10. Februar 2004

Gigs mit den Pumpkins waren so unwirklich ...

Interview geführt von

Als ich Melissa entdecke, sitzt sie ziemlich geschafft auf dem Sofa einer Dortmunder Hotel-Lobby. Sie wolle nur kurz ein Abendessen bestellen, komme gleich zu mir. Eher geschäftig als hektisch wuselt Melissa durch das Restaurant, bevor wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen. Selbst erschöpft und hungrig sieht sie noch umwerfend aus. Melissa ist eine angenehme Gesprächspartnerin, die gerne und viel erzählt. Immerhin ist ihr Solo-Debüt ein Baby, mit dem sie zehn Jahre schwanger ging. Am Tag des Interviews hat Melissa ihr erstes Deutschland-Konzert.

Hast du das Material schon mal vor Publikum gespielt?

Nein, wir haben vor einem Monat angefangen zu proben und haben ein paar Mal in Kanada gespielt. Wir haben einige Konzerte in wirklich kleinen Clubs gegeben, da sind meine Familie und Freunde vorbei gekommen. Aber hier sehen uns zum ersten Mal Fremde. Und die Band hat noch nie in Deutschland gespielt. Alle sind ganz aufgeregt.

Wie hast du die Band zusammen bekommen?

Diese Band ist nur meine Live-Band. Ich habe mein Album mit einer Fantasieband, die aus 20 Leuten bestand, gemacht. Ich habe verschiedene Leute für verschiedene Sachen gebraucht. Und dann musste ich eine Band zusammen kriegen, mit der ich auf Tour gehen kann. Grundsätzlich wollte ich gute Musiker finden, die noch nie außerhalb ihrer kleinen "local Community" getourt sind. Also sind alle Vier viel enthusiastischer als jeder andere Musiker, der schon mal durch Europa getourt ist. Einer der Gitarristen ist zum Beispiel einer meiner ältesten Freunde, mit dem ich schon vor zehn Jahren in Montreal in einer Band gespielt habe. Es ist eine gute Gruppe engagierter Musiker.

Du hattest gar keine festen Musiker auf deinem Album, oder?

Nein, ich hatte keine Band. Als ich mich entschloss, mein Album zu machen – nachdem ich mir ein Jahr vom Musik machen frei genommen hatte ... Ich war fünf Jahre bei Hole und eins bei den Smashing Pumpkins, und ich hatte zwei Welttourneen in Folge hinter mir – "Celebrity Skin" und das letzte Pumpkins-Album. Also, nach zwei Jahren auf Tour wusste ich nicht mal mehr, was Musik überhaupt noch war. Und ich wusste nicht mehr, was normales Leben, ohne die Struktur des Tourens war. Also habe ich ein Jahr frei genommen.

2001 habe ich ein Apartment in New York gemietet und versucht, dahin zurück zu kommen, was Musik mal für mich bedeutet hat. Das war so unschuldig. Ich wollte wieder Musik machen, um Musik zu machen. Als ich mich entschieden habe, ein Album aufzunehmen, beschloss ich, das ganz alleine zu machen. Ohne Manager, ohne Finanzierung durch irgendjemanden. Also hab ich alles selbst bezahlt, geschrieben, produziert, organisiert. Ich habe die Studios selbst gebucht und so weiter. Ich wollte die Platte machen, um die Platte zu machen. Ich wusste nie, ob ich es nun veröffentlichen würde oder so.

