laut.de-Kritik
Der Fall Michael Cretu.
Review von Joachim GaugerEnigma? Da lacht der Lateiner. Epochen nach dem gallischen Krieg beweist der Rumäne Michael Cretu alias Enigma, dass des Oberschülers Kampf mit Cäsar nicht umsonst war, indem er die ausgestorbene Sprache in seinen Chören wiederbelebt. "In nomine christi, amen" und "Mea culpa". Ja.
Die unverständliche Kirchenamtssprache drückte Katholiken über Jahrhunderte hinweg in Unmündigkeit und Abhängigkeit, ihr nie eingelöstes Erlösungsversprechen fügt sich wunderbar in Enigmas Maskenspiel, das immer auf den größtmöglichen Effekt zielt. In Scharen laufen dem Hörer die Schauer den Rücken herab: Der Kontrast zwischen verfremdeter Computerstimme und Hirtenflöte öffnet den weiten Raum der Geschichte, die drogenverzerrte Läufe der E-Gitarre behaupten Ekstase, die östlichen Klänge Weltläufigkeit.
Dabei ist der gewaltige Soundaufwand oft von einer Verführungskraft, die Halbtote ins Leben zurück rufen könnte. Allem Ärger über Esoterik-triefende Texte zum Trotz. Von Sensation zu Sensation eilt diese dank hübscher Aufmachung und erstklassiger Produktion letztlich selber fast sensationelle Best Of. Erst wenn Cretu zum xten Mal Orffs "O Fortuna" zitiert, wirds ein bisschen öde.
Als Wagnerianer im Geiste bemüht Cretu, dieser Meister der hypnotischen Griffe, stets die wilde Leidenschaft und das nicht endende Glück. Doch das Versprechen ist leer: Auf Dauer macht die Affekthascherei müde und auch das brillanteste Blendwerk stumpft die Sinne doch nur ab. Die großen Gesten verbergen weder Ideal noch Tragödie, dem ganzen Spektakel fehlt die innere Notwendigkeit. Insofern erfüllt Enigmas Musik das Kriterium der Dekadenz, sie kann nur funktionieren, so lange sich nicht herum spricht, dass es weder ein Rätsel gibt, noch eine Lösung.
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