27. November 2009
"Das ist der Todesstoß für Universal!"
Interview geführt von Michael EdeleEx-Sub7even-Frontmann Daniel Wirtz plauscht bei einer Tasse Kaffee am Küchentisch über MySpace als Chance, Selbsttherapie-Formen, Alien-Stoßtrupps und die Verantwortung der Erdlinge.Der ehemalige Sub7even-Fronter Daniel Wirtz hat mit "Erdling" sein zweites Album veröffentlicht. Grundehrlich und von einer gewissen Melancholie geprägt ist der Mann drauf und dran, auch ohne großes Label im Rücken den großen Durchbruch hinzulegen- mit Hilfe des Internets.
Ich treff' mich mit Daniel auf der Grenze zwischen Frankfurt und Offenbach im Studio, wo er und seine Band sich auf die anstehende Tour vorbereiten. Sein Produzent und Kumpel Matthias öffnet mir dir Tür, bringt mich in die Küche und drückt mir erst mal einen Kaffee in die Hand. Wenig später sitzt mir auch schon Daniel gegenüber, zündet sich eine Kippe an und ist bereit zum Gespräch.
Ein guter Freund von mir hat dich mal per MySpace angeschrieben und gefragt, was denn der Spruch auf dem Anrufbeantworter zu bedeuten hat und was der Typ da genau sagt. Das ist ja nicht immer so leicht zu verstehen.
Ja, das war, glaube ich, die am häufigsten gestellte Frage (lacht). Ich wollte so in der Art von Fettes Brot einfach den Effekt haben, dass der Song quasi im Hintergrund läuft und vorne irgendwas reingequatscht wird. Und da die Nummer thematisch ja genau in die Schiene passt, dass ich da einen bräuchte, der über mich abdisst, wollte ich irgendwas ähnliches.
Zuerst wusste ich aber nicht wie, weil selber einlabern is' doof. Ich wollte schon die Badesalz-Jungs anschreiben, ob die das nicht machen wollen. Aber genau zu der Zeit hatte ich dann von einem Kumpel diesen Spruch auf der Mailbox. Der saß mit 'nem anderen Kollegen rotzeblau im Taxi. Dieser andere Kollege hat einen Schmuckladen, in dem man auch so Silberzeug einkaufen kann und der heißt Silberhimmel.
Die wollten beide mit mir einen trinken gehen und da hat der Tom dann diesen Spruch abgefeuert. Und da heißt es hinten raus dann eben, "Du kannst noch nicht mal Schmuck vom Silberhimmel tragen, du Vollfotze, Alda." Das versteht man nicht so, aber das war halt genau das, was ich gebraucht habe.
Ich rief ihn am nächsten Tag an und fragte, ob ich das für meine CD verwenden darf, und er meinte nur: "Wie, was? Ich hab' dich doch nicht angerufen." Der wusste da echt nix mehr von. Ich hab' ihn dann vorbei kommen lassen und er hat sich das etwa 75 Mal im Loop angehört und sich selbst bepisst vor Lachen. Aber das war dann noch 'ne Höllenarbeit, das Ding soweit zu bearbeiten, dass es auf das Band konnte. Das hat sich aber auf jeden Fall gelohnt, wir haben das Teil auch schon als Intro für die Tour verwendet.
Damit haste die Leute halt schnell am Haken. Sowas macht neugierig und dann fragen die nach.
Ja, aber so aus dem Kontext gerissen gab es halt auch einige Leute die meinten: "Was is denn das fürn Arsch? Gib mir mal die Adresse, dann hau ich den weg." Aber, hey! Das is'n Kumpel von mir und wir reden halt so miteinander. Das nimmt das keiner dem anderen krumm. Das hat einfach perfekt gepasst.
Auf jeden Fall. Wirf doch mal einen Blick in meine Review zu deiner neuen Scheibe, dann können wir uns da direkt drüber unterhalten.
