12. Februar 2010
"Damon Albarn ist ein Genie!"
Interview geführt von Eberhard DoblerNach sieben Jahren im Album-Off melden sich Massive Attack dieser Tagen mit "Heligoland" zurück. Wir hatten Grantley "Daddy G" Marshall am Ohr, sprachen über die neuen Songs, Kollabo-Partner Damon Albarn, aber auch über den verlorenen Sohn Tricky oder die Berliner Seeed.Ein Telefonat mit der tiefen Stimme von Massive Attack, Daddy G, bedeutet vor allem eines: eine entspannte und gut gelaunte Gesprächsatmosphäre, ein aufmerksamer Gesprächspartner und - Kinderstimmen im Hintergrund.
Hallo Mr. Marshall, wie gehts, was treiben Sie gerade?
Daddy G: Mir gehts gut, bin in der Küche und versuche, meinen Kindern was zu Essen zuzubereiten. (lacht)
Verstehe, dann fassen wir uns mal kurz. Massive Attack spielen schon seit geraumer Zeit Tracks der neuen Platte live, wie kommen die denn bei den Fans an?
Es war ziemlich aufregend für uns, das auszuprobieren. Wir wollten gleich viele neue Songs in die Show integrieren, und es war spannend zu beobachten, wie die Leute reagierten: Sie kannten die Tracks schon ziemlich gut, das hat uns natürlich beflügelt.
Obwohl die meisten Leute ja sicher lieber Eure Hits hören wollen ...
Ja ... Hits spielen, ist jetzt nicht immer das Coolste. Wir wollten viel lieber die Reaktionen der Leute auf das neue Material einfangen. Nur Hits spielen, wird irgendwann zu naheliegend: Zum Glück haben wir neue Tracks. (lacht)
Auf "Heligoland" sind viele gute Sänger und Musiker zu hören, beispielsweise Damon Albarn oder Hope Sandoval - was war denn die inspirierendste Kollaboration?
Gute Frage. Aber ich muss sagen: jede. Denn jeder Track hat ein eigenes Gesicht. Wir arbeiteten mit Tunde, Guy, Martina, Hope oder Horace zusammen, und hatten die Tracks schon vorher auf jeden Einzelnen zugeschnitten. Was sie dann daraus gemacht haben, war fantastisch.
Wobei sich viele wahrscheinlich die Zusammenarbeit mit Damon Albarn viel spannender vorstellen als vielleicht die mit Langzeitbuddy Horace Andy ...
Wir arbeiten nur mit Leuten zusammen, die wir wirklich mögen. Wir kommen von einem DJ-Background her und sind auch selbst Fans, etwa von Sinéad O'Connor, Horace oder Damon, jeder hat seine eigenen Qualitäten. Wir versuchen, mit ihnen nicht einfach zu wiederholen, was sie normalerweise tun, sondern sie in die Massive Attack-Welt zu integrieren, sie dazu zu bringen, etwas zu kreieren, was sie vielleicht sonst nicht machen würden.
Das Fundament von Massive Attack war immer Bewegung, wir waren nie eine Band mit einem festen Sänger oder so. Als DJs integrierten wir verschiedene Sänger und verschiedene MCs in unser Soundsystem, das ganze Gefüge sollte immer in Bewegung sein, überraschend sein. Die Tatsache, dass wir mit jemandem wie Damon Albarn zusammenarbeiten, hat nicht damit zu tun, dass wir Aufmerksamkeit generieren wollen. Wir betrachten diese Leute als Freunde und fragten, ob sie Lust hätten, uns beim Album zu helfen - und sie sagten ja.
Wie unterscheidet sich "Heligoland" von den früheren Massive Attack-Alben?
Die Art und Weise, wie wir die Platte gemacht haben - und natürlich wie sie klingt. Wir wollen uns möglichst nicht wiederholen. "100th Window" zeichnet sich durch viele elektronische Sounds aus, es ist ... schwerer zugänglich. Diesmal gingen wir viel einfacher vor, haben das Soundgerüst reduziert, klingen akustischer, sind direkter. Wir wollten ein intimeres Album machen, eines, das songbasiert klingt und simpler zusammengefügt ist, sich einem sofort erschließt.
"Damon ist ein Genie - wir dachten immer, wir sind es"
Lass uns übers Songwriting reden. Kann man Deine Tracks von denen Roberts klar unterscheiden?Ja, indem man die Credits liest. (lacht)
Okay, okay - anders gefragt: Wenn Robert eine Deiner Songideen bearbeitet hat, erkennst Du Dein Demo in der fertigen Version noch?
