15. Dezember 2015
"Die Narben spürt man sein ganzes Leben"
Interview geführt von Kai ButterweckBaroness waren im Jahr 2012 ganz oben. Dann sorgte ein tragischer Busunfall für eine längere Band-Auszeit. Jetzt kehren die Sludge-Metaller mit ihrem vierten Album "Purple" zurück.
Vom Szenetipp zum Verkaufsschlager: Mit "Yellow & Green" brachten die Sludge-Metaller von Baroness im Sommer 2012 ein Album an den Start, das ihnen weltweit unzählige Türen öffnete. So manch namhafte Musikredaktion hievte das dritte Album der Band sogar auf den Jahresthron. Es lief also alles wie geschmiert für die Herren John Baizley, Peter Adams, Matt Magioni und Allen Blickle.
Dann kam der 15. August 2012; ein Tag, der alles verändern sollte. In England auf Tour, kommt der Bus der Band bei regennasser Fahrbahn von der Straße ab und stürzt eine Böschung hinab. Wie durch ein Wunder verliert keiner der Insassen sein Leben. Alle neun in den Unfall verwickelten Band- und Tourmitglieder müssen allerdings mit teils schweren Verletzungen in die umliegenden Krankenhäuser eingeliefert werden.
Während die meisten Involvierten mit Schnitt- und Platzwunden davonkommen, bricht sich Sänger John Baizley bei dem Crash den linken Arm und ein Bein. Schlagzeuger Allen Blickle und Bassist Matt Maggioni erleiden Frakturen an der Wirbelsäule.
Die körperliche und seelische Genesung nimmt erwartungsgemäß Monate in Anspruch. Doch nicht jeder findet wieder Anschluss. Für Allen und Matt ist das Erlebte zu viel. Sie verlassen die Band im März 2013. John und Peter hingegen wollen mit Baroness weitermachen.
Mit den beiden Neuzugängen Sebastian Johnson und Nick Jost komplettiert sich die Band wieder. Es folgt ein Jahr des gegenseitigen Kennenlernens, ehe sich Baroness an die Arbeit für ihr viertes Studioalbum machen. "Purple" erscheint im Dezember 2015 und präsentiert die Band energiegeladener denn je. Kurz vor dem Release trafen wir uns mit Gitarrist Peter Adams in Berlin zum Vieraugengespräch.
Hi Peter, demnächst erscheint euer neues Album "Purple". Es ist zwar bereits euer viertes Studiowerk. In Anbetracht der Umstände könnte man aber auch von einem 'zweiten' Debütalbum sprechen, oder?
Peter Adams: Ja, da ist was dran. Wobei ich es musikalisch betrachtet nicht ganz so krass empfinde. In der neuen Platte steckt immer noch viel von dem drin, was uns auch schon in der Vergangenheit ausgezeichnet hat. Es war eher das ganze Drumherum. Die neuen Bandmitglieder, der neue Produzent: Das fühlte sich definitiv alles sehr neu und frisch an.
Fühlt es sich auch gut an?
Auf jeden Fall! Ich meine, wir hatten als Band auch vorher schon eine tolle Zeit. Aber mit den neuen Leuten an Bord ist noch einmal ein Ruck durch das große Ganze gegangen. Vielleicht fühlt es sich aber auch nur so an, weil man nach all dem Erlebten gar nicht mehr so richtig an eine Zukunft geglaubt hat. Keine Ahnung. Ich bin jedenfalls froh und glücklich, dass dieses Gefühl da ist.
Wann stellte dieses "Gefühl" sich denn erstmals ein? Erst als Sebastian und Nick dazu stießen? Oder schon vorher?
Das ging eigentlich schon vor dem Einstieg der beiden los. Ich glaube, John und ich waren einfach nur heilfroh, dass wir nach dem Bus-Crash überhaupt noch Musik machen konnten. Das hat uns noch einmal total zusammengeschweißt. Und als dann Nick und Sebastian noch dazu kamen, sprudelte es förmlich über. Plötzlich war man wieder mittendrin. Wir waren einfach nur happy und dankbar.
