8. März 2014

"Wir wollen keine Schrottband sein"

Interview geführt von

Vom noisigen Homerecording-Projekt über Auftritte in Zugwaggons bis in die Kulturressorts: Die Nerven haben es geschafft. Die viel zitierte Spiegel Online-Einordnung als "eine der wichtigsten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts" stellte bei all der medialen Aufmerksamkeit für ihren Zweitling "FUN" nur die Spitze des Eisbergs dar.

Vor ihrem Fenster herrscht gerade reges Faschingstreiben, Julian Knoth (Gesang, Bass) und Max Rieger (Gitarre) befinden sich kurz nach ihrer ausgiebigen Deutschland-Tour dagegen in einer wohlverdienten Verschnaufpause. Am Telefon unterhalten wir uns über die Entstehung der zweiten Platte, ekelhafte deutschsprachige Musik und die musikalische Sozialisation im spießigen Großraum Stuttgart.

Ihr seid gerade von eurer Tour zurückgekehrt. Wie liefs?

Julian: Sehr gut, eigentlich. Uns hats Spaß gemacht und die Läden waren immer voll.

Max: Überwältigend.

Julian: Überwältigend!

Ihr habt für euer Album "FUN" riesiges Presseecho bekommen. Lest ihr eigentlich alles?

Julian: Ich les das alles.

Max: Also ich komm inzwischen nicht mehr so richtig hinterher. Beziehungsweise es macht nicht mehr sonderlich viel Spaß, alles zu suchen und zu lesen. Weil es sich wiederholt und die Leute voneinander abschreiben. Es ist natürlich schön, wenn geballt überall Dinge stehen, aber es ähnelt sich letztendlich fast immer. Es gibt da wenige, die mal einen eigenen Ansatz probieren. Die taz hat das zum Beispiel gemacht, das fand ich gut.

Julian: Die ersten Artikel habe ich noch ziemlich gerne gelesen, gerade die Interviews, die wir schon vor Release gegeben haben. Aber nachdem sich viele Rezensionen wiederholt haben, wurde es irgendwann langweilig. Ich habs zwar immer gelesen, aber meistens nur noch überflogen.

Eine gewisse Polarisierung wäre euch also lieber gewesen?

Julian: Ja, vielleicht.

Habt ihr euch überhaupt von irgendwem missverstanden gefühlt? Oder seid ihr auch erfreut, dass die Platte allgemein richtig aufgefasst wurde?

Max: Also grundsätzlich können wir schon sagen, dass das gut verstanden wurde. So wies beabsichtigt war, wurde es letztendlich auch gesehen. Natürlich wurde alles ein bisschen dramatisiert, aber grundsätzlich fand ich schon, dass das in die richtige Richtung ging. Ich versteh bloß die Leute einfach nicht, die immer noch schreiben, dass wir eine Punkband sind. Ich seh das nicht so.

Ist der ganze Rummel nicht auch ein bisschen erschlagend?

Julian: Total. Ich glaub, wir waren alle irgendwie froh, als es dann mal auf Tour ging, als man mal davon wegkam. Ehrlich gesagt war ich nach der Tour aber noch mehr erschlagen.

Max: Inzwischen hat es sich wieder ein bisschen relativiert, nachdem man sich einigermaßen von der Tour erholt hat. Jetzt find ichs eigentlich ganz okay, ich mach mir keinen Kopf mehr.

Julian: Jetzt kommt grad auch nicht mehr so viel. Jetzt ist gerade ein Lücke da, wahrscheinlich bis das nächste Video kommt.

Als allererstes habe ich mich bei eurer Platte gefragt, ob diese geräuschhafte Vielschichtigkeit eigentlich auf Spontaneität oder auf langwieriger Tüftelei beruht.

Julian: Alles spontan, eigentlich.

Max: Ja, da ist sehr, sehr viel spontan entstanden. Wir haben nur die Grundgerüste der Songs fertig gehabt, und was dort ungefähr passieren soll. Im Studio war dann aber sehr viel Ungeplantes dabei, das einfach gut war und das wir dann auch verwendet haben. Wir saßen jetzt nicht sieben Stunden lang rum, um tausendmal Gitarrenfeedbacks einzuspielen, bis es mal stimmte. Das sind tatsächlich die Feedbacks, die am Ende der Aufnahme da waren.

