laut.de-Biographie
Ray Lamontagne
Die wegweisende Entscheidung für die Musikerlaufbahn soll sich ereignet haben, als Ray Lamontagne die Stephen Stills-Nummer "Treetop Flyer" von dessen Album "Stills Alone" (1991) zum ersten Mal hörte. Danach entschließt sich der Hobbygitarrist aus Lewiston/Maine, seinen Job in einer Schuhfabrik an den Nagel zu hängen.
Bei so gut wie jedem anderen Künstler dürfte solch eine Geschichte wohl arg konstruiert klingen, zumal der Song auch noch genau um vier Uhr morgens Lamontagnes Ohren erreicht haben soll, als ihn sein Radiowecker an die Fabrik-Frühschicht erinnert.
Hört man aber die Musik des 1974 in New Hampshire geborenen Folk-Gitarristen, verliert man keine Sekunde an den Gedanken, all das könnte sich eventuell anders ereignet haben. Der Grund hierfür liegt wohl in der aufrichtigen Intonation und natürlich in der fragilen und sehr weichen Stimme, mit der Lamontagne den Hörer an den Eiern krault. Dass Bob Dylan, Joni Mitchell, Ray Charles, Otis Redding und eben Crosby, Stills & Nash zu seinen erklärten Vorbildern zählen, hört man dem erstaunlich elaborierten Songwriting von Lamontagnes Debütalbum "Trouble" jederzeit an.
Jenes Werk erscheint im Jahr 2004 in Amerika beim Majorlabel RCA, was sich der junge Ray sicherlich nicht einmal erträumt hätte. Lamontagne durchlebt bereits früh die harte Schule eines Nomadenkinds. Aufgewachsen mit fünf Geschwistern bei einer Mutter, der der Mann weggelaufen ist, zieht er an die verschiedensten Orte und lebt in Zelten, auf Hühnerfarmen und Pferderanchen von Maine bis Ohio. In der Schule eher der Außenseiter-Typ, zieht sich Ray gerne zurück, am liebsten in die Wälder Neu-Englands.
Nachdem er die Schuhfabrik aufgrund der erwähnten Fügung hinter sich lässt, organisiert er selbständig Auftritte in kleinen Bars, spielt als Support lokaler Folkbands, sammelt fleißig E-Mailkontakte und vertickt sein im Sommer 1999 aufgenommenes 10-Song-Demo. Als der Verlag Chrysalis Publishing auf ihn aufmerksam wird, lässt auch der Plattendeal nicht mehr lange auf sich warten.
Da mit RCA auch ein bisschen Geld im Spiel ist, nimmt Lamontagne "Trouble" gemeinsam mit Produzent Ethan Jones (Ryan Adams, Kings Of Leon) auf, und zwar in nur zwei Wochen in Los Angeles. Vieles klappt gleich beim ersten Take. So ist das halt mit echten Emotionen.
Von nun an geht alles ratzfatz: Schon kurz nach der Veröffentlichung des Debüts im September 2004 liegt eine Einladung der Talkgröße David Letterman in Lamontagnes Briefkasten, ein Ritterschlag. Vielleicht stellt sich der Sänger zu diesem Zeitpunkt etwas häufiger die Frage, wie viel er von seinem Vater geerbt haben könnte, denn der ungeliebte Stammhalter soll ein talentierter Bluesmusiker gewesen sein. "Trouble" verkauft in den USA stolze 350.000 Exemplare (Stand: 2006).
Das Jahr 2005 beginnt auch nicht schlecht: Conan O'Brien ruft zum erneuten Talkshow-Gastspiel. Anschließend startet Lamontagne eine 11-Städte-Tour, die ihn vom heimatlichen Portland bis zur Stadt seines Studioaufenthalts, nach Los Angeles, führt. Als seine Platte auch in England erscheint, findet es dort auf Anhieb 40.000 Käufer. Auch das Feuilleton ist begeistert. Der Daily Telegraph schreibt über seine London-Show: "Lamontagne muss so ziemlich jedes Herz im Publikum zum Schmelzen gebracht haben."
Der Guardian meint: "Ray Lamontagne ist bereits auf dem Weg zum Mythos. Ein geborener Songwriter, der mit einer Handvoll Klassiker aus dem Himmel Neu-Englands gefallen zu sein scheint." Zufrieden ob solcher Kritiken macht sich der Gitarrist auf den Heimweg, wo er im September 2005 neben Bands wie Simon & Garfunkel, John Fogerty und Elvis Costello in New York beim Benefizkonzert für die Hurrican-Opfer in New Orleans auftritt. Seine Natürlichkeit und die in Interviews offen heraus stechende Bescheidenheit kommt beim nach Authentizität strebenden Publikum gut an.
In Deutschland ziert man sich seltsamerweise mit der Veröffentlichung, obwohl in der Welt der Online-Shops und Blogs der Geheimtipp Lamontagne bzw. dessen Debütalbum natürlich längst kursiert. Doch der Musiker hat zunächst genug damit zu tun, das Interesse in seiner Heimat zu befriedigen. Hierzulande erscheinen "Trouble" (2006) und "Till The Sun Turns Black" (2008) weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Der dritte LP-Streich "Gossip In The Grain" schlägt in England (Platz 23) und vor allem in den USA (Platz 3) voll ein, was Auftritte in TV-Shows vom Kaliber "Saturday Night Live" nach sich zieht. Das Album wird Lamontagnes Durchbruch. Für den Nachfolger "God Willin' & The Creek Don't Rise" (2010), den er für sein neues Label Sony Music einspielt, holt Lamontagne erstmals seine Begleitband The Pariah Dogs neben seinen Namen mit aufs Cover. Den Erfolg des Vorgängers toppt Lamontagne sogar noch und holt sich einen Grammy ab.
Anschließend herrscht erst einmal kreative Leere. Wohin nun? Denselben Stiefel noch einmal wiederholen und dann vielleicht zwei Grammys gewinnen? Lamontagne entscheidet sich gegen die Nummer-Sicher-Schiene und holt Dan Auerbach ins Boot. Dessen Vorschlag wirbelt Lamontagnes heile Welt gehörig durcheinander: Der Black Keys-Gitarrist rät seinem Landsmann allen Ernstes, die Band auszuwechseln.
Das Ergebnis ist ein Album, das mit 60er-Beat und düsterer Psychedelik neue Facetten im Lamontagne-Universum aufweist und die nötige Frischzellenkur darstellt. Obwohl "Supernova" in Nashville eingespielt wird, erinnert der dynamisch-tribende Sound seltsamerweise viel eher an Bands wie The Byrds. Steht ihm aber gut.
Mit dem komplett selbst produzierten "Part Of The Light" wendet Ray sich 2018 wieder den Wurzeln des Folk zu. Weitere Alben erscheinen in unregelmäßigen Abständen, darunter "Monovison" (2020) und "Long Way Home" (2024).
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