laut.de-Kritik

Wahrhaftig und wahrhaftig alt.

Review von

Jo Barnikel ist das Duo in Konstantin Weckers "Lieder Meines Lebens Duo". Der Pianist und Keyboard-Spieler Barnikel begleitet Wecker seit über 30 Jahren. Insofern ist die Entscheidung folgerichtig, das seit einigen Jahren (und noch mit etlichen weiteren geplanten Terminen) aufgeführte Programm "Lieder Meines Lebens" in der Version zu zweit zu veröffentlichen und nicht in der mit Band, trotz des tollen Saxofonisten Norbert Nagel, und auch nicht in der Trio-Version mit Cellistin. Barnikels Spiel trifft die Balance zwischen unterstützend und tragend durchgehend; sie setzt aber keinen Kontrapunkt. Wo Kitsch ist, bleibt Kitsch, wo Wecker als Sänger reüssiert, da steht Barnikel nicht nach und liefert blendend ab.

"Lieder Meines Lebens Duo" ist destillierter Wecker. Wer aufrichtigen Pathos ohne doppelten Boden und ohne Selbstreflexion nicht ertragen kann, der empfindet das Album als 54-faches Martyrium. Da hilft die irre Entscheidung nicht, "Schlaflied", "An meine Kinder" und "Liebesdank" so früh im Verlauf zu positionieren, denn damit ist früh ein Epizentrum aus tiefster Empfindung gesetzt, die so unvermittelt am Anfang unweigerlich schmierig schmeckt. Das tut vor allem "Liebesdank" unrecht, das zwar pathetisch ist, aber auch schön und von einer positiven Emotionalität beseelt, von seinem Umfeld aber etwas verwässert wird. Es passt auch nicht zum dynamischen Beginn des guten Openers "Ich singe, weil ich ein Lied hab'".

So gelingt erst mit "Vaters Sterben (Text)" und dem zugehörigen "Niemals Applaus" ein Ausbruch der Kitsch-Phase des Albums, getrennt durch gute fünf Minuten "Moderation Elternhaus 1" und zwo. Dieser Bruch durchs Erzählen und später durch die gelesenen Gedichte fällt nicht gravierend auf, da Wecker wie auf "Niemals Applaus" auch mal nur spricht, obwohl Jo spielt. Wecker dreht den Spieß an dieser Stelle inhaltlich um, es geht um seine Kindheit und das Sujet wird unmittelbarer, griffiger. Denn wenn Wecker von Kindern erzählt, spricht er weniger über seine Kinder und seine Elternschaft, sondern eben über abstrakte Kinder; und dass man zu diesen nicht scheiße sein soll, schafft halt nicht besonders viel emotionale Reibung. Spricht er dagegen von Kindheit, redet er über sein eigenes Kind-Sein und die Erfahrung wird eindrücklicher.

Mit "Liebeslied" und "Und dann" folgen starke Interpretationen exzellenter Lieder aus Weckers Werk. Den "Willy" lässt Wecker dieses Mal stecken (bringt ihn live aber manchmal durchaus) und liefert einen, akzeptiert man den Vorrang jüngerer Lieder, insgesamt kaum Wünsche übrig lassenden Parforceritt seines Kanons, durchaus auch mit unbekannteren Liedern. Es folgen zahlreiche Gedichte, die dank Vortrag und Barnikel wie das saustarke "Und manche (Gedicht)" keineswegs wie poetische Zwischenkaspereien wirken, sondern elementare Bestandteile des Albums sind.

"Manchmal weine ich sehr" und "Was passierte in den Jahren" vereinen eine Spiellust und einen verletzlichen, aber vital wirkenden Sänger, dass es eine Freude ist. "Gefrorenes Licht (für Hans-Peter Dürr)" steht dem kaum nach, auf diesen Liedern nimmt Wecker nie die einfache Ausfahrt, trägt Gedanken so vor, dass sie lange beim Hörer bleiben und das auf hochmusikalische Art und Weise.

Aus der Zeit gefallen sind diejenigen politischen Passagen mit Zusammenhang zu früheren politischen Geschehnissen, da Wecker seine Ansichten schlicht seit Jahrzehnten nicht geupdated hat. Er ist ein Pazifist der 60er/ 70er, kein heutiger. Das ergibt immer dann eine unangenehme Fallhöhe, wenn Wecker aus seinen damals (und nicht etwa über den Verlauf der Jahrzehnte) gewonnenen Überzeugungen zu übertragen versucht und selbst mir altem Sack instinktiv im Hinterkopf schallt: "ok, boomer".

"Den Parolen keine Chance" fehlt der Mut, den der im Lied postulierte "Aufschrei" bräuchte. Es war 2017 schon wohlfeil, einen vermeintlich mutigen Aufruf gegen die AfD in die Welt zu setzen, ohne diesen mit irgendwas zu verknüpfen. Dieser Song sagt wenig über die ja richtigen allgemeinen Nenner hinaus, die einen AfD-Wähler eh nicht interessieren. Diese nur vermeintlich brüske, da die Adressaten nie erreichende Ablehnung ohne Angebot, ohne Entlarvung, ohne Diskurs funktioniert nun mal offensichtlich jahrelang schon nicht, und wenn es nur daran liegt, dass der deutsche Michel dafür zu dumm ist. Dafür kann Wecker nichts, aber das Lied acht Jahre später kurz nach einem Weidel-Auftritt im Quadrell zu veröffentlichen, wirkt nichts anderes als hilflos.

