laut.de-Kritik

Flüchtige Glücksgefühle auf der Suche nach Identität.

Review von

"Cause I was born to fly, but, baby, I would die to run.". Die Zeile aus "Vampire Diaries" bleibt hängen, weil sie so treffend den Wunsch beschreibt, zur Basis zurückzukehren. Genau darum geht es mgk aka Machine Gun Kelly mit "Lost Americana". Weg von überdimensionierten Erwartungen, großen Träumen und dem damit verbundenen Druck, hin zu mehr Freiheit.

Die Suche nach dem Geist eines ganzen Volkes, nach der ureigenen Identität, die Amerika nicht zuletzt dank Donald Trump schon viel zu lange begleitet, wird zum Leitmotiv des siebten Studioalbums. Für mgk verbirgt sich irgendwo zwischen Highschool-Pop Punk und unaufdringlichem Radio Pop ein Stück verloren geglaubte DNA. Zugegeben, mit Bob Dylan als unantastbarem Fürsprecher im Albumtrailer gewinnt diese Mission schnell an Überzeugungskraft. Beste Voraussetzungen also für eine Heldenreise im Zeichen des amerikanischen Traums.

Und womöglich nur Taktik, dass die Platte gleich mit Britpop loslegt? Zumindest beamt einen "Outlaw Overture" mit vorwärts gerichtetem 80er Beat, wildem Gitarren-Picking und energischem Akzent eher auf die Insel als ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten. So schnell lässt sich eine falsche Fährte legen. Noch im gleichen Track folgt nach etwa drei Minuten ein harter Bruch. Wie aus dem Nichts leitet die Western-Gitarre über zum zweiten Teil, der den Song völlig entfremdet vom Einstieg austrudeln lässt. Von hier an regiert der Country-Vibe, wahlweise poppig, folkig oder rockig in Szene gesetzt.

Wie unverschämt eingängig das klingen kann, stellt "Cliché" unter Beweis. Der Beat versetzt den Körper in Sommerlaune, lässt dem Rhythmusgefühl keine Ruhe, ehe der Chorus endgültig euphorisch auf und ab hüpft. "It sounds cliché.", aber wirklich schick verpackt. Schließlich hat der Song nie etwas anderes vor, als das amerikanische Klischee von naiver Romantik zu rezitieren. "Your name is in neon light in the sky when darkness surrounds us. Let's leave this town, get married, go to Vegas and create nostalgia". Das bewusste Spiel mit Bildern wie diesem verhindert einen plumpen Eindruck. Wäre auch schade drum, denn der Track macht Spaß und schwingt sich nicht grundlos zum Hit der Platte auf.

Was wäre Amerika ohne Rockmusik? "Don't Wait Run Fast" richtet sich druckvoll auf und überlässt den verzerrten Gitarren die Bühne. Auf der Flucht vor dem Alltag und der drohenden Prokrastination will der Highway schließlich im Sturm erobert werden. Natürlich funktioniert der Anflug von Gitarrenmusik nur als Stilmittel, während der weitere Verlauf maximal weichgespült, unaufdringlich und sogar tanzbar ausfaded. Das ist ok. Auch "Goddamn" gehört samt der eingängigen Gitarrenfiguren in die Kategorie 'Pop-Rock der besseren Sorte' und gibt trotzig eine Runde Identifikation für alle aus. Auf einer sehr oberflächlichen Ebene kommen amerikanische Glücksgefühle auf. "Chasing good times 'til we die, motherfucker."

Bevor die Platte sich im Belanglosen verliert, hebt "Vampire Diaries" noch mal die Hand. Sollte so nicht der Pop Punk klingen, der die 2000er im Stile eines "American Pie"-Films abfeiert? Dass sich der Herzschmerz-Nonsense im Vampir-Kosmos abspielt, tut der Nähe zu Blink 182, Sum 41, All Time Low und Konsorten keinen Abbruch. Wieder geht es darum, auszubrechen aus einer vorgefertigten Rolle, Zwänge hinter sich zu lassen und die Freiheit abseits der Fantasiewelt kennenzulernen: "There's so much I haven't seen, don't let me rot inside this town.". Unmöglich, sich von dieser Aufbruchsstimmung so gar nicht anstecken zu lassen.

Genießt es, falls ihr bis hierhin noch angetan mitgehen konntet! Entgegen des Titels beginnt sich die anfängliche Euphorie mit "Miss Sunshine" nämlich zu verflüchtigen. Ein tristes Grau macht sich am Himmel breit. Die Melodien verkommen zum Hintergrundrauschen, die Rhythmen zur Kirmesschunkellei. Nicht nur wegen des augenzwinkernden Wortspiels weckt "Sweet Coroline" passende Assoziationen.

Zwar mit mehr Substanz, aber ähnlich ziellos, erinnert sich der Texaner in "Indigo" oder "Tell Me What's Up" nochmal an seine Wurzeln im Hip Hop. Melancholische Gedankenschleifen verlieren sich in einer Seifenblasenwelt und stoßen die Tür zu den wirklich schweren Themen auf: "Cause one day we're hangin' out / The next day you're hangin' from a rope, uh." Harter Tobak, der sich in diesen Momenten vorsichtig abhebt vom Mainstream-Radio-Pop.

Während die beiden Rap-Reminiszenzen noch Persönlichkeit zwischen den Zeilen vermuten lassen, schmückt sich ein Track wie "Starman" komplett mit fremden Federn. Um die "American Pie"-Saga endgültig heraufzubeschwören, wird der Chorus von Third Eye Blinds "Semi Charmed Life" einfach schablonenhaft neu aufgelegt. Die sonnigen Referenzen an das Leben an der Westküste können nicht verdecken, dass hier endgültig nur noch einfallslos die Tracklist aufgefüllt werden will. So ein bisschen "Iris" (Goo Goo Dolls) lässt sich übrigens auch in der flachen Highschool-Romanze "Can't Stay Here" raushören.

Von hier an geht es eigentlich nur noch krampfhaft darum, gefühlsduselig abzuschließen. Mal mit Piano, mal mit Akustik-Gitarre, gehört das Finish den großen Emotionen. Davon kommt nichts mehr an. Es scheint, als ob sich die Suche nach der Essenz amerikanischen Seins schwieriger gestaltet. Zu Beginn überwiegt die Neugierde, die Abenteuerlust und die Hoffnung darauf, Freiheit zu finden. Was bleibt, ist die Orientierung an den Geistern der Vergangenheit. Um Halt zu finden, braucht es mehr.

Trackliste

  1. 1. Outlaw Overture
  2. 2. Cliché
  3. 3. Don't wait Run Fast
  4. 4. Goddamn
  5. 5. Vampire Diaries
  6. 6. Miss Sunshine
  7. 7. Sweet Coraline
  8. 8. Indigo
  9. 9. Starman
  10. 10. Tell Me What's Up
  11. 11. Can't Stay Here
  12. 12. Treading Water
  13. 13. Orpheus

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