21. Februar 2017
"Unsere Band ist kein Ort für Politik"
Interview geführt von Jan HassenpflugVor der Show in Berlin trafen wir ADTR-Chef Jeremy McKinnon und sprachen über den Anspruch, sich selbst treu zu bleiben, einen außergewöhnlichen Draht zu Blink 182 und ein Image fernab politischer Statements.
Mit ihrer ureigenen Melange aus Metalcore und Pop-Punk sind A Day To Remember in massentauglichen Sphären gelandet. Trotz der gewachsenen Resonanz haben die fünf Jungs aus Florida an den Stilzutaten für ihr neuestes Werk "Bad Vibrations" wenig verändert. Vor ihrer Show in Berlin treffen wir Band-Oberhaupt Jeremy McKinnon zum Interview.
Jeremy, ich erinnere mich daran, euch das erste Mal bei Rock am Ring 2009 gesehen zu haben, damals noch im Alterna-Zelt mit der "Homesick"-Platte. Hat sich das Gefühl verändert, wenn ihr heute auf die Bühne geht und wisst, in den großen Hallen dieser Welt stehen jetzt tausende Menschen, um eure Songs abzufeiern?
Jeremy: Unsere Wertschätzung dafür könnte nicht größer sein. Dass die Leute in fremden Ländern so heiß darauf sind, uns zu sehen, haut uns regelmäßig aus den Socken. Trotzdem darfst du dich nicht zu sehr davon überwältigen lassen. Sonst geht der Spaß verloren. Es geht darum, den Moment aufzusaugen und jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt.
Viele eurer Hits gedenken der guten alten Zeiten. Vermisst du es manchmal, die kleinen Shows zu spielen und nicht genau zu wissen, wohin der Weg führt?
Na klar. Deshalb bemühen wir uns, das ein oder andere kleine Konzert einzuschieben. Alle paar Jahre spielen wir eine Hometown-Show in Ocala vor etwa 150 Menschen. Wir versuchen diese Dinge so gut es geht beizubehalten, uns für solche Events einzusetzen. Zur selben Zeit ist es einfach aufregend, den Status der Band zu genießen, all diese Erfahrungen zu machen, riesige Festivals zu spielen und zu lernen, was es bedeutet, als Musiker mit einer derartigen Resonanz umzugehen. Es ist immer auch ein Lernprozess, so sehe ich das.
Und auch eine Herausforderung, im Erfolg auf dem Teppich zu bleiben?
Ja, für viele Menschen ist es das. Für uns nicht. Wir sind alle Kumpels, wir haben das aus dem einzig richtigen Grund gestartet: wir wollten Musik machen. Dass das so gut funktionieren würde, konnte niemand ahnen. Das ist cool.
Viele Bands entledigen sich irgendwann ihrer anfänglichen Wut oder Härte, um einen Reifeprozess zu dokumentieren. Auf "Bad Vibrations" habt ihr euch für die entgegengesetzte Ausrichtung entschieden, also einen noch organischeren und kratzigeren Sound aufgefahren.
Genau, wir hatten eine ganz andere Herangehensweise an dieses Album. Bisher haben wir oft eine Art kreative Blase erzeugt, in der jeder nach und nach seinen Input bringt. Ich habe mich damit sehr wohl gefühlt, aber der Rest der Band weniger. Wir sind älter geworden und haben inzwischen den Anspruch, dass alle mit der gleichen Überzeugung dabei sein müssen.
Die Idee war es, unsere Gewohnheiten zu überdenken, uns wie früher gemeinsam an einen Ort zurückzuziehen, ganz im Stile einer Highschool-Garagen-Band, weißt du? Die anderen Jungs haben die härtere Gangart noch mehr im Blut. Bei dieser Art Songwriting schimmert ihr Einfluss automatisch durch. Es war also nicht unsere Absicht, ein hartes Album zu produzieren, aber das waren einfach die besten Songs, die in dieser Zeit entstanden sind.
Gleichzeitig ist es eine Art Statement an eure Fans, so in der Art: "Keine Sorge, wir werden nicht zu sehr ins Poppige abdriften", oder?
Richtig. Wir werden immer das tun, was uns in den Sinn kommt und uns nicht für einen Imagewandel verbiegen. Das ist es, was dieses Album auch transportiert.
Nach meinem Empfinden steckt überhaupt viel Konstanz in eurem Projekt.
Ich glaube schon, dass wir uns verändert haben. Jedes Album steht für sich. Es bleiben allerdings immer diese Kernkompetenzen, die jeder Fan von uns erwartet. Ich denke wir haben uns schon ansatzweise in verschiedene Richtungen vorgewagt, uns aber eben nie komplett neu erfunden.
"Bei Blink war die Atmosphäre familiär"
Vergangenen Sommer wart ihr mit Blink 182 auf Tour. Als ich zum ersten Mal "Downfall Of Us All" gehört habe, fühlte ich mich sofort an eine härtere Blink-Variante erinnert. Ganz offensichtlich gibt es da eine einflussreiche Verbindung. Wie würdest du sie beschreiben?
