laut.de-Kritik
Der Teufel, wie man ihn kennt.
Review von Franz Mauerer(DJ) Hell ohne Kooperationspartner: gute Nachricht. Nichts dagegen, wenn Musikkünstler bildend arbeiten wollen, aber dafür haben wir nicht genug guten deutschen Techno, als dass einer seiner Spitzenvertreter ständig andere Sachen machen könnte. Der Bayer Geier macht auf "Neoclash" genau den und er macht ihn wie die Made im Speck. Das Album ist nicht "nur" gekonnt oder gar routiniert, es strahlt ausgiebige Spielfreude in die Gehörgänge.
Zwar verändern Songs wie der Opener "Bang In The Box" nicht das Flussbett des Elektros, aber vielleicht fällt euch in meiner Kolumne, in der Hell natürlich schon zur Sprache kam, auch immer mal wieder auf, dass ich relativ viel an den Rändern grase. Das ist einerseits verständlich: Interessierte Künstler sind interessante Künstler und die leben nun mal bäuchlings spitzend auf dem Tellerrand. Andererseits liegt es aber auch an einer zumindest von mir bilanzierten qualitativen Eintönigkeit. Guter Techno ist mechanisch, aber nicht schematisch, das vergessen viele. "Neoclash" ist guter House-infizierter Techno und zwar werdet ihr das nicht in ein paar Jahren raussuchen, um es eurer Szeneprinzessin in spe angeber- und kennerhaft vorzuspielen, aber ihr werdet tanzen und lächeln, wenn das jemand anderes tut. Laut Pressetext soll das irgendwie auch Electroclash sein, das sehe ich anders. Mögen Puristen hier vielerlei Spielarten heraushören, natürlich, aber Techno wird immer House-Elemente haben und Detroit nach Chicago schauen etc pp. Subgenres von Techno sind formelle Blaupausen und Erklärungen für geographische Entwicklungen, mehr nicht, und das zeigt dieses Album ganz gut auf.
Nachdem nun eigentlich alles über "Neoclash" gesagt ist, gehen wir trotzdem die Tracks durch und erklären nochmals, warum das alles so gut ist. Übrigens stimmen die Promo-Tracklists zwar mit dem Endergebnis überein, die der Vorabversion aber nicht; da wurde wohl einiges geschoben; um ehrlich zu sein, mochte ich die alte Anordnung, die sich viel organischer anfühlte, lieber. "Bang In The Box" gibt weiterhin einen exzellenten Opener mit seinem schönen, klaren Aufbau. Die Hölle lebt auf dem Dancefloor, daran lässt der trockene, aber angenehm verwischte Track keinen Zweifel. Im zweiten Teil schimmert die Berliner Clubszene munter durch, was "Purple People" nicht aufnimmt. Das Prince-Sprachsample (von 1986, wenn ich mich nicht täusche) lässt Luft ab, der neuneinhalb Minuten lange Song baut wieder auf, was der Opener längst etablierte. In seiner ersten Hälfte der schwächste Song des Albums, übernimmt dann ein kompetenter, verspielter Beat.
"W.T.F" hat seinen Reiz, den es aber nicht über sieben Minuten halten kann und zum Ende hin eher enerviert als hypnotisiert, vier hätten gereicht. "This Is Important" zeigt zum wiederholten Male auf diesem noch jungen Album, dass es Hell nicht um den kommerziellen Erfolg geht, so sehr er auch Tanzmusik macht. Ein sperriges Ding mit einem Haufen Elementen, das in verschiedenen Phasen von immer etwas schiefen Synthesizer- und Keyboardfiguren getragen wird. Die Drums scheinen auf den ersten Blick zwar wenig irritiert, tatsächlich dürfen sie aber nur auf der Oberfläche marschieren, die ihnen der darunter liegende Track gerade anbietet. Ganz interessant. "Planet Earth" trieb meine mithörende Freundin in den Wahnsinn, aber anders als "W.T.F" führe ich das nicht auf eine Eintönigkeit zurück, sondern krame meinen alten Spruch heraus: Guter Techno muss sich Feinde machen. Wenn du schon samplest, dass es keinen Planeten Erde gäbe, dann muss diese wichtige Nachricht auch in den Schädel bohren, bis es dort widerhallt, und das funktioniert hier.
Auf "Medusa" gelingt das mit dem Sprachsample viel besser, die kühle Atmosphäre vibriert vor stroboskopischem Flackern. Der Track hält genau die Balance aus Eindringlichkeit und Wandel, kann man sich sehr gut griffig auf Club-Lautsprechern vorstellen. "Why?" spielt mit zwei Gesangssamples von Joyce Muniz; zum einen einem wortlosen Ausstoßen, zum andern mit der titelgebenden Frage. Drum herum fährt Hell mal so richtig Achterbahn, ein atemloses dichtes Fahren auf der linken Spur. Exzellent komponiert, hier greift alles ineinander, jede Fuge stimmt. "N°1" nimmt Tempo raus, erneut unglücklich platziert, denn eine Atempause schien nicht notwendig. Zumal die Nummer Uno lange sehr distanziert bleibt und man dem Track viel Raum geben muss, bis er seine absolut vorhandene Magie entfaltet. Zu Beginn stellenweise skelettiert, haucht der DJ eure Brillengläser an, bis aber jedes Staubkörnchen restlos weg ist. Dabei gelingt ihm eine Ablenkung par excellence, der Track schleicht sich in Herz und Hirn, dass es eine Freude ist.
"Nation Of House" bewegt sich wohl tatsächlich an der Grenze von House und Techno, leidet aber primär daran, dass das zugrunde liegende Sprachsample einfach nicht besonders schmissig ist. Das weiß der Produzent vielleicht auch, weshalb er es nach einem Drittel dermaßen zerwichst, dass die Fetzen nur so fliegen – danach fehlt es aber an Ideen für den Rest der Spielzeit. "The Rain" schielt zu offensichtlich auf die 80er, ohne seinen offenkundigen Referenzen neue Projektionsfläche bieten zu können, Albumtiefpunkt und Fremdkörper.
Den macht "Outline" schnell vergessen, man kommt aber nicht ganz umhin zu denken: Das ist der Rausschmeißer. Über acht Minuten wird alles an Instrumenten noch mal angedeutet, ohne ein einzelnes durchzuexerzieren. Der Song lässt sich Zeit, nimmt gekonnt Luft raus und zieht am Schluss durch, so dass alle mit einem guten Gefühl gehen – aber da ist noch "It's No Way Back". In dieser seltsamen Reihung schon wegen seines Vorgängertracks ein Fremdkörper, ist der energetische und melodiöse Song ein Kuss mit der Zunge, keine Gute-Nacht-Verabschiedung. Aber er ist halt primär gut und das trifft auf das über 80 Minuten lange "Neoclash" in seiner Gesamtheit zu.


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