Und die Idee, keine fixe Band zu haben, hatte den selben Hintergrund. Ich möchte nicht einen Drummer haben, der alles spielt. Ich wollte den Drummer haben, der der beste für genau diesen Part war. Glücklicher Weise kannte ich so viele Musiker schon so lange, dass ich eine kurze Liste meiner favorisierten Drummer im Kopf hatte. Ein Drummer, der auf der Platte ist – John – den sah ich 1990 spielen. Damals habe ich noch nicht mal ein Instrument gespielt. Aber ich sah diesen Drummer, ein riesiger Typ. Und ich verstand das erste Mal, was ein Drummer tut, nur weil ich dieses Monster Schlagzeug spielen sah. 1990 dachte ich: Der Typ ist cool, den möchte ich kennen lernen. Jahre später traf ich ihn und sagte: 'Wenn ich ein Soloalbum mache, möchte ich, dass du darauf spielst.' Das ist nur ein Beispiel für die Leute, die ich auf meinem Album hatte. Das waren Leute, von denen ich beim Träumen immer gedacht habe: 'Oh, das wäre ein Spaß, eines Tages mit dem zu arbeiten'. Deshalb wollte ich das auf keinen Fall limitieren. Ich wollte Musik zelebrieren, indem ich keine Regeln und keine Limitierungen hatte.

Hat dir deine Arbeit bei Hole und den Pumpkins also erst die Möglichkeit gegeben, mit diesen Musikern zu spielen?

Beim Touren triffst du offensichtlich viele Musiker, also ja, definitiv. Durchs Touren und dem Spiel mit anderen Bands triffst du andere Musiker und deren Bands. Du triffst Musiker immer wieder, bei den unterschiedlichsten Shows. Ja, das gab mir die Chance viele Leute zu treffen.

Gab es einen bestimmten Punkt, an dem du gedacht hast: Ja, jetzt fange ich an, wieder Musik zu machen?

Hm, das ist eine gute Frage. Ich denke, ich begann das Live spielen zu vermissen. Das Adrenalin, das man da ausstößt. Neun Monate, nachdem ich meine letzte Show gespielt hatte, begann mein Körper etwas zu brauchen. Und ich nehme keine Drogen, also war es nicht das, was ich brauchte. Ich brauchte die Musik. Ich hatte meinen Kopf so weit klar. Und als ich die Gitarre nahm und ein bisschen spielte, fühlte sich das wieder ganz neu an. So bald ich wusste, dass es etwas Neues und Pures war, wusste ich, dass ich bereit war, das wieder zu machen.

Und dann hast du deine alten Demotapes wieder rausgeholt ... Was war das für ein Gefühl, wieder dieses ganze alte Zeug, dass du Jahre zuvor geschrieben hast, für das neue Album wieder einzuspielen?

Ich bin eine sehr sentimentale Person. Ich schreibe Tagebuch, ich mache Bilder von allem. Ich will immer Erinnerungen haben. Ich wollte alte Songs benutzen, die andere emotionale und musikalische Zeiten reflektieren. Wie einer der Songs, den ich 1993 für meine allererste Band geschrieben habe. Ich hätte einen neuen Song schreiben können, aber ich wollte den benutzen, auch weil er eine gewisse Unschuld zeigt. Als ich diesen Song schrieb, wusste ich kaum, wie ich mein Instrument zu spielen habe. Und ich fühle mich immer noch sehr verbunden mit dem Song. Das macht mich stolz auf diesen jungen, unschuldigen Song. Ich wollte die Vergangenheit in meine Zukunft einbeziehen. Außerdem wollte ich ein Album haben, das eine große emotionale und musikalische Bandbreite zeigt.

Dein Album ist ziemlich hart, und du scheinst eine sehr verletzliche Person zu sein. Ist das nicht ein bisschen schizophren?

