12. November 2008
"Bei Rick Rubin wird alles zu Musik"
Interview geführt von Michael Schuh"Buy books, they can be more punkrock than music will ever be!" Auch zehn Jahre nach der Gründung würden The (International) Noise Conspiracy aus Schweden ihren alten Leitsatz wohl noch unterschreiben. Mittlerweile spielt die Band auch in Amerikas Szenekreisen eine gewichtige Rolle und nahm mit "The Cross Of My Calling", das am Freitag erscheint, bereits das zweite Album mit Rick Rubin auf. Ein Anruf bei Gitarrist Lars Stromberg.Noise Conspiracy-Gitarrist Lars Stromberg grüßt freundlich und bittet um einen Moment Geduld, da er in der Lobby eines Kölner Hotels zu nah an Sänger-Kollege Dennis sitzt, der ebenfalls ein Interview gibt. Nur wenige Sekunden später hat er eine ruhige Ecke gefunden. Stromberg spricht hektisch und verschluckt gerne mal einzelne Silben, kann seinen europäischen Dialekt dabei aber nicht ganz verstecken.
Lars, erstmal ein dickes Kompliment. Rick Rubin hat häufiger mit euch zusammen gearbeitet als mit Rage Against The Machine und AC/DC.
Yeah man, good times! Das hat uns umso mehr gefreut, da wir mit der Veröffentlichungspolitik beim letzten Album nicht ganz zufrieden waren, zumindest was die USA betrifft. Da gab es endlose Verschiebungen und sowas. Wir fühlten uns also sehr geehrt und ich denke, Rick fühlte genauso (lacht)
In Europa liefs aber doch ordentlich mit "Armed Love", oder?
Ja. So lange eine neue Platte erfolgreicher ist als die vorangegangene, sollte man sich nicht beschweren. Und mit "Armed Love" war es so. Hier in Europa mag es allerdings den Anschein haben, als hätten wir vier Jahre nichts gemacht, dabei waren wir die ganze Zeit in sämtlichen Erdteilen aktiv.
Wart ihr denn besonders heiß drauf, den amerikanischen Markt zu erobern?
Wir waren auf jeden Fall heiß drauf, eine gute Platte rauszubringen, die ohne Verzögerungen in den Handel kommt. Wenn das dann der Durchbruch wird, bitteschön. Aber eigentlich wollen wir nur spielen. Jetzt sitzen wir seit einer Ewigkeit im Studio und können die Tour kaum erwarten.
Wie schwer war es eigentlich, nochmal einen Termin bei Rick Rubin zu bekommen? Schließlich hatte der im letzten Jahr auch Metallica und Linkin Park auf seiner Kundenliste.
Schon, aber sobald Rick mit dir arbeitet, blendet er alles andere aus. Ganz egal wer du bist oder mit wem er sonst gerade noch aufnimmt: He's with you. Er denkt nicht plötzlich an Metallica, wenn er mit uns zusammen ist. Er kann das gut fokussieren.
Etwas problematisch war allerdings, dass der Toningenieur, der unsere Platte mixen sollte, auch für Metallica zuständig war und das dauerte dann tatsächlich ewig. Nach ungefähr sechs Monaten sahen wir ein, dass es vielleicht sinnvoll wäre, einen anderen Mann zu suchen. Naja, was lange währt ...
Dann hattet ihr ja aktuell schon wieder eine Verzögerung im Zeitplan.
Schon, aber lange nicht so schlimm wie bei "Armed Love". Diesmal gibt es keine Kommunikationsprobleme, denn unser Label will die Platte auch veröffentlichen.
Beschreibe für uns doch mal einen typischen Studiotag mit Rick Rubin.
Puh. Die Arbeitsabläufe an sich sind ziemlich klar und gut strukturiert. Am stärksten ist Rick in die Vorproduktion involviert. Man muss sich das so vorstellen: Am Anfang sitzen wir in Schweden, nehmen dort Songs auf und schicken sie ihm zu. Er hört sie sich zuhause an und sagt uns per E-Mail, was ihm gefällt und was nicht.
Dann sind wir wieder dran, so geht das eine Weile hin und her und irgendwann fliegen wir dann in die Staaten. Dort haben wir in einem kleinen proberaum-ähnlichen, technisch voll ausgestatteten Studio eine Woche Zeit für die Vorproduktion. Wir nehmen Songs auf und treffen uns dann jeden Abend bei Rick im Wohnzimmer, sprechen nochmal über einzelne Songs oder spielen manche Sachen auf der Akustikgitarre.