Julian: Das Songwriting ging auch total schnell. Da haben wir uns einfach an vier Abenden getroffen. Das war bei uns eigentlich schon immer so. Wobei wir uns diesmal eher noch mehr Zeit genommen haben, um die Songs auch mal live auszuprobieren und sie besser zu können, bevor wir ins Studio gehen.

Habt ihr mal überlegt, die nächste Platte komplett anders anzugehen und alles etwas langfristiger zu planen?

Julian: Eher im Gegenteil: Nicht so langfristig planen, sondern sich eher mehr Zeit bei den Aufnahmen lassen. Vielleicht die Songs wieder spontaner einspielen und dann am Ende aus noch mehr auswählen. Irgendwie sowas. Also nicht das Songwriting weiter verlängern, sondern das Ganze noch direkter machen, mit dem Können, das wir mittlerweile haben.

Max: Aber wir denken noch gar nicht ans nächste Album. Ist auch gar nicht nötig.

Welchen Einfluss hatte der Produzent Ralv Milberg letztlich auf die Platte?

Max: Ralv hat die Songs so genommen, wie sie sind. Und hat uns einfach dazu angehalten, sie mit mehr Ausdruck zu spielen. Wir sehen uns selbst als Liveband. Und auf Platte geht das Visuelle und Körperliche ja komplett verloren. Das muss man alles auf die Instrumente übertragen, es muss alles über die Mikrofone kommen. Der Schweiß muss über die Mikrofone reinkommen. Das war sozusagen seine Aufgabe: dass er das hörbar macht. Diese unabhängige Meinung von jemandem, der nicht in der Band spielt und sagt: So, machts nochmal. Hier und dort, so und so.

Julian: Er war nicht so schnell zufrieden wie wir. Und das war auch gut so.

Ihr seid als Homerecording-Projekt gestartet. Hattet ihr anfangs Bedenken, den Schritt ins Studio zu gehen?

Julian: Nee, auf keinen Fall. Nachdem wir das erste Album selber aufgenommen haben, wollten wir ziemlich schnell weg davon. Ja, nee, nicht so schnell. Aber nachdem Ralv uns angesprochen hatte und wir zum Teil schon vorher mit ihm arbeiten konnten, war das ein fließender Prozess, der uns absolut nicht schwer gefallen ist. Es hat uns alle gereizt, das mal aus der Hand zu geben.

Max: Wir wollen auch nicht den Ruf als Schrottband haben. Wir wollen ja keine Trash-Musik machen. Das war nie der Anspruch. Das war halt am Anfang eine Ecke, in die man uns gedrängt hat. Wir wollen eigentlich einfach gute Musik machen.

Julian: Und dass es fett klingt.

Max: Wir wollen, dass es fett klingt und fett gespielt ist.

Julian: Aber ein bisschen Dreck muss schon immer dabei sein.

Max: Genau, dieses Direkte ist wichtig. Aber das kann auch rüberkommen, wenn die Sachen gut gespielt sind.

Julian: Und die Platte ist ja trotzdem noch ziemlich rau produziert.

"Wir haben unsere Jugend auf Feldern und im Internet verbracht"

Ist euer Heimatort Stuttgart eigentlich besser als sein Ruf?

Max: Nein.

Julian: Wie ist denn der Ruf? Schon ziemlich miserabel, glaube ich.

Max: Man versteht das auch gerne falsch, glaube ich. Es gibt jetzt gerade in paar interessante Bands aus Stuttgart, wie ich finde. Aber die Szene ist sehr klein und sehr inzestuös. Es gibt diesen einen Sampler "Von Heimat Kann Man Hier Nicht Sprechen", der vor ein paar Monaten rauskam. Das sind 13 Stuttgarter Bands und ich glaube, insgesamt spielen da nur 21 Musiker mit. Es ist also eine sehr kleine Szene. Aber eine sehr kreative, das ist gut. Aber wenn jetzt jemand nach Stuttgart kommt und denkt, hier geht die Post ab ... das ist nicht so.

Julian: Es ist ein erweiterter Bekannten- und Freundeskreis, der zusammen was macht. Aber das spiegelt nicht die Stadt wider, und auch nicht die Stimmung in der Stadt. Die Stadt ist der Feind.

Max: Die Stadt ist der Feind!

Was für euch auch eine Inspiration darstellt.

Max: Ja, genau. Ich glaube auch, das ist auch für die anderen Musiker von hier eine Inspiration. Es ist einfach kein Berlin und kein Hamburg. Man kriegt nicht alles vorgesetzt. Man muss es halt selbst in die Hand nehmen. Vielen gefällt das nicht, aber eigentlich ist das auch eine gute Sache: Man muss die Dinge selbst in die Hand nehmen, wenn man will, dass was passiert.

