15. Oktober 2024

"Ich musste Snoop Dogg die Fackel übergeben"

Interview geführt von

Roy Bianco und die Abbrunzati Boys mischen die deutsche Indieszene mit Italoschlager mächtig auf. Nach zwei Nummer eins-Alben, fulminanten Festivalauftritten, einem Stelldichein im ZDF-Fernsehgarten und einer immerzu wachsenden Fanbase begibt sich die Band im Oktober erneut auf große Tournee - die restlos ausverkauft ist. Bevor die Herren vollends im Schlagerolymp verschwinden, sicherten wir uns im Rahmen des Taubertal Festivals eine Audienz bei Keyboarder Ralph Rubin und Bassist Eisensepp - in ihrem früheren Leben Betreiber des Busunternehmens Eisen Rubin Reisen.

Ein bisschen packt einen die Ehrfurcht, wenn die Abbrunzatissima aus dem Backstage kommen - wie werden sie wohl sein, die Halbgötter des Italoschlagers? Ist ihnen der Erfolg zu Kopf gestiegen? Alle Zweifel verfliegen, als sich Ralph Rubin und Eisensepp im feinsten Zwirn nonchalant vorstellen.

Herr Rubin und Herr Eisen, es ist mir eine besondere Ehre, heute ein Interview mit Ihnen führen zu dürfen. In der Vergangenheit hatten Sie ja Sprechverbot - ist das nun der Beginn der Emanzipation der Showband?

Eisensepp: Erst einmal vielen herzlichen Dank für die Einladung, wir freuen uns sehr, im Namen der Gruppe Roy Bianco Und die Abbrunzati Boys hier sein zu dürfen. Die Notwendigkeit hat es ergeben, dass auch wir etwas zu sagen haben.

Ralph Rubin: Es sind zuviele Geschichten, die erzählt werden wollen.

Sie waren bereits auf der ganzen Welt unterwegs, was reizt sie noch an solchen Kleinkunstveranstaltungen wie beispielsweise dem Taubertal Festival?

Eisensepp: Kleinkunst hin oder her - die Bühne ist für große Künstler:innen gemacht. Es ist egal, ob sie in Mexiko-Stadt oder im Taubertal steht.

Ralph Rubin: Wir haben ja schon viel gesehen, gell, Eisen? Mit unserem eigenen Busunternehmen haben wir die Welt bereist ... Ich wundere mich ohnehin, wie sie diese große Bühne hier herbekommen haben. Und man darauf sogar stehen kann! Das haben wir schon anders erlebt. Damals in Jesolo, 1994, da hat nix gehalten. Die wollten eine Wasserbühne bauen, die stand ganz schräg! Die Bregenzer Festbühne war stabil, aber in Jesolo, das war nix.

Eisensepp: Wir bauen ja mit unserer Musik schon Brücken und dort dann auch buchstäblich.

San Remo, Fernsehgarten, Rio ... wann ist denn die Abbrunzatissima beim ESC?

Eisensepp: Wir sind glühende Europäer, und wer schon mal ein Konzert von uns erlebt hat, weiß, dass wir immer zur Eurovisionhymne einlaufen. Uns ist das Thema Europa sehr wichtig und mit unserer Musik sehen wir uns natürlich auch in der Tradition der großen europäischen Chansons.

Ralph Rubin: Ich bin gespannt, wann wir eingeladen werden!

Und für welches Land würden Sie dann antreten? Italien oder Deutschland?

Ralph Rubin: Grundsätzlich ja für Europa ...

Eisensepp: Am besten wäre, wenn der Contest in Deutschland stattfinden würde, und wir für Italien anträten, oder umgekehrt.

Da muss aber eines der Länder erst mal wieder gewinnen.

Eisensepp: Dass Deutschland beim ESC wieder was reißt ... könnte vielleicht noch etwas dauern.

Ralph Rubin: Die Veranstaltung könnte mehr Wärme und Herz vertragen.

