laut.de-Biographie
Abdullah Ibrahim
Der südafrikanische Pianist und Komponist würdigt die Wurzeln des Jazz. Beeinflusst von Duke Ellington, Thelonious Monk und religiösen Hymnen seiner Heimat, beleuchtet Ibrahims Schaffen die afrikanische Tradition des Genres. "Wenn du ein Riff von Count Basie hörst, kannst du manchmal nicht sagen, ob sein Ursprung in Afrika oder Kansas City liegt. Ich denke, das Problem ist, dass die Musikhistoriker, besonders die Jazzhistoriker, diese Dynamik zwischen Südafrika und den Vereinigten Staaten nie verstanden haben", erklärt der Musiker. Ein Blick in Ibrahims Lebensgeschichte illustriert die dynamische Verbindung beider Länder auf vorzügliche Weise.
Der Tastenmann kommt am 9. Oktober 1934 in Kapstadt als Adolph Johannes Brand zur Welt. Er wächst in Kensington, einem der schlimmsten Ghettos Südafrikas, auf. Seine Großmutter betätigt sich in der örtlichen Kirche als Pianistin. Bald findet der Junge in der Musik einen Ausweg aus seinem grauen Alltag voller Kriminalität und Rassismus. Als Siebenjähriger nimmt er die ersten Klavierstunden.
Trotz seines großen Talents bleibt dem fleißigen Schüler ein Studium der Musik verwehrt. Schwarze Studenten sind an den Hochschulen des Landes nicht zugelassen. Brand entschließt sich auf eigene Faust zu studieren. Er übt beharrlich und stillt seinen Wissensdurst in der öffentlichen Bibliothek. Von amerikanischen GIs kauft der Pianist eine stattliche Anzahl Jazz-Platten. Damit kommt er zu seinem ersten Künstlernamen: Dollar Brand.
Mit 15 erhält Brand sein erstes Engagement. Er begleitet die Gesangsgruppe The Streamline Brothers. Anschließend spielt der junge Musiker in diversen Bands. Darunter die Tuxedo Slickers, deren Repertoire afrikanische und amerikanische Tanzmusik umfasst.
Mitte der 50er Jahre schwappt die Bebop-Welle nach Südafrika. Brand verfällt dem neuen, komplexen Sound und gehört bald zu den angesagtesten Beboppern Kapstadts. Inspiriert beginnt er eigene Kompositionen zu verfassen. Was in Szenekreisen für Begeisterung sorgt, gefällt dem Normalpublikum ganz und gar nicht. "Die Leute riefen die Polizei, um mich vom Üben abzuhalten; sie kamen mit Pistolen", erinnert er sich.
Die moderne Spielweise bringt Dollar Brand um profitable Jobs und schließlich auf die Straße. Von nun an pendelt er zwischen Kapstadt und Johannesburg. Dort gründet er 1958 das Dollar Brand Trio. Ein Jahr später soll er ein Konzert der Sängerin Sathima Bea Benjamin begleiten. Die beiden Musiker verstehen sich auf Anhieb und heiraten 1965 in London. Neben der Ehe führt das Paar auch eine musikalisch ertragreiche Beziehung.
Gemeinsam mit dem Trompeter Hugh Masekela, dem Posaunisten Jonas Gwangwa und dem Saxophonisten Kippie Moeketsi ruft er das Septett The Jazz Epistles ins Leben. Die Band legt 1960 mit "Jazz Epistles Verse 1" die allererste südafrikanische Jazz-LP vor. Die Platte wird ein Szene-Erfolg. Jedoch zerbricht die Gruppe schon im selben Jahr, als Masekela und Gwangwa der Sängerin Miriam Makeba nach London folgen.
Dollar Brand verschanzt sich für ein Jahr in einer Kapstadter Garage, in der sich neben einem Bett auch ein Klavier befindet. Oftmals übt er zwanzig Stunden am Tag und konzipiert die ersten Solokonzerte. Unterdessen wächst der Druck des Apartheidregimes. Clubs müssen schließen und Musiker geraten täglich in Polizeigewahrsam. Nach kurzer Zeit kann Brand den Schikanen nicht mehr standhalten.
