13. Februar 2006

"Es ist schon überraschend, wie sehr die Privatsphäre leidet"

Interview geführt von

Am Rande ihres Konzertes in Düsseldorf sprachen wir mit Bill, Tom, Georg und Gustav über andere Bands, Haarschnitte und ihr Interesse an den ganzen Boulevard-Geschichten.Während Bill schon im Backstage wartet, kommen Tom, Georg und Gustav frisch vom Soundcheck. Brav und mit einer ordentlichen Portion Puder im Gesicht stellen sie sich vor, während sie nacheinander von der Bühne in den Backstagebereich einlaufen. "Herzallerliebst", möchte man rufen. Schon haben die drei einen gut bei uns. Auch Bill - in Natura wesentlich größer und vor allem erwachsener als auf Bildern - stellt sich mit seiner noch leicht brüchigen Stimme freundlich vor.

Eine meiner Fragen beantwortet sich bereits nach sehr kurzer Zeit von selbst: "Habt ihr nach den ganzen Boulevard-Storys, die über euch geschrieben wurden, jemanden, der auf euch aufpasst?" Ja, kann ich mir selber antworten, zumindest bei Interviews stellt das Label den Jungs eine Mitarbeiterin zur Seite, die schon mal dazwischen geht, wenn die Fragen nicht genehm sind.

Nun ja, wir sind ja keine Klatschpresse. Die Dame von der Plattenfirma wird wohl heute nichts zu tun haben. Auch zu viel Trubel mutet man den vier Jungs nicht zu: Sie hätten heute erst ein Interview gegeben, das leider ausgerechnet beim Frühstück. Da sie nicht im 30-Minuten-Takt die selben, langweiligen Fragen beantworten müssen, scheinen sie sich sogar ein bisschen zu freuen, hier etwas mit uns plaudern zu dürfen. Wir haben ihnen ja auch was besonders Schönes mitgebracht:

Zu Beginn wollen wir euch ein paar Songs vorspielen – von Bands die euch beeinflusst haben oder gefallen könnten.

The Cure – "Boys Don't Cry"

Stille.

Das ist von The Cure.

Georg: Gefallen tut er mir auf jeden Fall, ist aber schon ein bisschen älter.
Bill: Ist nicht so meine Musik, aber ist OK.

Du weißt schon, wie der Sänger aussieht, oder?

Bill: Wieso, wie sieht der denn aus?

Er hat ein bisschen Ähnlichkeit mit dir, ok, nur vom Styling, du passt vom Umfang her ungefähr achtmal in den rein ...

Alles klar, hier gibt es nicht viel aus Tokio Hotel rauszuholen. Bevor wir den nächsten Song anspielen, wird Chipsgeknister laut. Bill und Tom haben eine coole, neue Sorte entdeckt, die sie während des Interviews unablässig essen. Georg gibt sich mit einer Banane zufrieden, Gustav sitzt abseits, so dass er zwar nicht an den Fresstisch kommt, dafür aber fast unbemerkt mit seinem Handy spielen kann (und sich deshalb weitestgehend aus dem Interview ausklinkt).

"Ich steh' da auch total drauf"

Rage Against The Machine – "Killing In The Name"

Gustav: (blitzschnell, nach nur wenigen Tönen) Rage Against The Machine, "Killing In The Name". Das ist die Musik, die ich eigentlich nur höre. Sonst hör ich noch System Of A Down, Korn, Slipknot und Metallica, das sind die Hauptbands.

Georg: Ich steh' da auch total drauf, leider gibt's die ja nicht mehr. Aber "Bombtrack" und so was find' ich schon extrem geil! Aber Audioslave sind auch ganz geil.

Gustav: Das ist ja die komplette alte Besetzung von Rage Against The Machine mit anderem Sänger.

The Clash – "London Calling"

Stille.

Das ist The Clash. Das sagt euch was, oder?

Bill: The Clash, klar, aber den Song kenn' ich nicht. Aber The Clash, wie soll ich sagen ... Ich hab ein paar Alben gehört und finde nur ganz wenige Sachen gut. Aber ein ganzes Album von denen könnte ich mir nie durchgängig anhören. Vereinzelt sind da aber echt gute Sachen dabei.

