4. Juni 2025
"Bob Dylan ist der Shakespeare des R'n'R"
Interview geführt von Désirée PezzettaDrei Jahrzehnte nach der Gründung haben die Stereophonics ihr dreizehntes Studioalbum veröffentlicht: "Laugh, Cry, Wait". Wir sprachen mit Kelly Jones, kreatives Zentrum der Waliser, über die neue Platte, musikalische Einflüsse und Bob Dylan.
Gratulation zum neuen Album. Besonders die Gitarren hören sich toll an. Der Song "Colours of October" brachte mich zum Nachdenken: Wenn das Album für eine Jahreszeit stehen würde wäre, welche wäre das?
Kelly Jones: Gute Frage. Für mich steht der Herbst für Neuanfang – daher passt er zum Song. Das Album selbst ist aber vielseitig. Jeder Song transportiert eine andere Stimmung, fast wie alle vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag – typisch britisch eben.
Welcher Song würde dann den Frühling symbolisieren?
Wahrscheinlich "There's Always Going To Be Something". Der ist positiv und hoffnungsvoll – genau wie der Frühling, in dem neues Leben entsteht.
Und der Winter?
Ich würde sagen, das wäre "Feeling Of Falling". Der Song hat eine melancholische Tiefe, die gut zur stillen Jahreszeit passt.
Was spricht dich mehr an – der Slogan 'Live, Laugh, Love' oder euer Albumtitel "Laugh, Cry, Wait"?
Beides gehört irgendwie zusammen. Ich denke, ich ziehe es vor, erst mal zu leben und zu lachen, das Leben an sich. Aber auch schwierige Zeiten gehören dazu. 'Warten'' klingt zwar passiv, aber hat auch Kraft – man wächst daran. Herausforderungen machen einen stärker.
Würdest du sagen, dass das Warten mit dem Alter leichter fällt?
Ein Stück weit ja. Mit den Jahren entwickelt man mehr Geduld und lernt, Dinge zu akzeptieren. Früher wollte man alles sofort – heute weiß ich: Alles ist vergänglich. Egal, ob gut oder schlecht – es geht vorüber. Der Versuch, sich dagegen zu wehren, führt meist zu noch mehr Frust.
Du singst ja selbst "It's always going to be something" ...
Ja. So sehr ich mir auch einen reinen Tisch wünsche – den gibt es nie.
In "Backroom Boys" blickst du auf deine Jugend zurück. War damals tatsächlich alles besser?
Ja, das ist dieser rosarote Blick, nicht wahr? Der Song handelt davon, wie ich mit 15 das Haus meiner Freundin verlassen habe, eigentlich nach Hause sollte, aber in Bars mit Livemusik gelandet bin. Meine Brüder hatten das okay, mich da mit reinzunehmen. Das hatte etwas Unschuldiges, und ich habe viel gelernt. Ich war froh, unter älteren Leuten zu sein, die 'erwachsene' Dinge machten – während Livemusik lief. So habe ich Musik entdeckt – über meine älteren Brüder. Ich finde, heute fehlt da etwas. Die Jugendlichen erleben das nicht mehr so. Einige schon, aber viele nicht. Für mich war das wie ein Schlüssel zu einer ganz neuen Welt.
"San Francisco war schockierend"
Denkst du, es hat mit der Corona-Pandemie zu tun, dass Jugendliche heute nicht mehr wissen, wie man Livemusik genießt?
Ich glaube, es ist insgesamt weniger subkulturell geworden. Früher war man entweder Rockfan oder nicht. Heute hören die Kids alles, aber nicht mit dieser Leidenschaft. Sie kennen nicht mal den Namen des Sängers. Trotzdem ist es toll zu sehen, dass 15-Jährige bei uns in der ersten Reihe stehen – neben Fans, die uns seit 1996 folgen. Drei Generationen auf einem Konzert – das ist großartig. Musik wird heute eben anders entdeckt. Und das ist auch okay so. Ich schaue lieber nach vorne, als alles in der Vergangenheit zu verklären.
"Feeling Of Falling" klingt ja stark nach Country. Zufall?
Überhaupt nicht. Ich bin mit Neil Young, Bob Dylan und CCR aufgewachsen – dieser Sound begleitet mich schon immer. Für diesen Song haben wir Musiker aus Nashville und Austin engagiert – die Pedal Steel gibt dem Stück den typischen Country-Charakter. Schon unser erstes Album beinhaltete Songs wie "Traffic" oder "Just Looking", die sehr von Country und Americana beeinflusst waren – so im Tom Petty-Style. In den vergangenen Jahren habe ich mit Freunden die Band Far From Saints gegründet – die spielt Americana.
Gibt es Künstler aus der Countryszene, mit denen du gerne kollaborieren würdest?
Alte Storyteller wie Kris Kristofferson haben mich geprägt. Moderne Countrymusik interessiert mich weniger. Ich mag Songs, die Geschichten erzählen – das verbindet Country mit dem walisischen Geschichtenerzählen, das ich aus meiner Heimat kenne. Vielleicht hat mich das unterbewusst beeinflusst.
Wenn wir bei Genres sind: Was glaubst du, könnte der nächste große Trend in der Indie-Musik werden?