(Liest die Review aufmerksam durch und meint dann:) Das mit dem Subway To Sally hab' ich nie so ganz verstanden, aber du hast das in der letzten Review auch schon mal drin gehabt, oder?
Das ist richtig. Es gibt einfach ein, zwei Songs und Momente, in denen sich eure Intonation und die Prosodie sehr ähnlich sind. Die Art und Weise, wie du da die Gesangslinie und die Betonung anlegst, erinnert mich eben an Eric Fish und Subway To Sally. Ich hatte da auch den Eric in meinem letzten Interview mit ihm drauf angesprochen und ihn gefragt, ob ihm dein Name was sagt.
Wir haben mit Sub7even mit denen mal gespielt. Mein Name hat ihm aber nix gesagt, oder?
Ne, anscheinend nicht. Ich würde jetzt aber auch nicht sagen, dass du versuchst, den zu kopieren oder dich an ihm zu orientieren. Es gibt einfach Momente, die mich an Erics Stimme und Art zu singen erinnern.
Dann muss ich bei denen echt mal reinhören und drauf achten. Als wir damals mit denen gespielt haben, war das halt 'ne ganz andere Baustelle. Dieses Mittelalter-Rock-Zeug mir den Klamotten und Feuerspuckerei und allem war schon echt abgefahren, aber ich kam mir auch vor wie auf einem anderen Planeten, weil die im Kettenhemd auch VOR der Bühne standen. Das wurde nur noch getoppt, als ich mal auf dem Wacken Open Air war!
Aber in der Review erwähnst du ja auch die beiden Bonus-Songs, dass die jetzt offiziell mit drauf sind. Das hat den einfachen Grund, dass viele danach gefragt haben. Von der Single "Keine Angst" wurden vielleicht 400 verkauft. Ich fand den Song zu schade dafür, dass ihn nur 400 Leute hören, deswegen ist "Overkill" nochmal mit drauf.
Ich denke jetzt nicht, dass ich damit vielen Fans ans Bein pinkle, wenn der Song jetzt eben für alle Fans auch nochmal auf der Scheibe landet. Und wenn man für die iTunes-Nummer schon mal 90 Cent gezahlt hat, ist das, glaub' ich, auch verkraftbar.
Das denke ich auch. Wie sieht die Sache mit den Onkelz aus? Stephan Weidner hat ja doch eine, ich sag' jetzt mal, vergleichbare Art, sich zu artikulieren. Auch wenn er sich thematisch weitgehend anderen Dingen widmet.
Das auf jeden Fall. Aber ich würde nicht sagen, dass die Onkelz oder Stephan ein großer Einfluss waren. Was mich an den Onkelz immer wieder tief beeindruckt und beinahe umgeworfen hat, war deren Publikum. Diese bedingungslose Treue und wie sie jedes einzelne Wort mitgesungen haben. Das hat mich schon enorm beeindruckt. Mittlerweile hab ich das im deutlich kleineren Rahmen ja auch und es jagt mir jedes Mal noch eine Gänsehaut über den Rücken. Aber textlich würde ich nicht sagen, dass mich Stephan beeinflusst hat.
"Wir sind für jedes Label ein Dorn im Auge"
Warum hast du eigentlich damals die Zelte bei Sub7even abgebrochen und mit Wirtz komplett neu angefangen?Das musste einfach sein. Bei Wirtz muss ich keinerlei Kompromisse eingehen, sondern das bin zu 100% ich. Was ich sage, denke und fühle. Alles geht auf meine Kappe, was natürlich auch ein größeres Risiko mit sich bringt, wenn die Sache schief geht. Aber dann weiß ich wenigstens, wer dafür verantwortlich ist, nämlich ich selbst. Ich hab' da meine Vorstellungen, wie das aussehen muss, und davon will ich eigentlich auch nicht abweichen.
