In einem offenen Brief antwortet der im Libanon geborene Jazzmusiker Rabih Abou-Khalil auf "die Gebete der amerikanischen Außenministerin".

Beirut/München (joga) - Rabih Abou-Khalil ist 1957 in Beirut geboren und aufgewachsen. 1975 beginnt er an der dortigen Kunstakademie arabische und westliche Musik zu studieren, 1978 flieht er vor dem Bürgerkrieg nach München. Abou-Khalil gilt als einer der berühmtesten libanesischen Musiker und besucht in monatlichen Abständen seine alte Heimat.

Im Juli 2006 schickt Abou-Khalil seine Tochter in den Libanon zu seinen noch dort lebenden Verwandten. Die Reise, eigentlich als Belohnung für das erfolgreich absolvierte Abitur gedacht, wird zum Alptraum. Die Erlebnisse seiner Tochter verarbeitet der Musiker in einem offenen Brief an die amerikanische Außenministerin Condoleezza Rice, den wir im folgenden ungekürzt wiedergeben:

Eine Antwort an die Gebete der amerikanischen Außenministerin
Von Rabih Abou-Khalil

"Im Juli habe ich meine Tochter in den Libanon geschickt, zu meiner Familie. Von deren überschwänglichen Liebe und Fürsorge umgeben, sollte Nayla eine frohe Zeit in den Bergen des Libanon erleben. Das war als eine Art von Belohnung gedacht, denn sie hat gerade das Bakkalaureat an der Internationalen Schule von München absolviert. Obwohl die Kosten dieser Ausbildung eigentlich zu hoch waren für mich, war es mir überaus wichtig, sie dorthin zu schicken. Ich lege großen Wert darauf, dass sie Toleranz lernt, dass sie die Welt in all ihren Farben und Schattierungen, mit all ihren politischen Tendenzen und Rassen, mit all deren Traditionen und Gepflogenheiten kennen lernt. Sie plant nun, für ein Jahr nach China zu reisen, um in der Provinz Yünnan zu lernen, Hilfsprojekte zu organisieren.

Nayla fühlt sich heute verfolgt von den Bildern toter Kinder, Frauen und Männer, begraben unter Schutt und Asche, verbrannt bis zur Unkenntlichkeit, von verzweifelten Menschen, um die man trauern muss, weil ihnen ihre Allerliebsten und auch noch die Heimat genommen wurden, von Bomben, die vom Himmel auf dicht bevölkerte Gebiete herunterhageln, ohne Rücksicht auf jede Menschlichkeit. Es scheint Rechtfertigung genug, darauf hinzuweisen, dass nicht der Täter der Schuldige sei, nein, schuldig ist derjenige, der einen Grund geliefert hat, diese Taten zu begehen. Dieses fadenscheinige Argument hätte wohl vor keinem Gericht der zivilisierten Welt Gültigkeit.

Sie hörte, wie die amerikanische Außenministerin dem christlichen Patriarchen von Libanon versichert, täglich für den Libanon zu beten, und dann eiskalt davon spricht, dass das Morden noch nicht aufhören kann, zumal diese Auseinandersetzung nicht von Dauer sein würde - als hielten die Vereinigten Staaten die ganze Angelegenheit nicht selbst in den Händen ... Meine Tochter sah nun eine Welt, die sich duckt, anstatt Widerstand zu leisten, wo doch deren eigene Erklärungen zur moralischen Überlegenheit der Demokratie derart Lügen gestraft werden.

Fast eine Million Libanesen sind auf der Flucht vor dem Bombenregen, sie haben all ihr Hab und Gut verloren. Eine Million - der gesamte Libanon hat noch nicht einmal vier Millionen Bürger! Ihre Dörfer werden jetzt von Bulldozern niedergewalzt. Bis jetzt sind es um die 30 und es werden immer mehr! Siedlungen, die in Jahrhunderten zusammen gewachsen sind, denkmalschutzwürdige alte Dörfer, keine Zeltlager, wie man vielleicht meinen könnte. Gegen wen kämpfen diese Machthaber in Israel überhaupt? Die Zerstörung trifft in erster Linie die zivile Infrastruktur des gesamten Landes. Die Opfer sind hauptsächlich unschuldige Zivilisten.

Ich habe immer jenen heftig widersprochen, die - um ihre Mitschuld zu schmälern - sich anschickten, den millionenfachen Judenmord durch das Naziregime zu relativieren oder zahlenmäßig zu verkleinern, als könnte man Leid und Intoleranz quantifizieren. Heute lese ich auf der Internetseite der israelischen Tageszeitung "Jediot Achranot", dass bei einem Raketenangriff auf ein südlibanesisches Haus nicht etwa 50, sondern in Wirklichkeit "nur" 28 Kinder gestorben seien; die zusätzlichen seien zum Zwecke der Hetzpropaganda von der Hisbollah aus anderen Gebieten dort hingekarrt worden. Ist denn das die Möglichkeit? Wird denn nun keiner entrüstet widersprechen?

In den Trümmern der Dörfer liegen noch immer unzählige Leichen. Leichen, von denen man möglicherweise im Nachhinein mit leicht verschämter Betroffenheit sprechen wird. Man hätte früher eingreifen sollen, wird es heißen. Wird die Welt morgen vom Libanon wie vom Kosovo oder von Bosnien sprechen? Aber dort wurde immerhin der Versuch unternommen, die Kriegsverbrecher anzuklagen und zu verurteilen.

Meine Tochter Nayla habe ich aus Zypern zurückgeholt, sie ist nun in Sicherheit. Die im Libanon Zurückgebliebenen sind es nicht. Das Land stirbt. Was macht die Welt? Wird sie sagen: "Wir haben von nichts gewusst?"

Fotos

Rabih Abou-Khalil

Rabih Abou-Khalil,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Rabih Abou-Khalil,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Rabih Abou-Khalil,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp) Rabih Abou-Khalil,  | © LAUT AG (Fotograf: Kai Kopp)

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