Porträt

laut.de-Biographie

Stock Aitken Waterman

Sie waren die Goldgräber der 80er Jahre-Popmusik, hatten eigene Autogrammkarten und machten selbst aus schüchternen Studio-Teeburschen globale Superstars: Mike Stock, Matt Aitken und Pete Waterman, bekannt geworden unter ihrem Produzentensignet Stock Aitken Waterman (kurz: SAW). Mit ihren cheesy Hochglanz-Produktionen definierten sie den Terminus 'Radio-Pop' neu. Ihr Hi-NRG-Trademark-Sound ist so etwas wie das musikalische Äquivalent zu Dauerwellen und Schulterpolstern. Gemeinsam gelingen dem zuvor völlig unbekannten Trio rund 100 Top 40-Singles, die ihr Bankkonto über die Jahre um 70 Millionen Euro auffüllen. Diese Zahlen übertreffen gar die Chartsleistungen der Beatles. SAW sind somit ohne Zweifel die Neptunes und Timbalands ihrer Zeit.

Stock Aitken Waterman: Die 25 wichtigsten 80er-Acts Aktuelle News
Stock Aitken Waterman Die 25 wichtigsten 80er-Acts
Drei UK-Produzenten machten Kylie Minogue, Dead Or Alive oder Rick Astley zu Superstars. Was aus ihnen und den anderen 80er-Helden geworden ist, lest ihr hier.

Gleichzeitig schaffen sie eine ungeheuer große Angriffsfläche: Kritiker lästern jahrelang über den Wegwerf- und Fast Food-Charakter ihrer wie im Zeitraffer veröffentlichten Dance-Hits, wonach jeder Song so billig und ungesund sei wie ein schlabbriges Boulettenbrötchen. 2005 landen Stock Aitken Waterman in einer britischen Umfrage nach den schlimmsten Errungenschaften der 80er Jahre auf Platz zwei - hinter der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher.

Zu den zahlreichen Stars, für die der Songwriter Stock aus der Grafschaft Kent, der aus Lancashire stammende Hobbygitarrist Aitken und Ex-A&R Waterman als Produzenten fungieren, gehören der erwähnte Rick Astley, Kylie Minogue, Bananarama, Divine, Kate Bush, Debbie Harry, Donna Summer, Sigue Sigue Sputnik, Hazell Dean, Sinitta, Sabrina, Samantha Fox, Mel & Kim, Jason Donovan und natürlich Dead Or Alive.

Deren Ende 1984 veröffentlichter Song "You Spin Me Round (Like A Record)" ist der erste UK-Nummer-Eins-Hit für Stock Aitken Waterman. In der Folge entwickeln die drei Briten eine unglaublich erfolgreiche Hitformel, die lange funktioniert, wenn auch aufgrund ihrer relativ gleichförmigen Struktur nicht von ewiger Dauer ist.

Wie so oft führt der Zufall die Drei zusammen. Pete Waterman arbeitet in den 70ern zunächst als A&R und trifft u.a. Peter Tosh und Lee Perry auf Jamaica. Aufgrund der gemeinsamen Heimat Coventry kennt er auch Neville Staples, der später Sänger der Ska-Band The Specials wird, die Waterman eine kurze Zeit managt.

Seine Karriere im Musikbusiness scheint aber schon Ende der 70er vorbei zu sein, als der 30-jährige Talentscout den Disco-Hit im Baccara-Song "Yes Sir I Can Boogie" nicht erkennt und das Demo links liegen lässt. Das Label entlässt ihn. Doch schon 1980 ist er wieder zurück im Geschäft, arbeitet als DJ, lernt den Songwriter Mike Stock kennen und arbeitet mit ihm an dessen Song "One Nine For A Lady Breaker" - ein Flop. Man geht wieder getrennte Wege. 1983 trifft Stock auf den Kreuzfahrtschiff-Gitarristen Matt Aitken, der mit Buzzcocks-Chef Pete Shelley zur Schule gegangen ist. Gemeinsam komponieren sie Songs für ihre Band Mirage, doch als der Erfolg ausbleibt, erinnert sich Stock an Waterman.

Die erste als Trio produzierte Nummer "The Upstroke" floppt, ebenso wie "Anna-Marie-Elena", der zypriotische Beitrag zum Eurovision Song Contest 1984 von Andy Paul. Wenig später schlägt "You Think You're A Man" von der amerikanischen Drag-Queen Divine dafür voll ein. Dem Trio dämmert nun ihre Erfolgsformel: Der in Schwulendiscos angesagte Hi-NRG-Pop muss weiter ausgebaut und massenkompatibel getrimmt werden. Kurz darauf treffen sie Pete Burns von Dead Or Alive - der Rest ist Geschichte.

Kylies Coverversion von "Tears On My Pillow" ist Anfang 1990 der letzte große Hit für Stock Aitken Waterman, danach überholt sie der Zeitgeist. Techno und Grunge heißen die neuen Sound-Phänomene, die den Abzählpop von SAW ähnlich altbacken wirken lassen wie Hair Metal-Bands à la Mötley Crüe.