Letztes Jahr hab' ich beispielsweise die Anfrage bekommen, ob ich diesen Bundesvision Song Contest beim Raab machen will. Da gab es von meiner Seite aus ein klares 'NEIN!' Das hat meinen Typen fürs Marketing beinahe an den Rand des Herzinfarkts gebracht (lacht). Der meinte nur: "Hast du sie nicht mehr alle? Wie kannst du so eine Marketing-Möglichkeit wegschmeißen?" Das mag ja schon sein, aber ich hab da doch ein feste Vorstellung davon, wo Wirtz funktionieren kann und das war eben nicht beim Raab.
Wenn ich da Erfolg gehabt hätte, dann wär' das in den Köpfen der Leute immer nur 'Das Ding vom Raab' gewesen, verstehst du? Man sollte nirgendwo auftreten, wo das Produkt eigentlich größer ist, als der Auftritt. Wenn die Peppers da auftreten, dann heißt das: "Wow, die PEPPERS gehen zum Raab." Das ist schon nochmal was anderes. Solange du nicht diese Größe hast, musst du in deiner Größenordnung bleiben, wenn du dir selbst treu bleiben willst.
Dann war die riesen Promo auf MySpace aber auch ein gewagter Schritt. Immerhin wurde der Stream mit dem kompletten Album erst gerade eine Woche verlängert.
Naja, MySpace ist ja das Medium auf dem alles angefangen hat. Folglich hab' ich mich da auf meinem Terrain nur hochgearbeitet. Das war ja durchaus auch ein Kampf, das Video an den Start zu bringen. Da kamen dann auch so Kommentare wie: "'N paar Titten könnten schon drin sein." Woraufhin ich mir ernsthaft Gedanken darüber gemacht habe, die Plattform zu wechseln (grinst), aber nachdem ich das Ding dann allein hochgeladen hatte und innerhalb von ein paar Tagen 15.000 Views verzeichnen konnte, sah man dort die Sache auf einmal wieder anders.
MySpace ist ja trotz der enormen Community irgendwie 'ne kleine Insel. Auf der Tour zum letzten Album hab ich auch jeden Abend gefragt: "Wer sind jetzt eigentlich die Nasen, mit denen ich die ganze Zeit online chatte?" Da kamen dann nur 15 bis 20 Hände hoch, oder sogar noch weniger. Wenn man den ganzen Tag da online ist, denkt man immer, die ganze Welt ist da vor Ort. Aber es gibt auch immer noch Millionen von Leuten, die da nicht angemeldet sind. Woher die mich dann kennen, weiß ich auch nicht. Aber als Promotool möchte ich MySpace auf keinen Fall unterschätzen! Da kann man dann doch auch mal auf der Titelseite sein.
Gerade für Bands ist MySpace heutzutage ein unschätzbarer Dienst! Man kann kostenlos alles auf die Seite packen, was für den Fan wichtig ist.
Auch für den Fan ist das klasse, weil du quasi in deinem Wohnzimmer Kontakt zu deinen Faves hast. So direkt und ohne Umwege gibts das doch sonst nicht. Früher hat dir die Plattenfirma 'nen Sack voll Briefe in die Hand gedrückt, wo du zwei rausgezogen und beantwortet hast. Heute bekommst du direkt die Mail oder das Comment und kannst darauf eingehen. Je mehr du das pflegst, desto mehr danken es dir die Leute.
Wenn ich bei den Foo Fighters auf die Seite schreiben würde: "Hey Dave, wie gehts? Was treibste denn so den Tag über?" Und da käme zurück: "Daniel, ich zisch' grad 'n Bier. Wie kommst du den aus Deutschland auf meine Seite? Alles klar bei dir?" Da würd' ich doch durchdrehen vor Freude. Und wenn mich das so freut, dann kann ich mit jeder beantworteten E-Mail bestimmt auch andere Leute glücklich machen.
Was denkst du, wie lange du das noch so durchziehen kannst? Das werden doch immer mehr, oder?
