laut.de-Kritik

Ein Feuerwerk der Geschmacklosigkeiten.

Review von

Wir schreiben das Jahr 1990. Eine junge Band aus Buffalo, New York debütiert mit ihrem noch recht thrash-lastigem Extreme Metal Album "Eaten Back To Life" und findet sofort zahlreiche Anhänger*innen, die sich zum einen von der recht brachialen Musik, zum anderen aber vom herrlichen derben Coverartwork und übertrieben brutalen Lyrics des Erstlings angetan zeigen. Cannibal Corpse, so der passend krude Name, gefallen aber auch den Leuten bei Metal Blade und finden dort fortan ihre Labelheimat.

Etwa zeitgleich schießen vor allem in einem stets sonnigen US-Staat immer mehr, meist mit sommerlich gekleideten Gestalten besetzte Formationen aus dem Strandboden und erschaffen ein neues Subgenre – den Florida Death Metal. Beflügelt vom eigenen Erfolg und angetan von der noch recht frischen Szene, siedeln die jungen Wilden von Cannibal Corpse kurzerhand nach Tampa um und schließen sich dem dortigen Treiben an. Glaubt man Drummer Paul Mazurkiewicz, verfolgte man dabei hauptsächlich ein Ziel: die brutalste Band auf Erden zu werden. Mit ihrem zweiten Album "Butchered At Birth" (1991) kommen sie diesen Vorhaben deutlich näher als alle Spezis innerhalb und außerhalb der entsprechenden Szenen und legen Abscheulichkeiten vor, die noch bis zum heutigen Tage ihresgleichen suchen.

Während der Titel bereits Bände spricht, dabei aber trotzdem noch nicht im Ansatz die Tiefe des extremen, inhaltlichen Kerns erahnen lässt, schlägt zunächst das von Comiczeichner Vincent Locke geschaffene Cover ein wie eine überdimensionale Splitterbombe. In Rekordzeit reagiert hierzulande die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) und packt das Album auf den Index. Das Amtsgericht Stuttgart bestätigt einige Zeit später die Beschlagnahmung, in deren Folge das gute Stück weder Kindern noch Erwachsenen angeboten und verkauft werden darf. In der Praxis behilft man sich mit einem alternativen Einleger bei den CDs, die Schallplatten bekommen eine neutrale Außenhülle, die das Originalartwork verdeckt.

Noch bevor sich also auch nur ein Ton den Weg in das Ohr der geneigten Hörer*in gleich einer fetten, gefräßigen Made durch das Fleisch eines verrottenden Körpers bahnt, ist das Geschrei schon groß. Aber was kann die Musik? Titel und Artwork halten das gegebene Versprechens: Es wird abartig.

Nach einem schmerzlich langen (1 Minute, 20 Sekunden), fiesen Intro, das klingt wie eine Mischung aus weißem Rauschen und einem Schwarm zombifizierter Hummeln, bricht "Meat Hook Sodomy" durch die vernagelte Eingangstür. Über nicht all zu einfache, höchst kernige Death Metal-Riffs legt sich die unmenschlich tiefe Stimme von Chris Barnes, während Bass und Drums in tiefer Raserei aufgehen. Wie auch bei allen folgenden, akustischen Perversitäten beschreibt man die grausigen Vorgänge aus der Ich-Perspektive, wobei sich die Worte nur schwer deuten lassen. In der heutigen Zeit lassen sich die Lyrics easy aus dem Netz ziehen, seinerzeit bewaffnete man sich am besten mit einem Englischwörterbuch und einem Fachlexikon der Humananatomie.

"Razor sharp hooks implanted in your rectum. Splitting bodies, spilling guts on the ground. Sodomizing living beings with my utensils. Stabbing on your life stripped of all your skin".

Der folgende Gassenhauer "Guttet", bei dem es inhaltlich eher jüngeren Menschen an den Kragen geht, spielt sehr erfolgreich mit Tempiwechseln und elektrisierenden Grooves. Nach den ersten Schockmomenten oder möglicherweise auch erst bei einem erneuten Durchlauf fällt die technische Versiertheit der Musiker auf. Schon die Tieftonarbeit von Basskannibale Alex Webster sorgt bei näherer Betrachtung für gehobene Augenbrauen. Je tiefer man in die Platte eindringt (ich spare mir jetzt bildliche Vergleiche), desto diffiziler erscheint die Riffarbeit der Gitarrenfraktion. Das Portfolie reicht von tonnenschwer walzenden Ungeheuern ("Covered With Sores" – Sexytime. Mit offenen Wunden) bis hin zu abartig schnellem, rasendem Gefrickel in unheiliger Atonalität, wie beim kurzen und bündigen Titeltrack, der auch inhaltlich für sich spricht. Versprochen.

"Butchered At Birth" ist ein lupenreines Death Metal-Album, selbstverständlich brutal, natürlich zuweilen stumpf, aber dabei unfassbar abwechslungsreich im eigenen Kosmos. "Living Dissection" bedient sich einiger Effekte, welche die Riffs abgehackt (ich lasse es) wirken lassen, bis dabei tatsächlich Beklemmung bei der Konsument*in entsteht. Bei "Vomit The Soul" hat man sich Chefchristenschreck Glen Benton von Deicide ausgeliehen, der mit seiner keifenden, völlig entrückt anmutenden Stimme ganze Horden von Gänsehaut über die vor Ekel gekrümmten Rücken schickt. Trotzdem erzeugen die Beteiligten auch greifbare, wiedererkennbare Melodien, was alleine schon als sensationell gewertet werden kann. Immer wenn es droht, zu harmonisch zu werden, zerschneiden gänzlich bekloppte, manische und atonale Soli die Luft.

Cannibal Corpses Zweitling ist unbestritten krass, ekelhaft und sicherlich zum Zeitpunkt des Erscheinens eine der brutalsten Platten der Welt. Natürlich kann Übelkeit aufkommen, wenn man sich tiefer mit den Texten beschäftigt, das Cover ist zweifelsfrei absolut geschmacklos. Aber. Alles an "Buchered At Birth" ist derart bekloppt und comicartig überzeichnet, dass man absolut nichts davon ernst nehmen kann.

Das ist Kunst.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Meat Hook Sodomy
  2. 2. Gutted
  3. 3. Living Dissection
  4. 4. Unter The Rotted Flesh
  5. 5. Covered With Sores
  6. 6. Vomit The Soul
  7. 7. Butchered At Birth
  8. 8. Rancid Amputation
  9. 9. Innards Decay

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