Auch die über Jahre perfektionierte Zusammenarbeit der drei talentierten Individuen erhält erste Risse. Der Erfolgsdruck ist immens und Watermans zahlreiche öffentliche Lobpreisungen auf die von ihm geschriebenen Songs missfällt ausgerechnet Kollege Stock, der sich in einem Interview einmal mit Shakespeare vergeicht, zusehends. Doch es ist Matt Aitken, der im Mai 1991 das Produzententeam verlässt. Als Grund gibt er Erschöpfung an. In einem Interview bemerkt er in hilflosem Ton: "Uns wurde immer vorgeworfen, dass alle Platten gleich klingen würden und plötzlich kam es mir genau so vor."

 - Aktuelles Interview
Stock Aitken Waterman "An Drogen kamen wir nicht ran"
Pete Waterman über das Phänomen Rick Astley, die Koop mit Judas Priest und ein Leben im 80s-Pop.

Stock und Waterman versuchen es noch eine Zeit lang als Duo und rennen doch nur alten Erfolgen hinterher. Weder mit neuen Künstlerinnen wie der US-Sängerin Sybil, noch mit der ihrerseits zum Duo geschrumpften 80s-Hit-Bekanntschaft Bananarama (Album "Please Yourself", 1992) gelingt ein Comeback. Im September 1993 ist der Ofen ganz aus: Stock und Waterman gehen im Streit auseinander, unschöne Gerichtsprozesse über ungleiche Tantiemenaufteilungen folgen.

Die britische Boulevardpresse verfolgt interessiert, wie vor allem Stock die Schlammschlacht verbal begleitet, indem er Waterman einen "Kasper" nennt, der stets geglaubt habe, Erfolg bestünde "aus Blondinen mit dicken Titten". Während er und Aitken den Löwenanteil aller Hits geschrieben hätten, habe sich Waterman später nur noch darauf konzentriert, "Zierkarpfen aus Japan zu importieren." Doch die großen Töne helfen nichts: Stocks und Aitkens Klage auf Zahlung von zwei Dritteln an Tantiemen eines auf umgerechnet 14 Millionen Euro geschätzten Betrags wird nicht stattgegeben.

Danach fungiert der 1947 in Stoke Heath/Coventry geborene Pete Waterman mit seiner 1987 gegründeten Firma PWL als Verwalter des gewaltigen musikalischen Erbes. Trotz der anhaltenden Hassliebe der drei früheren Hit-Freunde betont Waterman, dass sich Stock und Aitken sofort bei ihm meldeten, nachdem seine Söhne Pete Jr. (1999) und Paul (2005) tragisch ums Leben kommen. Waterman bleibt als Pop-Impresario in den Schlagzeilen, als Castingshow-Juror im TV oder Produzent von Pop-Bands wie Steps. 2001 erscheint die Autobiografie "I Wish I Was Me" ("Ich wünschte ich wäre ich").

2005 kommt es anlässlich eines SAW-Best Of-Albums zu einer Reunion von Stock Aitken Waterman. Den britischn Beitrag zum Eurovision Song Contest 2010 für Josh Dubovie schreibt Waterman mit Stock. "That Sounds Good To Me" war allerdings nicht die Meinung der TV-Zuschauer: Dubovie wird beim aus deutscher Sicht geschichtsträchtigen Wettbewerb in Oslo mit Siegerin Lena letzter.

Als Eisenbahnverrückter investiert Waterman außerdem viel Geld in zahlreiche Eisenbahnprojekte, kauft Rechte an Franchise-Produkten, besitzt auch selbst Dampfeisenbahnen und erhält auf Channel 4 eine Doku-Serie, in der er die britische Geschichte der Eisenbahn erläutert. Die Musik lässt ihn trotzdem nicht los. 2012 erscheint die Compilation "Pete Waterman Presents The Hit Factory" und zum 25-jährigen Jubiläum seiner Firma PWL findet in der Londoner O2 Arena eine Galaveranstaltung mit vielen Helden von damals statt.

Selbst Kylie Minogue und Jason Donovan reisen extra für die Duettschnulze "Especially For You" ihren alten Hit-Lieferanten zuliebe an. Rick Astleys "Never Gonna Give You Up" darf hier natürlich nicht fehlen. Zu den wenigen SAW-Fans aus dem Branchenumfeld zählt ausgerechnet der legendäre, 2010 gestorbene Sex Pistols-Manager Malcolm McLaren. Ähnlich wie bei Dieter Bohlen bzw. Modern Talking mag man sich den Erfolg vieler schablonenartiger Songs heute nicht mehr erklären können. Dank ihres Gespürs für den richtigen Sound zur richtigen Zeit bleiben Stock Aitken Waterman wohl noch auf viele Jahre hinaus die erfolgreichsten Produzenten der Popgeschichte.

Interviews

News

Surftipps

  • PWL Empire

    Empire, Königreich: Der Name sagt alles. Offizielle Seite des Nachlassverwalters Pete Waterman.

    http://pwl-empire.com/
  • Eisenbahnen

    Die Modelleisenbahnen von Pete Waterman.

    http://www.justliketherealthing.co.uk/

Noch keine Kommentare