laut.de-Kritik
Mindestens das wichtigste Album des Jahres.
Review von Anastasia HartleibEs hat drei Hörrunden, fünf Gespräche mit insgesamt neun verschiedenen Menschen, sehr viel Zeit zum Nachdenken und ein Interview gebraucht, bis ich verstanden habe: Adrian Younges "The American Negro" ist mindestens das wichtigste Album des Jahres. Aber der Weg dahin war ... steinig.
Fiese, Steine-in-den-Weg-legende Antagonistin dieser Abenteuerreise: Meine Ignoranz. Die hat nämlich dazu geführt, dass ich das Album immer genau dort missverstanden habe, wo ganz bewusst mit Missverständnissen gespielt wird.
"The American Negro" ist eine Art lyrisches Manifest, unterbrochen durch den glorifizierten, schillernden Soul des Adrian Younge. Auf einfühlsame, mit Melancholie wärmende Sounds folgen hochtrabende Monologe, die bis auf die letzte Silbe gefüllt sind mit Wissen, Wissen und Lyrik. Leichte Kost? Nie und Nimmer.
Und eigentlich geht es bei Younges Album auch gar nicht unbedingt um die Musik. Sie ist lediglich schmückendes Beiwerk für eine Message, die dem Künstler förmlich auf der Seele brennt. Die lautet: INFORMIERT EUCH! Aber bleiben wir noch ganz kurz bei der Musik. Wer sich in Adrian Younges Katalog auskennt, weiß ziemlich genau, was ihn akustisch erwartet. Nicht umsonst liebt der Musiker, Multi-Instrumentalist und ehemalige Jura-Professor die musikalische Ära zwischen 1968 und 1973. Warm und verspielt, mal mehr Jazz, mal mehr Soul, Funk oder Psychedelic Rock - ganz egal was, Hauptsache warm und organisch.
Aber wie gesagt: Es geht eigentlich nicht um die Musik. Sie hilft, die gesprochenen Teile leichter zu verdauen. Denn die sind alles andere als einfühlsam, warm und leicht verdaulich. Laute Signaltöne nach fast jedem Song, denen monotone Sprechchöre folgen, die plakativ proklamieren und scheinbar keinen Raum für Dialog oder gar Widerspruch lassen. Hinzu kommen von Younge selbst eingesprochene Erläuterungen und Erzählungen, die sich einer sehr elaborierten Sprache bedienen. Er fordert und fördert die Findung einer Schwarzen Stimme, benennt Phänomene wie "Double Conciousness" und "Invisible Blackness" (die er hier im Interview übrigens nochmal erklärt), ruft mit ruhiger Stimme nach einer Neubetrachtung der Geschichte, in der sich auch Schwarze Bürger*innen wiederfinden können.
Younge spielt dabei ganz bewusst mit Formulierungen, die bei jenen, die nicht richtig zuhören - und da zähle ich mich selbst dazu - zu Provokation führen. Wie schnell wird aus einer ganz bewusst undurchsichtigen Formulierung wie "All we see are the bulletins that highlight the codes, generating the sectarian DNA string found in all racists" (Grobe inhaltliche Übersetzung: Wir sehen nur Meldungen, die die kulturellen Codes hervorheben, die all diejenigen haben, die den gleichen DNA-Strang aufweisen wie Rassisten) die Annahme, dass hier jemand versucht, alle weißen Menschen als Rassisten zu deklarieren?
Flüchtiges Zuhören und Unwissenheit führen bei "The American Negro" verdammt schnell aufs Glatteis, so viel kann ich sagen. Aber selbst, wer nur mit einem Ohr zuhört und Younges Aussagen falsch verstehen will, merkt - hier steckt mehr dahinter. Eine tiefere Ebene voller Wissen und Perspektiven, die helfen können, die Welt und ihre bizarren Phänomene ein bisschen besser einordnen zu können. Wer will, lernt durch Adrian Younges Album viel über den zyklischen Charakter der Geschichte, über die tiefen Abgründe des Rassismus, über scheinbar unsichtbare Privilegien und über sich selbst.
