Porträt

laut.de-Biographie

Tarantula A.D.

Manchmal erlebt auch der abgebrühteste Musikkritiker noch Überraschungen. Manchmal verbirgt sich gerade hinter unscheinbarer Promopappe das ganz Besondere. Und manchmal verfällt man beim Einlegen der CD augenblicklich in Sprachlosigkeit. Selbiges gilt für das vollkommen größenwahnsinnige Debütalbum von Tarantula A.D. Tango, Metal, Klassik und Folklore vereinen sich darauf zu nie gekannter Harmonie. Das "Book Of Sand" erscheint im Februar 2006.

Tarantula A.D. - Book Of Sand Aktuelles Album
Tarantula A.D. Book Of Sand
Abendländische Allesmusik.

Im Gespräch wollen die drei New Yorker Details zur eigenen Entstehungsgeschichte und zum Werden dieses instrumentalen Mammutwerks zunächst kaum preisgeben. Die Christrocker Disciple hätten vor einiger Zeit Mitteilungen an Danny Bensi (Cello, Violine, Klavier), Saunder Jurriaans (Gitarre, Bass) und Gregory Rogove (Drums, Percussion, Klavier, Melodica, Glockenspiel, Gesang) geschickt, einander vorgestellt und die Band initiiert, scherzen sie.

Erst auf erneute Nachfrage erklärt Rogove schulterzuckend: "Wir haben in musikalischer Hinsicht so gut wie nichts beschlossen, der Sound war geboren in dem Moment, als wir uns trafen. Magie. Unsere erste Probe resultierte gleich in einem fertig komponierten Stück, dazu ein halbes Dutzend Skizzen weiterer Songs. Wir erlaubten uns einfach, ehrlich miteinander zu sein und in unsere Vorstellungskraft einzutauchen."

"Book Of Sand" legt also einen direkten Zugang in die kreativen Köpfe seiner Schöpfer. Dort trifft der Hörer auf ein wahres Füllhorn musikalischer Ideen, ein Geistesblitz reiht sich an den nächsten: Kammermusik und sinfonischer Überschwang, beide haben hier Raum zur Entfaltung. In einem Moment herrscht lateinamerikanisches Temperament, im nächsten scheint die Klanggewalt Metallicas durch.

"Das Album ist nach einer Kurzgeschichte des argentinischen Poeten Jorge Luis Borges benannt", erklären Tarantula A.D.. "Es handelt von einem heiligen Buch aus Indien, das weder Anfang noch Ende besitzt. Das Buch befindet sich in ständigem Wandel. Und jedes Mal, wenn du versuchst eine Seite aufzuschlagen, die du bereits gelesen hast, hat sie sich geändert." Ähnlich wie Borges verquickt die Band Realitätsebenen, lässt klassische und moderne Ausdrucksformen ineinander fließen.

Für die Albumaufnahmen reiste man mit einem kleinen Equipment-Koffer auf eine einsame Pazifikinsel namens Orcas Island. In einer Holzhütte spielten die Drei bei offener Tür den Großteil der Songs ein. Außerdem flogen sie nach Europa: In der Pariser Metro und in Hotelzimmern trafen sie CocoRosies Sierra Casady und Devendra Banhart, um anschließend in einem New Yorker Theater mit Mitgliedern von Inouk zu arbeiten. Dasselbe "Recording by Traveling"-Prinzip kam schon bei der "Atlantic"-EP zur Geltung, in Deutschland ab Sommer 2006 erhältlich.

"Das Reisen war immer die Grundsubstanz unserer Lebensweise", antwortet die Gruppe auf die Frage nach den Inspirationsquellen. "Saunder war das erste Kind einer holländischen Familie, das in Amerika zur Welt kam. Danny stammt ursprünglich aus Europa: in Dänemark geboren, in Rom, Frankfurt und London aufgewachsen und in die USA ausgewandert." Gregory verbrachte als einziger seine Jugend in Pennsylvania, hat aber ebenso für längere Zeit in Indien, Mexiko und Kuba gelebt.

Selbstverständlich lohnt sich auch die Fahrt zu ihren Shows, bestätigen Tarantula A.D. mit Nachdruck: "Unglaubliche Dinge" passierten on stage, denn "unser Sound ist für die Bühne gemacht". Konzertreviews bestätigen das. Von operesk gespielten Gitarren ist die Rede, von kakophonischen Hymnen, unterbrochen durch kurze stimmungsvolle Interludes. Bensi erklärt eine Fiedel kurzerhand zum Cello, Rogove hantiert gleichzeitig mit Schlagzeug und Maracas, und Bassist Jurriaans sorgt dafür, dass die Stücke trotz allem genügend Stringenz erhalten, um auch vor Publikum zu funktionieren.

Das tun sie zweifellos - auch und gerade der Hidden Track "If You Deny Me, I'll Be Lost". Der Gospelsong wurde in den USA - dem "Land der freien Meinungsäußerung" - aus religiösen Gründen vom Album verbannt. Gleichzeitig protestieren Muslime weltweit wegen der Veröffentlichung von Cartoons, die den Propheten Mohammed diskreditieren. Was hält das Trio von derartiger Doppelmoral?

"Eine traurige Facette organisierter Religion. Außer wenn sie fremden Glauben tatsächlich akzeptieren, tendieren Muslime zu einer sehr scheinheiligen Position. Mit den Christen in den Staaten ist das augenscheinlich kaum anders." Religion werde dort oft nicht spirituell betrachtet, sondern sehr territorial und politisch benutzt. "If You Deny Me, I'll Be Lost" rufe zu spiritueller Einheit auf und habe in Wirklichkeit wenig mit dem Christentum zu tun, erklären sie weiter.

"Es benutzt jedoch christliche Symbolik als Metapher auf eine geistige Suche. Die Metapher hätte auch genauso gut auf Mohammed, Vishnu oder Zarathustra zielen können. Der amerikanische Vertrieb hat das nicht verstanden, die Lyrics wörtlich genommen und sie blasphemisch genannt. Man wollte seine Hauptkundschaft, die baptistische Gemeinschaft, nicht verschrecken." Glücklicherweise ist der europäische Vertrieb liberaler, hier erscheint "Book Of Sand" wie ursprünglich beabsichtigt.

Tarantula A.D. sind durch solche Unwägbarkeiten nicht aufzuhalten. Schließlich erntete ihr überaus mutiges Debüt fast überall euphorische Kritiken. Das hindert sie aber nicht daran, zunächst alles hin zu schmeißen, um dann unter dem Namen Priestbird weiter zu machen.

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