Julian: Die Leute, die hier irgendwas machen, das sind sehr wenige. Ich hab vor kurzem mit einem Freund gesprochen, der meinte, er lernt gar keine Mädchen mehr kennen, weil er alle schon kennt.

Max: Das ist bei mir auch so.

Wie sah denn eure musikalische Sozialisation aus? Stuttgart verbindet man ja generell eher mit Hip Hop.

Max: Wir haben unsere Jugend auf Feldern und im Internet verbracht.

Julian: Ja. Wir kommen ja aus den kleinen Städten drumrum. Es ist jetzt nicht die Superprovinz, in der man keine Zuganbindung mehr hat, aber trotzdem sehr spießig. Wenn man so tickt wie wir, hat man keine andere Wahl, außer sich die Zeit im Wald oder auf Feldern totzuschlagen. Oder eben im Internet. Um die Welt und all die spannenden Bands zu entdecken, die aber keiner von den Freunden hört. Bis ich Max kennengelernt hab, war das im Großen und Ganzen so.

Vor 20 Jahren wäre also vielleicht manches anders gelaufen.

Max: Es gab ja trotzdem irgendwelche Mailorder oder Kataloge, die man sich bestellen konnte. Letztendlich ist es auch egal. Wenn man da raus will, schafft mans auch.

Julian: Und es gibt auch an jeder Schule zwei Jahrgänge drüber den coolen Typ, der einen inspiriert und die ganzen geilen Bands kennt.

Max: Der einem die Franz Ferdinand-Platte gibt. Bei mir waren das tatsächlich Franz Ferdinand, die haben mich voll umgehauen. Und die Kaiser Chiefs.

Julian: Bei mir wars auch die erste Franz Ferdinand-Platte.

Habt ihr in letzter Zeit darüber nachgedacht, aus Stuttgart wegzuziehen?

Max: Wir hatten uns mal überlegt, nach Leipzig oder Dresden zu gehen, weil die Mieten dort so billig sind. Dort wollten uns eine kleine Kommune einrichten. Gerade wollen wir alle am liebsten nach Wien. Aber ich weiß nicht, ob das passiert.

Julian: Es gibt halt ein paar Städte, die wir alle irgendwie toll finden. Aber im Moment ist es eigentlich auch in Stuttgart super, durch die familiäre Szene hier. Von den Mieten her halt nicht. Und vom Faschings-Umzug, der hier draußen gerade abgeht, auch nicht. Da draußen sind gerade tausende von Leuten und ich hab leider keine Silvester-Böller mehr übrig.

"Die Fehler von 1000 Robota vermeiden"

Darf man fragen, was ihr abseits der Musik so macht?

Max: Ich mach abseits der Musik tatsächlich nichts.

Julian: Ich mach so Theater-Sachen. Und trainiere eine Fußballmannschaft von geistig Behinderten. Dann studier ich auch noch, aber das ist eigentlich voll unwichtig.

Seid ihr eigentlich Fußballfans? Da liegt in Stuttgart ja gerade auch einiges im Argen.

Max: Der Julian schon. Ich nicht.

Julian: Wurde Thomas Schneider jetzt eigentlich entlassen? Weißt du das? Das entscheidet sich ja gerade.

Max: Oh, nein. Wird das jetzt ein Fußballgespräch?

Julian (hat gegooglet): Der Schneider bleibt! Aber das war vor sechs Stunden. Aber egal, kein Fußball. Ich steh hier in der Band eins zu zwei, alleine auf weiter Flur.

Scheißsituation.

Julian: Es geht, viele andere Musiker sind auch Fußballfans.

Max: Mutter haben mal in Esslingen gespielt, und zwar beim Champions League-Finale. Der Schlagzeuger hat zwischen den Songs immer gefragt, wies gerade steht. Das war ziemlich schlimm. Ich find so was ganz furchtbar, das geht gar nicht.

Julian: Das seh ich genauso. Klar, man darf natürlich Fußballfan sein und eine Leidenschaft dafür haben. Aber sobald das mit auf die Bühne oder mit in die Musik schwappt, find ich das schon arg schwierig. Wenn man jetzt sagt, man nimmt das raus und ich geb ein Interview für 11 Freunde, dann ist das in Ordnung, glaube ich. Aber sobald man die anderen da reinzieht, ist es irgendwie auch scheiße.

