laut.de-Kritik
Stoff für drei Alben - in jedem Track.
Review von Dani Fromm"Life's a bitch." Nas war bestimmt nicht der erste, dem sich dieser Eindruck aufdrängte. Spätestens seit er die vermeintliche Erkenntnis auf seinem Debüt 1994 in geschliffene Worte packte, plapperte sie aber blockauf, blockab bald Hinz und Kunz nach. Macht es das richtiger? Nö, findet Aesop Rock.
"Life's not a bitch", stellt er in "Daylight" eine gegensätzliche Lesart zur Diskussion. "Life is a beautiful woman. You only call her a bitch because she won't let you get that pussy. Maybe she didn't feel y'all shared any similar interests. Or maybe you're just an asshole who couldn't sweet talk the princess." Leuchtet ein.
Schade nur, dass dieser Gedankengang der breiten Masse weitgehend verborgen bleibt - zusammen mit einer wahren Springflut von Metaphern, Zitaten, pop- und anders-kulturellen Anspielungen, Doppel- und Mehrdeutigkeiten, einem Vokabular von (mittlerweile auch statistisch belegt) rekordverdächtigen Ausmaßen, Aesop Rocks irrem, weil ganz eigenem Flow und den kaum minder eigenen Beats dazu.
Als am 18. September 2001 "Labor Days" erscheint, schaut die Welt noch immer wie gelähmt auf die rauchenden Trümmer des World Trade Centers, in dessen Zwillingstürmen Selbstmordattentäter eine Woche zuvor zwei entführte Passagiermaschinen geparkt hatten. Hat damals überhaupt irgendjemand irgendeinen Gedanken an irgendeine gerade veröffentlichte Platte verschwendet? Keine Ahnung, ehrlich. In meiner Erinnerung haben die Bilder der in einer Staubwolke kollabierenden Wolkenkratzer, die alle Fernsehsender in Dauerschleife ausstrahlten, sämtliche anderen Erinnerungen an diese Tage unter sich begraben.
Fraglich allerdings, ob man allein den Terroranschlägen vom 11. September anlasten kann, dass "Labor Days" so sträflich wenig Beachtung fand. Schon vorher wurstelte Aesop Rock tief, ganz tief unten in Hip Hops Untergrund herum, und auch danach explodierte er nicht so in den Mainstream-Erfolg, wie es seine Fähigkeiten als Rapper, Texter und mehr und mehr auch als Produzent rechtfertigten. Zu kryptisch, zu unzugänglich, zu sperrig für den gängigen Geschmack erschien sein Schaffen wohl, als dass es flächendeckende Verbreitung gefunden hätte.
Für Aesop Rocks Verhältnisse geht "Labor Days" dennoch als Riesenerfolg durch. Sein Debüt "Music For Earthworms" und die EP "Appleseed" veröffentlichte er zuvor noch komplett auf eigene Faust, "Float" brachte er beim Dirty Loop-Tochterlabel Mush Records unter. "Labor Days" markiert nun den Beginn seiner Zusammenarbeit mit Definitive Jux, die in den Folgejahren noch reichlich Früchte tragen soll.
Labelchef El-P mischt sich bei der Gestaltung der Beats nicht ein. Mit wenigen Ausnahmen, die Aesop Rock selbst verantwortet, und dem Instrumental zu "Coma", das Omega One beisteuert, liegt die Produktion komplett in den Händen von Blockhead. Er und Aesop Rock hatten schon zuvor zusammengearbeitet. Eine Ahnung, welche Magie die Kombination von Lyrik, Vortrag und einem Gespür für spezielle, trotzdem unaufdringliche Sounds hervorbringt, könnte also durchaus schon in der Luft gelegen haben.
Die Arbeit an "Labor Days" sorgt trotzdem für Überraschungen, allem voran "Daylight", das sich mit seinem Oldschool-Hip Hop-Zitat, dem prägnanten Bass und der freundlich flötenden Melodie zum Hit des Albums auswächst. "Ehrlich gesagt kam mir der Beat ein bisschen zu soft vor", erinnert sich Blockhead Jahre später in seinem Blog. "Ich habe ganz sicher nicht damit gerechnet, dass Aesop das gefällt."