Ja, aber ich denke das Leben ist schizophren. Es gibt so viel Schönheit, aber auch so viele Tragödien auf der Welt. Es sind so viele Frauen wie Männer, und der Kampf zwischen Männern und Frauen, der Kampf zwischen Leben und Tod, zwischen Gut und Schlecht ist das Alleroffensichtlichste der Welt, überall, wo du hinschaust. Und ich denke, jeder Mensch versucht, es sich in diesem Leben so bequem wie möglich zu machen. Du kannst keine Angst vor dem Bösen und den Mächtigen haben. Du kannst nicht zu aggressiv sein und dabei das Sanfte und Verletzliche vergessen. Ich denke als Person und auf diesem Album versuche ich, diese Gegensätze zusammen zu bringen. Aber das passierte einfach. Darüber hab ich nicht nachgedacht. Ich mag die Smiths genau so gerne, wie ich Black Sabbath mag. Musikalisch bin ich auch schizophren. Aber weil ich naiv bin und eine unschuldige Platte machen wollte, die aus meiner Liebe zur Musik entstand, sagte ich zu meinem Produzenten Chris Goss: 'Ich will eine Platte machen, die so heavy ist wie Black Sabbath aber auch die Smiths drin hat.' Er schaute mich an, als ob ich verrückt wäre und sagte: 'Das hört sich nach einer Herausforderung an! Aber OK, erinner' mich dran!' Und ich erwiderte: 'Ich möchte romantisch und schön sein, aber ich habe auch keine Angst furchterregend und crazy zu klingen, OK?' So fragte ich ihn immer wieder: 'Klingt das crazy genug? Klingt das schön genug?'

Hast du nicht nach einer Balance zwischen diesen beiden Extremen gesucht?

Hm, ich denke diese Balance kommt automatisch. Aber ich wollte natürlich nicht, dass es zu aggressiv oder zu emotional und verletzlich klingt. Als ich die Reihenfolge der Songs aussuchte, wollte ich, dass es ein wenig in Wellen abläuft, dass es wie eine Reise zwischen harten und zarten Stücken wird. Also ich denke, dass es da definitiv eine Balance gibt. Aber auch innerhalb der Songs gibt es die.

Da gibt es ein Stück auf dem Album, das ist anders, als alle anderen: "Overpower Thee". Wann hast du das denn geschrieben?

Das ist der einzige Song auf dem Album, an dem ich kein bisschen mitgeschrieben habe. Chris Goss schrieb diesen Song. Er spielte ihn auf dem Klavier, als ich in einem anderen Raum war. Ich hörte dieses schöne Piano-Ding und ging rüber, um ihn zu fragen, was das war. Er sagte, er habe das gerade geschrieben ,und er sang diese Lyrics. Ich dachte: Was würde passieren, wenn eine Frau diese Texte singen würde? Von einem Mann gesungen, klangen sie bescheuert. Ich hab ihn gefragt, ob ich den Song haben könnte. Denn er würde das eh nicht auf eine Platte packen, er hatte einfach aus Spaß rumgeklimpert. Das ist wieder so eine Sache: Wenn ein Mann einen Song schreibt und eine Frau ihn performt. Da kommt wieder dieses Balance-Ding rein. Das kombiniert das Harte und das Verletzliche. Ich wollte es spielen, weil er es geschrieben hat und weil es strange ist, wenn eine Frau das singt. Vielleicht gebe ich jetzt die Magie des Songs preis, wenn ich sage, dass den ein Mann geschrieben hat. Ich mag das auch, dass mir der Song wie ein Geschenk von einem Mann überreicht wurde.

Auf jeden Fall ist das ein wahnsinnig schöner Song! Wo du gerade über die weibliche Stimme redest – ich dachte immer, man könne keine harte Musik mit einer Frauenstimme machen. Deshalb habe ich auch Courtney Love immer so verehrt, weil sie wie ein Mann singen konnte. Ich dachte man könnte so was mit einer Frauenstimme nicht machen. War das ein Kampf für dich?

