16. Juni 2010

"Ich will das Beste aus beiden Welten"

Interview geführt von

Robyn ist spätestens seit der Trennung von ihrem schwedischen Majorlabel dafür bekannt, ungewöhnliche Wege zu gehen. 2010 wagt sie nun das Experiment, ihr Album in drei Teile aufzuteilen. "Body Talk Pt1" erscheint Mitte Juni, Part 2 und 3 folgen in losem Abstand. Das wirft natürlich einige Fragen auf.Auf den ersten Blick entspricht Robyn so gar nicht den Klischees einer echten Pop-Dame. Im schmuddeligen Kapuzenpulli, ausgewaschener Leggings und gänzlich ungeschminkt lauscht sie den Klängen von Dr. Alban, als man das Büro für Meetings und Gruppengespräche betritt. Welch positiv unprätentiöse Überraschung! Ein Foto will sie in diesem Zustand dann aber doch nicht zulassen.

Dein Album wird in drei Teilen veröffentlicht. Wie, wann und warum?

Ich habe mich nicht entschlossen mir drei verschiedene Alben auszudenken, mit verschiedenen Konzepten. Es geht um etwas anderes. Ich war mit meinem letzten Album fünf Jahre auf Tour. Es hat wirklich Spaß gemacht, aber ich war auch frustriert, dass ich nicht so oft im Studio sein konnte. Ich habe lange nachgedacht, wie ich eine Arbeitsweise finden könnte, die sich meinem kreativen Prozess besser anpasst. Ich bin zwar jetzt eine unabhängige Künstlerin, aber trotzdem arbeite ich noch nach dem Major-Label-Zeitplan, den irgendwelche Leute mal vor langer, langer Zeit eingeführt haben. Das ist ja auch ok, es funktioniert.

Aber ich will mal ausprobieren was passiert, wenn ich das ein bisschen verändere. Es ist ein Experiment! Um eine Rhythmus zu finden, der es mir erlaubt mehrere Sachen zur selben Zeit zu machen. Ich hab das Album ziemlich schnell gemacht, seit letzten Juli, und jetzt wird es bereits veröffentlicht. Morgen werde ich meine erste Show haben (Anfang Mai, Anm d. Red.), hier in Berlin, und ich bin immer noch im Studio für das zweite Album. Ich schreibe weiter Lieder und nehme sie auf, während ich gleichzeitig auf Tour bin. Das erlaubt es mir, viel flexibler zu sein. Und vor allem hilft es, gleichzeitig mehrere Dinge auf die Reihe zu kriegen.

Es ist einfach cool, die Musik zu veröffentlichen, wenn sie fertig ist. Man muss nicht lange warten. Das passt glaube ich auch zur Art, wie die Leute heutzutage Musik konsumieren. Die Leute haben nicht mehr viel Zeit, da sind kurze Alben besser. Und außerdem gibt es eine direkte, sofortige Verbindung zwischen Fans und Künstlern. Mit dieser Verbindung, mit dieser Kommunikation umgeht man auch die komplette Musikindustrie. Also warum sich nicht dazu bekennen? Anstatt sich Strukturen zu unterwerfen, die einfach nicht zu mir passen.

Aber es ist auch ein großes Risiko, oder?

Es ist ein Risiko, ... aber nicht nur. Viele Leute haben das ja schon probiert. Jeden Monat wird ein Song veröffentlicht, oder nur ein Song alleine, oder EPs und so weiter. Viele Leute versuchen gerade rauszufinden, wie man die Album-Idee transformieren kann. Es ist also keine neue Idee. Aber es ist vielleicht das erste Mal, dass es jemand organisiert in einem Pop-Kontext probiert. Nicht nur ein Underground-Release zwischen zwei Alben, sondern ein reguläres Album einfach in drei Teile aufgeteilt. Die Lieder vom ersten Teil sind schlichtweg die Lieder, die zuerst fertig waren. Das ganze Album hat ein Konzept, aber es gibt keinen Unterschied zwischen den einzelnen Teilen. Es wird also die selben Songs dreimal geben. (lacht) – Nur ein Scherz! Aber die Lieder sind alle bereits geschrieben.

Das Risiko ist auch, dass es wie eine Marketingstrategie wirken könnte. Robyn will ein Album dreimal verkaufen.

