Porträt

laut.de-Biographie

Kollege Hartmann

"Kollege Hartmann ist ein sehr hart arbeitender Rapper", stellen die Fachleute bei ALL GOOD richtig fest. Der so Gepriesene sieht es nüchterner: "Ich will eigentlich nur Scheiß reden, weil ich will eigentlich nichts preisgeben", behauptet er, und lässt allein damit schon tief blicken. Nicht allzu wichtig nehmen möchte der Wahl-Leipziger sich, seine zahlreichen kleinen und größeren Wehwehchen und seine Musik. Ein wahrer Kern steckt trotzdem überall drin.

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Bestes Beispiel: die mühselige Entscheidung über den Künstlernamen. Seit Frank Hartmann 2004 die ersten Reime verfasst hat, sucht er das geeignete Pseudonym. Er bleibt bei keinem lange. Auch Swägmeier, der Name, unter dem er 2014 auf der "44 Zoll EP" zusammen mit BenCredit in Erscheinung tritt, setzt sich nicht durch.

Am Ende liegt das Gute, wie oft, so nah, es steht schon im Ausweis: Hartmann besinnt sich auf seinen tatsächlichen Nachnamen, den er zuvor, wenn auch zu "Hardman" verfremdet, schon als Tracktitel nutzte. Ein willkommener Nebeneffekt steckt im Spiel mit dem Kontrast:

"Hartmann, da erwartet man so einen Zwei-Meter-Hooligan", witzelt er im Interview mit It's Yours ... und dann kommt Hartmann: nicht der größte, nicht der breiteste, "und ich bin behindert", erklärt er selbst. "Körperlich behindert: Ich hab' ein kaputtes Bein" - auf dessen Wade offensiv der Schriftzug "DEFEKT" prangt.

Der unverkrampfte Umgang mit seinem Handicap fiel nicht vom Himmel: "Bis ich so 16, 17 war, hab' ich nie kurze Hosen getragen, weil ich mich so geschämt hab'", sagt er. Erst beim Abhängen in der lokalen Punk-Szene habe er diesbezüglich eine deutlich gesündere Scheißegal-Haltung entwickelt.

Mit der geht Hartmann nicht nur mit seinem defekten Bein, sondern auch mit seinen Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, und einer Lese- und Rechtschreibschwäche, dann doch ziemlich vergnügt durchs Leben. "Seine Schwächen zu kennen und mit ihnen umzugehen, ist in meinen Augen eine Stärke", ist er überzeugt. "Die Perfektion, die viele darstellen wollen, gibts gar nicht. Es ist normal, dass mit einem nicht hundertprozentig alles okay ist."

Zur Selbsterkenntnis gehört wohl auch die Einsicht, dass hier nicht der allerschnellste Arbeiter zugange ist: Von den ersten Reimversuchen bis zur Veröffentlichung der "44 Zoll EP" ziehen gediegene zehn Jahre ins Land. In der Zwischenzeit fabriziert Hartmann zwar komplett in Eigenregie drei Alben. "Die waren aber ... naja ... nicht gut", so sein eigenes, wenig zimperliches Urteil. "Auf die hat auch keiner mehr Zugriff, außer den Leuten, die sie halt haben. Und das sind vielleicht zwanzig, dreißig Personen."

Ehe mit "Alltag Life" das erste Album folgt, das diese Bezeichnung tatsächlich verdient, wird es April 2016, und das auch nur, weil Hartmann auf tatkräftige Mithilfe bauen darf: BenCredit, Gossenboss mit Zett (als dessen Vorprogramm und Backup er durchs Land tourt) oder Monkay steuern Beats bei, ersterer und JayTheRipper greifen außerdem zum Mikrofon. "Hartmann hätte wohl ansonsten noch mehr Ausreden gefunden, um länger an dem Album arbeiten zu können", mutmaßt sein eigenes Presseinfo.