Eisensepp: Und Ehrlichkeit!

Ralph Rubin: Also sowas wie uns!

Apropos Ehrlichkeit: Herr Rubin, bei ihrem phänomenalen Liveauftritt im Fernsehgarten haben Sie höchste Musikalität bewiesen. Dennoch würde mich interessieren, wo Sie das freihändige Klavierspiel erlernt haben?

Ralph Rubin: Wir arbeiten ja mit modernster Technik, das können Sie sich gar nicht vorstellen! Da werden Synthiesizerspuren automatisiert, man nennt das Arpeggiator. Ich musste irgendwann einsehen, dass das live nicht geht. Deswegen - und ich gestehe es hier öffentlich - kommt der Refrain von "Velocità" immer vom Band. Weil ich es gar nicht spielen kann! Wir nennen das immer den 'Sternenhagel-Arpeggiator' und den imitiere ich auch live. Man sagt ja auch, im Fernsehgarten sieht man eh nicht so viele eingesteckte Kabel.

Eisensepp: Bei laut.de lassen wir die Hosen runter!

Ralph Rubin: Wir hatten ja auch eine gute Zeit auf der Vespa im Fernsehgarten, hehe.

Eisensepp: Wir hatten allgemein eine wunderbare Zeit im Fernsehgarten. Auch die Kolleg:innen vom Fach waren begeistert. Nino de Angelo, Nicole ... da sind wir gleich wieder beim ESC.

"Wir durften sogar auf John Lennons Klavier spielen"

Für Ihr Nummer eins-Album "Kult" waren Sie unter anderem auch in den Abbey Road Studios in London. Haben Sie den Geist der Beatles gespürt?

Ralph Rubin: Wir durften sogar auf dem Klavier von John Lennon spielen. In den Abbey Road Studios sind die Instrumente zur Benutzung gedacht und stehen nicht hinter Glas, also werden sie auch von sämtlichen Berühmtheiten bespielt, das ist sehr toll. Man spürt definitiv den Geist der Beatles. Ich habe vermutlich noch nie so schlecht D-Dur gespielt wie zu Beginn auf diesem Klavier - vor lauter Ehrfurcht. Aber dann gings schon, so nach einer Minute. Da hatte ich mich an den Dur-Akkord gewöhnt und an den zweiten und dritten und vierten ... und mehr hat "Goodbye Arrivederci" nicht.

Eisensepp: Egal, welche Musikrichtung man macht, ob Rock, Pop, Hip Hop oder Schlager - man ist immer Beatles-Fan.

Auf "Kult" bewegen Sie sich ja auch mal von Italien weg und hin nach Santorin, Griechenland. Neue Welten erschließen sich. Sie kehren Ihrer Wahlheimat Italien aber nicht gänzlich den Rücken? Oder müssen wir mit einem Sirtaki rechnen? Schon Udo Jürgens hat den griechischen Wein besungen.

Ralph Rubin: Man kann auf jeden Fall Ausflüge machen. Wir haben abermals unseren Bildungszweck erfüllt, denn viele nahmen an, dass Santorin eine italienische Insel sein könnte.

Eisensepp: Quasi San Torin.

Ralph Rubin: Genau, da hat man dann mal wieder den Diercke Weltatlas aufgeschlagen und festgestellt: Santorin finde ich nicht in Italien. Wir sind ja auch früher viel rumgekommen mit unserem Busunternehmen ...

Eisensepp: Auf all unseren Alben gab es Ausflüge. Bei "Mille Grazie" waren wir unter anderem in Miami Beach. Das ist auch wichtig, denn der deutsche Schlager aus der 'guten alten Zeit' spielt ja auch in der Südsee, in Griechenland ... und dieser Tradition folgt auch der Titel "Santorin". Man bewegt sich dort, wo es schön ist, und wir waren zum Videodreh auch da.