So läuft das eine Woche lang und dann gehts richtig los mit den basic tracks. Sobald die Songs stehen, überwacht Rick akribisch die Energie beim Aufnehmen, bei jedem einzelnen Take. Wir spielen alles live ein und da kümmert es Rick nicht, wenn jemand mal daneben greift, so lange nur die Energie stimmt. Gut, er schaut später dann nicht mehr zu jedem Gitarrensolo oder Overdub vorbei - ist die Energie einmal da, fühlt er das und lässt uns alleine weitermachen. Die Atmosphäre, die dabei entsteht, ist wirklich besonders.
Ich nehme an, mit euren früheren Produzenten aus Europa hattet ihr keine vergleichbar meditativen Begegnungen.
Nein, wahrlich nicht. Allein Rubins Haus ist ja schon geschichtsträchtig, wenn man weiß, wer da alles aufgenommen hat. Wir standen zum Beispiel mal in seiner Lobby rum und jemand kam und sagte, dass Rick noch ein Meeting im ersten Stock hätte und wir warten sollten. Plötzlich dröhnt von oben ein ohrenbetäubender Lärm runter, Led Zeppelin, dann ist Stille und kurz drauf läuft ein Joni Mitchell-Song. Und du sitzt natürlich da und denkst: Mit wem zur Hölle redet der bloß da oben?
Klar, es muss ein Musiker sein, mit dem er irgendwas plant, also raten wir eine Weile weiter bis ein Angestellter zu uns runterkommt. Wir fragten ihn, mit wem Rick da redet und der antwortete: Well, Rick hatte grade ein Meeting mit Mary J. Blige. (lacht)
Ich meine, er dreht aus irgendwelchen Gründen Led Zeppelin und Joni Mitchell auf und aus dem Raum läuft Mary J. - das ist schon abgefahren. Aber so ist er halt. Du sitzt mit ihm zusammen, hörst deine Musik und wenns ihm gefällt, fängt er an mit Headbanging. Sehr aufregend.
Bei ihm zu Hause habt ihr aber nichts aufgenommen, so nach Art von Johnny Cash?
Nur Teile des Gesangs, Orgel- und Gitarrenoverdubs. Aber das meiste im Studio am Sunset, wo schon Led Zeppelin, die Doors und Van Halen aufgenommen haben. Gute Vibes.
Wo du gerade von der Orgel sprachst, der Song "Child Of God" beinhaltet einen extrem langen Orgelpart, zu dem sich ein Gitarrensolo hinzugesellt. Eher ungewöhnlich für euch
Das liegt an den vielen Liveshows in den letzten Jahren, von denen ich gesprochen habe. Uns lag diesmal viel daran, Jam-Elemente mit auf die Platte rüber zu retten, auch wenn der Song dadurch ein bisschen länger wird.
"Wir leben heute im Download-Zeitalter"
Nach dem erwähnten Song, der genau die Mitte des Albums einnimmt, kommt ein richtiges Zwischenspiel. Soll man das als Übergang von einer Hälfte zur anderen verstehen, quasi wie früher eine A- und eine B-Seite?Exakt. Uns schwebte von Anfang an ein komplettes, dynamisches Albumkonzept vor mit richtigem Beginn, richtigem Schluss und einer ordentlichen Reihenfolge. Irgendwann kamen ein paar Labelfuzzis an und meinten, hey Jungs, wir leben heute im Download-Zeitalter mit digitalen Files und so. Darauf wir: Schon klar, aber deshalb planen wir trotzdem ein ganzheitliches Albumkonzept, wenns recht ist.
Eure letzte Platte hieß "Armed Love", die neue steht laut meinen Promozetteln unter dem Motto "A love vision" - ein Zitat des französischen Anarcho-Sozialisten Ravachol. Ist die neue Platte, was Songinhalte angeht, ein schlüssiges Nachfolgealbum?