"Eigentlich hatten wir mit diesem ganzen Farbenspiel abgeschlossen"
Lila ist ja eine sehr lebendige Farbe. Habt ihr euch vielleicht auch deshalb für den Albumtitel "Purple" entschieden?
Ja, das war einer der Hauptgründe. Eigentlich hatten wir ja mit diesem ganzen Farbenspiel abgeschlossen. Das Konzept war irgendwie durch. Aber Lila passte einfach zu gut – zum Sound, zur Stimmung, zur Band.
Wann hast du persönlich wieder angefangen an eine "normale" Zukunft zu glauben? Gab es einen besonderen Moment?
Ob du es mir glaubst oder nicht, dieses Gefühl hatte ich bereits kurz nachdem ich im Bus wieder zu mir kam. Ich meine, wir sind mit diesem riesigen Gefährt knapp zehn Meter ungebremst in die Tiefe gestürzt. Nach so einem Erlebnis wieder die Augen zu öffnen und festzustellen, dass man noch alle seine Knochen spürt, ist unbeschreiblich. Ich hatte zwar wahnsinnige Schmerzen. Aber diese Schmerzen ließen mich spüren, dass ich noch lebte. Und nur das zählte in diesem Moment. Sicher, ich habe nicht geschrien: Hey, wie cool! Ich lebe noch. Ich muss jetzt sofort einen neuen Song schreiben! Aber ich fühlte mich stark – irgendwie. Das ist schwer zu beschreiben.
Die körperlichen Verletzungen sind das eine. Wie lange und wie schwer hattet ihr mit den seelischen Schäden zu kämpfen?
Oh, das hat Monate gedauert. Da war zwar diese neu gewonnene Kraft, die ich bereits erwähnte. Aber je länger wir alle in der Reha verbrachten, desto bewusster wurde uns, wie viel Glück wir eigentlich hatten. Da knabbert man ganz schön lange dran.
Wie sieht's heute aus?
Nun, es gibt Tage, da denkt man nicht dran. Es gibt aber auch Tage, die schwieriger sind. Ich denke zwar schon, dass Zeit alle Wunden heilt. Aber es bleiben Narben erhalten. Die trägt man sein ganzes Leben.
Was macht dir an schwierigen Tagen besonders zu schaffen?
Die Erinnerungen. Die Bilder in meinem Kopf: All das zerborstene Glas, das Stöhnen meiner Freunde, das Blut. Ich kann mich seitdem nicht mehr richtig entspannen, wenn ich in einem Fahrzeug sitze. Vom Schlafen ganz zu schweigen. Ich bekomme leichte Panikattacken, wenn ich in einem Bus oder einem Auto sitze. Mich überfällt dann eine Nervosität, die ich nicht kontrollieren kann. John hat auch große Probleme mit dem Einschlafen. Er wird sogar in seinem eigenen Bett noch von Albträumen geplagt. Ich hingen schlafe daheim wie ein Kind.
"Da war der Mensch James Hetfield, der genau wusste, was in uns vorging"
Es gibt Leute, die behaupten: Nichts ist so schlecht, dass es nicht für irgendwas gut ist. Wie siehst du das?
Nun, ich würde jetzt nicht sagen, dass ich froh darüber bin, dass wir einen Bus-Crash erleben durften. Das würde nicht stimmen. Ich denke, dass ich auch ohne den Unfall heute ein glücklicher Mensch wäre. Aber der Unfall hat mir auch die Augen geöffnet. Ich wache jetzt jeden Morgen auf und bin dankbar, dass ich noch da bin. Ich erfreue mich seitdem mehr an Kleinigkeiten. Mein Bewusstsein für das Leben an sich hat sich dadurch verändert. Ich genieße mehr. Ich nehme mir einfach mehr Zeit für die wichtigen und schönen Dinge in meinem Leben. Dahingehend hat der Unfall sicherlich auch Gutes bewirkt.