Man könnte sich wundern, warum Younge mit "Margaret Garner", die ihr eigenes Baby tötete, damit es nicht wie sie in der Sklaverei enden muss, "James Mincey Jr.", der in den Achtzigern in Polizeigewahrsam erstickte und "George Stinney Jr.", der als Jugendlicher die Todesstrafe bekam, weil er in einem ziemlich unfairen Prozess zu unrecht des Mordes an zwei jungen, weißen Mädchen schuldig gesprochen wurde, allesamt tragische Schwarze Schicksale aus den vergangenen Jahrhunderten zitiert. Aber das hat System, denn in Anbetracht des derzeit wachsenden Ungerechtigkeitsbewusstseins zeigt Younge noch einmal gnadenlos auf: Schwarze Männer sterben nicht erst sein ein paar Jahren unter "Obhut" der Polizei. Weiße Menschen verurteilen ihre nicht-weißen Mitmenschen bereits seit Jahrhunderten. Und es wird endlich Zeit, das zu ändern.
So plakativ Aussagen wie "12 of the first 18 Presidents were enslavers" wirken mögen, entsprechen sie doch der brutalen, gnadenlosen Realität: Thomas Jefferson, George Washington oder auch Andrew Jackson waren Sklavenhalter. Allesamt Namen, die auch über die Grenzen der USA hinaus eine enorme Strahlkraft besitzen und zeigen, wie einseitig die Geschichtsschreibung der vergangenen Jahrhunderte aussieht. Und genau das will Adrian Younge: Informieren, zum Nachdenken anregen und so vielleicht dafür sorgen, dass die nächsten Generationen sich nicht mehr mit denselben Problemen rumschlagen muss wie seine.
Ja, "The American Negro" ist anstrengend und verlangt seiner Zuhörerschaft so einiges ab. Aber es lohnt sich, denn am Ende dieses Erlebnisses winken Wissen, persönliche Reifung und die Erkenntnis: Das kann Musik also auch.
7 Kommentare mit 33 Antworten
das cover
vllt sollte sich fr hartleib ab und an etwas schlaf gönnen. 24/7 woke sein scheint nicht gesund
lösch dich
Das, oder mal die Medis neu einstellen lassen.
wie sagte schon Armand Jean du Plessis Richelieu so treffend. "ich lösche mich nie. man löscht mich "
Gesund oder nicht, nie war es einfacher zu den Guten zu gehören ohne Schwitzflecken zu riskieren.
„Wir sehen nur Meldungen, die die kulturellen Codes hervorheben, die all diejenigen haben, die den gleichen DNA-Strang aufweisen wie Rassisten“ - aha. Wenn die Texte auf der Platte auch nur halb so umständlich sind wie diese Rezension, ist die nicht unbedingt eine Empfehlung.
Vllt liegt es aber auch einfach an deiner schwach ausgeprägten Intelligenz.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Das wird es sein. Umso beruhigender zu sehen, dass hier Foristen unterwegs sind, die ihre Meinung fundiert begründen - auch wenn sie dabei weder ohne arg. ad hominem noch ohne alberne Smileys auskommen. Aber was soll’s - jeder nach seinen Fähigkeiten.
Was ist denn daran ad hom? Ich vermute einfach, dass dein rechtsdrehendes Schrumpfhirn nicht leistungsstark genug ist den Text und das Album zu verstehen, mache aber keinerlei Aussage zur Qualität des Albums.
Ich stelle einfach die Behauptung auf, dass Du ein Idiot bist.
" Ich vermute einfach, dass dein rechtsdrehendes Schrumpfhirn nicht leistungsstark genug ist den Text und das Album zu verstehen"
Das ist exakt ad hom.
Ja wieder laut user die sich über wokeness aufregen und sich macguyver zurückwünschen gar kein bock... Vielen Dank für das Review, hatte ich noch nicht auf dem Schirm.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Sich über „Wokeness“ aufzuregen, ist eine ganz und gar nachvollziehbare Reaktion.
sagt wer?
Sagt jeder, der von der moralinsauren Überheblichkeit derer genervt ist, die sich das Etikett "woke" an die Brust heften und sich dabei tatsächlich für fortschrittlich halten.
https://pbs.twimg.com/media/Ew8d5xeXMAEXp9…
Woke oder nicht woke, Musik ist, wie so vieles in dieser Welt, Geschmackssache. Weshalb es nicht hilfreich ist, dieses Werk dogmatisch als das "mindestens wichtigste Album des Jahres" zu deklarieren. Natürlich kann man das gerne machen, sollte dann aber verstehen, dass Andere dem nicht unbedingt zustimmen.