Georg: Ich hab mich noch nicht wirklich mit The Clash beschäftigt, aber mit Bill schon ein paar Songs gehört. Wir hören ja auch oft zusammen Musik.

Woher bekommt ihr die Musik, die ihr zur Zeit hört?

Bill: Von unserer Plattenfirma. Unsere CD-Regale sprengen bald auseinander, wir bekommen so viel Zeug mitgebracht. Wir hören im Moment echt ganz, ganz viel Musik.

Wann kommt ihr denn noch dazu?

Tom: Wir fahren ja ganz viel Auto durch ganz Deutschland. Oder wenn wir fliegen. Eher im Gegenteil: Wir hören gerade sehr viel Musik.

Was ist denn die Platte, die gerade im Bus am meisten läuft?

Bill: Das ist ganz gemischt, also ich hör auf jeden Fall ...

Georg: Ich hab' heute im Bus z.B. Michael Bublé gehört.

Und?

Georg: Ja, gut ... zum Einschlafen.

Bill: Ich hör ja eher Sachen wie Green Day oder Three Doors Down. Von Three Doors Down find ich alle Alben gut. Ich hab noch nie was live von denen gehört, da weiß ich leider nicht, wie die sind.

Tom: Naja, wir haben ja die Live-Platte. Aber die war wahrscheinlich bearbeitet.

Bill: Ja, Green Day haben auch eine geile Live-DVD rausgebracht, super! Sehr geil – Green Day, da steh' ich sehr drauf.

Nebenbei knistern immer wieder die Chipstüten von Bill und Tom. Trotzdem sind sie voll bei der Sache.

Fühlst du dich auch ein bisschen beeinflusst von Billie Joe Armstrong, dem Green Day-Sänger? Der hat ja auch so einen Schmink-Style mit schwarzem Eyeliner und so ...

Bill: Ich muss sagen, ich lass' mich relativ wenig beeinflussen von anderen Leuten. Also, bei mir ist das so, dass ich ganz viele Sachen total cool finde und das gerne höre und so weiter. Aber wenn es jetzt um Sachen Musik oder Style oder so geht, lass' ich mich wenig beeinflussen, das war aber schon immer so. Wir hatten zum Beispiel alle noch nie richtige Vorbilder oder so was. Wir haben uns nie jemanden zum Vorbild genommen und gesagt "So was ähnliches wollen wir machen" oder "so ähnlich wollen wir aussehen" oder so was, sondern das entstand einfach.

Und wie bist du dann auf deinen Style gekommen? Das ist ja schon ziemlich speziell!

Bill: Das ist schon lange her, ich mach' das ja schon eine ganze Weile. Wir waren auf einer Halloween-Party, da bin ich als Vampir gegangen. Ich steh' ja tierisch auf Vampirfilme, und dann hab' ich mich mal geschminkt und so weiter - so entstand das. Da hatte ich dann Bock drauf.

"Also so extrem jetzt nicht"

Hättest du dir vorstellen können, was es für einen Wirbel auslöst, wenn du deine Frisur änderst?

Bill: Also, für mich ist das eher uninteressant. Ich finde, dass da viel zu viel Wirbel drum gemacht wird. Ich hab' ja da auch nicht viel zu gesagt, weil das für mich keine große Sache war. Ich hatte einfach Lust drauf. Ich hatte fünf Jahre die alte Frisur und Lust auf was Neues. Das ist eigentlich alles, was man dazu sagen kann.

Und bei der musst du auch nicht so viel stylen.

Was als kleine Anmerkung gedacht war, animiert die Plattenfirmenvertretung im Raum dazu, dazwischen zu gehen "Ach Leute, das Thema ist so off". Alles klar, wir wollten auch gar nicht weiter über Extensions reden.

Es gibt diese ganzen halbseidenen Geschichten, die die Bild-Zeitung über euch schreibt. Lest ihr so was überhaupt noch?

Tom: Ja, das auf jeden Fall. Man würde lügen, wenn man jetzt sagt, wir lesen nichts über uns. Na klar verfolgen wir das auch ...

Ihr holt euch also jede Woche die Bravo ...