Ihr Motto lautet: 'Unterhaltung mit Haltung'. Man kann Ihre musikalischen Werke ganz einfach konsumieren, oder doch genauer hinhören und einen doppelten Boden erkennen. Ist Ihnen Gesellschaftskritik in der Musik wichtig?

Ralph Rubin: Natürlich. Einerseits, wie Sie sagen, machen wir diese Konzerte, um den Menschen 90 Minuten eine gute Zeit zu bescheren und unsere Geschichte zu erzählen. Unsere wahre Geschichte! Auf der anderen Seite will man auch mit neuen Themen reizen und etwas Neues vermitteln, was die Leute noch nicht kennen.

Eisensepp: Es wird ja sonst auch irgendwann langweilig für den Zuhörer oder die Zuhörerin, wenn so gar nichts mit Wahrheitsgehalt zu entdecken ist. Wenn man dann aber bemerkt, dass vielleicht alles doch gar nicht so lustig ist und mehr dahinter steckt, ist das auch schön. Aber das ist nicht zwingend unser Ansatz. Jede Person soll auf unseren Konzerten eine gute Zeit haben - mit oder ohne doppelten Boden.

Dieses Jahr fanden ja auch die Olympischen Spiele statt. Herr Rubin, Sie haben im Mai 2023 das olympische Schlagerfeuer auf die Bühne getragen und damit Ihr Instrument illuminiert. Warum haben Sie nicht auch bei der Eröffnung in Paris gespielt?

Ralph Rubin: Ich musste Snoop Dogg ja die Fackel übergeben, und wir haben eine gute Beziehung zueinander. Er wollte gerne die Eröffnung machen, dann haben wir ihn halt gelassen. Man muss auch gönnen können und großzügig sein.

Eisensepp: Snoop Dogg bekam ja angeblich 500.000 Euro pro Tag für seine Anwesenheit in Paris. Bei aller Liebe, das ist schon auch ein bisschen zu wenig Geld für uns.

Die italienischen Journalisten haben sich beschwert, der Kaffee im Pressebereich schmecke, 'wie mit dem Seine-Wasser gebrüht'. Was, außer Kaffee, kann Italien noch besser als Frankreich?

Ralph Rubin: Ich liebe die italienische Küche, vor allem die neapolitanische Pizza.

Eisensepp: Kulinarisch sind wir auf jeden Fall auf der italienischen Seite. Schnecken und Frösche sind auch nicht so unser Ding.

Ich dachte eher so an Kunst ...

Eisensepp: Wir sind ja eine Arbeiterband, in die französische Hochkultur müssen wir erst reinwachsen.

Ralph Rubin: Also der Roy hat eine Sammlung von toskanischer Landschaftsmalerei, da komme ich schon mit Kunst in Berührung. Aber man muss die Kunst auch lassen können.

Herr Eisen, sind Sie ein Freund des Chansons?

Eisensepp: Der Chanson und der deutsche Schlager geben sich die Hand. Es ist ein großartiges Stück europäischer Kultur und Liedguts, und wenn wir die Uhren 60 oder 70 Jahre zurückdrehten, könnte man vieles aus der heutigen Musik dort wiederfinden. Damals hat man wahrscheinlich den Grundstein für Melodien gelegt, die jetzt in den Charts zu finden sind.

"Bands wie Anti-Flag behaupten, sie hätten es erfunden"

Sie haben vorhin schon Ihr Reiseunternehmen Eisen Rubin Reisen angesprochen. Gibt es das noch? Was sind die Lieblingsdestinationen und welchen Komfort können die Gäst:innen erwarten?

Ralph Rubin: Sie können ihr Ziel erreichen, das ist der größte Komfort, den man bieten kann. Leider mussten wir die Flotte irgendwann an Flixbus verkaufen, aber die Busse fahren noch - auf der Strecke Graz-München zum Beispiel.

Lou Perlman hatte ja auch eine Flotte, Flugzeuge, da ging nicht alles mit rechten Dingen zu. Sie haben aber keine Investoren, oder?

