laut.de-Kritik

Vierteldrehung in Richtung Einlullung, wie gehabt.

Review von

Als ich Chris De Burgh in den Achtzigern das erste Mal wahrnahm, war das bei den damals einschlägigen Schlagerformaten, beispielsweise der ZDF-Hitparade, weniger bei "Formel Eins" oder dem damals noch jungen MTV, also im eher subkulturellen Kontext. Zum subkulturellen Untergrund hatte ich als Kind aber auch noch keinen Zugang, man wusste unterbewusst, dass es auch die coole Musik gibt, die uns aber versagt wurde.

Ich erinnerte mich auch daran, damals gelernt zu haben, dass im Rahmen dieser Schlagersendungen wenig echt und viel künstlich war, nicht nur die auftoupierten Haare einer Jennifer Rush, die eigentlich Heidi Stern hieß, oder einer deutschen Sängerin namens Sandra, sondern vor allem Namen; und dass Deutsche sich Namen gaben wie Ivan Rebroff und einen auf Russen machten, mit Pelzmütze. Die ganze Schlagerlandschaft damals war im Übrigen ein einziger Molloch an kultureller Aneignung.

Bezeichnenderweise performte Chris De Burgh in diesen Schlagerkreisen. Und ich weiß noch, dass ich dachte, "De Burgh" ist mal echt ein beschissener Künstlername, selbst für einen Deutschen. Ja, ich dachte, er sei deutsch.

In den Neunzigern lernte ich Irland kennen und wie es der Zufall oder besser gesagt, meine Gastfamilie so wollte, traf ich Chris De Burgh dann auch tatsächlich als Teenager und erfuhr, dass er Ire ist. Ich war natürlich schüchtern, lieb und ein wenig starstruck; und so mag es nicht verwundern, dass mein Fazit lautete, dass er echt nett ist; "nett" ist aber auch der Großteil seines musikalischen Schaffens.

Wie viele Musiker:innen, deren Schaffen in den Siebzigern beginnt, sich aber durch die Achtziger hindurch zieht mit den bunten aufgehübschten auftoupierten Formaten an kommerzialisierter Darreichung, leidet De Burgh genauso wie Elton John daran, dass sich genau dieses sehr beliebig arrangierte Liedgut der Achtzigerjahre in den Köpfen der Leute manifestiert hat, zumindest bei Menschen, die in den Siebzigern zu jung für die musikalische Wahrnehmung waren.

Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis ich Elton John ernst nehmen konnte als Musiker, bis klar wurde, dass der Mann in den Pluderhosen vom Videoclip von "I Don't Wanna Go On With You Like That" auch "Your Song", "Tiny Dancer" oder "Rocket Man" geschrieben hatte. Bei Chris De Burgh hat es mich irgendwie nie wirklich interessiert, auch weil ich dachte, dass es mir irgendwann aufgrund meines Freundeskreises oder Umfelds mal zugetragen würde, wenn da tolles Schaffen zu finden wäre. Ich war ignorant, dachte, es wäre zu klar, dass der Mann von "Lady Is Red wenig geschaffen hat, was jenseits des popkulturellen Kontexts der Achtziger relevant bleiben sollte. Weshalb mich beim ersten Anhören von "50" "Spanish Train" auch fast vom Stuhl fallen ließ, weil er einfach gut ist, nicht verpoppt, ehrliches Handwerk.

Doch selbst in den Siebzigern war De Burgh musikalisch nicht übermäßig innovativ, denn egal, wie viel Beatles, Barclay James Harvest, Queen oder David Bowie er auch gehört haben will, er nimmt selbst seit den Siebzigern diese Einflüsse, um dann doch meistens in Richtung Gefälligkeit abzudriften, in Richtung des Musical-Disco-Sounds, mit dem Jahre später Songs wie "Xanadu" verknüpft würde.

Vielleicht war er somit dann doch innovativ, auf eine andere Art. Das anfänglich mutmaßlich selbst verordnete Best-of-Konzept von "50" ist bis zu einem gewissen Punkt konsequent, ein Song pro Studioalbum, bis zu dem Punkt, an dem er zwei Tracks vom 1986er-Album "Into The Light" ausgewählt hat. Weitere Einschübe, mit denen er aus diesem Konzept ausbricht, entstammen der "The Love Songs"-Sammlung.

Da De Burgh aus seinem Konzept bei "50" ausbricht, könnte man ihn fragen, warum er es denn dann nicht zugunsten der verhältnismäßig sympathischen und weniger bekannten Schaffensperiode der Siebziger auf "50" getan hätte? "Ob es denn konkreter ginge", mag er einwenden, "The Painter" mag man erwidern, denn das klingt fast schon nach "Rocky Horror Picture Show" und überhaupt angenehm anders. Aber man wird ihn nicht fragen können.