"Mich hat es fast schockiert, dass er ausgerechnet den haben wollte. Nicht, dass er mies gewesen wäre, es schien einfach kein Beat zu sein, den er mögen könnte. Ich glaube, in dem Moment habe ich begriffen, dass Aesops Geschmack bezüglich meiner Beats niemals offensichtlich war. Mit ein paar wenigen Ausnahmen hat er mich immer überrascht - und das ist eine gute Sache."
Aesop Rock schreibt Verse und Refrain und gibt Anweisungen, die sein Produzent ohne zu fragen ausführt. Blockhead hört die Vocals erst, als sie im Kasten sind. "Ich weiß noch, dass mir durch den Kopf schoss: 'Oh, scheiße ... das hat was!' Als ich die Hook gehört hatte, wusste ich, dass das etwas ist, das keiner von uns je zuvor gemacht hat. Es war nicht wirklich ein Pop-Song, aber es war unser erster, der das Zeug dazu hatte, nicht nur die Untergrund-Rap-Heads zu erreichen. Er schien größer."
Aber noch immer nicht groß genug: "An dem Punkt kam das 'Yes, yes, y'all! You don't stop. Keep on til the break of dawn!' ins Spiel." Die ausgiebigst zitierten Zeilen werden gemeinhin Furious Five-Mitglied Kid Creole zugeschrieben, das hier verwendete Sample entstammt aber einem Track der Digital Underground.
"Ganz ehrlich: Wir haben uns zuerst darüber scheckig gelacht", gibt Blockhead zu. "Es war einfach zu viel, eine Art Hip Hop-Overkill, total abgedroschen. Haben wir beide gedacht. Wir waren aber wohl irgendwie in Scheißdrauf-Stimmung: 'Wenn es je einen Song gegeben hat, um die Klischee-Fahne wehen zu lassen, dann den.' Also haben wir es dringelassen, der Rest ist Geschichte."
"Daylight" hat aber nicht nur die Nostalgiebrille auf. Aesop Rock nimmt außerdem Bezug auf Filme, Videos und Literatur, zitiert Hunter S. Thompson und das Gedicht "The New Colossus" von Emma Lazarus, das den Sockel der Freiheitsstatue ziert. Amerikanische Geschichte trifft den amerikanischen Traum, Comic-Universen kollidieren mit Mythologie, Popkultur begegnet der Hip Hop-Historie: Mehr als genug Stoff für drei Alben springt gerade einmal aus einem einzigen Track.
Der Rest des Albums steht dem in nichts nach. Das fällt auch Nitsuh Abebe auf, der sich für Pitchfork mit "Labor Days" auseinander setzt: "Aesop Rock sagt mehr intelligente Dinge pro Minute als die versammelten Künstlerbestände einer Menge anderer Labels zusammen." Andere Kritiker wirken ob der Fülle von Inhalten dagegen leicht überfordert. So schreibt Dan LeRoy bei All Music: "In manchen Momenten gibt er seinen Hörern einfach viel mehr Informationen, als sich im Rahmen eines Popsongs verarbeiten lassen."
Es sind aber ja eben keine Pop-Songs, sondern Hip Hop-Tracks, in denen neben der Liebe zur Sache eine ganze Menge harte Arbeit steckt. Die wiederum liefert "Labor Days" das Thema, bildet Dreh- und Angelpunkt dieses Konzeptalbums, ist Antrieb und Selbstzweck, vielleicht auch Zwang, zugleich aber das Therapeutikum. Seine Motivation legt Aesop Rock von Anfang an offen: "I work past the surface. I work on what I love. I work to service all my burdons. And I work until this little flat line closes the curtains."
Aesop Rock nutzt eine Unmenge von Bildern, unter anderem um den Zustand der Musikindustrie zu beschreiben. Der wiederum spiegelt nur den Zustand einer Gesellschaft, die zulässt, dass Wenige mit ihrem rücksichts- und skrupellosen Gewinnstreben das Wohl Vieler in den Dreck treten. "Labor Days" hält ein flammendes Plädoyer gegen Ausbeutung und Raubbau und wirbt für den Ausbruch aus dem Hamsterrad, für Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, auch wenn es all das nicht umsonst gibt: "Answer this: When all is said and done are you a memorable trooper or just a lab rat on the run? Choose one!"