Er verlässt seine Heimat 1962 mit Sathima Bea Benjamin. Die Künstler fliehen nach Zürich. Dort spielt der Pianist mehrere Gigs im Cafe Africana. Bei einem dieser Konzerte sitzt die Jazz-Legende Duke Ellington im Publikum. Der zeigt sich schwer begeistert und arrangiert für den Neuankömmling innerhalb von vier Tagen eine Recordingsession. Die Platte "Duke Ellington Presents The Dollar Brand Trio" erscheint 1963. Damit erlangt Brand weltweite Aufmerksamkeit.
Auf Ellingtons Einladung zieht der Tastenexperte 1965 nach New York. Neben internationalen Trioshows, bestreitet er fünf Konzerte mit dem Duke Ellington Orchestra. Außerdem frönt er dem neuaufkommenden Free Jazz. Dabei musiziert er mit Koryphäen wie John Coltrane, Pharoah Sanders, Cecil Taylor, Ornette Coleman und Don Cherry.
Um sein Publikum besser zu erreichen beschäftigt sich Brand Ende der Sechziger jedoch erneut mit strukturierteren Stücken. Er fühlt sich als Sprachrohr der unterdrückten, schwarzen Bevölkerung. Trotz erfolgreicher Karriere befindet sich der Pianist zu dieser Zeit in schlechter Verfassung. Alkohol und Zigaretten schlagen ihm gehörig auf die Gesundheit. Nach eindringlichen Warnungen seines Arztes, entschließt sich Brand zu einem Lebenswandel. Er kehrt nach Kapstadt zurück und sucht nach spirituellem Halt. Den findet er im Islam. Dorthin konvertiert der Pianist 1968 und nimmt den Namen Abdullah Ibrahim an.
Die Werke des Tastenmanns weisen von diesem Zeitpunkt auch eine spürbar arabische Prägung auf. Regelmäßig macht er mit Neuveröffentlichungen von sich reden. Darunter 1974 der Song "Mannenberg", benannt nach einem gewaltsam geschaffenen Ghetto der Schwarzen. Das Stück avanciert zur inoffiziellen Hymne der Anti-Apartheid-Bewegung Südafrikas.
Mit einem illegalen Benefizkonzert setzt sich Ibrahim für die Partei ANC ein, die für die Interessen der schwarzen Bevölkerung kämpft. Anschließen flieht er mit seiner Frau und den beiden jungen Kindern 1977 erneut nach New York. Dort bekennt er sich öffentlich zu der politischen Gruppierung und fordert freie Wahlen in seinem Land. Daraufhin löst die südafrikanische Regierung Ibrahims Staatsbürgerschaft auf.
Im Exil produziert der Pianist weitere Alben und bestreitet weltweite Konzerttourneen. Ibrahims afrikanischer Sound beeinflusst Größen wie den Saxophonisten Archie Shepp oder den Drummer Max Roach. In der "Kalahari Liberation Opera" verbindet der Tastenmann 1982 Jazz und Theater.
Auf Einladung Nelson Mandelas kehrt Ibrahim 1990 nach Kapstadt zurück. Nach der friedlichen Beendigung des Apartheidregimes, kann er sich künstlerisch voll entfalten und erweist sich als prägende Figur der afrikanischen Jazz-Szene. Um für eine fundierte Ausbildung afrikanischer Jungmusiker zu sorgen, gründet er die Akademie M7.
Zudem arbeitet Ibrahim mit Big Bands und Sinfonieorchestern zusammen. Gemeinsam mit Daniel Schnyder entwickelt er 1997 die African Suite für Jazztrio und Sinfonieorchester. In Kooperation mit der WDR Big Band entsteht 2009 das Album "Bombella".
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