Viele Songs verändern sich, gerade, wenn sie schon ein paar Jahre alt sind. Wir haben die vergangenen zwei Jahre Demos live gespielt, die eigentlich unser neues Album hätten werden sollen. Dann kamen wir zurück, und die Tracks langweilten uns. Wir hörten sie überall, auf YouTube und so. Und so gingen wir zu Damon ins Studio und fingen wieder von vorne an.
Wer hatte die Idee, dorthin zu gehen?
Wie gesagt, wir sind gut befreundet, als wir zurückkamen und ihm erzählten, dass wir nicht mehr zufrieden sind und von vorne anfangen, sagte er: 'Oh, yeah?'. Dann meinten wir, dass wir das Album gerne in seinem Studio rearrangieren würden, und er: 'Ah, okay, okay, okay.' Wenn Damon in dein Album involviert ist, sind alle - vor allem auch die Plattenfirma - überglücklich.
Worin unterscheidet sich Damons Arbeitsweise von Eurer?
Er ist ein absolutes Genie - und wir dachten immer, wir sind es. (lacht)
Verstehe. Helgoland gehört heute ja zu Deutschland. Wäre es denn keine gute Idee gewesen, angesichts des Plattentitels auch mit einem deutschen Sänger zu kollaborieren?
Ja, eigentlich hast du recht. Um ehrlich zu sein, haben wir nicht damit gerechnet, von Deutschen auf den Albumtitel angesprochen zu werden. Das ist doch ein Urlaubsort, oder? Wir tun uns manchmal etwas schwer, über Helgoland als Konzept zu reden. Es ist eine Art Symbol, uns gefällt der Sound des Worts. Robert las es in einem Buch und war fasziniert davon, dass 'Helgoland' ursprünglich 'heiliges Hand' bedeutete. Und die Historie des Orts ist ja auch interessant.
Wenn wir schon dabei sind, kennst Du deutsche Musiker?
Ja, Seeed. Wir tourten mal zusammen in Europa. Sie sind eine großartige Band.
Okay, Themawechsel. Der Clip "Paradise Circus" featuret den Porno-Klassiker "The Devil In Miss Jones". Wie kam es dazu?
Nun, vor der Rezession waren wir es gewohnt, zehntausende Pfund für ein Video zu bezahlen, etwa 250.000 für "Unfinished Sympathy" - was einfach nur rausgeschmissenes Geld bedeutet, verstehst du? Konkret unser rausgeschmissenes Geld. Jetzt haben wir unser Budget auf ein Zehntel runtergefahren und stattdessen verschiedene Leute beauftragt. Wir haben nun viele unterschiedliche Filme für die Tracks - "Paradise Circus" ist eines von denen, das vielleicht 10.000 Dollar gekostet hat. Wir haben Tobey damit beauftragt, und als er uns erzählte, was er vorhat, fanden wir es großartig. Die anderen Videos wurden ebenfalls auf diese Art produziert.
"Tricky? Vielleicht auf dem nächsten Album"
Es soll noch vor Sommer eine weitere E.P. geben, kannst Du uns was über mögliche Kollaborationen verraten?Noch nicht - wir haben eine Menge Tracks, die wir nicht auf die Platte gepackt haben, aber wir stecken mitten in den Arbeiten - Projekte, an denen wir schon während der Albumproduktion gearbeitet haben. Es bleibt interessant, wir verfolgen unser Konzept weiter, halten das Ganze im Fluss.
Du hast Tricky kürzlich zufällig in Paris getroffen, und er ist bereit, mit Massive Attack mal wieder zusammenarbeiten ...
Stimmt, ich habe ihn gefragt, ob er auf "Heligoland" dabei sein will, aber es kam nicht dazu. Es wäre toll, mit ihm mal wieder was zu machen ...
Habt ihr schon eine konkrete Vereinbarung? Vielleicht für besagte E.P.?
Ich wäre wirklich froh, wenn ich ja sagen könnte (lacht). Wohl eher beim nächsten Album ...
Wenn wir schon über Massive Attack und persönliche Beziehungen reden: Triffst Du dich mit Robert nach getaner Arbeit eigentlich noch im Pub oder so? Vielleicht um Privates zu besprechen
Das ist wirklich eine gute Frage. Wir müssen uns eigentlich nicht extra treffen. Wir leben in Bristol, ich habe eine Familie und deshalb reduzieren sich meine sozialen Kontakte auf ein Minimum. Robert und ich verbringen aber viel Zeit miteinander auf Tour, das ist auch einer der Gründe, warum wir gerne touren. Es besteht also kein wirklicher Bedarf.
Noch keine Kommentare