Eisensepp: Wir kennen Lou ja noch von früher und waren selbst überrascht - das hätte keiner wissen können. Er war immer freundlich, hat gegrüßt, die Einkäufe getragen, so ein netter Kerl ... und dann sowas! Allerdings ist ein Busunternehmen auch nicht einfach, da steckt so viel dahinter, vor allem, wenn man noch selber fahren muss.

Ralph Rubin: Man hat auch keine Zeit für Kulinarik. Da gibt es die Debrecziner aus dem Wasserkocher. Für Busreinigung hat man auch nicht so viel Zeit, man saugt so einmal im Monat durch, vielleicht. Staubsaugerbeutel sind auch sehr teuer.

Eisensepp: Wenn man zu dritt so ein Busunternehmen hat, dann fährt einer, einer schläft und der dritte macht sauber - leider waren wir nur zu zweit.

Vermissen Sie das manchmal?

Beide: Ja, sehr.

Ralph Rubin: Man unterhält sich auch gut mit den Nightliner-Fahrern und darf auch manchmal selbst hinters Steuer.

Macht Ihnen denn mit dem Nightliner touren Spaß?

Ralph Rubin: Total. Wunderbar, man schläft hervorragend ...

Finden Sie?

Ralph Rubin: Nein, überhaupt nicht! Es ist fürchterlich! Die erste Nacht ist schrecklich, und in der zweiten ist man dann so fertig, dass man schläft.

Ganz profane Fragen zum Schluss: Warum ist der Aperol Spritz in Deutschland immer verwässert?

Eisensepp: Habe ich mich auch schon gefragt. Vielleicht liegt es am falschen Mischverhältnis und minderwertigen Zutaten.

Ralph Rubin: Sie müssen einmal unserem lieben Freund und Bandkollegen Die Abbrunzati Boys zusehen, mit wieviel Liebe und Hingabe er einen Aperol Spritz zubereitet. Da haben Sie auch gleich das perfekte Rezept: Schauen Sie Die Abbrunzati Boys tief in die Augen, wenn er den Drink mischt.

Aber wenn ich ihm in die Augen schaue, sehe ich ja gar nicht, was hineinkommt!

Ralph Rubin: Dann ... wird es für immer ein Geheimnis bleiben.

Was essen Sie denn am liebsten am Autogrill?

Ralph Rubin: „Buffalino“!

Eisensepp: 'Il Crudo'. Am liebsten mit echtem Parmaschinken. Es ist auch so erfrischend, dass auf dem Panino weder dick Butter oder Remoulade drauf ist.

Sie haben ja den Schlagerstrudel erfunden, nun beanspruchen diesen aber auch andere Genres für sich! Ist das in Ordnung?

Ralph Rubin: Es ist schon eine große Frechheit! Bands wie Anti-Flag behaupten, sie hätten es erfunden. Es werden dann auch so Wörter wie Circle-Pit verwendet ...

Eisensepp: Davon möchten wir uns distanzieren. Es gibt nur ein Original, und das wird man auf unseren Konzerten in Massen zu sehen bekommen. Ein bisschen macht es uns aber auch stolz, denn Musik ist ja für alle da, und ab und zu kann man auch mal was zurückgeben.

Ralph Rubin: Es ist auch immer toll zu sehen, wie sich viele kleine Epizentren wie Wirbelstürme auf unseren Konzerten bilden. Da geht einem das Herz auf!

Letzte Frage: Was verstehen Sie unter 'La Dolce Vita'?

Eisensepp: Für mich gehört da ganz viel von 'la dolce far' niente' zu, also eine gehörige Portion Nichtstun. Die Welt so sein lassen, wie der Herrgott sie erschaffen hat. Dazu ein schönes Essen und trinken.

Ralph Rubin: Mit dem Ferrari nach Jesolo fahren, am Strand Scampi essen und Weißwein trinken - das ist Dolce Vita!

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