Ich kann weder den billigen Hall-Effekt der Statements zwischen den Liedern ertragen, noch den staatstragenden Pathos. Auch die Musik spricht mich persönlich nicht an. Und dann ist es mir egal, was inhaltlich zum Besten gegeben wird. Aber wie gesagt, das ist nicht schlimm. Ich mag auch Hamilton nicht, obwohl das nicht nur in NY seit einer halben Ewigkeit als der Stein der Weisen gefeiert wird. Das ist ja das Schöne an Musik, für jeden ist etwas (anderes) dabei.
Die Rezension ist als Partikularmeinung interessant, disqualifiziert sich jedoch durch ihren Ton der absoluten Wahrheit und disqualifiziert anders Denkende ab. Und das ist leider nicht inkludierend, sondern exkludierend.
Gescheit ist, wer hier die Ironie erkennt.
Würdest du hier genauso herummeckern, wenn jemand ein Album als das "groovendste Album" des Jahres bezeichnete? Musikrezensionen sind inhärent subjektiv, unabhängig davon, ob es ums Musikalische oder Inhaltliche geht. Literaturdiskurs funktioniert auch nicht anders und da muss auch niemand Warnsticker anbringen, dass das alles ja nur subjektiv ist.
Dass du dich hier ob der Formulierungen besonders echauffiert fühlst, hat also hauptsächlich mit dir zu tun und eventuell wäre es mal lohnenswert, versuchen zu ergründen, warum das so ist, anstatt das eigene Unwohlsein der Rezensentin anzukreiden.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Der Vorwurf ist auch in der Hinsicht doppelt lächerlich, als dass die Autorin in der Rezi ja beschreibt, wie das Album für sie perönlich eine Menge bewirkt hat. Da sollte eigentlich jeder in der Lage sein eins und eins zusammen zu zählen.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
@ Gleep Glorp: Ein wenig viel Schaum vor dem Mund bei der woken Fraktion am linken Spielfeldrand, oder?
@derwatt
Ein wenig zu sehr spekulativ zwecks dumpfer Provokation, oder?
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Ma sagen. Weder Tandeki noch ich haben sich hier eigentlich groß politisch geäußert.
Ja nun. Kaum veröffentlicht man seine Meinung, wird einem vorgeworfen, dass diese nur "herummeckern" sei. Intoleranz der absoluten Toleranz. Nur eines ist gut, ich bin zu alt als mich noch über solchen Kinderkram aufzuregen und betrachte es maximal als "soziologisch interessant".
" Weiße Menschen verurteilen ihre nicht-weißen Mitmenschen bereits seit Jahrhunderten." ich dachte tatsächlich, informiert durch alle 90er Jahre John Grisham filme auf pro7, dass bei strafprozessen in amerika ein geschworenengericht tagt?
"Die Jurymitglieder stammen aus allen Bevölkerungsschichten und stellen einen Querschnitt der Gesellschaft dar, was zur Folge hat, dass die Juryentscheidung (jury verdict) die Gemeinschaftswerte widerspiegelt und auch für die Gesellschaft tragbar und akzeptabel ist" (wiki)
Ist da auch von jeder Trans*Ethnie eine*r dabei?
ich nehme an, im schlimmsten fall, ja
In der Realität gibt es viele Gründe, warum das nicht funktioniert. Siehe hier: https://www.youtube.com/watch?v=1f2iawp0y5Y
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
@Django, ich meine mal aufgeschnappt, zu haben, dass die Koryphäen der Gender Studies von ca 63 Geschlechtern reden. Wird in dem ein oder anderen Gerichtssaal also Zeit, über einen Anbau für die Jury nachzudenken.
EDIT: laut.de Anwärter auf Kommentarfunktion des Jahres, sollte klar sein.
Damit, dass das erste Komma jetzt immer noch nicht stimmt, muss man nun leben.
Es ist in den USA durchaus ein Thema, dass Schwarze von der "Jury Duty" aus Gründen ausgeschlossen werden, die ihrer Hautfarbe zugeschrieben werden können: https://eji.org/reports/illegal-racial-dis…
Umgekehrt hat ein Angeklagter nicht das Recht auf eine bestimmte Zusammensetzung der Jury hinsichtlich deren Ethnien. Insofern ist das ein dauerhaft strittiges Thema. Aber pauschale Behauptungen bringen uns hier auch nicht weiter.
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
Bitte umgehend Selbstlöschung durchführen, crétin.