Dabei präsentiert er sich durchaus als Malocher und spricht auch schon mit dem Intro eine schwer schuftende Zielgruppe an: "Solche Wie Ich" wendet sich an Ärzte, Krankenschwestern, Computerspezis, "an alle, die alles feiern - außer Bayern", in erster Linie aber "an die Arbeitstiere, die ständig irgendwas machen". Arbeit nämlich bildet Fundament, Dreh- und Angelpunkt von "Alltag Life", dessen Urheber "Von Montag Bis Sonntag" den "Schichtleiterblues" schiebt.

Trotzdem findet Hartmann zwischendurch Zeit, um diverse über die Jahre entstandenen Featuresongs zusammenzusammeln. Die Tracks auf der 2015 erschienenen Compilation "Gastarbeiter" stammen aus den Jahren 2012 bis 2015 und spiegeln entsprechend gut seine musikalische Entwicklung und seine Einflüsse.

Das Arbeitsethos bekam Hartmann quasi in die Wiege gelegt: Die Großeltern, beide Lehrer*innen in der DDR, bringen ihm schon früh einen tiefsitzenden Respekt für die Arbeiterklasse bei. Der gehört er später selbst an: Er arbeitet als Buchbinder. "Ich produziere etwas mit meinen Händen" erklärt Hartmann im Interview mit ALL GOOD. "Das macht mich stolz." Er beklagt aber auch: "Für die ehrliche Arbeit bekommt man sehr unehrlichen Lohn."

Trotz körperlich anspruchsvollem Vollzeitjob findet er Zeit für Musik. Die entdeckte er (oder sie ihn) schon in seiner Jugend auf dem ostdeutschen Dorf zwischen Leipzig und Dresden: Mit King Orgasmus One und anderen Berliner Untergrund-Rap-Helden aus der ersten Hälfte der 2000er ist Hartmann aufgewachsen, "rausgewachsen auch", wie er betont.

Sein Faible für deutschen Hip Hop hat er sich aber bewahrt, genau wie die Vorliebe für harte Gitarren: "Manchmal kann ich mir auf der Arbeit acht Stunden lang Techno in einer unnormalen Lautstärke reinpumpen", verrät er gegenüber rap.de (die Plattform möge in Frieden ruhen). "Gleichzeitig begeistert mich aber auch Punk und Hardcoremusik." Rick Ross oder LGoony? Warum nicht beide feiern? Warum nicht The Cure samplen und die "Känguru Chroniken" zitieren? Für Hartmann alles kein Widerspruch.

Inhaltlich vollzieht sich über die Jahre jedoch ein Wandel. Hartmann lernt dazu, reflektiert stärker, macht sich über seine Rolle, seinen Sprachgebrauch und dessen Wirkung Gedanken. "Ich bin ein Cis-Mann, der sich unter Cis-Männern nicht wohlfühlt", soll er später rappen. Im Interview ergänzt er: "Das trage ich schon seit meiner Jugend mit mir herum."

Der Sinneswandel, den Hartmann durchmacht, stoppt auch vor seinem eigenen Oeuvre nicht: Er nimmt sein Album "Alltag Life" selbst aus dem Netz. "Das bin nicht ich. Das war auch damals nicht ich." Zunächst habe er es stehen lassen wollen, um seinen eigenen Reflektions- und Entwicklungsprozess zu dokumentieren. Dann zieht er das Album doch zurück:

"Gerade in so bewegten Zeiten sollte Musik grundsätzlich auf dem Prüfstand stehen", findet er. "Es gibt keine Ausrede mehr, frauenfeindlichen, rassistischen oder anderweitig diskriminierenden Mist zu veröffentlichen. Alle haben die Wahl, sich dafür zu entscheiden, die eigene Musik auch wieder offline zu nehmen. Jeder steht selbst für seine Kunst gerade." Er wolle "die Sprache, die ich damals teils verwendet habe, einfach nicht mehr reproduzieren", führt er aus. "Jetzt ist es halt weg."

Weg ist zu diesem Zeitpunkt auch sein Künstlername Hartmann. Respektive: Er hat Zuwachs bekommen, zur besseren Wiedererkennbar- und Auffindbarkeit geht ihm nun noch ein "Kollege" voran. Es passt auch einfach: Arbeit ist und bleibt sein großes Thema. Kollege Hartmann meldet sich zur Schicht.