Ihr habt während der Reha-Phase nicht nur eure Familien an eurer Seite gehabt, sondern auch unheimlich viele Bands und Kollegen, die euch persönlich, via Mail oder Social Media unterstützt haben. Hat euch diese Anteilnahme überrascht?
Sie hat uns überrascht. Und sie hat uns überwältigt. Was damals abging, war unglaublich. Wir haben Genesungswünsche aus allen Ecken dieser Welt erhalten. Das war der Wahnsinn. Diese Unterstützung hat uns regelrecht angetrieben. Wir treffen auch heute noch auf Bands, bei denen wir uns bedanken. Sie haben uns Halt und Kraft gegeben, das alles durchzustehen.
Ihr sollt auch ziemlich persönliche Gespräche mit James Hetfield geführt haben. Stimmt das?
Ja, das stimmt. Wir kennen Metallica seit gut fünf Jahren. Damals waren wir mit ihnen zusammen in Australien auf Tour. James war einer der ersten, der sich bei John gemeldet hat. Ich meine, wir wissen alle, dass auch er kein Freund von langen Busfahrten ist. Es war toll mit anzusehen, mit wie viel Einfühlungsvermögen und Verständnis er uns begegnete. Das war nicht James Hetfield, der Frontmann einer der größten Rockbands des Universum, der nur mal kurz "Alles Gute" sagen wollte. Das war der Mensch James Hetfield, der genau wusste, was in uns vorging. Das hat uns unheimlich viel bedeutet.
Ihr habt mittlerweile Frauen und Kinder zuhause. Wie gehen die mit der Situation um, wenn ihr euch dieser Tage in einen Tourbus setzt?
Natürlich haben sie Angst. Aber sie wissen auch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass uns ähnliches noch einmal widerfährt, in etwa so hoch ist wie ein Flugzeugabsturz oder sonst irgendeine andere Katastrophe. Das Reisen gehört nun einmal mit dazu. Wir wissen das. Und unsere Familien wissen das auch. Irgendwann muss das Leben einfach weitergehen.
Es stand geschrieben, dass ihr mit "Purple" auch einen musikalischen Schlussstrich unter die Vergangenheit setzen wollt. Klingt ganz nach einer zukünftigen Neuausrichtung.
Nein, so sollte das eigentlich nicht aufgefasst werden. Wir wollten mit der Platte lediglich ein paar lästige Schatten loswerden. Das ist uns, glaube ich, auch ganz gut gelungen. Natürlich werden wir uns weiter entwickeln. Aber Baroness werden auch in Zukunft wie Baroness klingen. An der Basis wird nicht herumgedoktert.
Ihr wurdet nach der Veröffentlichung eures letzten Albums weltweit als die "Retter des Rock" gefeiert. Nun steht endlich der Nachfolger auf der Startrampe. Spürt ihr Druck?
Nein, überhaupt nicht. Ich lasse schon lange keinen Druck mehr an mich ran. Ich bin einfach nur froh, dass ich noch da bin, mein Leben leben kann und all die Menschen um mich habe, die mir wichtig sind. Ich freue mich über jeden neuen Tag. Und sollte der Tag kommen, an dem die Leute mir sagen, dass unser neues Album Käse ist, dann werde ich auch diesen Tag mit einem Lächeln im Gesicht begegnen. Es gibt einfach Wichtigeres im Leben als Erfolg.
1 Kommentar
ich weiss nich, ich kaufs ihm ab aber ich bin ja auch nicht objektiv. Was ich allerdings geil find ist ne Aussage wie: "Wobei ich es musikalisch betrachtet nicht ganz so krass empfinde. In der neuen Platte steckt immer noch viel von dem drin, was uns auch schon in der Vergangenheit ausgezeichnet hat."
wenn sonst wer ne neue Platte macht, dann klingt das ja meist so als hätten sie grade die komplette Musikgeschichte revolutioniert x)