14. Oktober 2016
"Ohne Musik springe ich in den Rhein!"
Interview geführt von Philipp KopkaOb er sein Debüt nun schon hatte oder nicht: So richtig geht es für Goldroger erst jetzt mit "Avrakadavra" los. Im Interview erzählt er, woher die Gitarren in seinem Sound kommen, wie ihm das Cloudrap-Phänomen hilft und was er vom Beginner-Comeback hält. Einen alles vernichtenden Rant über die scheinheilige Musikwelt gibt es als Sahnehäubchen obendrauf.
Aus dem güldenen Roger wurde kürzlich erst Goldroger. Das lag zum einen daran, dass die Rechte am Namen dank eines gewissen nie enden wollenden Piratenepos' bei einem großen deutschen Comicverlag liegen, zum anderen aber auch, weil aus Goldie mittlerweile ein Projekt geworden ist. Zusammen mit dem Produzentenduo Dienst & Schulter hat Roger ein Album in den Startlöchern, das musikalisch im Vergleich zum Vorgänger einen gewaltigen Satz nach vorne macht. Laut eigenen Aussagen war "Räuberleiter" eben doch nur ein Mixtape, auch wenn sein Label Melting Pot Music das gerne anders kommuniziert. Fakt ist: Die musikalische Story um Goldroger startet jetzt.
Das ist ja dein erstes Interview mit laut.de. Stell dich also doch am besten mal vor.
Ja, okay. Hm, wie stellt man sich vor? Also ich bin Goldroger aus Köln, bin bei Melting Pot Music, und mein Album "Avrakadavra" kommt am 14. Oktober 2016. Und ich bin anscheinend der King of Kraut-Rap.
Du schreibst deinen Namen neuerdings ohne Leerzeichen. Gab es rechtliche Probleme?
Ja, das hat sich angedeutet. Um der ganzen Sache direkt aus dem Weg zu gehen, haben wir das geändert. Es war erst ein bisschen erzwungen, aber jetzt im Nachhinein bin ich damit eigentlich super zufrieden. Es steht dadurch nochmal mehr für sich. Es kommt jetzt auch bisschen mehr wie ein Bandname rüber. Es ist jetzt nicht mehr der goldende Roger, es ist jetzt Goldroger, das Projekt.
Wer hätte dich denn verklagt?
Ich sage jetzt nicht, dass mich irgendwer verklagt, sonst bekomme ich dafür noch Ärger. Aber die Rechte liegen halt bei Carlsen Comics.
Du hast mal auf Twitter geschrieben, du hättest gerne so viel Geld, dass du nie wieder das Haus verlassen müsstest. Bist du ein Stubenhocker?
Ich habe auf jeden Fall das Potenzial. Meine Lieblingsbeschäftigung ist mit Abstand Musik hören. Ich hab' schon ganze Tage damit verbracht, von morgens bis abends einfach nur Musik zu hören. Wenn ich das Geld hätte, dass ich nie wieder raus müsste, würde ich den ganzen Tag zu Hause sitzen und Musik hören.
Und was hörst du da so aktuell?
Sehr verschiedenes. Ich bin momentan angetan von der "Dein Mix der Woche"-Funktion von Spotify, ich zappe mich dann da ein bisschen durch. Jetzt gerade höre ich das neue Warpaint-Album. Und sonst halt die üblichen Verdächtigen. Alle paar Monate kommt immer wieder das King Krule-Album hoch, jetzt momentan höre ich mich grade in so Bossanova-Sachen rein, da kannte ich mich früher gar nicht aus. Das wechselt bei mir, ich höre sehr viel verschiedene Musik.
Du bist also gar nicht auf Deutschrap fokussiert?
Nee, ich hab ja auch erst so mit 16 oder 17 Jahren angefangen, überhaupt Rap zu hören. Ganz früher habe ich sehr viel Punk gehört. Und, wie man das halt so macht, kam ich dann über Punk zu Ska, über Ska zu Dancehall, und dann zu Rap. Ich geh' da so den ganzen Baum durch, man muss ja wissen, wo welche Musik her kommt. Ich glaube, es gibt in jedem Genre so zwei, drei Acts, für die man sich begeistern kann, außer jetzt bei Rechtsrock oder Gabba. Das sind so Genres, die jucken mich überhaupt nicht. Aber alles, wo Instrumente involviert sind, kann ich mir immer anhören.
