laut.de-Biographie
Carter Burwell
"Wenn ich mir einen Film anschaue, denke ich normalerweise darüber nach, was ihm fehlt, und genau das versuche ich, zu vermitteln"", beschreibt Carter Burwell seine Arbeitsweise bei "Creative Process". "Ich versuche, etwas zu finden, das meiner Meinung nach fehlt und das ich einbringen könnte, um den Film interessanter, filmischer und dramatischer zu machen." Anders als etwa bei vielen Actionfilmen sollen seine Scores das Gesehene nicht bloß verstärken, betont er. "Ich möchte ein reichhaltiges, komplexes und emotionales Erlebnis schaffen, damit man nicht nur eine Sache auf einmal erlebt."
Carter Burwell wird im November 1954 in New York City geboren. An der Havard University studiert er Architektur und betätigt sich als Cartoonist für die Studentenzeitschrift The Havard Lampoon. Eine konkrete Jobvorstellung verbindet er damit jedoch weniger. Vielmehr sieht er seine Mission darin, "die Jugend einfach so lange wie möglich fortzuführen", wie er später gegenüber All Access gesteht. Bis in die 1980er Jahre verdingt er sich als Sänger und Musiker in verschiedenen Bands in New York. Erst die Begegnung mit Ethan und Joel Coen gibt seinem Leben eine konkretere Richtung.
Für ihren Debütfilm "Blood Simple" bitten die beiden Brüder Carter Burwell darum, einen Score zu komponieren. "Es hat etwas Magisches, nicht zu wissen, was man tut", erinnert sich der Berufene später. Während er an der Musik für den Neo-Noir-Thriller arbeitet, ist allerdings noch unklar, ob der Film überhaupt erscheinen würde. Nur in diesem Fall soll der New Yorker überhaupt eine Vergütung erhalten. Das Risiko zahlt sich aus. Er erhält zwischen 5.000 und 10.000 Dollar - zuzüglich Lizenzgebühren. Gemeinsam mit dem Regie-Duo beschert ihm das Werk aber vor allem den Durchbruch.
Anthony Perkins sieht "Blood Simple" und zeigt sich überzeugt von den Fähigkeiten des Komponisten. Bei Universal macht sich der Schauspieler dafür stark, Burwell für "Psycho III" zu engagieren, einer Fortsetzung des Hitchcock-Klassikers. "Sie hätten mich für etwa fünf Jahre lang auf der Gehaltsliste haben können und es wäre noch billiger gewesen, als Jerry Goldsmith für drei Monate einzustellen", erzählt der Musiker nüchtern im All-Access-Interview. Weitere namhafte Projekte folgen ohnehin in Form von "This Boy's Life" (1993), "Der Schakal" (1997) und "Being John Malkovich" (1999).
Zentral bleibt seine Verbindung zu den Coen Brüdern, die ihm auch die Filmmusik zu "Arizona Junior", "Miller's Crossing", "Barton Fink", "Hudsucker", "Fargo", "The Big Lebowski", "The Man Who Wasn't There", "Ein (un)möglicher Härtefall", "Ladykillers", "No Country For Old Men", "Burn After Reading", "A Serious Man", "True Grit", "Hail, Caesar!" und "The Ballad of Buster Scruggs" anvertrauen. Bei "O Brother, Where Art Thou?" und "Inside Llewyn Davis" fungiert er als musikalischer Berater. Abseits der beiden prominenten Regisseure verantwortet Carter Burwell die "Twilight"-Reihe musikalisch.
Im Kontrast zu den kommerziellen Vampir-Verfilmungen erhält er für eine andere Literaturverfilmung vor allem Kritiker-Lob. "Die Situation in 'Carol' ist eine Beziehung zwischen zwei Frauen in den 50er Jahren, als es dafür keine gesellschaftliche Akzeptanz gab", berichtet Burwell bei Creative Process. "Tatsächlich benutzen die Figuren das Wort 'lesbisch' nicht einmal. "Rooney Maras Figur habe "diese Gefühle, aber sie hat keinen kulturellen Kontext, um sie auszudrücken, zu identifizieren oder danach zu handeln. In diesem Film war es also definitiv wichtig, dass die Musik für die Figuren sprach."
Seine Arbeit an Todd Haynes' Liebesfilm beschert ihm seine erste Oscar-Nominierung. Bei der Verleihung scheitert er ebenso wie Jóhann Jóhannsson mit "Sicario" und John Williams mit "Star Wars: Das Erwachen der Macht" an Altmeister Ennio Morricone, den die Academy für "The Hateful Eight" auszeichnet. Mehr Erfolg hat er mit seinem Score zur HBO-Miniserie "Mildred Pierce" mit Kate Winslet, für den er einen Emmy erhält. Dem Serienformat bleibt Carter Burwell auch in Form von "Enlightened" und "Olive Kitteridge" (HBO), "The Morning Show" (Apple TV+) und "Space Force" (Netflix) treu.
Unterdessen erhebt ihn mit Martin McDonagh ein weiterer Regisseur zu seinem Stammkomponisten, dessen tragikomische Weltsicht durchaus Ähnlichkeiten zu derjenigen der Coen-Brüder aufweist. Ab seinem Debütfilm "Brügge sehen… und sterben?" vertraut er auf Burwell. Dank "Three Billboards Outside Ebbing, Missouri" und "The Banshees of Inisherin" fährt der Komponist zwei weitere Oscar-Nominierungen für die beste Filmmusik ein, selbst wenn er bei den Verleihungen an Alexandre Desplat ("The Shape of Water") und Volker Bertelsmann ("Im Westen Nichts Neues") scheitert.
"Martins Schreibstil ist sehr eigen - er beinhaltet eine düstere Weltsicht, einen wirklich bösartigen Humor, und viel Menschlichkeit. Diese Kombination haben wir gemeinsam", beschreibt Burwell den irischen Dramatiker gegenüber "Deadlin". Doch selbst ohne Gemeinsamkeiten behält er eine pragmatische Herangehensweise bei. "Jeder Film hat seine eigenen Probleme, und ich betrachte meine Arbeit zu einem gewissen Grad als Problemlösung. Ich schaue mir den Film an, die Themen, die er aufwirft, die Probleme und die Möglichkeiten, und versuche dann, den besten Weg zu finden, sie zu lösen."