Die einzelnen Teile sind billiger als ein normales Album. Es geht überhaupt nicht darum, Geld zu machen, es ist keine Geschäftsidee. Aber die Leute sind davon natürlich irritiert. Es ist ja auch nicht nur eine EP. Es ist ein Album! Das "Thriller"-Album hatte neun Lieder und dieses hier hat acht, es ist also definitiv ein Album. Am Ende habe ich also sowieso mehr Lieder veröffentlicht, als wenn ich nur eins veröffentlicht hätte.

Und besteht nicht auch die Gefahr, dass du dich wieder überarbeitest?

(lacht) WIEDER! Darüber bin ich nicht besorgt. Ich sehe es als etwas, was mir Spaß macht und was sehr interessant wird. Es ist ein Experiment. Wir werden sehen, wie weit es geht.

"Ich war zu jung, um zu wissen was ich wirklich möchte."

Wenn du auf deine Karriere zurückblickst, "My Truth" und "Don't Stop The Music" waren nicht wirklich erfolgreich. Was war falsch an diesen Alben?

Nichts! Nichts war falsch mit ihnen. Ich halte nichts von Katastrophendenken, ich versuche, weiter zu kommen und Dinge zu bewegen. Die meisten Leute veröffentlichen ihr erstes Album mit 25. Und da hab ich mein letztes Album rausgebracht. Meine Entwicklungskurve war also ganz normal. Wenn die Leute ihren Erstling mit 16 veröffentlichen, wären sie jetzt auch auf einem anderen Stand. Das ist ganz natürlich. Ich mag das Mädchen gerne, das meine ersten drei Alben gemacht hat. Ohne diese Erfahrung wäre ich wohl auch nicht in der Lage gewesen, meine eigene Firma zu gründen und das zu machen, was ich jetzt mache. Für mich ist das meine natürlich Entwicklung.

Hast du das Gefühl, dass du dich jetzt musikalisch besser ausdrücken kannst?

Ja. Ich glaube ich habe meine Stimme auf dem letzten Album gefunden. Ich arbeitete sehr viel mit Klas Ahlund, übrigens auch auf diesem Album, er ist ein sehr großer Einfluss für mich. In grundsätzlichen, musikalischen Dingen treffen wir genau aufeinander. Wir haben viel Spaß zusammen und machen Musik, die immer noch in der Pop-Welt steckt aber trotzdem Persönlichkeit hat. Beim letzten Album ging es nicht darum, etwas darzustellen, cool zu sein oder sowas. Ich wollte Pop-Musik so machen, wie sie mir gefällt. Das ist eigentlich gar nicht schwierig. Es ist keine krasse, verschobene Musik. Es ist immer noch einfach Pop. Und ich wollte das auf meine eigene Art machen.

Die jetzige Platte führt das noch weiter, ich hab nichts Grundlegendes verändert. Ein paar experimentelle Dinge der letzten Platte hab ich noch ein bisschen weitergeführt. Z.B. "With Every Heartbeat", "Konichiwa Bitches" und "Be Mine" waren mir sehr wichtig, Teile davon habe ich übernommen und weitergeführt. Vor allem was den Sound angeht, hab ich mich hier stark weiterentwickelt und selbst gefunden. Mehr als auf dem Vorgänger.

Daraus ist eine Welt geworden, in der ich mich sehr wohl fühle, die sehr echt für mich ist. Ich bin in den 80ern, 90ern aufgewachsen mit Popmusik, aber auch mit Clubmusik, mit der ganzen Rave-Szene, die die Pop-Charts beeinflusst haben. Diese schrägen Einflüsse kommen alle zusammen. Ich meine, wenn Dr. Alban jetzt veröffentlicht worden wäre, wäre er der coolste Künstler der Welt. Aber damals war er nur so ein komischer afrikanischer Künstler, der in Schweden gelandet ist. Das war eine total interessante Zeit. Neneh Cherry, Snap!, Technotronic und all diese Musiker die vom Pop kamen und Club-Musik aufgenommen haben. Darauf greife ich stark zurück.

Hattest du damals Druck vom Majorlabel, oder warst du noch nicht bereit dazu, deine eigene Musik zu machen, deine Stimme zu finden?

Ich war immer glücklich mit den Sachen, die ich gemacht habe. Und ein Majorlabel zu verteufeln, halte ich auch für falsch. Sie sind nun mal Firmen, deren Job es ist, aus Musik Geld zu machen. Für manche Leute ist das gut, genau das Richtige. Für mich ist das anders. Ich bin in einer anderen Umgebung aufgewachsen. Meine Eltern sind sehr kreative Menschen, die im Theater arbeiten, ihre eigenen Theatergruppen leiten und immer sehr glücklich waren mit dem was sie machten. Sie haben immer sehr frei gedacht.