Es gibt nicht viele Frauen, die so wie Courtney singen können. Vielleicht fünf ... Joan Jett oder so, das ist wirklich rar. Aber meine Lieblings-Rockbands, bei denen Männer singen ... zum Beispiel die Smashing Pumpkins oder Queens Of The Stone Age, diese Männer singen wie Frauen. Und deshalb mag ich sie am liebsten. Ich mag es nicht, wenn sich Aggressives mit Aggressivem paart. Ich mag es, wenn sich Schönes mit Aggressivem verbindet. Courtney hat funktioniert, weil die Musik poppig genug war. Ihre manchmal aggressive Stimme hat das also nur getoppt. Ich denke, meine Musik ist härter. Aber Jahre lang habe ich auch gedacht, ich werde nie in einer Rockband singen. Ich werde immer nur die Backing Vocals singen. Nun bin ich aber auf der einen Seite selbstbewusster geworden, und ich habe herausgefunden, dass die Sänger, die ich mag, auch nicht so sehr andere Stimmen haben als ich. Ich habe beim Karaoke singen oft Black Sabbath-Songs performt. Da habe ich realisiert, dass er genau den selben Stimmumfang hat wie ich. Er schreit nie. Er singt nur singt etwas Black Sabbath vor. Das ist genau meine Stimmlage. Und da dachte ich: 'Ich kann auch Rocksongs singen!' Aber ich denke immer noch, dass Frauen, die wie Männer singen können und umgekehrt etwas sehr besonderes sind.

Hast du also die Idee für "Hand Of Doom" (ein Black Sabbath-Cover-Projekt) beim Karaoke-Singen bekommen?

Ja! Und dann wollten meine Freunde in New York zum Spaß eine Band gründen. Also haben wir das für ein paar Wochen gemacht und es war richtig gut!

In der Nähe welcher Musiker siehst du denn dein eigenes Album?

Nach was es klingt? Ich habe keine Ahnung! Ich höre darin alles, was ich liebe. Hm...

Als ich das gehört habe, war mein erster Gedanke: das klingt manchmal ganz schön nach den Queens, und ich war mir nicht sicher, ob das nun die Songs sind, auf denen auch Leute von den Queens spielen!?

Nein, ich denke einige meiner Songs kommen aus der selben Richtung. Ich denke nicht, dass das so klingt, weil ich diese Band höre. Als ich Kyuss mit 19 das erste Mal gehört habe, klang das wie etwas, dass ich schon mal gehört hatte. Und ich denke, die Leute lieben manche Bands, weil es bekannt klingt, wenn man es hört. Es klingt wie etwas, dass du kennst. Also reagierst du darauf.

Wurdest du jemals gefragt, ob du bei den Dessert Sessions mitspielen magst?

Oh ja, aber es hat nie geklappt. Als Josh mit den Queens und den Dessert Sessions angefangen hat, waren Hole mit den Queens auf Tour. Sie sind meine Lieblingsband, da Josh mein Lieblingsgitarrist ist. Er erzählte mir von dem Projekt, dass er auf den Weg bringen möchte. Ich war einfach nicht oft genug in Los Angeles. Aber ich hoffe, ich werde bald noch mal eingeladen. Ich habe meine Lyrics auch in dem Studio aufgenommen, in dem sie ihr Zeug produzieren. Aber ich war nie da, wenn die ihre großen Dessert Parties hatten.

Du freust dich also auf die Parties?

Na klar! lacht

Du hast gesagt, dass Evan Dando und Billy Corgan so was wie deine großen Brüder im Musikbusiness sind ... warum sind die also nicht auf deinem Album?

Ja ... was habe ich gesagt, wer sind meine großen Brüder?

