laut.de-Biographie
Die Nerven
Ob man Die Nerven nun als Teil einer Bewegung oder einfach als eindrucksvolle Punkband plus x betrachtet, hat auf den Hörgenuss zwar keinen Einfluss. Fest steht aber, dass sich 2013 eine schwer zu übersehende Menge an jungen Bands in den Vordergrund spielt, die zumindest den Do-it-yourself-Hintergrund, die deutschsprachigen Texte und eine gewisse Düsternis gemeinsam haben.
Ein kleiner Haufen Bands, der sich untereinander sympathischerweise sogar anfreundet, anstatt bei der Presse krampfhaft um Alleinstellung zu kämpfen. Denn dafür sorgt der Sound in jedem Fall von selbst.
"Ich glaube, dass viele Musiker nicht mehr so Bock auf Happy Indie haben, so voller Grinsen und Hedonismus", konstatiert Messer-Frontmann Hendrik Otremba 2013 im laut.de-Interview. Und bekennt, dass man da wohl gemeinsam mit ein paar anderen Bands wie Candelilla, 206, Zucker oder eben den Nerven drinstecke.
Letztere haben sich von allen genannten Bands wohl am meisten dem Punkrock verschrieben und gründen sich 2010 in Stuttgart: Max Rieger (Gitarre, Gesang) und Julian Knoth (Bass, Gesang) starten als noisiges LoFi-Duo. "Die Devise war, möglichst laut zu sein und möglichst viel Lärm zu machen", erklärt Knoth später im WiMP-Interview.
So entstehen einige digitale Releases wie "Yes Sir, I Can Boogie!" (2010), "Gute-Nacht-Geschichten Für Kinder Zwischen 1-4" (2011) und "Asoziale Medien" (2012), das die Band immerhin auf CD-Rohling brennt. Ein Exemplar geht auch nach Münster - und nur wenige Monate später erscheint mit "Fluidium" die erste physische Veröffentlichung über das dort ansässige Indielabel This Charming Man. In der Zwischenzeit macht der Drummer-Zuwachs Kevin Kuhn Die Nerven zum Trio. Im Jahr darauf folgt die Split-7" "Fick Dich Alter!" mit Candelilla.
Wie schon die ebenfalls von TCM Records betreute Gruppe Messer, ernten die Schwaben überraschend Feuilleton-Echo. So kürt etwa Jan Wigger von Spiegel Online den im Februar 2014 veröffentlichten Zweitling "FUN" flugs zu "eine(r) der wichtigsten und besten deutschsprachigen Platten dieses Jahrzehnts." Und die Spex haben die drei ohnehin von Anfang an auf ihrer Seite.
"Das Markante an unserer Generation ist, dass es sich immer mehr zuspitzt: Auf der einen Seite immer Leistungsdruck - ich muss schon drei Jahre vor dem Abitur wissen, was ich studiere und welchen Beruf ich haben werde. Auf der anderen Seite gibt es diesen Hedonismus", so Julian Knoth. "Ich habe das Gefühl, wir passen da nicht so unbedingt rein."
Sind Die Nerven nun eine Punkband, Teil einer eigenen DIY-Rock-Generation oder gar eines Achtziger-Revivals? Da ist man sich einig: "Scheißegal". Für ihn bedeute Punk viel eher die Haltung, die Dinge so zu machen, wie er es möchte, so der Frontmann.
"Das hat nichts mit einem Musikstil zu tun. Und auch nichts mit Dosenbier." Daran hält er sich dann auch. Neben weiteren Alben seiner Hauptband ("Out", 2015) veröffentlicht er auch Soloalben wie "Welt In Klammern" unter dem Pseudonym All Diese Gewalt.
Mit dem 2018er-Studioalbum "Fake" legen die mittlerweile in verschiedenen Städten lebenden Mitglieder der Band eine Art Opus Magnum vor. Gedämpfter in der Sound-Ausrichtung und weg von der zornigen Aggression alter Tage, legen Die Nerven eine Noise-Pop-Platte vor, die noch immer als kritische Zustandsbeschreibung durchgeht, hierfür aber ein uns andere Mal umarmende Pop-Melodien verwendet.
Lange vier Jahre bleibt es dann ruhig um das Trio. Alle Mitglieder frönen wieder Solo-Aktivitäten, allen voran steht Max Rieger in den Schlagzeilen, sei es mit All Diese Gewalt oder als Produzent von Casper ("Alles War Schön Und Nichts Tat Weh") oder Mia Morgan ("Gruftpop"). In der Pandemie spielen sie schließlich "Die Nerven" ein, ihr fünftes Studioalbum. Nur zwei Jahre später legen sie mit "Wir Waren Hier" nach.
Die Songs schrieb die Band in einer vierwöchigen Session in einem ehemaligen Sterne-Restaurant am Stuttgarter Schlossgarten mit Blick auf die Oper. "Wir waren wieder alle gemeinsam in einem Raum, und plötzlich ging alles wieder wie von alleine", so die Beteiligten.
Dadurch klingt "Wir Waren Hier" wieder sehr rauh und nahe an ihren explosiven Live-Auftritten. 14 Jahre nach ihrer Gründung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt sind Die Nerven aus der deutschen Alternative-Landschaft längst nicht mehr wegzudenken.
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