Sie gehörten zu der Sorte Bands, die unseren Sound geprägt haben. Genauso wie NOFX oder Pennywise zum Teil. Diese Tour spielen zu dürfen, war eine riesige Sache für uns. Und noch dazu, ganz unabhängig davon, dass sie eine ganz große Nummer sind und wir mit ihnen groß geworden sind, hatten wir menschlich einen besseren Draht zu ihnen als zu jeder anderen Band mit der wir je getourt sind.
Du kannst dir nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn dich eine deiner Lieblingsbands auf Anhieb so familiär aufnimmt. Es ist nicht so, dass sie krampfhaft nett sein wollten. Nein, sie sind einfach glücklich mit dem, was sie tun. Das überträgt sich auf authentische Art und Weise. Es war erfrischend, weil wir niemals so eine Erfahrung mit einer größeren Band gemacht haben. Das soll gar nicht negativ klingen. Viele Musiker sind einfach schon so lange dabei.
Du meinst, die Leidenschaft ist irgendwann raus und dadurch ist der Umgang etwas distanzierter?
Genau. Viele betrachten es nur noch als Job, du siehst es ihnen förmlich an. Ich würde das niemandem vorhalten, aber bei Blink war es eben anders.
Eine solche Begegnung führt euch dann endgültig vor Augen, wie weit ihr gekommen seid.
Oh ja, es ist total abgedreht sie auf einer persönlichen Ebene zu kennen. Gefühlt waren sie unser ganzes Leben lang Lichtjahre entfernt.
Mal ganz unabhängig von großen Vorbildern, was ist denn aktuell deine Inspiration aus der härteren Sektion?
Ich denke alle Bands, mit denen Will Putney derzeit als Produzent arbeitet. Dazu zählen Knocked Loose, Kubla Khan oder Thy Art Is Murder. Er hat inzwischen einen ganz eigenen Sound erschaffen, der mich wirklich fasziniert.
Ok, da dringen die richtig düsteren Vibes durch.
Genau. Er widmet sich mehreren Bands, die im Hardcore oder Deathcore verwurzelt sind. Die Art und Weise wie er inzwischen aufnimmt und soundtechnisch produziert, inspiriert mich ungemein. Ich bin ein großer Fan von allem, was er anpackt.
Wäre das nichts für euch, mal mit ihm zusammenzuarbeiten?
Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Ich würde dafür brennen, zumindest mal einen Song mit ihm einzuspielen und zu schauen, wie es klingt. Also ausgeschlossen ist nichts. Wir sind da offen für Neues.
A Day To Remember waren noch nie für politische Statements oder sozialkritische Texte bekannt. Ihr habt euch stets auf persönliche Themen konzentriert. Spiegelt das nicht auch die typische Pop-Punk-Mentalität wieder?
Darüber habe ich noch nie so wirklich nachgedacht. In jedem Fall wäre das nicht beabsichtigt. Aber es stimmt, beim Songwriting habe ich mich immer mehr um persönliche Erfahrungen gekümmert. Ich denke nicht angestrengt nach, worüber ich schreiben sollte. Aus dem Bauch heraus nutze ich die Texte, um mich über all das auszulassen, was mich persönlich zu diesem Zeitpunkt beschäftigt.
Donald Trump beherrscht seit seinem Amtsantritt die Schlagzeilen. Gibt die besorgnisrerregende Situation in den USA Anlass, in Zukunft doch nochmal politische Botschaften einzubauen?
A Day To Remember steht seit Beginn dafür, eine gute Zeit zu haben und die Menschen dadurch mitzureißen. Ich fühle einfach nicht, dass A Day To Remember der richtige Ort ist, um Politisches auszuleben. Wenn du als Künstler ein solches Image verkörperst, dich bewusst für solche Botschaften entscheidest, dann erwarte ich eine Stellungnahme. Aber wenn es um unsere Band geht, dann wollten wir niemals zu ernst sein, sondern einfach diese absolute Unbekümmertheit verkörpern.
Vermutlich ist es genau das, was eure Fans schätzen. Das heißt, solltest du irgendwann Mal in ein anderes Projekt einsteigen, dürfen wir politische Lyrics erwarten.
Auf jeden Fall, wenn es für mich passt. Aktuell habe ich allerdings nichts anderes am Laufen (lacht).
"Bei uns gibt es auch Lagerkoller"
Mit sechs Studio-Alben dürfte es mittlerweile eine echte Herausforderung sein, die Setlist festzulegen.
Absolut. Besonders wenn es um die zeitlich begrenzten Festival-Slots oder ein Set als Vorband geht, stoßen wir auf Probleme. Während der Blink-Tour hatten wir circa 45 Minuten Spielzeit. Dann wird es wirklich abgefahren. Es gibt bestimmte Songs, die man von uns einfach erwartet. Wenn du sie nicht spielst, wird das Publikum ungehalten. Als Headliner hast du diesen Zeitdruck weniger. Da können wir eine richtig ausgewogene Mischung aufbieten.
