18. Juni 2021

"Wir sind nicht bloß ein Echo aus der Vergangenheit"

Interview geführt von

Die Hamburger Metal-Vorreiter Helloween kehren verstärkt um Kai Hansen und Michi Kiske mit zwölf taufrischen Songs zurück. Das selbstbetitelte Comeback ist ein sattes Statement, das sieben unterschiedliche Kürbisköpfe zu einem Leckerbissen vereint.

Michael Kiske war lange Zeit weg vom Fenster. Der Ausstieg nach dem diskutablen Experiment "Chameleon" 1993 schien das Ende der Zusammenarbeit mit Helloween gewesen zu sein. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch Kiskes verbale Attacken gegen jede Form harter Musik. Dass der sensible und spirituelle Musiker nun doch wieder in den Schoß der Familie zurückkehrt, ist ein kleines Wunder. Sich und anderen verzeihen zu können, stellt für diesen Schritt die Grundlage dar. Auf "Helloween" gelingt es der Speed Metal-Speerspitze, den Geist der "Keeper Of The Seven Keys"-Phase zu erwecken und mit den späteren Machwerken unter Frontmann Andi Deris zu vereinen. Kiske entpuppt sich als äußerst auskunftsfreudig und gibt einen tiefen Einblick in den Prozess, der zur Reunion geführt hat.

Wie geht's dir?

Ich hab derzeit keinen Stress. Ich war gestern beim Videodreh, jetzt bin ich wieder da.

Darf ich raten, welcher Song einen Spot bekommt?

Rate.

"Best Time".

Yep. Der bietet sich schon an. Ich hätte was anderes genommen. Es wird aber echt lustig, nicht so Science Fiction-mäßig.

Welchen Song hättest du präferiert?

Ich hätte zu "Fear Of The Fallen" ein richtiges Video gemacht. Nicht nur ein Textvideo. Das ist ziemlich überflüssig. Aber das sehe nur ich so.

Stimmt, "Fear Of The Fallen" ist ein starkes Statement und bringt die beiden Stimmen von Andi Deris und dir richtig gut zur Geltung.

Der hat in der Tat alles. Auch witzigerweise einen Keeper-Vibe, und doch klingt es gleichzeitig nach den späteren Helloween. Jetzt nach dem Videodreh leuchtet mir schon ein, warum wir "Best Time" genommen haben. Dennoch hätte ich "Fear Of The Fallen" gemacht.

Deinen Werdegang mit Blick auf die Texte, die du auf deiner Internetseite verfasst hast, habe ich mit Interesse verfolgt. Und mein Einstieg in die deutsche Metal-Szene und die Musik, die Helloween auszeichnet, war tatsächlich Avantasia gewesen. Vor zwanzig Jahren markierte das ja auch für dich das Comeback mit dieser Art Musik.

Tobi hat schon eine gewisse Hilfestellung gegeben. Das war dann definitiv auch das erste Mal auf einer richtigen Tournee. Wobei das erste Konzert gar nicht mit Avantasia, sondern mit Unisonic 2010 auf dem Sweden Rock war. Da haben wir noch nicht mal ein Album gehabt. Die Veranstalter waren uns so wohl gesonnen, dass sie uns unbedingt haben wollten. Das war echt lustig, weil wir vor allem Place Vendome-Material gespielt haben. Das Ding mit Gamma Ray, bei dem ich "Future World" performt habe, war definitiv später.

Anschließend hat die Arbeit mit Avantasia Fahrt aufgenommen. Ich kann mich an einen Auftritt 2019 in der Offenbacher Stadthalle erinnern. Du warst leider nicht dabei, hattest jedoch mit der Pumpkins United-Tour einen trifftigen Fehlgrund. Tobi meinte in seiner gewohnt schelmischen Art, dass ihm der Dank gebührt, Helloween wieder zusammengebracht zu haben. Aber ganz so einfach ist es nicht, oder doch?

Nee, nee, nee. Sagen wir mal so: Er hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass ich mich darauf eingelassen habe, wieder härtere Musik zu machen. Lange wollte ich gar nichts dergleichen und habe meine eigenen Sachen gespielt, die eher akustisch waren. Gerade für meinen Beitrag zur ersten Avantasia hat er mich regelmäßig bearbeitet. Das war jedoch nur ein Schritt von vielen. Ich habe danach mit Serafino von Frontiers die Place Vendome-Sachen angeschoben mit letztendlich vier Platten. Daraus sind Unisonic entstanden.