Sprengkraft steckt in seinen Worten. Als Vorbild, Revolutionär, Missionar oder - noch schlimmer! - Retter des Genres versteht sich Aesop Rock aber keineswegs. Insbesondere letzterer Sorte empfiehlt er "Aesop Rocks twelve steps shut the fuck up seminar", wo er den Teilnehmern ein schwungvolles "Save Yourself" um die Ohren haut. Es gibt nix zu retten, Hip Hop geht es blendend. "Labor Days" liefert einen stichhaltigen Beweis.
Zugleich dokumentiert die Platte die eklektischen Interessen ihrer Urheber. Die umfassen Dante und Douglas Adams, Baseball und Skate-Videos, Run DMC, Dolly Parton und Boogie Down Productions, "Toy Story", "Star Wars" und Blaxploitation-Kino, Orwell, Melville und Bradbury, den Jabberwocky und den Zauberer von Oz, Lee Scratch Perry und Gil Scott-Heron - um nur die alleroffensichtlichsten Bezüge zu nennen.
Übersichtlich bleiben lediglich die Gastauftritte: Für "One Brick" kommt Illogic zu Besuch. C-Rayz Walz ist gleich zweimal zu hören: einmal per Sample in "Boombox", leibhaftig dann in "Bent Life". Das hieß ursprünglich einmal "Thorns" und entstand zusammen mit Slug und Eyedea. Aus Gründen, die Blockhead nicht mehr rekonstruiert bekommt, lag der Track allerdings so lange auf Halde, bis keiner der Beteiligten mehr mit seinem Part zufrieden war. Er musste also hastig neu aufgenommen werden, C-Rayz Walz war verfügbar und sprang ein.
Weniger verfügbar: der Herr Produzent selbst. "Eigentlich musste ich nur die Floppydisks bei Aesop zu Hause vorbeibringen, das war alles", so Blockhead. "Für die meisten Profis: keine große Sache. Arschloch, das ich war, habe ich mich in der Nacht davor aber komplett zerstört. Ich glaube, besoffener und kaputter war ich nie. Ich hab' bei einer Party eine Flasche Captain Morgan's getrunken und zwei Blunts geraucht und dann dort in der Küche vier Stunden lang in die Spüle gekotzt. Ich war ein Wrack, ich habe keine Ahnung, wie ich nach Hause gekommen bin. Beim Aufwachen ist mir dann siedendheiß wieder eingefallen, dass ich ja zu Aes muss."
An konstruktive Mitarbeit war nicht zu denken: "Als er gemerkt hat, in welcher Verfassung ich war, war ihm, glaube ich, klar, dass es besser war, dass ich gleich wieder gegangen bin. Ich hoffe, ich hab' mich wenigstens entschuldigt, aber ehrlich gesagt kann ich mich noch nicht einmal erinnern, ob ich an diesem Tag in meinem Körper war. Ich weiß nur noch, dass ich heimgegangen bin und weitergekotzt habe. Seltsam genug, dass, wenn ich heute 'Labor Days' höre, 'Bent Life' einer meiner Lieblingstracks ist. Denkt da mal drüber nach."
Ähnlich wie Cannibal Ox' "The Cold Vein" wenige Monate zuvor reitet "Labor Days" einen Tsunami verschiedenster Querverweise in die teils abstrusesten Richtungen. Eine Parallele, die auch dem Kollegen bei Pitchfork ins Auge springt: "Wenn 'The Cold Vein' klang wie das Geräusch einer undurchschaubaren Maschine, wartet 'Labor Days' ein paar Hundert Jahre, bis Moos und Ranken diese Maschine überwuchert haben."