Tom: Also so extrem jetzt nicht, aber immer wenn man an Tankstellen ist (und das dürfte der Band fast täglich passieren, Anm. d. Red.), schaut man, was so über einen geschrieben wird. Man nimmt dann natürlich auch ein paar Zeitschriften mit. Wir sammeln ja auch viel, denn es kann ja auch sein, dass wir irgendwann nirgends mehr drin stehen.

Es wird natürlich auch viel dazu gereimt und ausgedacht. Das ist aber für uns eher lustig. Wir wissen ja, was wir gesagt haben und was nicht. Das ist dann eigentlich eher belustigend. Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt. Da wird viel geschrieben. Leute denken, sie wissen extrem viel über dich, und das ist eigentlich echt lustig.

Kommt es dann auch vor, dass ihr gar nicht mit denen geredet habt? Es bringt also gar nichts, einfach vorsichtiger im Umgang mit den einschlägigen Medien zu werden – die schreiben ja eh was sie wollen?

Tom: Das kommt auch mal vor, dass Artikel entstehen, ohne dass wir überhaupt was dazu gesagt haben, klar. Logisch! (Klar? Logisch? Ganz schön abgebrüht, die Jungs!)

Es gab ja auch Leute, die eure Urlaubsfotos verkauft haben. Wie fühlt man sich da?

Tom: Wir haben uns von vornherein drauf eingestellt, dass mit dem Erfolg wenig Privatsphäre übrig bleibt. Das ist ganz klar. Und da ist man zwar drauf eingestellt, aber es ist trotzdem überraschend, in wie weit ... Jeder muss da seine Grenzen ziehen, aber es ist schon manchmal komisch, wie weit das geht. Klar. Aber da muss man sich drauf einstellen. Und dass so was passiert ... so what?

Wir sehen das mehr als privat an und wollen nicht so viel drüber erzählen. Für uns ist das meiste immer noch privat, auch wenn viele Leute meinen, sie wüssten da ganz viel drüber. Aber für uns ist das eher uninteressant und unsere Sache.

Es gibt im Netz einen Fan, der hat auf seiner Seite eure Geschichte genommen, und die dann mit seiner Phantasie ausgeschmückt und weitererzählt. Eure Fans machen sich anscheinend ein komplett eigenes Bild von euch, das euch wahrscheinlich so nicht entspricht. Wie ist es denn dann, wenn ihr auf solche Leute trefft?

Tom: Dass die sich so ein komplett anderes Bild von uns machen, glaub' ich gar nicht. Jeder sieht einen ja irgendwie anders. Und ich finde das gut. Wir versuchen, uns so zu geben, wie wir sind, und uns nicht großartig zu verstellen. Die Leute sollen dann das in uns reininterpretieren, was sie meinen. Ich will da keinen beeinflussen. Wir versuchen einfach nur, unser Ding zu machen. Da wird sich zeigen, was die Leute so von uns halten.

Es kommt ja auch vor, dass sich Leute für uns ausgeben, was wir persönlich scheiße finden, weil unsere Fans dann total verarscht werden. Das wird ja immer an uns rangetragen, dass es Telefonate gibt, in denen sich jemand für uns ausgibt. Oder Chats mit bestimmten Gästen, die sich für uns ausgeben und so. Das ist eigentlich total der Schwachsinn. Denn wir können nur sagen, dass wir im Internet so gut wie gar nicht unterwegs sind. Und wenn, dann sind wir im Internet, um eMails abzuholen, und haben keine Usernames in irgendwelchem Chat-Krams. Wir sind wie gesagt gar nicht am Chatten. Auch Handynummern geben wir nicht raus. Das ist Verarsche!

Georg: Wir sind höchstens mal im Chats, wenn's offiziell angekündigt ist.

Bill: Wenn wir bei einem Magazin oder so einen Bandchat machen. Dann ja. Aber privat nicht.

Im zweiten Teil des laut.de-Interviews mit Tokio Hotel geht es um das Verhältnis zu US 5, um Hip Hop und um bisexuelle Vorbilder. Er folgt am kommenden Freitag (10.3.), an dem auch die neue TH-Single "Rette Mich" erscheint.

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