laut.de-Biographie
Everything Is Recorded
Hinter dem kollaborativen Projekt Everything Is Recorded steckt Richard Russell, CEO von XL Recordings. Der Mann hat eine starke Persönlichkeit und weiß, was er will. Das schätzt er auch bei anderen. Trotzdem stellt Russell sich oder seine Persönlichkeit bei Everything Is Recorded nicht in den Vordergrund. Sein Name ist erst auf den zweiten oder dritten Blick zu finden.
Das Ergebnis ist das, was zählt. Sowohl auf der "Close But Not Quite"-EP, auf dem Debütalbum Everything Is Recorded (2018) als auch auf "Friday Forever" (2020) schraubte Russell persönlich an jedem einzelnen Track.
"Everything Is Recorded" bedeutet "Alles wird aufgezeichnet". Ein beunruhigender Satz, der Assoziationen mit Überwachung und Kontrolle weckt. Damit hat der Name aber wenig zu tun. Er vermittelt vielmehr die Idee, wie Russell mit seinen Kollaborateuren Musik machen will. Der Brite besitzt ein Studio namens Copper House im Westen Londons. Es ist ein Ort für lose Jam-Sessions zwischen Musikern jeglicher Couleur und folgt dem Prinzip der offenen Tür.
Hier geben sich Künstler die Klinke in die Hand, die vielfältiger kaum sein könnten. So landen auf "Everything Is Recorded" unter anderem Künstler wie Sampha, Kamasi Washington, Giggs, Ibeyi, Syd, Peter Gabriel und Owen Pallett. Ein bunter Mix aus Soul, R'n'B, Rap, Jazz und Rock. Richard Russell, der seine Karriere in den 90ern mit waschechter Rave-Musik gestartet hatte, verleiht dem Sound der Platte die Electronic-Einflüsse.
Die Liste der Kollaborateure auf dem Nachfolger "Friday Forever" liest sich ähnlich: britische Rapper sind genauso vertreten wie irische Songwriter. Sowohl das legendäre Wu-Tang Clan-Mitglied Ghostface Killah als auch A.K. Paul, Bruder des tragischen Helden Jai Paul, haben Songs mit Russell aufgenommen. Jai Pauls von Blogs und Kritikern hochgelobtes Demotape war 2013 gestohlen und illegal im Internet verbreitet worden, was Paul zwar eine treue Fangemeinde und einen fast schon sagenumwobenen Namen, aber keinerlei Einnahmen verschafft hat. Sechs Jahre nach dem Leak brachte XL Recordings Jai Pauls Musik offiziell raus.
Mit den Everything Is Recorded-Projekten und seiner Politik des offenen Studios gibt Russell eher unbekannten und ambitionierten Künstlern eine Plattform. Er verhalf unter anderen The Prodigy, M.I.A., The White Stripes, Adele und The xx zu Weltkarrieren. Auch Radiohead, King Krule, Vampire Weekend, Yaeji, Frank Ocean und Beck konnte Russell von XL Recordings überzeugen.
Der A&R-Manager, Plattenfirmenboss und Musiker, der sich selbst am ehesten als Produzent sieht, verdankt laut eigener Aussage seine Karriere einer bekannten britischen Band: "Im Grunde verdanke ich alles, was ich bin, den Beatles. Als Kind war ich regelrecht besessen von ihnen. Die Beatles-Biografie von Hunter Davies war eine der wichtigsten Lektionen meines Lebens. Die Art, wie die Beatles gegen alle Widerstände ihre kreativen Ambitionen umgesetzt haben, hat sich tief bei mir festgesetzt".
Zu Russells Erfolgsrezept gehört, seinen Künstlern möglichst viele Freiheiten zu geben. Als Maßstab für Erfolg zählen für ihn keine Chartplatzierungen oder Verkaufszahlen. Auch Kriterien wie Alter oder Erfahrung interessieren ihn nicht. Kontrolle ist laut Russell eine Illusion: "Kreativität, Produktion und Musikalität sind die einzigen Sicherheiten in meinem Leben, alles andere ist vollkommen unsicher. Es könnte jeden Moment vorbei sein, für mich selbst oder jemanden, den ich liebe. Zu glauben, es könne überhaupt so etwas wie Sicherheit geben, ist im Grunde dumm. Deshalb braucht man einen Anker. Für manche ist das Religion, für mich Musik".