Will meinen: Blockheads Faible für Weltmusik und Folk, das an allen Ecken und Enden durchschimmert, beschert dem Album eine wesentlich organischere, wärmere, weichere Ästhetik, einlullend und irritierend zugleich. In "Save Yourself" klackert es, als klimpere jemand mit einem Stöckchen über die Knochen ausgebleichter Gerippe. Spooky? Alles eine Frage der Perspektive: "There's smoke in my iris but I painted a sunny day on the insides of my eyelids." Schönfärberei? Kein Stück. Eher spricht aus Aesop Rock das Bestreben, jeder Erfahrung einen Nutzen abzutrotzen, gerade den schmerzhaften:
"Well it appears the scars of learning have spoken. Some are burning, some have frozen, some deserve tall tales, some wrote them, some are just a brutal repercussion of devotion. Mine are all of the above 'cause everything leads to erosion." Am Ende wartet der Tod auf uns alle, keiner kommt davon. Nur sinnvoll also, seine Zeit so zu gestalten, dass es am Tag der Abrechnung möglichst so wenig zu bedauern gibt wie für die Protagonistin aus "No Regrets":
Aesop Rock illustriert das nicht reibungslose, aber erfüllte Leben seiner eigenwilligen Figur anhand dreier Episoden. Ich möchte beinahe wetten, dass die Produzenten, die der Serie "Six Feet Under" das denkbar gelungenste Finale bescherten, ihre Claire Fisher nach Lucys Vorbild verabschiedet haben. Dass hier jemand genauso gut über sich selbst geschrieben haben könnte, hat erst "Rings" vom aktuellen Album "The Impossible Kid" vor Augen geführt, in dem Aesop Rock - allerdings im Gegensatz zu seiner Lucy durchaus mit spürbarem Bedauern - seine inzwischen aufgegebenen Ambitionen als bildender Künstler thematisiert.
Auch Blockhead zeigt sich rückblickend nicht ganz frei von Reue: Ihn wurmt der fehlende Wumms, den er mit seinen zu Beginn des Jahrtausends noch äußerst beschränkten technischen Aufnahmemöglichkeiten entschuldigt. Daran liegt auch, dass es außer zu den Singles "Daylight", "Coma", Boombox" und "Labor" keine Instrumentals gibt: "Deswegen wirst du Aes manche Songs von diesem Album niemals live aufführen sehen. Weil die Beats einfach nicht existieren."
"Wenn man all das bedenkt, ist es doch ganz gut geworden", redet Blockhead die eigene Arbeit klein. "Ich kann mir 'Daylight' aber einfach nicht anhören, ohne mir zu wünschen, ich hätte bessere Drums reingepackt." Mit "ganz gut geworden" sichert er sich trotzdem nur die Silbermedaille im Das-eigene-Licht-unter-den-Scheffel-stellen. Gold in dieser Disziplin holt Aesop Rock selbst, der gegenüber ALL GOOD unlängst kund tat: "Ich finde nicht, dass mir irgendwas besonders gut gelingt." Einspruch, Mr. Bavitz. Ich finde das wohl.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 3 Antworten
Hammer Album! Hab das hier auf Vinyl liegen, höre es immer mal wieder gerne an.
Dass es zu Boombox kein Instrumental gibt halte ich allerdings für ein Gerücht. Gibt eine 12 Inch Single davon, wo das Instrumental drauf ist, falls es kein Remix sein sollte. Kann ich aber nachschauen, die liegt hier auch noch rum
hö? das steht da doch:
"Daran liegt auch, dass es AUSSER zu den Singles "Daylight", "Coma", Boombox" und "Labor" keine Instrumentals gibt."
Oh, tut mir Leid Das habe ich falsch gelesen bzw überlesen.
kein ding. jemand, der diese platte auf vinyl besitzt, kann kein schlechter mensch sein.
Ich finds ja sehr schade, dass er kaum noch über Blockhead Beats rappt. Mit dem neuen Album konnte ich irgendwie nicht so viel anfangen, mir liegt dieser entspanntere Sound von Float und Labor Days deutlich mehr. Schöne und angebrachte Meilenstein-Rezi auf jeden Fall.
Blockhead macht übrigens auch noch nach wie vor wunderbare Musik, auch wenn hier schon lange nix mehr davon besprochen wurde.
Danke, dass Ihr die Matrix (911) nochmal wiedergebt und somit dem System zuarbeitet. Nach 15 Jahren und viel Recherche kann man eigentlich etwas anderes erwarten, siehe Focus vor einigen Jahren:"Wir glauben Euch nicht".
Der Typ hat eine kack Stimme.