laut.de-Biographie
Frauenarzt
"Nackte Haut, zieh' dich aus. Keine Alternative, meine Devise: Ich bin drauf. Schmeiß' die Hunnies durch den Club, schmeiß' die Hunnies durch den Club. Brennt den Club ab, Mutterficker, du suchst Schutz im Untergrund."
Auf lyrische Ergüsse dieses Kalibers sollte vorbereitet sein, wer sich mit dem selbsternannten Berliner Untergrundkönig anlegt. Man mag es Pornographie und Sexismus schimpfen. Für Frauenarzt stellen seine umstrittenen Texte eine künstlerische Reflexion seines Umfelds dar:
"Wenn ich davon rede, dass mir jemand meinen glatt rasierten Sack lecken soll, denkt sich irgendein Junge vielleicht auch, dass er sich mal die Eier rasieren sollte. Da ist sicherlich ein wenig Aufklärung dabei."
Kritiker, die bereits wieder japsend auf den Barrikaden sitzen, mögen das Frauenarzt-Interview bei rap.de weiter verfolgen. Die beruhigende Selbsteinschätzung folgt auf dem Fuße: "Im Endeffekt haben wir nicht vor, jemanden aufzuklären oder zu erziehen. Das ist nicht unsere Aufgabe, damit haben wir nix zu tun."
Vicente de Teba kommt am 18. Oktober 1978 im Süden der deutschen Hauptstadt zur Welt. In den Straßen Berlins verbringt er eine äußerst bewegte Jugend. Im zarten Alter von 14 Jahren keimt die Liebe zu Hip Hop und Rap, insbesondere die basslastige Sorte hat es im angetan.
Für die ersten eigenen Texte bedient er sich noch eines gepflegten Schulenglischs. 1995 bricht sich die Erkenntnis Bahn, dass in der Muttersprache die Reime doch entschieden leichter von der Zunge gehen.
1996 dringt der Ruf des jungen Rappers bereits über die Stadtgrenzen hinaus. Erste Auftritte außerhalb Berlins folgen. Seinen Alias Frauenarzt, auch abgewandelt zu DJ Kologe, Arzt, Gyniko oder Günther, habe sich der Berliner "spontan in guter Laune" ausgesucht, verrät er den Kollegen bei hiphopstylez.com. Er wolle so provozieren, amüsieren, auf jeden Fall aber auffallen. Mission erfüllt.
Frauenarzt zählt 1997 zu den Gründungsmitgliedern der Straßengang Berlin Crime. Diverse Händel mit der Polizei, die Randale, Krawalle, Vandalismus und Graffiti-Delikte nicht reaktionslos hinnimmt, sind die Folge. Erstaunlich eigentlich, dass es in dieser turbulenten Phase immerhin zu einem Hauptschulabschluss reicht. Im gleichen Jahr gründet er mit seinem BC-Kollegen Manny Marc das Tape-Label Wet Pussy Digital.
"Ich will Musik machen, und noch mehr Geld", so das erklärte Ziel des Frauenarztes, das im Namen eines anderen Labelprojekts, Mehr Kohle Records, überdeutlich zum Ausdruck kommt. 1998 beginnt allerdings erst einmal der Aufstieg im blühenden Untergrund. Harte Texte und noch härtere Beats aus eigener Produktion drücken dem Frauenarzt-Sound den Stempel der Unverwechselbarkeit auf.
Auf einem Vierspurrekorder entstehen in kleinen Auflagen diverse Tapes, die "die Stimme der Jugend der Stadt" einfangen. Nun, ob wirklich eine ganze Generation von Hauptstädtern auf gehaltlose Pornostyles abfährt, sei dahin gestellt. Fraglos zählt Frauenarzt jedoch neben Taktloss und A.I.D.S. zu den einflussreichsten Pionieren im Berliner Rap-Untergrund.
Frauenarzt ist sich seines Gründervater-Status' durchaus bewusst: "Guck# doch mal, wer ich bin. Die Leute sollen einfach darauf achten, wer die Treppenstufen aufgebaut hat. Natürlich baut immer eins auf dem anderen auf, aber trotzdem bin ich eine Stufe, die sehr viel trägt."
Im bewährten Doppel mit Manny Marc hebt er ein weiteres Baby, Bassboxxx, aus der Taufe. Dieses Tape-Label soll sich zum Einfallstor für Figuren wie Orgasmus, Mr. Long und etliche andere entwickeln. Unter dem Bassboxxx-Etikett entsteht eine ganze Reihe von Aufnahmen. In den Jahren 2000 bis 2005 schließt sich eine Serie von Mix-, pardon, Wixtapes an.
Vom Tellerwäscher zum Millionär? Nicht ganz. Auf eine Karriere vom Straßenkind zum Jungunternehmer kann Frauenarzt allerdings sehr wohl zurückblicken. Neben der Zusammenarbeit mit seinen BC-Genossen MC Bogy, MC Basstard und Manny Marc, DJ Reckless aus Hannover und Aggro Berlin verzeichnet er mit Fresh Kid Ice von der 2 Live Crew auch eine internationale Kollaboration. Unter dem Namen Basscrew landen Frauenarzt, MC Bogy und MC Basstard mit "Brennt Den Club Ab" einen wüst gefeierten Untergrund-Hit.