Um auf den Live-Geschmack zu kommen, hat Avantasia auch einen Anteil daran. Bei der ersten Tour wollte ich noch nicht mit. Bei der zweiten hat es dann geklappt. Mein Manager Kosta Zafirou hat mir das nahegelegt. Gerade weil perspektivisch mit Unisonic wieder Touren angesagt waren, hielt er das für einen guten Einstieg. Bei Avantasia singe ich nicht durchgängig, die Verantwortung liegt nicht auf meinen Schultern. Die Helloween-Reunion hätte es trotz Avanatasia oder Unisonic nie gegeben, wenn nicht andere Sachen passiert wären.

Was war noch wichtig in diesem Prozess?

2013 bin ich backstage bei einem Festival in Michael Weikath reingerannt. Da war ich allerdings auch wieder mit Avantasia unterwegs (lacht). Er hat die beste Sache gesagt, die man sagen kann. Er hat mich angeguckt und gefragt: Was habe ich gemacht, dass du mir nicht verzeihen kannst? Ich habe kurz innengehalten und gemerkt, da ist keine Wut mehr. Ich meinte zu ihm, dass ich ihm schon vor Jahren verziehen hätte. Das war für mich ein Game Changer. "Pumpkins United" war da längst noch kein Thema. Weder wurde mir etwas vorgeschlagen, noch habe ich darüber nachgedacht. Die Drahtzieher dahinter waren das Helloween-Management, Andi Deris und Kai Hansen.

Wer meine antroposophischen Texte kennt, weiß, dass ich das Leben spirituell begreife. Ich habe irgendwann gemerkt, wie wichtig die Phase für meine Entwicklung war. Raus bei Helloween, nur noch mich beschäftigen mit Antroposophie, Philosophie, deutschem Idealismus. Das war eine karmische Fügung, das sehe ich heute ganz klar. Es sollte nicht mehr sein.

Da sind Wesenheiten geschickt worden, die dafür gesorgt haben, dass wir uns permanent in die Wolle kriegen. Das habe ich Weiki erklärt, weil er sich große Vorwürfe macht, er könne nicht verstehen, warum er vorher so drauf war. Gegen die Wesenskräfte bist du nicht gewachsen. Man ist nicht mehr man selbst. Insofern konnte ich ihm auch nicht mehr böse sein. Er hat schließlich angestoßen, was mir sehr viel gebracht hat. Es gab eine echt prollige und niedliche Situation, in der wir uns verziehen haben. Weikath ist eine moralische Persönlichkeit, auch wenn er freaky und crazy ist.

Kai hat das letzte Quäntchen beigetragen. Wir spielten mit Unsonic dann 2014 drei richtig klasse Gigs in Spanien. Wir wurden zu der Zeit richtig gut, hatten genug gespielt und mit zwei Platten genügend Material am Start. Nach einem der Gigs sagte Kai zu mir, Michi, irgendwann müssen wir wieder was mit Helloween machen. Ich meinte, ich bin offen. Das war der eigentliche Auslöser. Kosta hat ja Schlagzeug gespielt und saß auch dabei. Er meinte, was glaubst du, was los ist, wenn ich das den Leuten im Büro erzähle? Der Manager Jan Bayati von der Agentur hat mich dann angerufen und gefragt, was denn von solch einer Bemerkung zu halten ist. Es gab danach ein längeres Telefonat mit Weiki.

Bevor jedoch ernsthafte Planungen ins Spiel gekommen sind, wollte er, dass ich Zeit mit Andi Deris verbringe. Wir hatten uns bis dahin nur aus der Ferne beschnuppert und teilweise aneinander gelitten, weil er derjenige war, der meinen ehemaligen Job hatte, er hingegen viel Gegenwind von Kiske-Fans bekommen hat. Ich bin dann für zwei Wochen nach Teneriffa geflogen. Es stellte sich schnell heraus, dass wir viel gemeinsam haben. Mir ist klar, dass das eine Karma-Verbindung ist. Die Bandmitgmieder kennen sich nicht nur aus diesem Leben. Nicht bei allen gleichermaßen, aber Andi gehört definitiv dazu. Wir hatten beide das Gefühl, uns zu kennen und uns zu verstehen. Danach stand Pumpkins United nichts mehr im Wege.

