28. November 2018
"Es regnete Bierdosen"
Interview geführt von Michael SchuhAus MC5 ward MC50: Die Rock'n'Roll-Legende aus Detroit spielt derzeit in Europa. Zum Jubiläum des 1969er Debütalbums und mit nicht minder prominenten Gastmusikern.
Wayne Kramer. Ein Name, nicht ganz so geläufig wie Iggy Pop. Dabei zählte seine Detroiter Band MC5 Ende der 60er Jahre ebenso wie Iggys The Stooges zu den gefürchteten Rebellen des Rockbusiness. Friede, Freude, Summer of Love? Nicht mit Kramers Band. Das Live-Debüt "Kick Out The Jams" ist 1969 die erste Platte auf einem Majorlabel, die den Kraftausdruck "motherfuckers" beinhaltet. Was entsprechenden Ärger mit Obrigkeiten nach sich zieht. Michigans Hippie-Galionsfigur und White Panther Party-Gründer John Sinclair fungiert als als Manager der MC5, die daraufhin prompt vom FBI überwacht wird. 1972 fällt die Band auseinander.
2018 tourt Gitarrist Wayne Kramer nun mit der Allstar-Band MC50, um das legendäre Debüt einer neuen Generation nahe zu bringen. Ein Pflichtbesuch für Alternative-Rock-Fans, da auch Kim Thayil von Soundgarden, Brendan Canty von Fugazi und Billy Gould von Faith No More im Line Up stehen. Wir erreichen Kramer telefonisch auf Tour in Mailand, müssen uns am Ende aber vorzeitig der schlechten Verbindung geschlagen geben.
Mr. Kramer, mit "The Hard Stuff: Dope, Crime, The MC5 And My Life Of Impossibilities" haben Sie soeben eine Autobiographie veröffentlicht. Kam Ihnen beim Schreiben schon die Idee, "Kick Out The Jams" live auf die Bühne zu bringen?
Wayne Kramer: Das ist korrekt. Irgendwann während des Schreibens fiel mir auf, dass das Buch ja zum 50. Jahrestag der Aufnahme von "Kick Out The Jams" erscheinen könnte. Dadurch lenkt man heutzutage nun mal noch mehr Aufmerksamkeit auf das Thema.
Unzählige Musiker sind bekennende MC5-Fans. Aus welchen Beweggründen haben Sie sich beispielsweise für Kim Thayil und Billy Gould entschieden?
Kim, Billy und Brendan sind alte Freunde von mir. Durant, unseren Sänger, lernte ich erst vor kurzem kennen. Wir stehen alle auf denselben Sound und haben zu verschiedenen Gelegenheiten schon zusammen auf der Bühne gestanden. Von daher wusste ich, dass es gute Leute sind. Mir ging es darum, fähige und verantwortungsbewusste Musiker zu finden.
Was ist Ihre Vision für den Sound von MC50?
Die Musik ist nach wie vor relevant, der Sound zeitgemäß und das Konzept, das wir vor 50 Jahren erdachten, ist über all die Jahre nicht vermodert. Auch heute leben wir in einem feindseligen Umfeld mit korrupten Staatsoberhäuptern, die nicht im Interesse der Bevölkerung Entscheidungen treffen. MC5 stand als Band immer für eine positive Grundeinstellung und für Selbstbestimmung. Unsere Message ist zeitlos: Wenn du die Welt verändern willst, musst du hart dafür arbeiten.
Wie liefen die Vorbereitungen für die Tour? Kamen die Jungs als Fans in den Proberaum und hatten alle Songs schon auswendig drauf?
Kann man so sagen, das sind ja alles 1-A-Musiker. Aber obwohl sie gut vorbereitet waren, mussten wir lange proben. Die Musik von MC5 ist ziemlich speziell, eine seltsame Kombination aus Struktur und Improvisation. Es ist nicht leicht, das gut zu spielen. Deshalb hat es gedauert, bis wir soundtechnisch alle zusammen kamen.
Sänger Durant kam neu dazu. Haben Sie auch andere angefragt, etwa Ian Astbury oder Evan Dando, mit denen Sie in den 90er Jahren aufgetreten sind?
Nein. Das waren einmalige Projekte. Ich wollte keine alte Formation wiederbeleben.
Durant war also erste Wahl?
Naja, man spricht mit mehreren Leuten. Aber am Ende war Durant die beste Wahl. Es ist nun mal so, dass viele qualifizierte Leute in anderen Bands spielen, die ihrerseits einen strikten Zeitplan haben. Von daher ist es nicht so leicht, eine funktionierende Band zusammen zu stellen, wie manche sich das vielleicht vorstellen.
Eines der verrücktesten Line-Ups der MC5-Konzerthistorie war wohl die Show 1972 im Wembley-Stadion vor 65.000 Menschen mit unter anderen Little Richard und Chuck Berry. Wie erinnern Sie diesen Abend?