Schwer zu sagen. Ich war mit meiner Tochter bei Billie Eilish – das ist intensiv, fast kultartig. Ist sie noch Indie? Angefangen hat sie auch im Underground, dann kam das Internet. Ist das so anders als Nirvana? Abgesehen von den Gitarren vielleicht. Aber der Spirit dahinter – alleine etwas starten, schauen, ob es Leute erreicht – das ist ähnlich. Vielleicht sitzen gerade irgendwo Kids in einer Garage, hören die Pixies und gründen die nächste große Band. Wäre cool. Aber aktuell fehlt mir oft diese Energie, diese Obsession von früher – besonders bei Männerbands.
Gerade feiern viele Bands aus den 90ern ihr Comeback – spürst du ein gesteigertes Interesse an den Bands von damals?
Klar, siehe Oasis – das werden riesige Shows. Viele Bands tourten früher nicht auf diesem Level. Es ist ein bisschen wie bei mir persönlich und den Stones – man hat davon gehört, aber live ist es ein Erlebnis. Das zieht Generationen an.
Wie ist es, heute zu touren im Vergleich zu früher?
Es ist intensiver. Früher hatten wir ein Album, heute sind es 13 – das heißt längere Shows, mehr Organisation. Die Erholung dauert länger. Und das wilde Feiern? Funktioniert einfach nicht mehr. Ich will fit sein und die Show genießen – und das geht nur mit Disziplin. Aber wir haben gerade einen US-Trip mit sechs Shows pro Woche hinter uns – es geht noch!
Schläfst es sich denn gut im Nightliner?
Die ersten zwei, drei Nächte sind schlimm – dann gewöhnt man sich daran. Besonders schlimm: die Ostküste der USA. Schlimme Straßen, fühlt sich an als würde man auf eckigen Rädern fahren. Früher trank man ein paar Bier und schlief sofort ein. Heute nicht mehr. Aber irgendwann bist du eh so müde, dass du einfach umfällst.
Wie hast du die allgemeine Atmosphäre auf euren Tourstopps in Amerika empfunden?
Washington war seltsam. Als wir dort waren, wurden gerade viele Regierungsmitarbeiter:innen entlassen und all diese Gebäude standen leer. San Francisco war schockierend: Offener Drogenkonsum auf der Straße zwischen Kindern und Passanten, und die Polizei darf nicht eingreifen. Das Ausmaß war kaum zu fassen – wie in einem Film.
"Ich war bei Nick Cave und AC/DC"
Würdest du zum jetzigen Zeitpunkt privat in die USA reisen?
Ich war vergangenes Jahr mit der Familie in New York. Das war ein aufgeschobener Trip aus der Pandemiezeit. Diese Stadt hat für mich eine ganz eigene Magie. Ich liebe es, dort umherzustreifen – man entdeckt an jeder Ecke etwas Neues. Ganz anders als in anderen Städten.
Bist du im legendären Chelsea Hotel abgestiegen?
Nein, tatsächlich nie. Wir haben früher im Gramsci Park Hotel übernachtet, bevor es zu gut situiert wurde. Aber am Anfang war es dort echt cool und abgefahren.
Erkennst du eigentlich langjährige Fans auf euren Konzerten wieder?
Einige kenne ich – manche reisen die ganze Tour mit. Einer hat 50 Shows gesehen. Das ist unglaublich. Ich bin großer AC/DC-Fan, aber habe sie nicht so oft gesehen. Ich bin dankbar, wenn unsere Musik Menschen so sehr bewegt.
Gehst du privat auch noch auf Konzerte?
Ja, wenn mich jemand wirklich interessiert. Ich war bei Nick Cave, AC/DC, The Black Crowes und auch Dylan. Es muss etwas Besonderes sein – dann bin ich gern dabei.
Du bist Bob Dylan-Fan?
Ja!
Jemand sagte mal, Dylan ist am Besten, wenn man ihn covert ...
Interessanter Spruch. Live ist er schwierig – er arrangiert Songs so um, dass man sie kaum wiedererkennt. Beim letzten Mal im Londoner Palladium hat er nur das neue Album gespielt. Handys waren verboten. Das war irgendwie hypnotisch – man hat sich völlig fallen lassen. In großen Hallen ist es oft weniger besonders, da blickt man manchmal gar nicht durch, was überhaupt abgeht. Aber er ist eben der Shakespeare des R'n'R!
Und was erwartet Fans auf euren Shows?
Wir spielen Songs aus 13 Alben, wollen bewegen, berühren, mitreißen und zum Lachen bringen, wie es der Albumtitel sagt: "Laugh, Cry, Wait". Und wir hoffen, dass die Leute wiederkommen – oder anderen davon erzählen. Es geht mir immer um Verbindung. Ich schreibe Lieder, weiß aber nicht, was sie mir bedeuten, wenn ich sie schreibe. Es ist nicht immer ein schöner Prozess. Mal ist es tiefgründig, mal düster, mal fröhlich. Wenn dann jemand etwas Persönliches in einem Song erkennt, ist das das Beste, was passieren kann.
Was würdest du deinem früheren Ich mit auf den Weg geben, das gerade den ersten Plattenvertrag unterschrieben hat?
Ich erinnere mich genau – Charlotte Street, London. Es war aufregend, aber auch ungewiss. Wie lange wird das gut gehen? Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass ich das fast 30 Jahre lang mache ... hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt. Daher würde ich zu ihm sagen: 'Genieße die Reise – sie wird verdammt lang.'
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