass das Hacienda-Orchester-Projekt dich in gewisser Weise mit dieser wirtschaftlichen Malaise versöhnt hat?
(lacht) Die Leute schulden mir heute immer noch die zehn Pfund. Die dürfen sie mir nach wie vor gerne zurückgeben, damit ich sie an meine Anwälte weiterleiten kann. Spaß beiseite: Man muss das schon klar und deutlich sagen: Es ist äußerst ungewöhnlich, dass sich eine Stadt 16 Jahre lang von einer Pop-Band auf deren Kosten unterhalten lässt. Aus heutiger Sicht wirkt es geradezu lächerlich, aber gut, wir haben es gemacht. Wir wurden ein ums andere Mal abgezockt, aber wir haben es durchgezogen. 16 Jahre sind eine sehr lange Zeit, das schaffen mitunter nicht mal profitable Clubs.
Die Hacienda hat die Musik verändert, die Kultur und die Mode. Acid House, Madchester, Post Punk: Die Hacienda war immer mittendrin. Heutzutage läuft House im Radio und stürmt die Charts. Alles dank Derrick May. Ich fühle mich sehr wohl in meiner Funktion als Botschafter der House-Musik.
Um noch mal das NME-Zitat aufzugreifen: Erinnerst du dich an deinen besten Rave?
Mein Gott, ich habe Hunderte Raves vergessen, was ich einerseits erschreckend finde, ebenso wie diverse Hacienda-Geburtstage. Die waren nämlich immer, wie soll ich es ausdrücken, emotional und auch auf andere Weise aufgeladen. Man vergisst einfach viel. Dafür erinnern dich andere Menschen an gewisse Dinge, etwa an mein schlechtes Benehmen. Ich war auf allen Raves in Manchester zwischen 1986 und 1988 und habe fast alles vergessen. Aber ist nicht genau das der Beweis für eine perfekte Nacht?
Das ist natürlich auch der Grund, warum ich Alkoholiker geworden bin. Seit 2004 bin ich trocken, aber ich bereue nichts. Das war eben mein Weg erwachsen zu werden. Und ich hatte großes Glück dabei, wir haben viele Freunde an diesen abscheulichen Drogen verloren. Einer der größten Fehler war es zu glauben, Drogen seien ein Allheilmittel für die Seele. Stattdessen sind Drogen sind eher wie ein Bankkredit: Irgendwann musst du alles zurückzahlen.
Wo das Interesse an der Hacienda so groß geworden ist: Hast du schon mal darüber nachgedacht, den Club wieder zu eröffnen?
Schwierig. Wir bekommen immer mal wieder Angebote. Ich habe aber mit dem FAC251 schon einen Club in Manchester, der an der Stelle des alten Factory-Büros entstanden ist. Dort arbeite ich mich Geschäftsleuten zusammen, was großartig ist. Immer wenn ich mit einer verrückten Idee ankomme, sagen sie: "Können wir machen, aber willst du wirklich so enden wie damals mit der Hacienda?" Um Himmels Willen, nein! Heute bin ich alt genug, Idealismus und Realismus abzuwägen. In den 80ern spielte Realismus in der Hacienda keine Rolle, denn wenn es mal eng wurde, hat man einfach Geld vom New Order-Konto abgehoben. Heute fließt all mein Geld zu den Anwälten.
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