Oft genug ist es ja auch so, dass Bands nur noch ihr aktuelles Album promoten und Fans vergeblich auf die alten Perlen warten. Da ist die Enttäuschung vorprogrammiert.
Darauf kannst du wetten. Wir versuchen es wirklich abwechslungsreich zu halten. Das ist es, was ich immer will, wenn ich auf ein Konzert gehe. So packen wir vieles an. Wir machen uns bewusst, was wir anstelle der Fans erwarten würden. Im Grunde hat A Day To Remember so begonnen. Wir waren damals verrückt nach Pop-Punk auf der einen und Breakdowns auf der anderen Seite. Warum also nicht beides kombinieren?
Gibt es einen persönlichen Evergreen in eurem Set, auf den du jedes Mal aufs Neue hinfieberst?
Ich habe immer tierisch Bock auf "All Signs Point To Lauderdale". Was die neueren Songs betrifft, so hat "Paranoia" eine ganz eigene Energie, finde ich.
Interessant, ich hätte jetzt eher auf einen Uralt-Kracher getippt, aber vermutlich nutzen die sich auch irgendwann mal ab, wenn man sie so häufig zum Besten gibt.
Es gibt zwei Perspektiven. Einerseits zählt, was dir als Künstler Freude bereitet und andererseits gibt es die Nummern, bei denen das Publikum total ausrastet. So gesehen hat sich "All Signs Point To Lauderdale" als Höhepunkt bewährt. Warte ab, zu Beginn des Songs nehmen die Gesänge im Publikum eine überwältigende Lautstärke an.
Stimmt, das Intro lädt dazu ein. Viele Bands haben irgendwann die Schnauze voll voneinander und gehen getrennte Wege. Eure Truppe ist nun schon seit 2009 zusammen. Warum werdet ihr nicht irgendwann dem Lagerkoller zum Opfer fallen?
Oh diesen Lagerkoller gibt es auch bei uns, glaub mir. Sogar ziemlich häufig, wenn man ständig auf engstem Raum zusammenhängt. Bei uns ist es immer so: Wenn die Luft dicker wird, setzen wir uns hin und reden darüber. Jeder kotzt sich mal kräftig aus, dann geht das auch wieder. Du musst reden. Viele Bands gehen auseinander, weil sie Unstimmigkeiten hinterrücks austragen. Wir bemühen uns Dinge so gut es geht auszuräumen. Deshalb sind wir immer noch zusammen.
Gibt es trotzdem Augenblicke, in denen du denkst: Ok, besser kann es gar nicht werden, das ist viel mehr als wir je erwartet hätten, Zeit die Geschichte zu beenden und etwas neues zu starten?
Bisher habe ich mich noch nie so gefühlt. Wir sind so kontinuierlich gewachsen, ich hatte eigentlich noch nie das Gefühl, als sei unser Weg zu Ende. Sollte sich das ändern, gebe ich Bescheid. (lacht)
Ihr habt noch einige Shows vor euch. Ist an den wenigen freien Tagen auch mal eine Unternehmung drin oder nutzt ihr die Zeit ausschließlich, um runterzukommen?
Wir hängen eigentlich immer nur entspannt zusammen. Ich würde ja gerne mal rausgehen und was machen, aber ich brauche die anderen dann doch mehr um mich herum, als dass ich meinen Willen durchsetzen muss. Deshalb beuge ich mich dann der Mehrheit.
2 Kommentare mit 3 Antworten
"A Day To Remember waren noch nie für politische Statements oder sozialkritische Texte bekannt. Ihr habt euch stets auf persönliche Themen konzentriert. Spiegelt das nicht auch die typische Punk-Mentalität wieder?"
Nein, nein und nochmals ganz entschieden nein. Politische Statements und sozialkritische Texte gehören zu Punk wie Lichtschwerter zu Star Wars, gerade in den heutigen Zeiten mit Trump, Le Pen, Wilder und den ganzen anderen Faschisten.
punk wurde von der industrie zu tode gefickt.
rest well.
Punks not red!
#liebertotalsrot
also, so wenig auch adtr mit punk zu tun haben mögen (ist mir auch egal, mir gefällt deren mukke eh nicht), dass punk politisch ist muss nicht parteipolitisch oder bundespolitisch oder sowas bedeuten. auch kleinere zwischenmenschliche ebenen sind doch politische genauso wie persönliche.
ADTR ist eine tolle Live Band. Ich war schon auf vielen Konzerten/Festivals und bei keiner anderen Band geht es so ab. Absoluter Wahnsinn.
Das neue Album ist gut, hätte aber auch besser werden können.
Gerade die ruhigen Songs sind sehr langweilig. Das war bei "CC" anders. Trotzdem bleiben sie ihrem Stil treu und das finde ich sehr gut