Eher eine Reaktion darauf. "Armed Love" selbst war schon eine Reaktion auf "New Morning Changing Weather". Das waren eigentlich gar keine richtigen Songs damals, wir hatten halt ein paar abgedrehte Riffs und waren noch auf der Suche nach einem klassischen Sound. "Armed Love" war viel straighter, das sollte unsere Rock'n'Roll-Platte werden. Für "The Cross Of My Calling" wollten wir ein bisschen die Verspieltheit von "New Morning" mit dem Songwriting von "Armed Love" verbinden. Soweit musikalisch.
Was die Vision angeht, haben wir diesmal wohl so lange wie nie zusammen gesessen und überlegt, was wir transportieren und wie wir uns präsentieren wollen. Als tourende Rockband, die eine gewisse Message verbreitet, erlebt jeder von uns frustrierende Momente, in denen man denkt: Scheiße, du erreichst doch sowieso niemanden. Doch dann lässt du das sacken und kommst zu dem Schluss: Aufhören bringt auch nix. You gotta keep on keepin' on, you know?
Und hier kommt die 'love vision' ins Spiel, denn die Welt von heute ist womöglich in der schlechtesten Verfassung, in der sie jemals war. Darauf basierend ist eine höchst kritische, ziemlich aggressive Platte entstanden, als deren Ausgangspunkt die Suche nach Liebe, nach Solidarität und nach Gemeinschaftssinn fungiert.
Du sprachst eben von frustrierenden Momenten hinsichtlich der Verbreitung eurer Message: Meinst du damit auch die Erkenntnis, dass viele Fans nur der Musik wegen zu euren Shows kommen, und denen eure Texte total schnuppe sind?
Oh nein, um Himmels Willen! Wenn Leute unsere Musik mögen, bin ich überglücklich, schließlich sind wir eine Rock'n'Roll-Band. Die Menschen sollen das mitnehmen, was ihnen am Herzen liegt. Wenn es die Musik ist, perfekt, wenn es die Politik ist, perfekt, wenn es die Kombination ist, noch besser. Wir machen es bei anderen Bands ja genauso.
Was mag Rick Rubin mehr an euch, die Musik oder die Texte?
Definitiv die Musik. Ich denke zwar, ihm gefällt die Tatsache, dass wir textlich teilweise extreme Standpunkte vertreten, da er sowohl in beiden Dingen immer nach der Seele sucht. Aber bei Rick wird am Ende alles zu Musik. Politik wird zu Musik, die Worte werden zu Musik.
Und das ist gut, denn uns liegt auch viel daran, dass nicht eine Komponente stärker zur Geltung kommt als die andere. Der richtige Mix machts. Wenn wir der Meinung wären, dass unsere Texte wichtiger sind als die Musik, würden wir Bücher schreiben. Aber wir lieben die Kombination.
"Wir erzählen nix anderes als Bob Dylan"
"Hiroshima Mon Amour" ist der Titel des bekannten Nouvelle Vague-Films von Resnais. Gibt es da Überschneidungen zu eurem Song?Ja, das Grundthema ist das gleiche. Es geht um die Unmöglichkeit der Liebe und die Tragweite der Entscheidung, an einem bestimmten Punkt im Leben den Schritt ins Ungewisse zu wagen. Das kann eine unheimlich befriedigende Wirkung ausüben. Der Resnais-Film bzw. der Roman von Marguerite Duras war ein direkter Einfluss.
Gerade das Tempo des Films ist bemerkenswert und ich finde es spannend, dass er zu gleichen Teilen hochgradig anonym und doch sehr intensiv wirkt. Er schafft Raum zur Reflexion, was man von unserem Song jetzt zwar nicht behaupten kann, aber es lohnt sich einfach, diese ewiggültige Geschichte zu erzählen.
Als ich den Film vor Jahren gesehen habe, fühlte ich mich anschließend ziemlich niedergeschlagen. Euer Song dagegen hat eine der poppigsten Hooklines der ganzen Platte.
Das stimmt. Ich denke aber, das muss kein Widerspruch sein. Es kann sehr interessant sein, schwere Inhalte in einen leichteren Kontext zu stellen. Oder nimm "Washington Bullets": Da erzählen wir praktisch auch nix anderes als Bob Dylan damals in "Masters Of War" oder Black Sabbath in "War Pigs".
Es geht um die Industrie des Krieges und wie Länder immer und immer wieder vor allem die Jungen und Armen an die eigenen Ziele verkaufen. Die Musik ist allerdings relativ fröhlich und besteht aus Dur-Akkorden. Ich denke, auch in düsteren Zeiten muss man sich an etwas hochziehen können und wenn das ein schöner melodiöser Popsong ist, sehr gut.