Evan Dando und Billy Corgan

Evan ist mehr wie mein kleiner Bruder. Sie sind beide Fische. Ich interessiere mich für Astrologie, seit ich klein bin. Ich frage die Leute nach ihren Sternzeichen und schaue, ob es Ähnlichkeiten gibt. Nein, also Billy ist mehr mein großer Bruder. Alles was ich mit Musik gemacht habe, ob es nun so war, dass ich 1991 zu einem Konzert gegangen bin, um die Pumpkins zu sehen – was mich sehr inspiriert hat. Oder dass meine Band in Montreal Vorband der Pumpkins war. Als ich zu Hole gegangen bin ... er ist immer irgendwie dabei. Alle paar Jahre bekomme ich wieder einen guten Tipp von ihm, oder er biete mir eine Chance, wie bei Hole (Billy Corgan hat Courtney Love Melissa vorgestellt, nachdem die alte Hole-Bassistin starb, Anm. d. Red.) – oder in seiner Band zu spielen. Der Grund, warum er jetzt nicht auf meiner Platte ist ... sie muss nachdenken ist wahrscheinlich, weil ich schon in seiner Band gespielt habe. Ich habe meinen Traum, mal gemeinsam mit Billy zu spielen, schon verwirklicht. Das Ding mit den Musikern auf meinem Album ist, dass sie vor allem Musiker sind. Noch mehr als sie Sänger, Songwriter, Produzenten oder so sind. Sie sind alle Musiker, die mal für 20 Minuten zum Spielen vorbei kommen. Mit denen ist es einfach. Aber Billy ist jemand ... er ist mehr ... er hat fast zu viel zu bieten. Er kommt nicht einfach mal vorbei und spielt. Die anderen Jungs sind einfach relaxt. So: 'singt ein paar Töne ... Thanks, bye!'. Aber ich weiß nicht, ob Billy überhaupt ... Vielleicht war es einfach Zeit eine Pause von Billy zu machen. Billy war einfach überall, wo ich hinkam.

Und was ist mit Evan? Was ist aus eurem anvisierten Projekt "The Virgins" geworden?

The Virgins ... ich wünschte, das hätte geklappt. Vielleicht funktioniert das auch irgendwann mal in der Zukunft. Alle sechs Monate, wenn ich Ryan (Adams, Anm. d. Red.) mal zufällig treffe, sage ich sofort: "The fucking Virgins!" Wir werden das noch machen! Was ist damit passiert? Es war eine wirklich großartige Idee, die wir drei hatten. Ich habe Ryan Evan vorgestellt. Die beiden haben sich vorher noch nie getroffen. Ich konnte das nicht glauben, weil beide in New York leben. Also haben wir uns zu dritt auf ein Bier getroffen. Ich sagte: Ihr beide müsst zusammen Musik machen. Denn ich denke, die beiden haben ein sehr ähnliches Talent. So saßen wir beim Bier zusammen, und ich hatte die Idee, es zu dritt zu versuchen. James (Iha, Ex-Smashing Pumkins, Anm. d. Red.) hatte gerade ein Studio in New York gekauft. Und wir dachten: perfekt, wir können das in James' Studio aufnehmen, er könnte gleich die vierte Person sein. Wir hatten sogar schon die Studiozeit gebucht. Und dann kam Ryans Album raus. Und er wurde groß, ging für ein Jahr auf Tour, und wir sahen ihn nicht mehr. Jetzt ... sind wir alle beschäftigt, aber wir werden das noch hinkriegen.

Hattet ihr schon Songs geschrieben?

Die Idee war, dass jeder von uns zwei eigene Songs einbringt. Und dann wollten wir noch drei Songs gemeinsam schreiben. Ich habe mich schon einen Tag mit Ryan getroffen, und jeder hatte einen Song dabei. Also stehen zwei in Warteschlange, die wir uns merken müssen. Aber wir haben noch nicht so viel geschrieben.

Wovor hast du Angst, wenn dein Solo-Album rauskommt?

Es wäre nicht sehr zuträglich, wenn ich da irgendwelche Ängste hätte. Ich bin sicher, dass es da welche gibt, aber ich fühle mich stark genug. So lange ich mich mit dem Album gut fühle, kann mir nichts dieses Gefühl nehmen. Also macht es mir nicht viel aus, ob es jetzt eine oder zwanzig Personen mögen. Es ist mehr der Prozess, dieses Album aufzunehmen, der mich berührt hat. Ich habe nichts zu fürchten, außer der Show heute Abend. lacht Die wird roh und aufregend. Aber bezüglich des Albums habe ich nichts zu fürchten.