Klar, mittlerweile wird das massiv viel und ich sag' dann auch schon mal: "Passt auf, wir sind im Studio und proben, da kann ich nicht fünf Stunden am Tag online sein." Das kapieren die Leute dann auch und halten sich ein wenig zurück. Da kommt dann deutlich weniger und das funktioniert dann auch. Ich meine, das sind die Leute, die mich am Laufen halten. Die auf Konzerte kommen, ein, zwei andere mitbringen. Das muss man doch auch auf irgendeine Art honorieren.
Außerdem sind das ja auch weitgehend nette Mails, dich ich gerne lese und beantworte. Normalerweise steht da ja nicht: "Du Vollfotze, was bist du denn für'n Depp!?" Von daher macht man das doch gern (lacht). So, aber wenn ich mir deine Review so anschaue, dann würd' ich als Lehrer sagen: Thema verstanden, sehr schön umgesetzt und dem Rest der Welt auch sehr schön erklärt (grinst).
Na, dann is' ja gut. Wenn ich das bisher Erzählte zur Grundlage nehme, dann hast du mit deiner Musik alle Fäden in der eigenen Hand.
Das ist richtig. Ich und mein Kumpel Matthias, der das Album produziert hat, schmeißen die Sache gemeinsam. Wir haben beide schon einige schlechte Erfahrungen im Musicbiz gemacht und wollten das von Anfang an auf eigene Faust durchziehen. Wir haben hier unser Studio, wir haben unsere eigenen Ideen und haben dann noch das eigene Label ins Leben gerufen. Das war erst mal 'ne Scheißarbeit. Wir haben als Promoter noch einen Mann in Hamburg, aber sonst liegt das alles bei uns. Was Buchhaltung angeht, übernimmt das komplett Matthias, wofür ich ihm wirklich seeehr dankbar bin.
Es haben immer wieder Labels angefragt, ob man nicht bei ihnen veröffentlichen will, und ich hab' mich tatsächlich auch mit zwei, drei guten auf ein Gespräch getroffen. Aber da kam dann auch gleich, dass sie überall mitverdienen wollen. An der Tour, an Shirts, an Dings, an Bums. Da kannste eigentlich direkt schon aufstehen und gehen, weil warum sollte ich das machen, wenn ich im Endeffekt nur weniger dafür bekomme? Die Rechte haste auch für die nächsten 15 Jahre gesehen und auf einmal kommt noch der Spruch: "Ja textlich, da müssen wir an der nächsten Scheibe dann aber auch …" Ok, danke. Lass uns einfach einen saufen und Freunde bleiben. Wobei die drei Jungs, mit denen ich mich getroffen habe, dann auch sagten, dass sie mich voll und ganz verstehen und es genauso machen würden.
Wir sind halt für jedes Label da draußen ein Dorn im Auge, weil wir eben autark funktionieren. Es gibt bestimmt einige Bands wie die Hosen, die Onkelz oder Ärzte, die irgendwann gesagt haben: Wir sind jetzt so fett, wir haben unsere Fanbase, wir machen das jetzt selber. Ich bin mehr oder weniger der erste, der es von Anfang an auf eigene Faust gemacht hat und damit ein gewisses Level erreicht hat. Wenn das jetzt durch die Decke geht, ist das Todesstoß für Universal und wie sie alle heißen, weil es zurecht Nachahmer geben wird. Dementsprechend kann ich die Aufregung verstehen, aber vielleicht muss es mal einen Kahlschlag in dem Bereich geben.
In dem Zusammenhang fallen mir Silber aus Mainz ein. Die haben mit ihrer letzten Scheibe auch versucht, nur mit einem Vertrieb zusammen zu arbeiten und das Album selbst zu veröffentlichen. An sich kein schlechter Ansatz. Ich denke, darin liegt die Zukunft, aber das setzt ein gewisses Kapital voraus. Hast du von Sub7even noch entsprechend Rücklagen gehabt oder musstest du auch erst mal Haus und Kinder verpfänden?