"Je mehr Kollege, desto realer", rappt er auf seinem Album "Modus Mindestlohn", das im Sommer 2021 erscheint. "Man sollte ja real sein, sagt Fler", hatte er passend dazu schon Jahre zuvor zu Protokoll gegeben. Damals sagte er allerdings auch: "Persönliche Texte mag ich nicht so. Ich will Musik machen für live. Die Leute sollen nicht allzu viel über mich nachdenken, die sollen Spaß an der Musik haben."

Die Erkenntnis, dass sich beides nicht gegenseitig ausschließen muss: ein weiterer Entwicklungsprozess, den Kollege Hartmann durchläuft. Eigentlich will er nach "Alltag Life" das Mic nämlich an den Nagel hängen. Musik habe sich mehr und mehr wie Arbeit angefühlt, "es hat einfach keinen Spaß mehr gemacht." Er fabriziert noch die extrem Techno-lastige Doppelsingle "Maschine"/"Uhrensohn", danach soll Schluss sein.

Blöd (oder: gut?) nur, dass just dann Danger Dan anfragt, um Kollegen Hartmann als Support für seine "Beschönigtes Leben"-Tour zu verpflichten. Zusammen mit Gossenboss mit Zett hat er im Vorprogramm der Antilopen Gang-"Anarchie & Alltag"-Shows in Dresden und Jena offenbar mächtig Eindruck hinterlassen.

Kollege Hartmann nimmt Dans Angebot an und findet nicht nur ein Publikum, sondern auch seine Rap-Begeisterung wieder. Er reißt nicht nur auf den Danger Dan-Shows ab, sondern beweist 2019 mit Gossenboss auf "Großer Gurkenwasser-Tour", dass sein Ehrentitel "Maschine" nicht vom Himmel gefallen ist.

Allerdings hat sich bei ihm etliches getan. "Ich hatte keine Lust mehr, mich in irgendwelchen Rollen zu verkrampfen." Eine Show von Haszcara 2018 öffnet ihm die Augen: "Sie war echt, nahbar, verletzlich, trotzdem stark in ihrer Attitüde."

Hier sieht Kollege Hartmann auch für sich einen Weg. Nicht mehr mit aller Gewalt so tun, als sei er witzig, unterhaltsam, jemand anderes, sondern nur noch er selbst. Er habe "gelernt, dass es gar nicht erforderlich ist, mit seinem Rap zu demonstrieren, wie krass männlich, wohlhabend und hart man ist", teilt Kollege Hartmann bei rap.de seine Erkenntnis.

Die manifestiert sich 2021 auf "Modus Mindestlohn": "Erst dachte ich: Scheiße, ich hab' 'Alltag Life 2' aufgenommen.'" In gewisser Weise stimmt das sogar: Die Themen sind ähnlich, es dreht sich wieder größtenteils um die Maloche.

Allerdings lässt der Kollege mehr Tiefe zu, zeigt weit mehr unterschiedliche Facetten und lässt durchaus durchblicken, dass Plackerei nicht alles im Leben ist. Auch wenn seine emsigen Umtriebe das kaum glauben lassen. Kollege Hartmann ist live, solo oder als Backup-MC für Gossenboss mit Zett, gerne auch als Support für Waving The Guns, die Antilopen oder Neonschwarz im Einsatz. Zudem baut er Beats unter dem Namen 25 y/o me und hostet obendrein zusammen mit Edgar Einfühlsam den Podcast "Nicht die Einzigen".

Zwischen gelebtem Arbeitsethos und der entschiedenen Weigerung, sich für die Arbeitswelt aufzuopfern und verheizen zu lassen, hat Kollege offenbar Hartmann seine Nische gefunden. Dort entpuppt er sich als der perfekte Schichtleiter für Provinzkinder, für Malocher*innen und für alle, die lieber amtlich feiern als sich mit der Politur irgendwelcher Hochglanz-Fassaden aufhalten wollen.

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