Wie ist es denn für dich, nun auf der Bühne zu stehen. Jetzt dreht es sich ja um dich und nicht um Courtney oder Billy.

Ich weiß es nicht, deshalb bin ich auch so froh, dass wir gerade in diesen kleinen Clubs spielen. Die Shows, die ich mit Hole und den Smashing Pumpkins gespielt habe, waren so unwirklich, weil sie so riesig waren. Es ist etwas anderes, wenn zwischen dir und den Zuschauern ein riesen Freiraum ist. So ein kleiner Club, in dem die Leute direkt vor dir stehen, fühlt sich einfach viel besser an. Es ist anders genug, um es komfortabel zu machen. Kurze Pause: Melissa denkt über das nach, was sie gerade gesagt hat. Das hat ja gerade überhaupt keinen Sinn gemacht! Tut mir leid. Wie fühlt sich das an ... ich weiß nicht. Ich bin einfach froh, dass ich die Platte gemacht hab. So kenne ich die Songs und fühle mich sehr verbunden mit der Musik. Hier wird auch der große Unterschied deutlich: Als ich in den Bands der anderen gespielt habe, außer bei "Celebrity Skin", habe ich nicht mal meine Songs gespielt. Der Unterschied ist, dass das damals nicht sehr aufrichtig war, ich habe zwar hart gearbeitet, und das Bassspielen hat mir Spaß gemacht. Aber die Songs, die ich heute spielen werde, sind meine. Das ist einfacher zu spielen. Und ich fühle mich beim Spielen sehr viel ehrlicher. Das bin so aufrichtig ich, das ist fast, wie wenn wir dieses Gespräch hier führen.

Wie viel hast du denn überhaupt zu den Hole-Songs beigesteuert?

Bei "Celebrity Skin" ... Weißt du, das Verzwickte an der Plattenindustrie ist: In der Rockmusik sind die Drums und der Bass für das Feeling eines Songs sehr wichtig. Und das Verlegen von Songs basiert auf einem sehr alten System. Deshalb werden da vor allem die Lyrics und die Gitarren-Parts beachtet. Das ist großartig für Bob Dylan. Aber für Rockbands ... Ich war zwei Jahre im Studio für diese Songs, und ich habe nur Credits für vier von ihnen bekommen. Ich habe da so viel rein gesteckt. Was nicht heißt, dass ich irgendwo die Lyrics geschrieben habe. Aber ich war doch sehr an diesem Album beteiligt ... Ich habe für dieses Album härter gearbeitet, als für mein Album! Für jedes Mal, das Courtney zu hören ist, musste ich meinen Part acht bis zehn Mal einsingen. Ich bin also präsent, aber nur als Unterstützung. Das ist die Aufgabe vom Bass und den Backing Vocals: sich verstecken, um eine Fülle zu kreieren, die man nicht richtig bemerkt, nur fühlt.

Auf deinem eigenen Album hast du die Background Vocals auch selber eingesungen?

Klar! Das ist meine Lieblingsarbeit. Da bin ich wirklich gut drin, also mache ich das. Ihre Stimme wird stolz und voll Da bin ich wirklich gut drin.

Es klingt aber auch wirklich gut. Das wird einfach voller durch die Schichten, die du übereinander singst. Das unterscheidet deine Platte von anderen.

Wirklich? Sie freut sich über das Kompliment

Man merkt, dass du deine Stimme wie ein Instrument einsetzt.

Definitiv! Wenn es bei diesem Projekt irgendeine Herausforderung gab, dann diese. Ich denke kaum über die Texte nach. Denn für mich ist eine viel größere Herausforderung, die Stimme wie ein Instrument einzusetzen. Die Lyrics sind nur ein ganz kleiner Teil davon. Ich benutze sie nur, um eine Stimmung zu beschreiben. Ich möchte keine bestimmte Geschichte erzählen. Sie basieren oft auf Tagebucheinträgen. Die Texte sind nicht politisch oder so. Die Melodie ist für mich wichtiger als alles andere.