Also wir haben da auch weitgehend Haus und Kinder verpfändet. Oder halt der Matthias Haus und Kinder, und ich mich selbst (lacht). Aber am Ende ist ein Plattenvertrag ja auch nichts anderes als ein Darlehen. Und wenn man sich ausrechnet, was 'ne Auflage an 5.000 CDs kostet, die man im Internet bestellt, die Sachen auf 'nen Server lädt und nach 'ner Woche schön verpackt bekommt, das lohnt sich schon. Die kannste auf Konzerten für sieben bis zehn Euro verkaufen und machst trotzdem noch Gewinn.
Wir haben jetzt natürlich alle Gewinne aus der ersten Scheibe in die zweite gepackt und auch den Darlehensvertrag nochmal erhöht, weil wir ja an das Unternehmen glauben. Aber ein Risiko ist das natürlich schon, das aber jeder eingeht, der sich selbstständig macht. Aber ich glaube an den Künstler, hehehe.
Man tauscht also das eine Magengeschwür gegen das andere ein.
Auf gewisse Weise schon, aber als Künstler ist das doch immer so. Geld verdient man erst, wenn man tot ist, und dann eben auch nur die anderen (lacht). Aber das kennen wir alle schon seit ewigen Jahren. Das wussten wir vorher, aber was nutzt dir das viele Geld? Wenn ich mir die Kommentare durchlese, die ich bekomme, das ist gut fürs Karma und gut fürs nächste Leben. Da brauch' ich nicht viel Geld.
"Das höchstentwickelte Wesen macht alles kaputt"
Wie kommt man auf einen Titel wie "Erdling"?Das steht auf meiner Brust tätowiert.
Hattest du das Tattoo schon davor?
Ja, klar. Ich hatte mir nach der ersten Scheibe überlegt, worum es thematisch auf dem nächsten Album gehen könnte. Das Debüt war sehr ich-bezogen, um den Beziehungsschmerz und all das zu verarbeiten. Dieses Mal wollte ich 'ne Headline, die beschreibt, worum es geht. Da war Erdling für mich das Schlagwort. Was alles damit zusammen hängt, wenn man auf diesem Planten lebt, welche Verantwortung man sich selbst und anderen gegenüber hat. Was sind wir, warum sind wir so, wie wir sind, usw.
Wenn ich von mir ausgehe, dann hat jede Tattoo eine sehr bestimmte und persönliche Bedeutung, und ich hab sie mir stechen lassen, um mich an einen bestimmten Moment oder ein entsprechendes Ereignis zu erinnern.
Das ist bei mir nichts anderes. Sagen wir mal so, wenn ich mal 'ne Sportzigarette zu viel geraucht habe, dann komm' ich ab und zu auf den Trichter, dass ich mir Gedanken darüber mache, warum es überhaupt diese ganzen Streitereien, diesen ganzen Hass in der Welt gibt? Nur weil einer 'ne andere Hautfarbe hat, an was anderes glaubt. Warum bekommt man sich als Mensch ständig nur in die Haare? Das gibt es bei keiner anderen Spezies. (Nicht ganz richtig, auch bei Menschenaffen wurde etwas derartiges schon beobachtet, d.Verf.) Du wirst nie einen Ameisenhaufen sehen, der sich selbst vernichtet. Alles ist im Einklang mit sich selbst, seiner Umgebung, der Natur. Nur das höchstentwickelte Wesen spielt Virus und macht alles kaputt.
Dementsprechend identifiziere ich mich einfach mit dem Zum-Planeten-Gehörenden und versuche entsprechend auch, die Verantwortung mitzutragen, dass das alles funktioniert. Man kann nicht einfach alles kaputt machen, nur um selber ein wenig mehr Spaß zu haben. Zum anderen gibt es am Wort Erdling noch den Aspekt, dass Leute eben anscheinend von Aliens entführt wurden und Experimente an ihnen gemacht wurden. Da dachte ich, wenn ich mal entführt werde ...