Deine Rap-Sozialisation fand mit den Hamburger Sachen statt. Was hältst du denn vom Beginner-Comeback?
Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mir das neue Album immer noch nicht angehört habe. Ich bin da festgefahren, ich weiß nicht, ob du das kennst. Ich höre zum Beispiel seit 2009 Kendrick. Hab' die EP damals ultrakrass rauf und runter gehört, hab' aber ein halbes Jahr gebraucht, bis ich erst mal in "To Pimp A Butterfly" reingehört habe, obwohl das halt echt mit Abstand einer meiner Lieblingsrapper ist. Aber irgendwann hat man so viele von den alten Sachen, dann hört man sich da irgendwie fest. Vielleicht ist es auch eine unterbewusste Angst, dass die neuen Sachen enttäuschen könnten. Deswegen habe ich eben auch noch nicht ins neue Beginner-Album reingehört. Aber das Comeback – klar. Hab ich eh nie verstanden, warum es da eine Pause gab. Man hat ja eigentlich immer drauf gewartet, es hätte ja auch immer gepasst, zum Beispiel, als Dynamite Deluxe das zweite Album gemacht haben, da hätte ich mir schon ein Beginner-Comeback erhofft. Jetzt ist es soweit, und ich höre mir nicht mal das Album an (lacht).
Das verwundert mich voll, weil es bei mir genau andersherum ist. Wenn ich einen Künstler feiere, kann ich es gar nicht abwarten, bis neue Sachen kommen, und höre mir das am ersten Tag in Dauerschleife an. Zum Beispiel bei Kanye habe ich mir nachts um 4 Uhr ein Tidal-Probeabo geholt, um das Album zu hören.
Ja, krass, bei Kanye war es bei mir auch so, dass ich erst mal gar nicht hinterher war. Mittlerweile habe ich es gehört, fand aber auch nur drei, vier Sachen gut. "Real Friends" und "Ultralight Beam" waren schon sehr stark, beim Rest war mir zu viel Autotune drauf. Ich weiß auch nicht, wenn ich schon so zwei, drei Alben von einem Künstler habe, bin ich nicht mehr so heiß auf Neues. Dann höre ich lieber die alten Sachen 5.000 Mal.
Es kann ja, wie im Falle der Beginner, oft nur enttäuschen, wenn ein Künstler nach Jahren ein Comeback startet. Ich habe damals Bambule auch gefeiert wie sonst was, aber du kannst ja nicht 20 Jahre später ein Album droppen, das den selben Style fährt. So gesehen, konnte die neue Beginner Platte eigentlich nur enttäuschen.
Wie fandst du es denn?
Ich fand es ziemlich kacke, muss ich zugeben. Hab' es auch nur ein, zwei Mal durchgehört und dann gemerkt, dass es mir überhaupt nichts gibt.
Echt? Okay, dann gebe ich lieber dem Kanye-Album nochmal eine Chance.
Kommen wir jetzt aber mal zu deiner Musik. Die ist ja fast schon eine Antithese zu allem, das momentan im Deutschrap gehypet wird. Fühlst du dich in dieser Rolle wohl?
Ja, voll. Ich bin diesem Cloud-Overload eigentlich sogar dankbar, weil dadurch noch mehr rauskommt, was wir gemacht haben. Ich wollte jetzt aber nicht die Antithese zu irgendwas sein. Das war einfach die Mucke, auf die wir in dem Moment Bock hatten. Das Casper-Album wäre ja theoretisch auch jetzt rausgekommen. Hätte auch sein können, dass alle gesagt hätten, wir würden Casper biten. Ich glaube, das kann man vorher gar nicht antizipieren, wie sich so etwas entwickelt. Es war eigentlich ganz stumpf: Wir haben an einem Abend überlegt, was für einen Sound wir machen wollen, dann hatten wir da eine Gitarre liegen, und ich hab' gesagt: Hey, pass' auf, ich wollte immer ein Gitarrenalbum machen. Lass' machen. Und so einfach war es dann auch.
"Deutsche Rapper servieren oft eine hingerotzte Drecks-Show!"
Das ist so vom ersten Eindruck her auch die wichtigste Veränderung zum Vorgänger.
