laut.de-Kritik
Pathos und Größenwahn der Jugend zünden die lyrische Bombe.
Review von Lisa Wörner"Die Wölfe sind los und wollen das Blut sehen / Lasst die Bänder rolln / Das Volk will zusehen / Lasst die Spiele beginnen ..." Endlich ist es da: Caspers opus magicum, "XOXO".
Lange hat er uns warten lassen, doch es hat sich gelohnt. Dass Casper ein guter Rapper ist, wussten wir bereits. Was er aber hier zündet, ist eine lyrische und musikalische Explosion.
Pulsierende Herzschläge - "... drei zwei eins - der Druck steigt! Wir hol'n zurück, was uns gehört!" Nie habe ich eine Albumeröffnung gewaltiger erlebt. "Wir scheitern immer schöner / Sind Versager mit Stil / Haben nich viel / Ausgenommen Leitfiguren / Auf und davon / Sind nicht schön / Sind nicht reich / Wird hart erkämpft / Da raus zu kommen."
Von "Der Druck Steigt" geht es nahtlos zu Part 2 der Vergessenen, "Blut Sehen". Auf kompromisslosem, hammerharten Dexter-Beat rollen Caspers Raps über einen hinweg, "und es brennt / Im Zweifel für den Zweifel zu spät / Die Stadt brennt / Teil der Lösung oder Teil des Problems? / Die Stadt brennt / Gibt eh nich mehr viel zu verliern / Doch wir warn hier, verdammt / Wir warn hier!".
Ja. Wir warn hier und wir holen uns zurück, was uns gehört. Mit Pathos und Größenwahn, wie sie nur die Jugend zu transportieren vermag, lodert bereits in diesem grandiosen Opening der vergessenen Kids das Feuer eines imaginären Putsches: "Da geht es gar nicht darum, konkrete Missstände anzuprangern, sondern ein kleines bisschen Aufbruchstimmung zu verbreiten. Ich will nur sagen: Ihr wisst gar nicht, wie geil das sein kann, jung zu sein und auf alles zu scheißen", sagt Casper im Interview mit der Juice.
Auch Tracks wie "XOXO" mit Thees Uhlmann, "Die Letzte Gang Der Stadt", "Auf Und Davon" oder "Michael X" erzählen, so persönlich sie ausfallen, Geschichten der Jugend einer ganzen Generation. Geschichten von Rotwein im Tetrapack, Aufbruch, Träumen und davon, "wo wir mit sechzehn dachten / Wo wir mit dreißig sind."
Casper, der überall als Messias eines neuen Zeitgeists im deutschen Hip Hop gefeiert wird, erweckt einen längst vergangenen zu neuem Leben. "Wir liegen lachend in den Trümmern und fühln uns frei." Voller Nostalgie und mit einer Stimme, die sich einem in Kopf und Herz brennt, zieht Casper uns in einen dunklen Sog einer vergessenen Rebellion. "Anti-alles für immer."
Casper hat eine seine Weile gebraucht, die Menschen zu finden, die seine musikalische Vision verstanden haben. Als Produzent des Ganzen fungiert nun Steddy Wilmking, Schlagzeuger der H-Blockx und Timid Tiger, der auf den meisten Tracks des Albums zudem die Drums eingespielt hat.
"Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich den Namen Casper nicht für irgendetwas Beliebiges hergebe", sagt Casper. Das zieht er konsequent durch. Aufwändig produziert, musikalisch vielschichtig und auf hohem Niveau komponiert, ist "XOXO" ein Hip Hop-Album, wie es seinesgleichen sucht.
Samples gibt es trotzdem auch, so basiert beispielsweise der Beat von "Auf Und Davon" auf einem Track der Arty-Farty-Chillwave-Band ("How To Dress Well"), aber die bilden eher die Ausnahme, als die Basis. Wie? Hip Hop, und nicht durchseucht von Samples?
"Die Amis samplen Funk und Soul, weil das ihre Kinderstube war. Ich hingegen habe in meiner Jugend The Smiths und Morrissey gehört, später viel Hamburger Schule. Insofern ist 'XOXO' ein erstmaliges Darlegen meiner musikalischen Sozialisation", sagt Casper.
