26. Mai 2009

"Die Deutschen sind gute Bürger"

Interview geführt von

Was würde Mozart dazu sagen? Das vierte Album der Franzosen heißt "Wolfgang Amadeus Phoenix". Wir sprachen mit Sänger Thomas Mars über Berlin, das Geheimnis französischer Popmusik, die Präsidentengattin Carla Bruni und nach dem Grund, warum Phoenix keinen festen Drummer haben.Ende März befinden sich Phoenix im Hamsterrad der Album-Promotion. Bis die Öffentlichkeit auch nur einen Ton der neuen Single "1901" hören wird, vergehen noch Wochen. Doch der Vorlauf muss sein, die Promoterin spricht von einem nicht für möglich gehaltenen Medieninteresse.

Dieses konzentriert sich naturgemäß auf den Sänger Thomas Mars. Umso mehr freuen wir uns, dass der sympathische Kopf der Gruppe uns am Telefon konzentriert und völlig ungenervt Rede und Antwort steht.

Du bist gerade in Berlin. Habt ihr wieder eine gute Zeit?

Wir fühlen uns wohl und kennen die Stadt, weil wir hier unsere dritte Platte aufgenommen haben. Es macht immer Spaß, an Orte zurück zu kehren, die man mag - ein bisschen Routine eben. Wir mögen das.

Kannst du mir ein Geheimnis verraten? Ich stehe auf französische Bands - weiß aber nicht genau warum. Worin besteht diese spezielle Note, die Bands wie Phoenix, Daft Punk, Air, Cassius oder in früherer Zeit etwa Les Rita Mitsouko ausmacht?

Puh, sehr schwierig ... eigentlich ist es auch für mich ein Mysterium. Du könntest genauso gut fragen: Wie entstand Leben auf der Erde? Es gibt Orte, wo spezielle Dinge aufgrund eines gewissen Kontexts passieren. In Versailles war die Zeit wohl reif für so eine neue "Lebensform". So sehe ich das vielleicht.

Die Musik klingt irgendwie einzigartig, manchmal auch wie das nächste große Ding, etwa wenn Madonna mit Mirwais kollaboriert ...

Wir wissen halt, wie es funktioniert. (lacht) Aber wenn es etwas gibt, was all diese Bands eint, ist es der Wille, es zu schaffen. In Frankreich ist das sehr schwierig. Du musst von dir sehr überzeugt sein, wenn du Musiker werden willst. Du musst in die Domäne der Profis geradezu einbrechen. Wir haben ganz klein angefangen, und diese Indie-Idee trägt noch immer. Es geht um den Spaß an der Kunst.

Wo siehst du den Hauptunterschied zwischen "It's Never Been Like That" und "Wolfgang Amadeus Phoenix"?

Wir haben an der neuen Platte vier oder fünf Mal so lange gearbeitet. Bei der letzten hieß die Grundidee Exil, jetzt geht es ums Gegenteil, Heimat. Wir wollten experimentieren, ausgeklügelter und komplizierter klingen. Es passierte nicht schnell und heftig, wir mussten uns auf einen tief gehenden Prozess einlassen.

Wenn du an die "It's Never Been Like That"-Sessions in Berlin zurück denkst: War es eine gute Idee, in Deutschland aufzunehmen?

Ich bereue nie etwas. Also ja. Ich mag es, dass jede unserer Platten anders klingt und einen bestimmten Zeitabschnitt repräsentiert - wie ein Polaroid-Foto. Du kannst einzelne Songe heraus nehmen und sie werden immer für einen bestimmten Lebensabschnitt stehen. Mir gefällt das.

Siehst du große Unterschiede zwischen Berlin und Paris - vielleicht hinsichtlich der Mentalität der Menschen oder bezüglich der Aufnahmebedingungen im Studio?

Ich denke, wir haben versucht, von beiden Städten das Beste zu kriegen. Was ich an Deutschland liebe, ist, dass die Menschen gute Bürger sind. An Frankreich mag ich das chaotische Moment. Gleichzeitig fühle ich mich dort oft verunsichert, obwohl es meine Heimat ist. Die Tatsache, dass man uns dort versteht, ist nicht immer von Vorteil. In Deutschland ändert sich automatisch unsere Perspektive. Wir nahmen in einer Ost-Berliner Radiostation auf und hatten das Gefühl, einfach unser ureigenes Ding machen zu können.

"Keiner wollte singen, also musste ich ran"

Zurück zu "Wolfgang Amadeus Phoenix". Für mich klingt der Albumtitel typisch französisch in einem exzentrischen Sinne ... was würde Mozart wohl dazu sagen?

Ich weiß es nicht, aber es ist mir auch egal. (lacht) Für uns ist das eher so eine Art Spielerei, ein kindisches Ding, so als würde man der Mona Lisa einen Schnurrbart malen. Wir spielen sozusagen mit Ikonen: Du musst sie nicht mehr bewundern, weil du sie selbst veränderst hast.

Warum wählt ihr dafür gerade große Komponisten wie Mozart oder Franz Liszt?

Keine Ahnung, ein Zufall? Die Vergangenheit hält jedenfalls unendlich viel Inspiration bereit. Wir sind in Versailles aufgewachsen, da ist man sehr von Geschichte umgeben. Die Schönheit dieser historischen Dinge versuchen wir mit unseren eigenen Ambitionen zu verbinden. Eine ziemlich romantische Idee, wie ich finde: Wir kamen später dran, versuchen aber ihr Gewicht abzuschütteln.