Ihr habt in anderen Interviews einen gewissen Hass auf die aktuelle deutschsprachige Musik bewiesen. Ausnahmen sind vermutlich Bands wie Messer, Trümmer, Candelilla und so weiter, mit denen man euch immer in einem Atemzug nennt. Gibt es abseits dieser Richtung denn noch weitere Ausnahmen, die euch gefallen?

Julian: Es kommt immer ganz drauf an. Wir sind gar nicht mehr so drauf festgelegt, dass wir alles scheiße finden. Wir hören uns eigentlich mittlerweile alles erst mal an. Dann kanns schon sein, dass da was gut ist. Kevin hat uns diese Offenheit gelehrt, glaube ich. Auf Tour haben wir sogar angefangen, SWR 4 zu hören. Dann analysieren wir das und versuchen schon immer, was Positives rauszuziehen. Dann mag man vielleicht auch mal einen Popsong oder was Trashiges. Oder auch mal einen Hip Hop-Song auf Deutsch. Wir sind da eigentlich ziemlich offen, entscheiden aber auch ziemlich schnell, obs gut ist oder nicht.

Max: Ich persönlich hab halt mein Problem mit der deutschen Sprache. Denn eigentlich mag ich sie gerne, ich bin mit ihr aufgewachsen und hab als Kind viel gelesen. Und ich hab auch einen akzeptablen Wortschatz. Es ist die einzige Sprache, in der ich mich adäquat ausdrücken kann. Aber wie andere Leute damit umgehen, gefällt mir meistens nicht. Weil das irgendwie immer nur eine Übersetzung aus dem Englischen ist. Was du eigentlich auf Englisch ausdrücken willst, singst du dann auf Deutsch für ein deutsches Publikum. Den Ansatz finde ich ganz, ganz ekelhaft. Etwa diese Hitsingle von Adel Tawil, in der er lauter Lieder zitiert. "Ich will ein Feuerstarter sein."

Julian: Für mich muss bei der Verwendung der deutschen Sprache immer eine Verkrampfung stattfinden. Auf diese Art versuchen wir, nicht allzu direkt und nicht allzu kitschig zu klingen. Ich glaube, am allerschwierigsten ist das Schreiben deutscher Texte, die direkt sind, ohne peinlich zu wirken.

Welche deutschsprachigen Platten hört ihr denn gerne?

Max: Ich hör die erste Blumfeld gerne. Das hat mir mal der Schlagzeuger von Messer erklärt: Blumfeld ist so schwierig, weil sich da gerne ein Gefühl des Fremdschämens einstellt. Ich kann schon nachvollziehen, dass das für manche ins Fremdschämen ausartet. Aber mich persönlich haut die Platte immer wieder um, weil sie so unfassbar authentisch ist - dabei möchte ich das Wort gar nicht sagen. Es tut einfach unglaublich weh.

Julian: Was wir ansonsten gut finden, spielt sich tatsächlich vor allem in dem Umfeld ab, mit dem wir so gerne verglichen werden.

Max: 1000 Robota mag ich auch.

Julian: Oder Kreisky. Das ist eine super deutschsprachige Band. Auch wenns Österreicher sind.

Max: Die bringen jetzt gerade ein neues Album raus. Sehr, sehr geil. Falls du die nicht kennst, hör sie dir an.

Julian: Es ist eigentlich auch österreichisch, nicht deutsch.

Max: Wiener Schmäh.

Julian: Aber die schaffen es in ihren Texten, Alltagssituationen zu beobachten und zu beschreiben, in denen man sich auch wiedererkennt.

1000 Robota habt ihr gerade angesprochen. Verfolgt ihr, wie es bei denen weitergeht?

Max: Ich glaube, die machen gerade ein neues Album.

Julian: Ja, es gab ein Spex-Interview. Da hieß es, dass sie langsam dran arbeiten.

Max: Ich mag die Sachen sehr gerne, die 1000 Robota gemacht und veröffentlicht haben. Aber ich mag ihre Arbeitsprozesse nicht. Ich glaub, die sind zu verkopft. Wir versuchen tatsächlich, uns ein bisschen an 1000 Robota zu orientieren. Und alle Fehler zu vermeiden, die die gemacht haben. Etwa eine verkopfte zweite Platte rauszubringen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Die Nerven

Ob man Die Nerven nun als Teil einer Bewegung oder einfach als eindrucksvolle Punkband plus x betrachtet, hat auf den Hörgenuss zwar keinen Einfluss.

Noch keine Kommentare