Vermutlich denkt er sich, ich will eine ruhige Kugel schieben, sichere Bank, never change a running (compilation) system. Es werden die Achtziger oder die Neunziger wiedergekäut und zwar die Songs, in denen De Burgh so klang, als würde er sich an Ernstzunehmendem orientieren, sich gegenwärtiger popkultureller Trends bedienen, um es dann aber in Richtung Gefälligkeit glattzubügeln. "Up Here In Heaven" bewegt sich irgendwo zwischen der Opulenz, der die altbekannten Stadionbands Ende der Achtziger bzw. Anfang der Neunziger anheim fielen mit einer Prise der späten Queen. "50" ist im Großen und Ganzen eine Ansammlung aus Songs mit gefälligen Arrangements, in "The Grace Of A Dance" wurde gar ein ganzes Orchester verpflichtet.

Vielleicht würde Herr de Burgh aber auch entgegnen: "Wer sagt Dir denn, dass ich mich nicht in den Siebzigern angepasst habe? Wer sagt Dir denn, dass ich mich nicht verbogen habe, als ich in Teilen fetzige, teils rockige flamboyante Musik gemacht habe? Wer sagt denn, dass es mich nicht angekotzt hat, Musik wie Bowie, die frühen Queen oder Rocky horror picture show zu machen? Wer sagt dir denn, dass es mir nicht auf die Klötze ging, mich den damaligen Größen wie King Crimson oder Barclay James Harvest anzunähern? Wer sagt Dir denn, dass es nicht genau der Schmalz ist, die großen Gesten, zu denen ich immer noch mehr Bezug habe?"

Wie gesagt, man wird ihn nicht fragen können. Aber wenn, würde er eventuell sagen, dass es schon genug Compilations mit seinen frühen Songs gäbe. Das träfe aber auch auf Songs, wie "Don't Pay The Ferryman" zu, würde man entgegnen, dessen Daseinsberechtigung als gute Nummer abseits von Genesis man im Übrigen gar nicht bestreite. Nerven würde man ihn, piesacken. Man würde ihn in die Enge treiben, bis er genervt zur letzten Replik ansetzt: "Damit so Leute wie Du, die mich seit 30 Jahren kennen, auch endlich mal raffen, dass es ein Album von mir gibt, nämlich "Spanish Train And Other Stories", das selbst Du magst, Du Knalltüte!" Und damit hätte er verdammt noch mal sogar recht, verdammt. Aber auch nur damit.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Satin Green Shutters
  2. 2. Spanish Train
  3. 3. In A Country Churchyard
  4. 4. The Girl With April In Her Eyes
  5. 5. The Traveller
  6. 6. Don't Pay The Ferryman
  7. 7. Transmission Ends
  8. 8. The Leader
  9. 9. The Vision
  10. 10. What About Me?
  11. 11. The Simple Truth
  12. 12. Where We Will Be Going
  13. 13. Up Here In Heaven
  14. 14. Discovery (Re-Recorded Version)
  15. 15. It's Me, And I'm Ready To Go

CD 2

  1. 1. Love Of The Heart Divine
  2. 2. Bal Masque
  3. 3. Here For You
  4. 4. The Grace Of A Dance
  5. 5. Greater Love
  6. 6. Tender Hands
  7. 7. The Keeper Of The Keys
  8. 8. Cry No More
  9. 9. Legacy
  10. 10. Be My Valentine
  11. 11. On This Day
  12. 12. It's Never Too Late
  13. 13. The Lady In Red (Re-Recorded Version)
  14. 14. Goodnight

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3 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 2 Monaten

    Was bitte ist „Spanish Songs?“ Das (sehr gute) Album heißt „Spanish Train and other Stories“. Auch absolut empfehlenswert: „Far beyond these castle Walls“, sein erstes und eins der besten!

  • Vor 2 Monaten

    Okay, die Musik ist nicht mein Ding (milde ausgedrückt), aber er ist wirklich sehr nett. Keine Allüren, nix.

  • Vor einem Monat

    Mein Eindruck ist dass er immer die Musik gemacht hat die gerade aktuell war und ihm gefallen hat, aber in einer eigenen Version bzw. Interpretation davon. Nicht alle Musiker müssen sich ständig aus einer anti-Haltung inspirieren lassen. Er ist auch weniger Musiker/Instrumentalist als Songwriter und Sänger. Ein Song wie "High on Emotion" empfinde ich wie eine gute Interpretation des Stils von Toto, z. B.