9. Mai 2005
"Ich bin heiß auf diese Tour!"
Interview geführt von Nicole MonsMitten in der laufenden Tournee, am Tag nach dem Gig in Malmö, habe ich Gelegenheit, Viktoria Tolstoy einige Fragen zu stellen. Sie ist heiter, hellwach, gut aufgelegt und beantwortet offenherzig meine Fragen für die deutschen Anhänger, die sie – und das hebt sie mehrfach hervor – besonders schätzt. Keine schwedische Höflichkeitsfloskel: sie meint es offenbar wirklich so.
Hej Viktoria - schön, dass du dir die Zeit für laut.de nimmst, trotz deiner Tournee, die auf vollen Touren läuft. Ich will mich auch gaanz ganz kurz fassen ...
Hej du! Ach Quatsch, wir haben Zeit - es ist doch eigentlich sehr schön, zwischen dem vielen Singen mal ein paar Fragen zu beantworten! (lacht)
Dein neues Album "My Swedish Heart" wurde auch in Deutschland von vielen Jazzfreunden ziemlich heiß erwartet. Worin besteht deiner Meinung nach – rein musikalisch gesehen – der größte Unterschied zu "Shining On You"?
Ganz einfach: auf "My Swedish Heart" sind es elf verschiedene Komponisten, und deshalb hat jedes Lied eine ganz eigene Geschichte. Hier gibt's Lieder, die ich auf schwedisch und sogar mit einer Bigband singe, bis hin zu solchen – ich nenn' sie mal "recht nackten" - nur mit Gesang und Gitarre. Ich glaube, wer "Shining On You" mochte, wird "My Swedish Heart" auch lieben, weil die typisch schwedische Tonsprache auf beiden Platten deutlich wird. Also sehr klare, eingängige Melodien und so plötzliche Sprünge von Dur nach Moll ...
Zur Thematik der CD: Inwiefern soll diese Scheibe eine "Hommage" an die großen schwedischen Jazz-Komponisten von Lars Gullin bis heute sein? Wie drückt sich das aus?
Ich habe versucht, die für mich wichtigsten Komponisten in Schweden an einen Tisch zu bekommen. Also solche, die den schwedischen Jazz wirklich vorangebracht haben, aber auch Komponisten wie Börje Fredriksson, eher ein Geheimtipp (grinst wissend). Seine Musik über Schwedens Grenzen hinaus bekannt machen zu dürfen, finde ich besonders reizvoll. Und schwedische Volksmusik zu singen, ist ganz natürlich, weil sich der schwedische Jazz viel Inspiration von dort holt. Diese Platte ist eine liebevolle Ehrerbietung an den schwedischen Jazz und ein ganz großer Teil meines Herzens!
Da wären wir auch schon bei der Besetzung deines aktuellen Ensembles. Nach welchen Kriterien hast du es zusammengestellt?
Ich bin von meinem vorhandenen Trio ausgegangen und habe dann einen Schritt weiter gedacht... hmm wäre bestimmt toll mit 'ner Gitarre... tja, und schon kamen wir auf Ulf Wakinius, Schwedens Stolz an der Gitarre! Selbstverständlich Ale Möller auf den am stärksten Folk-inspirierten Stücken. Er ist zweifellos der Volksmusiker Schwedens und ein musikalisches Genie. Mit der Bohuslän Bigband habe ich schon viele Jahre zusammengearbeitet, und beim Song "Den Första Gång" fiel die Wahl echt nicht schwer: auch das Original hat ja Bigband-Sätze.
Die Bohuslän Bigband – immerhin 16 Musiker - kommt bezaubernd dezent rüber, fast zurückhaltend...
Ja. Eine unglaublich gut eingespielte Band, was kann man mehr sagen?
Man hat den Eindruck, du würdest mit Jacob, Lars, Ulf, Nils etc. schon ewig zusammenarbeiten. Das Team wirkt unheimlich harmonisch und gut eingespielt.
Stimmt. Jacob und ich spielen seit acht Jahren zusammen, wir kennen uns wie im Schlaf. Genauso wie Peter und Jacob, die spielen seit über zehn Jahren zusammen. Aber sowohl Lars als auch Ulf waren neu in dieser Besetzung und es war fast unheimlich, wie nahe wir uns waren – hey, das war fast eine Art Telepathie dort im Studio. Verdammt feines Gehör!