"Washington Bullets" ist deutlich von den Amtsjahren George W. Bushs beeinflusst. Ist Barack Obama der richtige Mann für den Wandel?
Barack Obama ist natürlich die bessere Lösung, da er hoffentlich die Truppen aus dem Irak abziehen wird. Doch es wird oft vergessen, die Kandidaten aus zwei Perspektiven zu betrachten. Für amerikanische Verhältnisse ist Obama ein demokratischer Linker, aus europäischer Sicht ist er total konservativ. Solange sich das politische System nicht ändert, wird sich am Zustand der heutigen Welt auch mit einem US-Präsidenten Obama nichts dramatisch ändern.
Hinzu kommt der allgemeine Irrglaube, dass sowieso alles automatisch besser wird, sobald Bush nur aus dem Amt ist. Diese Mentalität verschließt die Augen vor der Wahrheit. Ein paar Monate nach der Wahl werden die Leute merken, dass wir immer noch eine Wirtschaftskrise und verrückte Kriege auf der Welt haben.
Hat sich dein Leben als politisch interessierter Mensch verändert, seit ihr zum zweiten Mal in Amerika arbeitet?
Auf jeden Fall. Die Songs "Washington Bullets" und "Storm The Gates Of Beverly Hills" nehmen ja direkt Bezug auf die USA. Wenn du dich lange an einem Ort aufhältst, wirst du automatisch in die Umgebung hineingezogen. Drüben bemerkst du vor allem die Wirkung, die Innenpolitik auf Menschen ausübt, in Schweden wiederum ist es die US-Außenpolitik.
Lebt ihr mittlerweile schon in den USA bzw. fühlt ihr euch überhaupt noch als Schweden?
Klar, wir sind Schweden und wir leben auch da, wobei ich mal zwei Jahre in L.A. gewohnt habe. Aber selbst dort fühlt man sich nicht als Amerikaner, ist ja klar, ich bin ja auch keiner, aber dieser American Way Of Life ist einem schon extrem fremd. Als Europäer hat man einfach immer die Touristenbrille auf, auch wenn man da ne Wohnung hat.
Das Leben in den USA ist manchmal einfach zu absurd, Menschen werden von den sonderbarsten Sachen angetrieben. Jetzt ist es viel schöner für mich, denn ich weiß wo meine Freunde wohnen und wo ich hingehen muss. Es ist nicht mehr alles so abstrakt und seltsam wie damals, wo ich praktisch täglich den Kopf über irgend etwas schütteln musste.
Zum Schluss: Welche Bands haben dich in letzter Zeit beeindruckt?
Da gibt es eine schwedische Band namens Dungen, die fahren den 60s/70s Swedish Psychedelic Style. Tolle Melodien, tolle Texte. Die Platte habe ich ewig gehört. Ansonsten eher altes Zeug, zum Beispiel brasilianische Tropicalia-Sachen aus den späten 60ern. Diese Gruppen wurden damals vom Staat unterdrückt und durften keine direkten politischen Statements abgeben, selbst wenn sie es gewollt hätten. Also versteckten sie ihre Kritik.
Dadurch wirst bist du gezwungen, zwischen den Zeilen zu lesen oder das Artwork genauer betrachten, um Dinge heraus zu finden. Sowas fasziniert mich. Gerade heute ist es sehr wichtig, diesen Geist aufrecht zu erhalten, denn als liberaler Künstler oder einfach nur als normaler Bürger wirst du auf die ein oder andere Weise ja auch verfolgt. Das System muss einfach immer wieder hinterfragt werden und man muss mit kritischem Bewusstsein Dinge aussprechen, die mancher vielleicht nicht hören will.
Gibt es eigentlich Bands, die deinen Kollegen gefallen, du aber furchtbar findest?
Es gab eine Zeit, als Dennis die Manic Street Preachers rauf und runter hörte, diese frühen Hardrock-Platten. Ich verstehe zwar absolut deren Ästhetik und Texte, finde die Musik aber unerträglich. Zum Glück ist diese Phase vorbei. Wobei die Zeit der Grabenkämpfe dank der heutigen iPod-Kultur eh lange zurück liegt. Jetzt hat jeder seine eigenen Kopfhörer.
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