laut.de-Kritik
Eines der schönsten Cover des Jahres.
Review von Giuliano BenassiDas Cover ist ein echter Blickfänger. Die Suche im Gedächtnis nach antikem Schulwissen ergibt das Wort "Marat". Tatsächlich – das Internet hilft weiter. Es handelt sich um die Abwandlung eines Gemäldes des Franzosen Jacques-Louis David, das den Anführer der Jakobiner, Jean Paul Marat, unmittelbar nach seiner Ermordung im Jahr 1793 darstellt. Blut ist hier keines zu sehen, die Neigung des Kopfes (Andrew Bird) ist auch anders, doch das sind schon fast Details. Statt "J Marat" steht auf dem Holzblock "A Bird", statt "David" "MFWY", die Abkürzung des Titels.
Jener klingt auf den ersten Blick reißerisch, ist aber wohl eher ironisch gemeint, denn seit dem Beginn seiner musikalischen Laufbahn in den 1990er Jahren hat der Mann aus Illinois 15 Alben veröffentlicht, darunter zwölf unter eigenem Namen. Womöglich spielt Bird darauf an, dass er nach den eher experimentellen Scheiben der letzten zehn Jahre nun wieder etwas "konventioneller" daher kommt.
Gerade der Klang ist das zweite außerordentliche Merkmal dieses Albums. Bird hat in der Vergangenheit diesbezüglich einiges ausprobiert. Diesmal ging er mit seiner Band zu Barefoot Recordings nach Los Angeles und orientierte sich mit Produzent Paul Butler an der Arbeitsweise Rudy Van Gelders. Der war ein maßgebender Tontechniker im Jazz-Bereich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Statt die Musiker unabhängig voneinander aufzunehmen, um dann die Spuren am Mischpult zusammenzufügen, spielten alle gleichzeitig im selben Raum. Ein Live-Setting, das durch die besondere Aufstellung der Mikrophone eine bemerkenswerte Tiefe und Wärme besitzt.
Als Hörer fühlt man sich so mitten im Geschehen, fast schon eingelullt. Dass die Texte düster ausfallen, ist Teil von Birds Konzept. "Ich finde den Gedanken interessant, dass unsere Feinde unser Wesen vollenden. Im ewigen Kampf mit unserem persönlichen Gegner entsteht eine gemeinsam empfunden Intimität. Würden unsere Feinde uns vermissen, wenn wir uns plötzlich abwenden? Wie sind wir zu diesem Punkt gekommen und wie können wir uns durch das Bewusstsein dafür vielleicht von dieser Todesspirale befreien?", fragt er.
Ein tatsächlich interessanter Gedanke, der zu einem interessanten Ergebnis führen müsste, würde nicht ein wesentliches Element fehlen: Die musikalischen Ideen. Bird pfeift und singt und bedient seine Geige mit unterschiedlichen Techniken, gut unterstützt durch seine Band mit Gitarre, Klavier, Orgel, Perkussionen und Kontrabass. Doch von seiner Mischung aus Folk, Indie-Pop und Jazz bleibt erstaunlich wenig hängen, egal ob fröhlich scheppernd wie im Opener mit dem sperrigen Titel "Sysyphos" oder verspielt nachdenklich wie im folgenden "Blodless", das Bird als erstes Stück für dieses Album schrieb.
"I know it's hard to be an optimist / When you trust least the ones who claim to have the answers", singt er dort, entsetzt vom Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen 2016 und den ersten Monaten des neuen Amtsträgers. Die Bösen haben die (falschen) Antworten, während die Guten dem nichts entgegenzusetzen hätten, denn sie seien ausgeblutet, erläutert Bird im Stück. Das sei hoffentlich nur eine momentaner Zustand, denn irgendwann wird das Gute wieder die Oberhand gewinnen und wie die Mittagssonne strahlen.
Lautet so das richtige Rezept gegen Populisten, Rassisten, Sexisten und dergleichen? Reicht es wirklich, den Feinden den Rücken zu kehren und ihnen so die Macht zu entziehen? Schön wäre es.
Schade, dass sich "My Finest Work Yet" als Kandidat für das Cover des Jahres und den einen oder anderen interessanten Denkanstoß empfiehlt, musikalisch aber nicht gänzlich überzeugt.
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