Ein nicht seltenes Problem des Hip Hop ist, dass Raps und Beats nicht miteinander gehen. Hier beschleicht einen der Eindruck, die Sprache und Sound fließen ineinander.
Einziges Rap-Feature auf der Platte ist "So perfekt" mit Marteria, ein Rappart geiler als der andere: "Doch wenn schon scheiße tanzen / Dann so, dass die ganze Welt es sieht / Mit Armen in der Luft / Beiden Beinen leicht neben dem Beat / Und wenn du mit der Königin die Fläche verlässt / Sag dir: Diese Welt ist perfekt." Perfekt auch Marterias Gastspiel: "Du bist schön / Du bist aus Gold / Sitzt in deinem Monstertruck / Sonnenbrandgebräunt / Rollst los / Hans Dampf / Rammst alles weg / Mit dem Kopf durch die Wand / Diese Welt ist perfekt." Wie geil grooven die denn eigentlich?
Casper erzählt von "Problemen, fürs Leben zu groß, zum Sterben zu klein", mit einer teilweise schon quälenden Eindringlichkeit und Bildgewalt und erfindet dabei eine völlig neuartige, explosive Sprache im deutschen Hip Hop. "Mal bist du der Jäger, mal bist du der Bär. Nur wenn du ein Bär sein musst, dann kämpf'", lehrt der Vater ihn bereits in seiner Kindheit.
Das hat er sich wohl zu Herzen genommen, unser Casper.
Obwohl 2008 bereits Caspers Solodebüt "Hin Zur Sonne" erschien, fühlt sich "XOXO" dennoch auch für Casper an wie ein Debüt. Denn erst jetzt hat er geschaffen, was er wirklich wollte: ein sämtliche Genregrenzen sprengendes Album. Musikalisch reicht die Spannweite von Indiepop, Emocore und Postrock über Drone Doom bis zum Hip Hop.
Da die Musikindustrie es nun einmal liebt, Kunst in Schubladen zu quetschen, haben Casper und Co ebenfalls schon nach einer Beschreibung für das gesucht, was sie in ihren Reagenzgläsern im Labor Krabbe kreiert haben: "DoomHop" zum Beispiel. Oder "RapGaze". Einen adäquaten Namen dafür gibt es nicht.
"Hip Hop plus x?", fragt die Juice. Wenn, dann steht das x für die Magie Caspers. Die lässt sich nicht in Worte fassen. Man sollte es gar nicht erst versuchen.
204 Kommentare mit 7 Antworten
also die single ist schonmal so kacke, dass 5 sterne alleine deshalb nicht klargehen. den rest tu ich mir aber mal vorbehaltlos an. props gibt es für die mitarbeit von steddybeats, der als alter schlagzeuger von thumb meine jugend geprägt hat.
na, dass mir der indie-sound nicht so reinläuft, war ja klar. aber die 5 gehen allein schon für die stimme klar. wie ein kantholz im ohr - so derbe.
Megaalbum! Und ich hatte mir geschworen, wenn es hier nicht die volle Punktzahl für gibt... wie dem auch sei, absolut gerechtfertigt!
Ein massives Stück Musik, was es in der Form aus Deutschland definitiv bislang niemals gab!
Uiuiui, so lebendig wie hier wart uns intro danach aber selten bis gar nicht mehr gesehen.
Auch hinsichtlich anderer Gestalten im Kommentarbereich ganz amüsant, dass ihr die Scheibe nochmal ausgegraben habt zum 10jährigen. Fand sie ja damals schon innerhalb ihres Genres ambitioniert, aber maximal durchschnittlich. An würziger Reife kam da mE auch nicht allzu viel dazu über die Jahre...
...immerhin wurde ich durch den Fred mal wieder an die furchtbar ironisch gegenteilig genutzte Inkarnationsphase des users "stummerzeuge" erinnert.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Hatte zum Release einen enormen Hype (zumindest in der Jutebeutel-Ecke) und ging daher auch direkt auf die 1, was 2011 noch nicht mit ein paar Spotify-Clicks bewerkstelligt wurde. Hat gute Tracks, aber schwer zu sagen, ob man hier wirklich (schon) von einem "Klassiker" sprechen darf.