Ja, genau, das ist der erste Schritt. Ich würde auch gerne ein Band-Album machen. Kennst du die Arcs? Oder Black Keys? Dan Auerbach, der Sänger von den Black Keys, hat eine megageile Band, die Arcs, sowas wäre halt voll geil, aber das hätten wir uns jetzt eben noch nicht erlauben können. Deshalb haben wir jetzt einfach erst mal ein Rap-Album mit Gitarre gemacht. Mal gucken, wo das jetzt hingeht. Aber die Gitarre bleibt. Das ist das, was ich schon immer machen wollte.
Wird live eine Band mit am Start sein?
Nee, aber ich hab' eine Hip Hop-Band. Live sind Dienst & Schulter mit dabei, die auch das komplette Album produziert haben. Die eine Hälfte macht den DJ und die andere Hälfte ist ein grandioser Jazz-Gitarrist. Also, die Band ist quasi ein DJ, ein begnadeter Gitarrist, und ich gebe den Frontmann.
Aber du hättest schon Lust live, wie es zum Beispiel auch ein Casper macht, mit kompletter Band aufzutreten?
Auf jeden Fall. Momentan ist das aber ein logistisches Problem. Da musst du ja auch das ganze Equipment durchs Land fahren. Das ist eben alles leider noch nicht drin. Das ist aber der nächste Schritt. Falls die Gagen steigen in den nächsten zwei Jahren, investiere ich das auf jeden Fall direkt in die Show. Das ist mir wichtig. Ich wollte immer coole Musik machen und ich wollte immer coole Konzerte spielen. Es gab früher auch krasse DJ-mit-Rapper-Konzerte, aber heutzutage sind Deutschrap-Konzerte oft eine richtige Zumutung. Wenn du dafür 30 Euro zahlst und dann so ein Typ mit zwei Backups auf der Bühne steht, der einfach nur laut ins Mikro schreit, hat das nicht viel mit Livemusik zu tun.
Warst du schon mal auf einem Casper-Konzert?
Ich war bisher nur auf seiner Clubtour, auf der er auch nur mit DJ gespielt hat. Ich habe auch einmal auf einem Festival besoffen ein Casper-Konzert vor der Bühne verschlafen, das war wirklich bitter, weil ich den unbedingt sehen wollte. Das war zu "XOXO"-Zeiten, da war ich auf dem Juicy Beats in Dortmund und bin sturzbesoffen um 16 Uhr vor der Hauptbühne eingeschlafen. Richtig, richtig, richtig, richtig bitter! Und alle meinten, das wäre voll krass gewesen. Aber ich hab' davon einfach nichts mitbekommen.
Der ist live einer der besten, die ich je gesehen habe.
Ja, ich glaube auch, dass der sich voll den Arsch aufreißt. Irgendwer wird da bestimmt auch bisschen backen, aber der spielt halt ohne Backup. Wenn Casper es schafft, alleine gegen seine Band anzuschreien, dann muss es doch auch jeder Rapper schaffen, seine Texte durchzurappen, ohne Schnappatmung zu bekommen. Ich hab' das Gefühl, da geben sich manche Leute einfach keine Mühe. Ich habe viele Kollegen, die mit Hardcore-Punk-Bands umsonst durch Deutschland touren, und die reißen sich dafür komplett den Arsch auf und proben die ganze Zeit. Deutsche Rapper proben einfach nicht, das ist ernüchternd.
Du bist ja euch noch nicht so lange dabei. Stellst du, was das angeht, eine Entwicklung fest?
Ja, ich war anfangs sehr scheiße live. Das geht jetzt immer mehr so dahin, dass es gut wird. Was ich auf jeden Fall sagen kann: Wenn die Show vorbei ist, bin ich klitschnass und hab' keine Stimme mehr. Ich habe echt Angst davor, dass jemand das Gefühl hat, er hat Geld bezahlt und bekommt nicht das, was er für sein Geld erwartet. Ich will, dass die Leute zufrieden nach Hause gehen, und dazu gehört, sich den Arsch aufzureißen.
Du hast auch mal gesagt, du weiß noch nicht, wo du dich musikalisch hinentwickeln willst. Hast du mit "Avrakadavra" deinen Sound gefunden?
