laut.de-Biographie
Rabih Abou-Khalil
Mit über 500.000 verkauften CDs gehört Rabih Abou-Kahlil zu den Top-Sellern auf dem deutschen Jazzmarkt. Allein im Jahr 1999 verlieh im die Deutsche Phono-Akademie insgesamt fünf Jazz-Awards. Musikalischer Hintergrund dieses Erfolgs ist seine Interpretation von globalem Jazz. Sie speist sich aus arabischen Wurzeln und involviert europäische Klassik ebenso wie amerikanischen Jazz.
Rabih Abou-Khalil (*17.8.1957) wächst während der 60er und 70er Jahre im politisch brisanten Klima Beiruts (Libanon) auf. 1975 beginnt er an der dortigen Kunstakademie arabische und westliche Musik zu studieren. 1978 flüchtet er vor dem Bürgerkrieg nach München, um sich verstärkt der Querflöte zu widmen. Sein Hauptinstrument bleibt jedoch die Oud, eine Kurzhalslaute, deren Spiel in der arabischen Welt ungefähr so populär ist, wie bei uns Gitarre oder Klavier.
Während des Studiums untersucht er die anregende Schnittstelle zwischen seinen arabisch verwurzelten Traditionen und dem europäischen Klassik-Verständnis. Er erschließt sich die europäische Perspektive und beschäftigt sich intensiv mit der bisherigen kulturellen Höchstleistung der USA, dem Jazz. Auf diesem Hintergrund betrachtet er die Musik seiner kulturellen Heimat mit neuen Augen. Die Fähigkeit, sich in drei verschiedenen musikalischen Systemen zu bewegen, eröffnet ihm ungeahnte Möglichkeiten.
Seine komplexen Kompositionen sind geprägt von diesem Wissen. Sie integrieren arabische Metren und Tonskalen ebenso wie ausgedehnte Improvisationen. Sie berufen sich auf durchkomponierte Melodieabläufe ebenso wie auf technische Virtuosität. In der Zusammenstellung seiner internationalen Besetzungen beweist Rabih regelmäßig ein glückliches Händchen. Zu seinen Kollaborateuren zählen vor allem geistesverwandte "Grenzgänger". Die klassischen Ensembles Kronos Quartett, Ensemble Modern und Balanescu Quartett ebenso wie die Jazzgrößen Charlie Mariano (sax) und Kenny Wheeler (trp), Joachim Kühn (p) oder der Weltmusiker Glen Velez (perc).
Den Kulturbegriff hat Rabih Abou-Khalil derweil von allen denkbaren Seiten beleuchtet. Dabei hat er zu einer grenzüberschreitenden Sichtweise gefunden, die ihm nicht nur Freunde beschert. "Die Leute im Libanon sagen, das, was ich mache, sei nicht traditionell genug." Um institutionalisierte Traditionen schert sich der Freidenker aber nicht. "Das, was heute gemacht wird, ist das, was dann morgen zur Tradition werden könnte. Für mich sind echte Sinnlichkeitserfahrungen viel wichtiger. Wenn etwas sich gleichzeitig gut anfühlt, gut riecht, sich gut anhört, gut aussieht ... das sind die Momente, wo wir wirklich wissen, dass wir am Leben sind. Musik ist nur die Art und Weise, wie ich das ausdrücke, was sonst Eindruck auf mich macht."
Eine echte Sinnlichkeitserfahrung stellt er auch mit der 2005er-Einspielung "Journey To The Centre Of An Egg" zur Verfügung. Zusammen mit Joachim Kühn (p/sax) und dem trommelnden Jarrod Cagwin, entführt er uns nicht nur zum Innern eines Eis, sondern zur Idee des Jazz schlechthin: Eine auf höchstem Niveau gestaltete Begegnung dreier Musiker, die sich ausschließlich ihrer Phantasie und Inspiration verpflichtet fühlen. Heraus kommt einer der schönsten Improvisations-Trips, die das Jazzjahr 2005 zu bieten hat.
Zwei Jahre später, in dem Jahr in dem er seinen fünfzigsten Geburtstag feiert, macht er sich mit "Songs For A Sad Women" ein Geschenk von elegischer Schönheit. Die Musiker, die er dieses Mal um sich schart, sorgen alleine durch die Instrumentierung für ein außergewöhnliches Klangerlebnis. Neben der Oud des Protagonisten tragen die armenische Schalmei (Duduk), eine mittelalterliche Bass-Zink (Serpent) und ein Schlagzeug zu einem seltenen Hörerlebnis bei.
Der Gaststar des Albums, Gevorg Dabaghyan, gehört zu den führenden Virtuosen am Duduk, einem archaischen Oboeninstrument. Berühmt wurde er durch seine Kollaborationen u.a. mit Jan Garbarek oder Yo-Yo Ma und dessen Silk Road Project. Abou-Khalils langjähriger Begleiter, der Franzose Michel Godard, legt für "Songs For A Sad Women" seine Tuba zugunsten des Serpents zur Seite. Das Serpent ist ein Renaissance-Blasinstrument aus einem schlangenförmig gewundenen und mit Leder überzogenen Holzrohr. Am Schlagzeug agiert Jarrod Cagwin.
Auf "Em Português" erforscht der ewig Suchende 2008 unbekanntes Terrain. Mit "glaub mir, das ist das Ausgeflippteste, was ich bis jetzt gemacht habe", kommentiert er das Projekt, das er gemeinsam mit dem portugiesischen Sänger Ricardo Ribeiro realisiert. Als der Direktor des Theater Porto ihm 2004 vorschlägt, portugiesische Poeme zu vertonen, denkt Khalil zwar zunächst "das ist, als würde man einen afghanischen Komponisten fragen, ob er nicht auf Deutsch Goethe-Gedichte vertonen wolle." Doch der Hunger kommt beim Essen!
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