laut.de-Kritik
Abendländische Allesmusik.
Review von Matthias MantheNew York gilt wie keine andere Stadt als Schmelztiegel der Gegensätze. Unterschiedlichste Nationalitäten und Ethnien, Religionen und Weltanschauungen zeichnen ein äußerst kontrastreiches Bild von der größten US-Metropole. Das dort ansässige Trio Tarantula A.D. fand aber sogar im Neben- und Miteinander nur kurzzeitig Inspiration. Statt mit der Vielfalt in NYCs kulturellem Selbstbedienungsladen den Hunger zu stillen, wollten sie mehr. Etwas Zeitloses schaffen, Kunst von dauerhaftem Wert. Dafür bereisten die Pilger unter anderem eine einsame Insel im Pazifik und die Pariser Metro.
Nach Wochen intensiver Selbstfindung und aufmerksamster Beobachtung flog man schließlich zurück nach New York, um die Erlebnisse auf Band zu konservieren. "Book Of Sand", das nahezu instrumentale Resultat der Studioarbeit, trägt diese Ambition in jeder Faser und ist mit nur zwei Worten zu beschreiben: abendländische Allesmusik. Hier existiert kein Rahmen der Möglichkeiten. Nichts, was nicht geht und wenig, das es nicht gibt. Nur das kuriose Konzept, eine Inszenierung von Aufstieg, Bestehen und Niedergang eines Weltreiches, setzt Grenzen.
Innerhalb jener Schranken fließen Cello-Crescendi und epische Rockgitarren ineinander. Brachiale Metal-Riffgewitter stürmen auf das Parkett, um mit dröhnender Leidenschaft Tango zu tanzen. Ein klassisches Piano weint zu krummem Walzer, während Melodicas in menschenleeren Philharmonien verträumte Solokonzerte geben. Trotzdem gibt die Band die Zügel niemals ganz aus der Hand. Nicht, wenn Devendra Banhart jodelnd Erdgeister beschwört. Und auch nicht, als Sierra Casady (CocoRosie) wie ein gedankenverlorenes Waschweib folkloristische Weisen aus längst vergangenen Tagen intoniert.
Ruhe und Ruhelosigkeit, Euphorie und Depression, Bombast und Reduktion, Weite und Nähe bilden Antagonismen, deren Synthese den Koloss namens "Book Of Sand" hervor bringt. Damit bewerben sich Tarantula A.D. gewissermaßen um den Posten eines internationalen Kulturbeauftragten. Wer außer den drei Avantgardisten Bensi, Jurriaans und Rogove versteht es sonst, die analoge Musikgeschichte des Westens derart präzise und vielfach hochspannend zusammenzufassen?
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