Frauenarzt ist gerne und oft zu Gastauftritten bereit. Er rappt (sowieso) auf Tracks von Orgasmus, ist aber auch regelmäßig auf Veröffentlichungen aus dem Hause Aggro Berlin anzutreffen (beispielsweise auf "X-Tasy" von B-Tight). Dieser Umstand stößt bei eingefleischten Arzt-Fans allerdings immer wieder auf Kritik.
2003 legt Frauenarzt mit "Tanga Tanga 2003" und "Untergrund Solo Volume 2" zwei vollkommen unterschiedliche Alben vor. Während es sich bei "Tanga Tanga" um von DJ Reckless produzierten Miami Bass dreht, liefert das zweite Untergrund-Solo, inspiriert vom Hardcore-Hip Hop der 90er Jahre, Raps zu eigenen Beats. Beide Alben landen, wie auch die gemeinsam mit Mr. Long abgefeierte "Porno Party" von 2002, auf dem Index.
Unverdrossen stoßen Mr. Long, in dessen Amstaff-Stall unter anderem Bass Sultan Hengzt zu finden ist, und Frauenarzt nach: 2005 erscheint "Porno Party 2". "Musikalisch müssen wir uns keine Sorgen machen", so Frauenarzt im Interview mit rap.de.
"Wir vertrauen Reckless blind. Er weiß ganz genau, was für uns passt. Er hat den Durchblick." Das Album "Berlin Bleibt Hart" erscheint neben der originalen auch in einer "Zerhackt und Heruntergeschraubt"-Version. Sieht so aus, als habe der Chopped & Screwed-Trend aus dem amerikanischen Süden Berlin erreicht.
Mal mit, mal ohne Manny Marc wirft Frauenarzt in den kommenden Jahren Album um Album auf den Markt. Fast ebenso viele Veröffentlichungen stoßen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sauer auf und landen auf dem Index. Das zermürbt. Zudem setzt, konfrontiert mit der Tatsache, dass zahlreiche junge Konsumenten die Texte für bare Münze nehmen und als Vorlage für einen Lebensentwurf betrachten, ein Denkprozess ein.
Der Denkprozess schreitet weiter voran, als Frauenarzt Ende 2009 für fünf Jahre vorbestraft wird. Das Gerichjt folgt der Anklage, er habe im Jahr 2006 detailliert das Quälen sowie die Verstümmelung und die Ermordung von Frauen beschrieben. Frauenarzt blickt 2016 im Interview auf das Urteil zurück:
"Der Staatsanwalt Schulz-Spirohn führte einen Kampf gegen einige Leute in der Rap-Szene und wollte an mir ein Exempel statuieren. Das Motto lautete wohl: Ich schnappe mir jetzt einfach mal den, der am meisten Erfolg hat, und den stecken wir in den Knast. Der wollte mich echt hinter Gittern sehen. Und das für Musik, für die Texte. Es waren zwei Songs, für die ich vorbestraft wurde, bei denen Gewalt mit Sexualität verbunden war. Ich würde das als künstlerische Freiheit bezeichnen, es wurde aber nicht als Kunst, sondern als reine Provokation und Straftat eingestuft.
Die harten Pornostyles bleiben künftig im Schrank, Frauenarzt verlegt sich wieder auf ein Feld, auf dem er sich ebenfalls hervorragend auskennt: Party. Ganz nebenbei gebären Frauenarzt und Manny Marc, gemeinsam unter dem Banner Die Atzen unterwegs, das Baby Techno-Rap: "Gute Musik, geile Leute, gute Laune. Darum geht es uns", so Frauenarzt gegenüber rapspot.de. "Man sollte da nix in Schubladen stecken. Atzen Musik ist Party-Musik. Ob Techno, Rap, Elektro, Rock oder House."
In Kombination mit einer äußerst extrovertierten Bühnenshow überzeugen die harten Dancebeats und derben Rap-Shouts ein unerwartetes Lager: Über Alexander Marcus kommen Die Atzen mit den Dance-Heroen von Scooter in Kontakt. Frauenarzt und Manny Marc heizen für H. P. Baxxter und Kollegen die Bühne vor und kommen 2008 zudem bei deren Label Kontor Records unter, bevor Frauenarzt 2010 mit Proletik sein eigenes Label gründet. Auf diesem erscheinen auch Kollabos mit früheren Wegbegleitern wie MC Bomber, Karate Andi oder das 2017 mit Taktloss aufgenommene Album "Gott".
Was die Fachpresse als "Rückkehr zu den Wurzeln" feiert, bedeutet im Grunde nichts anderes als die konsequente Fortsetzung eines bereits Anfang der 90er eingeschlagenen Weges, den 2016 das Album "Mutterficker" noch unterstreicht: "Ich habe schon damals Elektro gemacht", stellt Frauenarzt völlig richtig klar.
"Lustig ist, dass uns früher alle belächelt und für unsere Musik ausgelacht haben. Viele haben nicht an das geglaubt, was wir machen. Aber wir ziehen es durch und heute geben uns alle Recht. Wir hatten die ganze Zeit das Richtige getan!"
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