... Dann hast du sozusagen die Adresse auf der Brust, oder wie? Das erinnert mich an die alten Popkomm-Tage in Köln, als die Musiker von ihren Labels ein in Folie eingeschweißtes Etikett um den Hals bekamen wo drauf stand: "Bin Musiker, wohne da und da", weil sie in der Regel zu besoffen waren, um das dem Taxifahrer mitzuteilen.
Ja, so in der Art (lacht). Ich hab mir dann auch überlegt, wie sieht das aus, wenn ich da so als Erdling neben 'nem Klingonen stehe, das ist dann eher ein wenig hobbitmäßig, aber was solls? Dann steh' halt dazu, du bist halt nur 'n Erdling. Dementsprechend wollte ich das haben. Zuerst wollte ich es in Englisch auf der Brust haben und mein Tätowierer meinte: "Wenn du das auf Deutsch machst, bekommste es umsonst." Damals war ich mit der deutschen Sprache noch nicht so happy aber das hat sich vor sieben Jahren dann geändert. Und vor zwei drei Jahren, musste das halt dann da hin. Allerdings hab ich es dann nicht mehr umsonst bekommen (lacht).
Aber wenn wir grade bei Aliens und so sind: Ich hab' mir echt mal überlegt, wie es denn wäre, wenn wirklich mal so ein Alienstoßtrupp kommt und uns bedroht. Vielleicht brauchen wir das sogar. Vielleicht vergessen wir dann unseren Kleinscheiß und halten alle zusammen, um uns gegen solch eine Bedrohung zu wehren. Vielleicht erkennen wir ja dann, wie unwichtig unterschiedliche Glaubensvorstellungen und Hautfarben sind. Ok, ich geb' zu, ich war da schon ziemlich stoned und hatte das ein oder andere Glas Rotwein inne, aber das ist so die Entstehungsgeschichte von "Erdling".
Wenn man sich den Text zu "Anderer Stern" so anhört, fragt man sich: Hat der Kerl aus seinen eigenen Fehlern nichts gelernt? Oder arbeitest du da nur nochmal ein ähnliches Thema auf.
Wenn, dann eher letzteres. Es ist schon so, dass der Text im Prinzip die gleiche Situation wie in "Mon Amour" aufgreift, die Sache nun allerdings mit einem gesunden Abstand betrachtet. Man fragt sich halt immer mal wieder, was einen geritten hat, sich so zu verhalten, eine Frau dermaßen auf ein Podest zu stellen und sich zum Affen zu machen. Ich hab die Frau eben irgendwann wieder gesehen und hab mich echt gefragt: "Was zur Hölle hast du dir denn dabei gedacht?"
Deswegen auch die Textzeile "Ich frag' mich, wie tief meine Sonne stand, als ich dich traf, dass ein Zwerg wie du so lange Schatten warf". Man kann einfach nicht mehr nachvollziehen, wieso man sich dermaßen erniedrigt hat, um einer bestimmten Person zu gefallen. Allerdings ist mit Denken ja meist nicht viel los, wenn Gefühle im Spiel sind.
Das ist wohl richtig. Dafür sind deine Texte umso nachdenklicher und tiefgründiger. Manchmal muss man sich ja fast schon Sorgen um deinen Gemütszustand machen. Ist das Schreiben genug der Therapie?