Und Bill Haley & The Comets, Bo Diddley und Jerry Lee Lewis! Es war eine unglaubliche Ehre für mich, mit diesen Musikern eine Bühne teilen zu dürfen. Damals lernte ich auch eine Lektion fürs Leben: Wirf niemals Bierdosen ins Publikum zurück. Wir sind damals ziemlich aufgefallen mit unseren schrägen Outfits, so dass uns die Zuschauer erst mal zwiespältig beäugten. Als dann eine Bierdose auf uns segelte, warf sie unser Sänger Rob Tyner einfach zurück. Im nächsten Moment regnete es Bierdosen auf die Bühne. Das war lustig.
"Resist! Resist! Resist! Fight! Fight! Fight!"
Wir leben in einer Zeit, in der Populismus die Menschen erreicht, die Sprache sich zunehmend nach rechts verschiebt und Beleidigungen hoffähig geworden sind. Was sollte man dieser Entwicklung entgegen setzen?
Begeistere deine Freunde und dir Nahestehende für Gespräche und Diskussionen. Alles beginnt mit Konversation. Das kann am Arbeitsplatz weitergehen, in deiner Gemeinde oder in anderen Organisationen. Wir müssen gegen Faschismus, Rassismus und wirtschaftlichen Opportunismus aufstehen. Wir müssen auf die einzelnen Menschen schauen, was sie benötigen, und nicht darauf, was Politiker und Multimillionäre brauchen. Resist! Resist! Resist! Fight! Fight! Fight!
MC5 waren ein Zusammenschluss linkspolitischer Aktivisten mit deutlicher Sprache. Wenn du dich heute umschaust, vermisst du Bands, die ähnlich klar Stellung beziehen?
Man findet immer noch eine paar linke Hardliner-Bands. Aber die Zeiten haben sich auch geändert. Heute brauchen wir neue, intelligente Strategien. Ich glaube nicht, dass Straßendemos noch zeitgemäß sind. Die Polizei hat mittlerweile rausgefunden, wie sie mit sowas umgehen muss. Veränderung muss anders gelingen. Wahlen etwa sind, vor allem in Amerika, nach wie vor ein wirksames Instrument. Deshalb werbe ich seit Jahren dafür, dass man sein demokratisches Recht verantwortungsvoll nutzt.
Ich weiß, dass Wahlen in Europa sehr an Respekt verloren haben. Oder nehmen wir die Katalonier: Sie sagen, sie wollen nichts mehr mit Spanien zu tun haben, aber die Regierung ignoriert das einfach. So geht es halt nicht. Und der russische Geheimdienst schaffte es auf sehr geduldige Art und Weise, westliche Demokratien in Europa und den USA zu unterhöhlen. Das ist eine neue Gefahr, der wir uns stellen müssen.
Tom Morello hat uns kürzlich erzählt, dass Sie auch ihn angefragt haben, bei MC50 mitzumachen ...
Oh ja!
Trägt einer wie Morello den politischen Geist der MC5 in die Jetztzeit?
Es tut mir leid, ich verstehe dich kaum noch. Dabei bin ich vorhin schon in einen anderen Raum gegangen. Ist das zu glauben? Wir leben in der technisch am weitesten fortgeschrittenen Epoche der Menschheit und ich kann nicht mal ein verdammtes Interview am Handy führen?
Ich sprach von Tom Morello, ist das ein Musiker, der mit seinen starken politischen Meinungen den Geist der MC5 weiterträgt?
Tom ist ein großartiger Freund und Kamerad. Er hilft mir auch bei meiner gemeinnützigen Arbeit, der Musik mit Gefängnisinsassen. Er besucht regelmäßig mit mir Häftlinge. Tom ist ein echter Bruder im gemeinsamen Kampf.
Kim Thayil hat letztes Jahr seinen Freund und Sänger Chris Cornell verloren, so wie du auch in den 90er Jahren deinen Freund und Sänger Rob Tyner. Sprecht ihr darüber und spürt man durch diese Gemeinsamkeiten eine Art von Trost?
Ja, wir sprechen natürlich darüber. Es ist einfach wichtig, Freunde zu haben, mit denen man diese schrecklichen Ereignisse teilen kann. Es ist sehr hart, vor allem wenn man jünger ist. Aber es ist sowieso immer hart und schmerzvoll.
Daraus schließe ich, die Bandchemie bei MC50 ist mehr als intakt.
Fragst du mich nach der Bandchemie mit Fred Smith?
Nein mit MC50.
Sorry, ich verstehe kein Wort.
Die Bandchemie bei MC50 ist demnach großartig, oder?
I'm sorry man, ich glaube, wir müssen Schluss machen. Ok, stell die Frage noch ein letztes Mal.
Bist du glücklich mit der Bandchemie bei MC50 nach einigen Konzerten?
Ja. Die Stimmung in der Band ist sagenhaft. Wir kommen sehr gut miteinander aus und haben jeden Tag Spaß. Die Musik ist großartig und wir sind alle voll dabei. Ich kann mich wirklich nicht beklagen. Sorry, aber wir müssen hier leider Schluss machen, es hat keinen Zweck.
MC50 spielen heute Abend in Berlin (Columbia-Theater) und morgen in Hamburg (Fabrik).
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