"Das Schöne daran heute ist, Teil einer Familie zu sein."

Du hast die Story, wie es zur Reunion kam, sehr detailliert und ausführlich aufgedröselt. Hat bei Andi und dir neben der persönlichen Sympathie auch das Verständnis der Rolle in der Band einen Ausschlag des gegenseitigen Verständnisses gegeben? Oder war es eher eine Frage der Reife und des Alters?

Es sollte zumindest so sein, dass mit dem Alter eine gewisse Weisheit einkehrt. Man muss sich Andis Perspektive vergegenwärtigen. Nach Kais Ausstieg war die Balance weg. Der Geist war ein anderer, es hat nicht mehr funktioniert. Roland (Grapow) kam dazu, ein prima Gitarrist, der auch gute Songs geschrieben hat. Seine Persönlichkeit hingegen hat das Gleichgewicht nicht wieder hergestellt. Das Selbstverständnis der Keeper-Platten war schlicht weg.

Zum Zeitpunkt meines Ausstiegs war ich natürlich tief verletzt. Vom heutigen Zeitpunkt aus nüchtern betrachtet, hat die Band mit Andis Einstieg wieder funktioniert. Andi ist sehr willensstark, ein Löwe, sehr fokussiert. Wenn er sich für etwas entscheidet, möchte er, dass es professionell gemacht wird. Seine Songs sind ebenfalls prägend. Gerade auf der ersten Platte nach seinem Einstieg, die für seine Akzeptanz von großer Bedeutung gewesen ist, hat er ganz viele Schlüsselsongs geschrieben. Die Band fühlte sich damals imstande, weiter manövrieren zu können.

Wir haben aus der Situation heraus Verständnis füreinander. Er kennt mittlerweile die Bagage, im Guten wie im Schlechten. Wie ich damals von Weikath dargestellt wurde, war nicht besonders objektiv. Es war in der Band nie so gewesen, dass einer dem anderen gesagt hat, was zu tun ist. Weiki selbst hat sehr experimentelle Sachen beigesteuert. "Windmill" auf "Chameleon" kam von ihm. Meine Sachen waren immer sehr anders. Es wurde damals so gedreht, wir mussten den Kiske rausschmeißen, um die Metal-Flagge wieder ausgraben zu können. Das haben viele gekauft. Aber das war sehr unfair und einfach unwahr.

Rein künstlerisch ist es nicht meine Überzeugung, jemandem die Marschroute vorzugeben. Meinen Geschmack sag ich schon, wenn er verlangt wird. Aber mit Andi komm ich gut klar. Wir sind "Partner in crime" wie man so schön sagt. Meine Hauptmotivation war gar nicht langfristig. Ich dachte zunächst an Versöhnung. Alle dachten daran, die Reunion-Tour zu fahren und eine gute Zeit zu haben. Es existierten zunächst nur Verträge für diese eine Tour. Eine Tour fordert dir alles ab. Es hätte auch nach hinten losgehen können. Wir haben das super gestemmt, auch wenn ich 2017 mega krank war. Da habe ich echt gekämpft, weil ich mir keine Auszeit gegönnt habe. 2018 war ich wieder fit, und das war für mich natürlich ein schöneres Tourjahr. Aber wenn in Zukunft etwas gesundheitlich im Argen liegt, dann bin ich weg. Meine Prüfung 2017 war, die Tour nicht zu canceln.

Danach war klar, solange das so gut läuft und die Fans es lieben - Erfolg und Ticketverkauf waren noch nie so gut wie jetzt - fiel die Entscheidung, eine Platte zu machen. Das lief sehr easy ab. Wenn das so bleibt, hören wir nicht auf und machen weiter. Sich zurückzunehmen und den kleineren Zirkus auf Tour zu bringen, wäre ein erheblicher Abstrich. Ich fühle mich nicht als Gastmusiker, sondern dass Helloween meine Band ist.