Genau. Ich hab' in jedem Interview immer betont, dass ich viel Gitarren-Musik höre, von daher hat sich das schon angekündigt. Deswegen hoffe ich auch, dass die Leute nicht zu sehr überrascht sind. Während der "Avrakadavra"-Produktion war das dann noch bisschen die Frage. Ich denke, das hört man auch, da gibt es Sachen die sind retrobeeinflusst, andere haben mehr Indie-Einfluss. Jetzt weiß ich aber für das nächste Album, wo ich hinwill und auch, was ich langfristig machen will. Deshalb auch der Titel "Avrakadavra": Das war ein magischer Verwandlungsmoment. Das nächste Album wird dann auf jeden Fall der Zaubertrick (lacht).
Verfolgt man deinen Twitter-Grind, gewinnt man den Eindruck, dass du von der Szene ziemlich abgefuckt bist. Was läuft im Deutschrap deiner Meinung nach alles falsch?
Alle hacken ja momentan auf Cloudrap rum, aber das finde ich zum Beispiel sehr geil, weil das nochmal den klassischen MC-Gedanken hervor hebt. Und Hip Hop ist 'ne Party-Musik, deswegen finde ich, Cloud-Rap läuft komplett richtig. Was mich abfuckt, ist auf jeden Fall dieses Deluxebox-Ding. Das ist mein Hassobjekt schlechthin. Ich finde es bescheuert, dass man exklusive Musik für Leute raushaut, die bereit sind, mehr Geld auf den Tisch zu legen. Es sollte ein Album geben, und das sollte auch die beste Version sein. Die Deluxe-Super-Supreme-Premium-Version sollte immer das Album sein. Aber ich habe mittlerweile das Gefühl, es geht gar nicht mehr um Musik, es geht um Boxen und den verzweifelten Versuch, in den Charts hoch einzusteigen. Ich wollte immer Musik machen und habe jetzt das Glück, das machen zu dürfen. Deshalb fucken mich die Leute, die das nicht wertschätzen, um so mehr ab. Es gibt einfach Leute, die für Konzerte Geld bezahlen und sich darauf freuen, und Rapper servieren ihnen dann eine hingerotzte Drecks-Show. Das finde ich undankbar gegenüber den Leuten, die die Musik supporten. Genauso wie es undankbar gegenüber den normalen Käufern ist, wenn auf der Amazon-Deluxe-Version noch drei extra Tracks mit MoTrip drauf sind, die die Fans nun mal gerne hören wollen. Aber die bekommen dann nur die Leute, die 40 Euro bezahlen, und die, die nur 15 Euro bezahlen, sind nicht gut genug. Das ist eine sehr ekelhafte Haltung, bei der es nur noch um Monetarisierung geht. Ich weiß auch, dass die Leute davon leben wollen, aber wenn es nur noch um Geld geht, sollen sie einfach von vornherein BWL studieren.
"Ich bin ein Menschen-Rapper!"
Wie wichtig ist dir, Erfolg mit deiner Musik zu haben?
Wenn man das ganze Album hört, dann ist es mir offensichtlich egal. Das Album ist darauf ausgelegt, zu überfordern. Es ist einfach zu viel Text, um eingängig zu sein. Ich würde gerne in der Hinsicht erfolgreich sein, dass ich, was Musik angeht, verhältnismäßig teure Hobbys habe: Ich stehe auf schöne Musikvideos mit einem Konzept, ich stehe auf Liveshows mit Band, ich stehe auf ausgiebige Studiosessions. Das sind alles Sachen, die viel Zeit und Geld kosten, und es wäre super, das irgendwie ausbauen zu können. Aber ich lege es jetzt nicht darauf an, mit der Mucke ein Auto zu kaufen. Ich weiß, das klingt dumm klischeemäßig, aber es geht mir echt in allen Belangen vorrangig um die Mucke. Es wäre cool, wenn die Mucke sich selbst trägt, das wäre für mich dann der Erfolg.
Aber momentan kannst du von der Mucke noch nicht leben?
Nein, nein, das ist leider noch nicht drin. Aber ich lebe besser als ohne Musik (lacht).
Du studierst ja momentan auch noch, oder?
Ja, also die Krankenkasse glaubt das (lacht). Semesterticket hab' ich auch. Aber ich war jetzt schon ziemlich lange nicht mehr in der Uni. Ich hoffe auch, ich muss nicht nochmal hin. Ich bin ja erst relativ spät auf den Trichter gekommen, Musik zu machen. Aber ab dem Moment, als das alles angefangen hat, war das voll mein Ding. Ich weiß, dass man das nicht planen kann und dass es verhältnismäßig unwahrscheinlich ist, davon wirklich irgendwann leben zu können, aber ich würde mich mein ganzes Leben lang so krass hassen, wenn ich es jetzt nicht versuche. Wenn ich in einer Vorlesung sitze, habe das Gefühl, meine Zeit zu verschwenden.