Hm, sehr schwierige Frage. Das Schreiben IST definitiv Therapie. Ob es genug ist? Kann ich dir gar nicht so genau sagen. Bislang eigentlich schon, denn ich war zumindest noch nie bei einem Therapeuten (lacht). Aber ich hab' auch ein gespaltenes Verhältnis zu solchen Leuten. Vielleicht sollte ich es ja mal versuchen. Naja, es ist ja wohl kein Geheimnis, dass ich ein sehr grüblerischer Mensch bin. Je mehr man über Sachen nachdenkt und sie analysiert, desto eher läuft man Gefahr, dass man sich im Kreis dreht, nicht zu einer Lösung oder einem Punkt kommt und sich immer tiefer in irgendeinem Gedankenkonstrukt verliert. Das artet dann schnell in Melancholie oder gar Depression aus.
Das Melancholische liegt mir schon im Blut, ob das noch mehr ist – ich weiß es nicht. Je mehr man sich über das Leben und alles andere Gedanken macht, desto eher kommt man doch irgendwann zu dem Schluss, dass das alles irgendwie nicht viel Sinn ergibt. Die ganzen Kriege, Hungersnöte und anderen Katastrophen. Die Gewalt im Alltag und keine Ahnung was noch ... Wo soll das hinführen? Da erscheint irgendwann alles so sinnlos.
Lass es mich mal so sagen: Wenn jemand für sich entscheidet, dass er seinem Leben ein Ende setzen will, weil er mit sich selbst und weiß der Teufel was sonst noch nicht mehr zurecht kommt, dann gehe ich davon aus, dass diese Person sich das genau überlegt hat und es für sie die letzte Konsequenz ist. Damit ist das eine persönliche Entscheidung, die man auf gewisse Weise respektieren muss. Versteh' mich nicht falsch, ich will hier jetzt nicht sagen, dass Selbstmord eine tolle Sache ist! Ich will damit keinem sagen, dass das ein adäquater Ausweg ist. Aber es gibt durchaus Momente, in denen ich sowas verstehen kann.
Ich denke, dass sehr viele Menschen solche Gedanken schon hatten und ich glaube, dass auch viele Leute, je nach Ausgangssituation, sowas auch in gewisser Weise nachvollziehen können. Aber man stiehlt sich als Selbstmörder doch auch immer aus der Verantwortung, weil man eben fast immer irgendjemanden zurücklässt, der mit der Situation nun allein klar kommen muss.
Klar, genau das ist halt oftmals das Problem. Deswegen nutze ich meine Texte ja nicht nur als Therapie für mich, sondern hoffe, dass ich manch anderem damit vielleicht helfen kann, weil er oder sie sich ebenfalls schon in einer Situation wie dieser befunden hat. Ich habe, wie gesagt, oft das Problem, dass ich ein wenig zu grüblerisch bin. Das macht es hin und wieder etwas schwierig.
Interessant, dass dies auch ausschließlich eine Problematik ist, mit der sich nur Menschen oder vielleicht noch Menschenaffen rumschlagen müssen. Ich hatte neulich erst ein Gespräch mit einem guten Bekannten, der mir sagte, dass sein Therapeut bei ihm kaum Heilungschancen sieht, weil er alles zu sehr hinterfragt. Die besten Erfolge erzielt man anscheinend mit Menschen mit niedrigerem Bildungsgrad, die einfach machen, was man ihnen sagt, ohne alles bis ins Detail aufzudröseln.
Ja, das kann ich mir gut vorstellen. Das ist ja auch eine verdammt schlechte Angewohnheit, wenn man sich über alles Gedanken macht und immer wieder alles hinterfragt. Vor allem Dinge, die man eh nicht ändern kann und mit denen man sich immer wieder nur im Kreis dreht. Man muss dann einfach schauen, dass man den Kopf wieder frei bekommt und sich davon nicht zu sehr in einen Strudel ziehen lässt.
Ich für meinen Teil hab' das Joggen als gute Möglichkeit entdeckt. Da bekomm' ich den Kopf frei, bin draußen in der Natur und komm' auf andere Gedanken. Man sollte halt irgendetwas haben, das einem Halt gibt und auch in schweren Zeiten hilft. Denn im Endeffekt ist ja doch so: Was dich nicht umbringt, macht dich stärker!
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