Somit ist die Wahl des Bandnamens als Albumtitel ein selbstbewusstes Statement und ein Brückenschlag zu den Anfangstagen, aber kein Abschluss der Karriere.

Nicht, wenn wir es verhindern können (lacht). Du siehst ja, wie das Leben manchmal so spielt. Es lässt sich schwer etwas voraussagen. Ich habe in meiner ersten Phase viele Extreme erlebt. Die ersten sieben Jahre war alles auf unserer Seite, ein Selbstläufer gepaart mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit. Dann habe ich erlebt wie das plötzlich nicht mehr so ist. Insofern bin ich vorsichtig mit weiten Prognosen. Viele Aspekte sind von außen schwer nachvollziehbar.

Das Schöne daran heute ist, Teil einer Familie zu sein. Damit meine ich nicht nur den Kern, sondern auch das Management und all die Leute, die die letzten Jahre zusammengefunden haben, die Crew, die Plattenfirma, die Promotion. Das nimmt der Fan nicht so wahr, weil viel Arbeit im Hintergrund geschieht. Die ganzen Videos, die du auf der Pumpkins-United-Tour gesehen hast, haben zwei Fans aus Südamerika gebastelt. Dieses Gefühl ist überwältigend. In den Anfangstagen waren wir umgeben von Leuten, die alle das größte Stück vom Kuchen abhaben wollten, denen die Band scheißegal war. Nun sind wir nicht mehr von Haifischen umgeben. Ein entscheidender Unterschied.

Ihr habt ja auch mit eurem Produzenten-Team auf ein funktionierendes Umfeld gesetzt, was denke ich wichtig ist, um die sieben Charaktere unter einen Hut zu bringen. Du hast eben das schöne Wort Schlüsselsongs verwendet. Viele Fans der Keeper-Platten hatten sich insgeheim genau das gewünscht. Eine Rückkehr zu dem Stil, der euch weltberühmt gemacht hat. Diesem Wunsch seid ihr ja bisweilen nachgekommen. Die erste Single "Skyfall" ist ja kein Song streng genommen, sondern eine Sinfonie. Trotzdem passiert auf der Platte eine ganze Menge. Wie wichtig war es euch, die einzelnen Bandphasen nicht nur über die beteiligten Musiker abzubilden, sondern tatsächlich auch zum klingen zu bringen?

Du kannst es nicht lenken, ob ein Album nun gut wird. Wenn du Songschreiber bist, hast du, wenn du Glück hast, Ideen oder Inspiration, und aus denen strickst du einen Song. Dann steigt die Band ein und jeder steuert bei, was er beisteuern kann. Was du lenken kannst, ist die Songauswahl. Wenn du dir anschaust, was die Band bereits gemacht hat, gibt es wenig, was wir bislang stilistisch ausgelassen haben. Die guten Sachen entstehen und lassen sich nicht am Reißbrett planen. Du musst schon was arbeiten. Es entsteht nichts, wenn du zu hause vor dem Fernsehen sitzt und Chips frisst. Wenn die Platte fertig ist und wir zufrieden sind, heißt das nicht, dass das Publikum es auch so sieht. Jeder hat natürlich seine spezielle Sicht und seine Favoriten. Jeder hätte bestimmte Dinge anders gemacht. Derjenige, der das besonders betont, heißt Kai Hansen (lacht). Der hat es noch nicht so verstanden, dass es in einer Band nie so läuft, wie einer es gerne will.

Die Songs mit dem Keeper-Vibe singe ich in der Summe. Die klassische Andi Deris-Ära zahlt auch mit ein. Ebenso die Verbindung beider Phasen. Etwas zu designen, was man meint, dass die Leute das hören wollen, war nie unsere Absicht. Es ist was Eigenes geworden, in dem du die Fingerprints der Musiker hast. Wenn ich einen Kai Hansen-Song singe, dann klingt das immer nach Helloween und speziell nach der Keeper-Phase. Auch bei Weiki ist das meistens der Fall. Und selbst wenn ich einen Song von Andi singe, klingt der nach Helloween. Klar, denn Andi war länger in der Band als ich und verkörpert einen beträchtlichen Teil dessen, was die Band auszeichnet. Es ist was Rundes und Organisches geworden.