Natürlich kann man nichts gegen das alte "Die weiße Rose" sagen, im Übrigen ist es auch musikalisch exzellent vorgetragen. Während 1983 aber noch genug Altnazis herumlungerten, um dem Lied eine Relevanz zu geben, ist diese 2025 nicht mehr da und interessiert die neuen Nazis herzlich wenig. Das ist nicht Weckers Schuld und nicht schlimm, verdient das Lied doch davon unabhängig, gehört zu werden. Man merkt Wecker aber an, dass er eben diesen Vortrag als Beitrag zum antifaschistischen Kampf versteht, und diese Diskrepanz zur Realität, die macht traurig. Dagegen ist die mit persönlichem Feuer vorgetragene "Warum ich kein Patriot bin (Text)" und "Sage Nein (2024)" deutlich wohltuender, knüpft aber ganz offensichtlich wie auch "Denkt mit dem Herzen (Text)" in seinen Beispielen nicht an aktuellen gesellschaftspolitischen Triggerpunkten an und wirkt dabei nicht zeitlos, sondern alt.

Es folgt eine ganze Reihe ordentlicher, aber musikalisch nicht zwingender Lieder, mit einem starken Einschlag von "Utopia". Das ausschließlich kotzende "Schäm dich Europa" überzeugt nicht nur durch seine Dynamik, sondern scheint aktuell, wo es andere politisch-ablehnende Lieder des Albums nicht schaffen. Fanliebling "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist" ist ebenso wie "Wir werden weiter träumen" durchschnittlicher, ordentlicher Wecker. Aus diesem Schluss bleibt neben "Europa" eigentlich nur "Was einem der Regen raunend erzählt" etwas länger im Ohr, ohne, dass etwas störte, das Konzert fließt wohlig. Nur "Buonanotte Fiorellino" als Abschiedsgruß in den Abend ist dann etwas zu viel des Lieblichen. Aber so ist er halt, der Wecker, und so ist auch das gute, leicht überladene "Lieder Meines Lebens Duo".

Trackliste

  1. 1. Ich Singe, Weil Ich Ein Lied Hab'
  2. 2. Moderation Lieder meines Lebens
  3. 3. Den Parolen Keine Chance
  4. 4. Vorstellung Jo Barnikel und Moderation Schlaflied / An meine Kinder
  5. 5. Erich Mühsam: Die Seele des Kindes (Gedicht)
  6. 6. Schlaflied
  7. 7. An meine Kinder
  8. 8. Liebesdank
  9. 9. Moderation Elternhaus 1
  10. 10. Parigi, o cara (Zuspielung)
  11. 11. Moderation Elternhaus 2
  12. 12. Vaters Sterben (Text)
  13. 13. Niemals Applaus
  14. 14. Moderation Liebeslied
  15. 15. Liebeslied
  16. 16. Und dann
  17. 17. Moderation Gedichte
  18. 18. Eine ganze Menge Leben (Gedicht)
  19. 19. Über die Zärtlichkeit (Gedicht)
  20. 20. Und manche (Gedicht)
  21. 21. Zeit der Verwandlung (Gedicht)
  22. 22. Du liebst (Gedicht)
  23. 23. Von der Schwäche (Gedicht)
  24. 24. Es lebe die Zerbrechlichkeit (Gedicht)
  25. 25. Gelebtes Leben (Gedicht)
  26. 26. Moderation Manchmal weine ich sehr
  27. 27. Manchmal Weine Ich Sehr
  28. 28. Moderation Liebesflug
  29. 29. Liebesflug
  30. 30. Was Passierte In Den Jahren
  31. 31. Moderation Gefrorenes Licht (für Hans-Peter Dürr)
  32. 32. Gefrorenes Licht (Für Hans-Peter Dürr)
  33. 33. Wut und Zärtlichkeit
  34. 34. Die Weiße Rose
  35. 35. Warum ich kein Patriot bin (Text)
  36. 36. Sage Nein (2024)
  37. 37. Moderation Hanns Dieter Hüsch
  38. 38. Utopie
  39. 39. Moderation Ernst Toller
  40. 40. Ernst Toller (Zuspielung)
  41. 41. Es ist an der Zeit
  42. 42. Moderation Auf der Suche nach dem Wunderbaren
  43. 43. Auf der Suche nach dem Wunderbaren
  44. 44. Ach es regnet (Gedicht)
  45. 45. Was Einem Der Regen Raunend Erzählt
  46. 46. Denkt mit dem Herzen (Text)
  47. 47. Schäm Dich Europa
  48. 48. Moderation Elfriede Jelinek
  49. 49. Wir Werden Weiter Träumen
  50. 50. Utopia
  51. 51. Wenn Der Sommer Nicht Mehr Weit Ist
  52. 52. Schlendern
  53. 53. Buonanotte Fiorellino
  54. 54. Jeder Augenblick ist ewig (Gedicht)

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