Hypothese: Morgen kommt ein alles zerstörender Disstrack gegen dich raus und deine musikalische Karriere ist vorbei. Was machst du?
Also, was meinst du jetzt genau? Heißt das, ich könnte so gar keine Musik mehr machen? Noch nicht mal andere Künstler produzieren?
Genau.
Puh, tja, hmmm ... (überlegt lange) Dann springe ich in den Rhein! (lacht) Ich kann mir das gar nicht mehr vorstellen, das ist vorbei. Richtig dunkel jetzt, die Antwort (lacht).
Jetzt haben wir immerhin eine Überschrift!
Newsflash: Goldroger bringt sich um! (lacht)
Perfekte Überleitung zu meiner nächsten Frage: Auf "Harry Haller" geht es ja eigentlich genau um das Thema. Du freust dich über die Macht, deinem Leben jederzeit ein Ende setzen zu können. Bist du für die Einführung der Sterbehilfe?
Da gab es ja letztes Jahr auch eine krasse Debatte drüber. Ich finde schon. Selbstbestimmt sein Ende zu wählen, hat meiner Meinung nach auch etwas mit Menschenwürde zu tun.
Ich hatte da kürzlich erst eine interessante Diskussion drüber. Wenn alte Menschen dement werden, finde ich den selbstbestimmten Todeswunsch völlig legitim. Aber die Kehrseite der Medaille ist eben, dass, wenn Sterbehilfe erlaubt wird, auch Teenies mit Depressionen davon Gebrauch machen könnten, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben.
Gut, natürlich gibt es da eine krasse Risikogruppe, wo man sagen könnte, das Urteilsvermögen ist eingeschränkt, wenn die Depression überhand nimmt. Das ist dann eben der schmale Grat, bei dementen Rentnern sind sich, glaube ich, alle einig, dass es richtig wäre, aber bei depressiven Jugendlichen eben nicht. Man kann ja auch niemanden zwingen, Psychopharmaka zu nehmen und ihn davon überzeugen, dass es schon besser wird. Da hätte ich jetzt so ad hoc auch keine perfekte Lösung für. Aus dem Bauch raus würde ich sagen: Sollte man nicht erlauben. Aber andererseits kann man dann auch nicht den Versuch unter Strafe stellen. Schlussendlich kann man es einem Menschen, der es will, auch nicht verbieten, weil er immer einen Weg finden wird.
Du wirst ja gerne mal in die Schublade Politik-Rap gesteckt. "Avrakadavra" ist bewusst weniger politisch als noch "Räuberleiter". Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Ich hab' mich gefragt, ob das jetzt sein muss, hab' dann den Track "Friede den Hütten" geschrieben, wo es darum geht, dass ich, gemessen an den Idealen meines 15-jährigen Ichs, wesentlich konformistischer geraten bin, als ich mir das erhofft hätte. Aber weiter in die Tiefe gehen wollte ich dann auch nicht. Das war dann der politische Track, und selbst in dem hinterfrage ich lieber mich selbst. Dadurch ist es nicht mal ein richtiger politischer Track. Es gibt momentan Themen, die sich definitiv anbieten, aber da wurde mittlerweile alles zu gesagt. Ich wollte jetzt auch nicht der x-te Rapper sein, der einen Flüchtlingstrack macht. Irgendwann verwischt dann die Grenze, wo ich mich frage, aus welchen Motiven das gemacht wird. Das hat mich abgeturnt. Ich glaube, in der aktuellen Lage kann man mehr durch Aktionen im echten Leben überzeugen. Ich hab' zwei Kollegen, die regelmäßig nach Calais fahren und da Klamotten hinbringen, die sie mit Kleiderspenden in Dortmund gesammelt haben. Ich glaube, so kann man mehr machen, da musste ich jetzt nicht drüber rappen. Außerdem rappe ich halt über Menschen. Politik ist zwar auch eine Interaktion zwischen Menschen, aber ich bin kein Politik-Rapper, ich bin ein Menschen-Rapper.
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