"Musik muss nicht laut sein, um ehrlich zu sein. Aber sie darf."

Helloween firmieren unter dem Label Metal. Aber es ist so viel mehr. Ihr fahrt eher einen klassischen Ansatz, was die Dynamik angeht, die Tempiwechsel, das Melodien- und Harmonienverständnis. Es ist Wahnsinn, was letztlich in einem Song passiert, selbst bei kürzeren Tracks wie "Best Time" oder "Mass Polution". Die Herangehensweise erinnert eher an die Arbeit an einer Partitur als an schweißtreibende Proberaumsession. Du bist ja neben Dani Löble der Einzige, der nicht als aktiver Songwriter gelistet ist. Hast du dadurch einen objektiveren Blick auf das Songwriting und inwieweit warst du eingebunden.

Es muss nicht jeder zu allem seinen Senf ablassen, aber wenn jemand eine gute Idee hat, dann ist das schon erwünscht. Ich habe mich bewusst rausgenommen. Ich trete ja auch auf den Keeper-Alben als Songwriter in Erscheinung und habe Songs geliefert, die von den Fans geschätzt werden. Nimm "We Got The Right", "A Little Time", "You Always Walk Alone", die haben einfach nicht die Bedeutung von "Eagle Fly Free", "Dr. Stein" oder "I Want Out". Auch "March Of Time" oder die Longtracks "Keeper Of The Seven Keys" oder "Halloween". Weiki und Hansen sind schon die wichtigeren Songschreiber für Helloween, Andi Deris natürlich auch. Nimm Sascha Gerstner, er hat ebenfalls mehr Gewicht. Ich bin sowieso nicht der klassische Heavy Metal-Musiker. Selbst als Teenager, als mein Zimmer mit Iron Maiden- und Eddie-Postern tapeziert war und ich als Metalhead auf Maiden, Judas Priest, Metallica oder später Queensryche abgefahren bin, hab ich nie aufgehört, andere Musik zu hören wie Elvis, Beatles, Eurythmics, Kate Bush, selbst softe Sachen wie Simon & Garfunkel und Barbra Streisand und viele klassische Sachen. Stevie Ray Vaughan hab ich gehört als er noch gelebt hat.

U2 lieb ich nach wie vor, auch wenn die lange nicht mehr so großartige Songs wie früher schreiben. Bono ist ein fantastischer Typ. Wenn du ihn in Interviews hast, dann weißt du, warum die Band so gut ist, denn er ist durchaus ein spiritueller Mensch. Der hat sich längst über das Level einer Religion heraus entwickelt. Er hat nicht die Information, die du als Anthroposoph hast mit den Inhalten, die du dir von Rudolph Steiner erarbeiten kannst. Trotzdem: Vor kurzem erzählte er in einem Interview, dass die Religionen eigentlich Gegner Gottes sind. Das ist wahr, Religionen sind Ablenkungsmanöver, dogmatische Systeme, die den menschlichen Geist versklaven und einkerkern. Jeder, der selbst spirituelle Erfahrungen gemacht hat, weiß, dass das, was Christus den Eintritt in das Reich Gottes nennt, nichts anderes als die spirituelle Welt ist. Wenn die dann zu Priestern der katholischen Kirche gehen, wird das direkt als Teufelei bezeichnet. Der Zugang zur geistigen Welt ist da nicht erwünscht. Christus sagt das zu den jüdischen Schriftgelehrten, dass sie den Schlüssel zum Reiche Gottes versteckt haben, selbst nicht eintreten wollen und alle daran hindern, die es selbst wollen. Die Religionen halten den Menschen im Materialismus, indem sie ein Konstrukt bieten, was von Gott redet, aber nicht zu Gott führt. Das vom Himmelreich spricht, exklusiver Eintritt inklusive. Der Eintritt ins Reich Gottes ist unsere spirituelle und moralische Entwicklung und nichts anderes.