Und von dieser Umgebung zu kommen und gleichzeitig Popmusik zu lieben und in einer Industrie groß zu werden, die sich sehr auf die kommerzielle Seite der Dinge konzentriert, war komisch. Aber das heißt ja nicht, dass es falsch ist. Es ist nur falsch für mich. Niemand hat mir je diktiert, was ich zu tun hätte. Aber ich war einfach zu jung, um genau zu wissen was ich wirklich machen möchte. In so einer Situation wird es sehr schwer, sich zu entwickeln. Deshalb musste ich ausbrechen.

Trotzdem bin sehr zufrieden mit meinen Platten. "My Truth" war zum größten Teil mein eigenes Album, ich hab meine eigenen Lieder geschrieben. "Don't Stop The Music" war die Platte, bei der ich das Gefühl hatte, am meisten Kompromisse einzugehen. Ich mochte die Lieder und es machte mir Spaß, aber ich hatte wirklich kein Erfolg darin, Pop mit Persönlichkeit zu erschaffen. Es war ein sehr oberflächliches Album. Aber das ist auch ok, ich musste das machen.

"Man hat selber die Kontrolle darüber wie man sich präsentiert"

Was denkst du heute über Erfolg? Was ist Erfolg für dich?

Das machen zu können, was man will. Das ist Erfolg für mich. Ich bin wirklich glücklich damit, wo ich gerade stehe. Ich bin immer noch in der Lage, mich um Details kümmern zu können, sowohl im geschäftlichen Bereich meiner Firma, als auch im kreativen Prozess. Der ist komplett vor Einflüssen der Majorlabels geschützt. Weil ich ja immer noch mit ihnen zusammen arbeite. Sonst müsste ich in jedem Land eine Vertriebsgesellschaft aufbauen, was mich in eine Geschäftsfrau verwandeln würde, und das möchte ich wirklich nicht.

So behalte ich den kreativen Prozess komplett für mich selbst und sobald die Arbeit am Album beginnt, kommen die anderen Leute dazu. Zurzeit bekomme ich das Beste aus beiden Welten. Ich kann sein, wer ich will und habe gleichzeitig die Möglichkeit mit größeren Firmen zu arbeiten, die meine Musik zu einem breiten Publikum bringen. Das ist nämlich auch wichtig. Aber ich würde nie Kompromisse eingehen, um dadurch mehr CDs zu verkaufen.

Hast du die Erfahrung gemacht, dass Erfolg schnell vergehen kann?

Naja, es ist immer ein Ergebnis der Entscheidungen, die du fällst. Ich hab mich nie als Opfer gefühlt, als ich keinen Erfolg hatte. Aber du hast schon recht, ich habe beides erfahren. (überlegt lange) Ich glaube, was ich gelernt habe ist - was immer auch passiert, ob du nun Erfolg hast oder nicht, am wichtigsten ist immer, dass du die Sachen geil findest, die du machst. (lacht)

Glaubst du, es gibt so eine Art Pop-Revival?

Ja, definitiv. Lady Gaga gehört da auch dazu, MGMT, die auch Pop machen aber in einem starken Indie-Kontext. Es gibt außerdem auch die Tendenz, Musikgenres und Style zu vermischen. Das ist sehr interessant! Das hat auch stark mit dem zu tun, was ich vorher erzählt habe. Mit der Musik, die ich früher gehört habe. Kommerzielle Musik wird immer kommerzielle Musik bleiben, aber Popmusik, im Sinne von Zugänglichkeit und Melodie, da sind die Leute sehr offen für. Ich liebe das! Ich liebe Lieder und großartige Melodien.

Hat dieses Poprevival auch damit zu tun, dass die Majorlabels schwächeln?

Das Internet hat alles verändert. Nicht nur in der Musikindustrie. Illegale Downloads haben die Musikindustrie definitiv verändert. Aber viel interessanter als das illegale Download-Thema sind die neuen Kommunikationsmöglichkeiten der Fans mit dem Künstler. Das ist das wirklich Neue und Interessante. Dass du Musik selber im Internet veröffentlichen kannst und trotzdem noch sehr viele Leute erreichst. Man hat selber die Kontrolle darüber wie man sich präsentiert, man kann direkt mit den Fans kommunizieren, ohne eine dazwischen geschaltete Werbeagentur. Das ist der große Unterschied.

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