Dieses Mal habt ihr aber nicht bei Polar in Stockholm eingespielt und gemastert. Wieso fiel die Wahl ausgerechnet auf das Nilento-Studio im fast ländlichen Kållered bei Göteborg?
Ich liebe das Land, fühle mich am wohlsten zwischen Pferden und Hunden. Wenn man da steht und singt [Anm.: in den Nilento-Studios], sieht man Pferdekoppeln und herrliche Natur, und dann fließt die Inspiration nur so! Außerdem ist es ein ausgezeichnetes Studio.
Du warst bis zum Debüt-Album "Shining On You" in Deutschland eher unbekannt. Auf einmal kommen viele Leute auf dich zu und interessieren sich sehr für deine Musik. Wundert dich das? Oder falls nicht, was könnte der Grund dafür sein?
Weil Deutschland am besten ist!
Wie bitte? Huch!
Jaa doch! Ihr versteht euch auf Qualität und ihr ZEIGT es vor allem! Jetzt glaubst du vielleicht, dass ich das zu allen sage? Nee nee. Es ist wirklich was Besonderes mit Deutschland. Eine Freude, dort auf Tournee zu gehen und das wunderbare Publikum zu treffen! Hinzu kommt, dass ich die beste Plattenfirma der Welt (ACT) habe, und auch die Firma für das Management - beide aus Deutschland!
Auch in den USA gibt es ein reges Interesse an deiner Musik. Spielt das eine Rolle für dich oder fokussierst du mehr auf Europa?
Zur Zeit konzentriere ich mich hauptsächlich auf Europa, aber bestimmt wäre es cool, eine Tournee in den USA zu machen. Das ist sozusagen in Arbeit. Im Sommer fahre ich nach Kanada zum Montreal Jazz Festival. Ich hoffe doch sehr, dass das ein Anfang für mehr ist 'over there'.
Diese Frage muss sein (grinst): Wie denkst du heute über Monica Zetterlund? Hat sie in bestimmten Dingen Vorbildfunktion für dich? Du wirst ja heute schon von Vielen als ihre "Nachfolgerin" angesehen...
(Denkt kurz nach und lächelt dabei) Hmm .. also, den Titel als Monicas "Nachfolgerin" nehme ich gerne mit großem Stolz und Zärtlichkeit entgegen. Sie hat in all den Jahren viel für mich bedeutet und tut es immer noch. Heute ist sie leider zu krank zum Singen, aber eine der Besten in Schweden überhaupt.
Ich finde es echt ein wenig schade, dass du in einem Album, das schwedischen Jazzern gewidmet ist, nur zwei Songs auf schwedisch singst. Besonders "Grandmas Song" hätte ich viel lieber in der Landessprache gehört, statt auf englisch...
Ach, ich denke, dass zwei Lieder genau das Richtige sind. Für mich ist es wichtig, dass meine Zuhörer verstehen, was ich singe. So habe ich eher das Gefühl, für sie zu singen. Aber man kann nie wissen - vielleicht gibt's in Zukunft mehr auf Schwedisch.
Und zu "Grandmas Song": Ja, den wollte ich einfach mal anders angehen, noch mehr das Amerikanische und das Schwedische vermischen, sozusagen.
Bedeutet die aktuelle Tournee für dich reinen Spaß oder ist sie mit Stress verbunden? Und - wo fühlst du dich wohler: auf der Bühne oder im Studio?
Auf der Bühne fühle ich mich schon am wohlsten, ich bin förmlich heiß auf diese Tournee. Eigentlich das Beste, das ich kenne: Jeder Abend ist anders, die Begegnung mit dem Publikum ist stark, und dafür mache ich es. Platten muss man machen, um auf Tour gehen zu können, so sehe ich das. Und Stress? Ja, klar kann's mal Stress geben. Lange Fahrten, wenig Schlaf, unregelmäßige Mahlzeiten, starkes Heimweh. Aber das ist die Belohnung wert, die man bekommt, wenn man da auf der Bühne steht.
Dann wünsche ich dir bei deiner Tour noch viel Spaß und Standing Ovations! Danke für's Gespräch, Viktoria, und alles Gute für die Zukunft!
Ein riesiges Dankeschön für euer Interesse. Und ich sage nur: wunderbares Deutschland!
Das Interview führte Nicole Mons in schwedischer Sprache.
Noch keine Kommentare