Das hat Bono erkannt, und dadurch mag ich die Band noch ein Stück weit mehr. Selbst in meiner Metalzeit habe ich einfach nur Songs geschrieben und dann geguckt, wie man die aufrocken kann. Ich hab nix gegen rockige Musik. Das war mal ne Zeit lang so, da war ich auch fanatisch und einseitig, alles Entwicklung bedingt. Ich hab alles über einen Kamm geschert, das sehe ich heute alles differenzierter. Das hatte viel mit verletzten Gefühlen zu tun, aber auch damit, wie mir mit meinen eigenen Sachen begegnet wurde. Das hat nichts mit ehrlicher Musik zu tun. Entweder macht man ehrlich seine Musik. Musik muss nicht laut sein, um ehrlich zu sein. Aber sie darf. Aggressionen sind nicht per se negativ. Ein gewisses aggressives Element ist manchmal wichtig, um sich Freiraum zu verschaffen und sich zu befreien. Es kommt darauf an, ob du es umwandeln und durchmenscheln kannst, dann bedeutet es plötzlich Kraft.

Im Metal-Bereich gibt es ja mehr als zwei Seiten und Perspektiven und etliche Qualitätsdiskussionen, welches Genre nun das bessere sei. Es gibt ja nicht nur die fein ziselierte Spielart, die eher einer klassischen Denke folgt und deren Kompositionsansätze verwendet, sondern auch die Hau-Drauf-Ästhetik.

Selbst eine Platte wie "The Dark Ride" ist gar nicht mal so dunkel wie es sich anhört. Es ging bei uns nie in die Richtung, dass wir das Böse idealisiert haben oder Unmenschlichkeiten verkündet haben. Wir hatten immer einen positiven Ansatz und einen humoristischen Aspekt. Guck dir mal die Texte an. Selbst Hansen hat ja super-spirituelle Texte zu den Keeper-Zeiten geschrieben. Wir hatten schon immer einen anderen Spirit. Das ist der Grund, warum ich heute "Eagle Fly Free" weiterhin mit Überzeugung singe, weil ich mich damit identifiziere.

Ich finde es gut, dass du deine Erlebnisse nicht nur mit dem typischen Promo-Gelaber unterlegst, sondern in einen größeren Kontext einbettest.

Alles andere wäre auch unehrlich. Das ist mein Grundansatz bei der Kunst. Wenn du dir Goethe und Schiller durchliest, wobei Goethe vieles nicht bewusst gemacht hat. Schiller hat viel eher versucht, Kunst intellektuell zu verstehen. Wenn man von Ehrlichkeit künstlerischer Hinsicht spricht, dann ist das ein sehr dehnbarer Begriff. Was ist Kunst und was nicht? Aber die Grundvoraussetzung ist ein ehrlicher menschlicher Ausdruck. Und das kann zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Formen annehmen, auch was das Material angeht, mit dem gearbeitet wird. Alles was von Herzen kommt, berührt die Menschen. Natürlich gibt es auch diese Totgeburten. Wir haben eine Kunstszene in den letzten anderthalb Jahrhunderten entwickelt, die so intellektuell ist, dass jemand Bücher schreiben muss, um überhaupt verstehen zu können was diese Kunst aussagen will. Dass heißt nicht, dass dies nicht Menschen erreicht. Denn vielleicht springt ein anderer darauf an. Dann entsteht auch Kunst. Doch Kunst ist nicht abstrakt festzumachen, sondern nur an dem, was im Menschen passiert. Deswegen ist es auch wichtig, welche Gesinnung du hast, wenn du einen Song schreibst oder ein Bild malst. Deswegen ist auch wichtig, dass man sich um Wahrhaftigkeit bemüht.

Der Ansatz kommt auf jeden Fall generationen-übergreifend an. Mit meinem Sohn, der jetzt fünf Jahre alt wird, höre ich immer "Skyfall" auf dem Weg zum Kindergarten und zurück.

Wir ziehen auf jeden Fall immer wieder junge Fans an. Die stehen dann meistens vorne und unsere Generation zieht sich aus dem Gedrängel zurück. Ich gehöre jetzt mit meinen 53-Jahren noch nicht zum alten Eisen, auch wenn wir schon eine Dinosaurier-Band sind. Uns gibt es ja seit den Achtziger Jahren. Aber wir sind nicht bloß ein Echo aus der Vergangenheit.

Metallica und Maiden gibt es nach wie vor. Das wäre euch in jedem Fall auch zuzutrauen.

Jetzt müsste man nur wieder mal auf Tour gehen.

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