Man kann das auf dem Album hören.

Ich könnte eigentlich auf Japanisch singen, und niemand würde es merken. Leute, die die Lyrics nicht verstehen, sollten sich beim Hören trotzdem so fühlen können, wie diejenigen, die die Lyrics verstehen.

Ich denke, das ist es, was gute Musik ausmacht: Die Vocals sind meist das Wichtigste. Und Leute, die eine andere Sprache sprechen, hören eh eher auf die Melodie, als auf die Texte.

Die meisten Leute auf der Welt hören Musik so, denke ich.

Was für Bands hörst du eigentlich gerade selber?

Hm, dieses Jahr, hm. Jedes Jahr denke ich, dass es weniger Alben werden, die ich mag. Ich weiß nicht, ob ich mich verändere, oder ob die Musik sich verändert ... oder es wird schwerer, Musik zu finden, weil es so viel davon gibt? Vor zehn Jahren war es leicht für mich. Ich bin in einen Club gegangen, habe mir eine Band angehört und mir dann deren Platte gekauft. Die Masse an Musik, die mich heute erwartet, schüchtert mich ein. Aber dieses Jahr ist es das neue Mars Volta-Album, das mir am besten gefällt.

Das Album ist mir zu kompliziert.

Das kann ich gut verstehen, aber ich liebe komplizierte, schwierige Musik. Die ersten fünf Male, die ich dieses Album gehört habe, musste ich mich zwingen, da rein zu kommen. Es ist nicht wie ein Beatles-Song, den man hört und der einfach leicht ist. Aber ich denke, es lohnt sich mehr, die Geduld für komplizierte Songs aufzubringen. Wenn man die erst mal kennt, versteht man dieses sehr verrückte Ding. Man ist glücklich, wenn man eine Struktur erkennt.

Ich bin einfach nicht geduldig genug. Was ganz anderes: Deine Familie stammt aus der Schweiz ...

Ja, das ist eine sehr alte Schweizer Familie.

Auf dem Bonustrack deiner Platte ...

Ja, das ist meine Schweizer Großmutter beim Jodeln. Konntest du wirklich hören, dass sie da gejodelt hat? Die meisten Leute haben mich gefragt, was das sein soll. Meine Großmutter ist 100 Jahre alt. Das hat sie an ihrem 100. Geburtstag vorgesungen. Bei jedem Familienessen steigt sie auf den Tisch und beginnt zu jodeln. Aber sie ist so alt, dass sich ihre Stimme schon sehr strange anhört. Meine ganze Familie ist crazy. Das kann man nach dem Jodeln ja noch hören. Ich bin mit der Idee aufgewachsen, dass alle Leute in der Schweiz so verrückt sind. Ich war nie da. Erst als ich 16 war, erklärte mir mein Vater, dass unsere Familie eine Ausnahme ist und Schweizer ganz normale Leute sind. Ich dachte vorher, die Schweiz wäre ein Land voll mit verrückten, jodelnden, lauten Menschen. Meine Großeltern verließen die Schweiz 1940, weil mein verarmter Großvater in Kanada Gold finden wollte. Hat aber nicht geklappt.

Wir reden ein wenig über die Ähnlichkeiten der Schweiz und West-Kanadas – und wie dreckig Amerika dagegen ist. Deshalb bringe ich mein Album auch zuerst in Europa raus. Hier macht das Touren Spaß. In den USA dagegen ist das Touren zwar okay, aber es ist nicht annähernd so schön. Einen Monat durch die Staaten zu touren, bedeutet eigentlich, immer wieder die selbe Stadt zu sehen. Du denkst immer, du hast das schon mal gesehen. Das ist immer das gleiche. Hast du noch eine abschließende Frage?

Nein, das war’s schon! Vielen Dank!

Super! Und viel Spaß beim Abtippen!

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