Phoenix ist eine Vier-Mann-Band mit eigentlich klassischem Rock-Line-Up, zwei Gitarristen, Basser und Vocals - aber von Beginn an ohne Drummer. Warum eigentlich?

Am Anfang habe ich getrommelt. Ich hörte aber auf, weil ich derjenige war, der am wenigsten etwas dagegen hatte, zu singen. Das wollte kein anderer machen, also musste ich ran.

Ein Ersatz am Kit stand gar nicht zur Debatte?

Nein, wir sehen das als einen Vorteil an. Klassisches Line-Up kann auch Einengung bedeuten. Man bleibt in den immer gleichen Arrangements oder derselben Vorgehensweise beim Komponieren stecken. Genau so verhält es sich auch mit der Tatsache, dass wir auf englisch singen, obwohl wir Franzosen sind. Diese Unterschiede machen unsere Stärke aus.

Hast du die Drumparts auf "Wolfgang Amadeus Phoenix" programmiert?

Wir samplen entweder einen echten Trommler oder lassen einen Drumcomputer mit Realsounds spielen, zuweilen arrangieren wir die Parts dann im Rechner um. Grundsätzlich wollen wir, dass ein echter Drummer eher wie eine Maschine spielt bzw. ein Roboter fast wie ein echter Trommler klingt. Auf der neuen Platte gibt es Liveelemente, aber nur stellenweise, etwa Hi-Hats oder Toms.

Ich habe einen Freund, der das ziemlich frustrierend findet. Er kommt mit dem Sound-Mischmasch nicht zurecht, er kann das nicht auseinander halten, für ihn klingt das befremdlich. Das war für mich eines der schönsten Komplimente überhaupt.

Spielst du eigentlich ab und zu noch Schlagzeug?

Nein, zumal wir einen so guten Drummer haben, dass ich mich immer schäme, wenn ich ihn sehe. Da habe ich keine Lust drauf. (lacht)

"Wir ergänzen uns so gut - es ist fast schon lächerlich"

Lass uns übers Songwriting sprechen. Habt ihr einen Hauptverantwortlichen?

Nein, wir machen das zu viert und ergänzen uns so gut, dass es manchmal fast schon lächerlich ist.

Entstehen die Songs dann in Jamsessions?

Nein, aber wir nehmen so ziemlich alles auf, was wir spielen. Dann kriegt einer die Aufgabe, das Zeugs durchzuhören. Auf was der steht, weiß man mehr oder weniger. Schließlich hört man es wieder gemeinsam, macht sich Teile zu Eigen und irgendwann landet es auf der Platte.

Die Franzosen sind sehr stolz auf ihre Kultur, ihre Künstler und ihre Sprache - beispielsweise gibt es Radiokontingente für französische Popmusik. Sind englische Texte da nicht von Nachteil?

Wenn du auf französisch singst, kommst du leichter ins Radio. Aber man behandelt uns zuhause gar nicht als französische Band. Ich finde das Gesetz eh dumm. Musik ist universell.

Verkauft ihr mehr Platten in Frankreich oder doch in anderen Ländern wie Deutschland oder den USA?

Wir haben das Glück, dass wir nirgends einen großen Hit landen. Das ist eigentlich sehr gut, denn wenn die Leute etwas ganz Bestimmtes von dir erwarten, kann das deine Entwicklung als Band behindern. Bei uns ging das immer Schritt für Schritt mit jedem Album. In den Staaten interessiert man sich mittlerweile für uns, stelle ich fest. Aber ich denke, wir haben überall eine kleine Community.

Existiert eigentlich eine spezielle Verbindung zwischen französischen Bands, wenn sie im Ausland sind? Gibt es so etwas wie den Wunsch, die "Grande Nation" zu repräsentieren?

(lacht) Ich denke schon ... Wenige Franzosen gehen ins Ausland, da kennt man sich. Auch wir hängen mal eine französische Flagge auf, etwa wenn wir bei Saturday Night Live in New York spielen. Man reist um die Welt, es ist so ein grundsätzliches Ding, als würdest du sie auf dem Mond hissen - irgendwie romantisch.

Zum Schluss: Bist du stolz auf Nicolas Sarkozy? Mit Carla Bruni hat euer Präsident nun eine Art Rock'n'Rollerin an seiner Seite, was ihm zu etwas Glamour verholfen hat.

Nein, darauf bin ich nicht stolz, aber ich spreche grundsätzlich eher ungern über Politik.

Er hat allerdings ein gewisses rhetorisches Talent bzw. die Fähigkeit, komplizierte Dinge einfach zu erklären, oder?

Für mich hat er das nicht. Diese Qualität besitzt beispielsweise schon eher Barack Obama. Aber Politik ist ein sehr schwieriges Feld - und wir lieben die Musik viel zu sehr, als dass wir sie mit einer Botschaft aufladen wollten. Andere Bands können das richtig gut. Wir machen Musik um der Musik willen. Zur Politik oder Sarkozy gibt es bei Phoenix keinen Link - selbst wenn er eine Rock'n'Rollerin zur Frau haben sollte.

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