laut.de-Biographie
Mísia
"Fado ist ein Relikt der älteren Generationen, er schien langsam zu vergammeln und wurde meist nur für den Tourismus restauriert. Aber mit diesem Image möchte ich nichts zu tun haben. Es war ein Wagnis, diese Musik zu modernisieren, ihr neue, literarische Inhalte zu geben."
Der Fado, jene Folklore Portugals, die eindringlich vom Leben im Allgemeinen und vom allumfassenden Weltschmerz im Speziellen erzählt, ist die musikalische Heimat der Sängerin. Mit üppigem Instrumentarium und zeitgenössischen Texten verwandelt sie die dereinst ausgeleierte Volksmusik in modernes Liedgut.
Den Sinn fürs Künstlerische bekommt die gefeierte Erneuerin bereits in die Wiege gelegt. Als Tochter einer katalanischen Tänzerin und eines portugiesischen Ingenieurs erblickt sie 1955 in Porto, Portugal, das Licht der Welt. Die Eltern taufen das Mädchen auf den Namen Susana Maria Alfonso de Aguiar.
Im Alter von vier Jahren muss Susana einen schweren Schicksalsschlag hinnehmen. Vater und Mutter lassen sich scheiden. Das Kind wächst bei der Großmutter auf, die ebenfalls als Tänzerin arbeitete. Sie begeistert ihre Enkelin für die Kunst. Die findet schon früh im Fado und vor allem im Gesang ihre große Leidenschaft.
So zieht sie mit 20 Jahren in das freie Spanien der Post-Franco-Ära, um ihr Glück als Sängerin zu versuchen. In den Cabarets Barcelonas und Madrids sammelt sie eifrig Bühnenerfahrung und findet nach und nach zu sich selbst. Aus dem anfänglich wilden Showgirl wird die ergreifend melancholische Chanteuse.
Beeindruckt liest die Musikerin die Biographie Misia Serts, einer Pariser Muse, die unter anderem Debussy, Picasso und Zola zu manch künstlerischen Höhenflug inspirierte. Nach dieser Lektüre nennt sich Susana Maria Alfonso de Aguiar schlicht Mísia.
Mit einem ebenso schlichten Ziel kehrt die Interpretin Anfang der Neunziger-Jahre nach Portugal zurück: Sie möchte den Fado singen. Mísias Fado kommt jedoch äußerst modern daher. Sie erweitert das klassische Instrumentarium dieser Gattung, bestehend aus portugiesischer Gitarre, Gitarre und akustischem Bass, um Violine, Akordeon und Piano. Wortakrobaten wie der Literaturnobelpreisträger José Saramago steuern tiefgründige Songtexte bei.
Die gelungene Restauration findet anfangs nur wenig Zuspruch. Mit dem Ende der portugiesischen Militär-Diktatur 1974 wollen die intellektuellen Kreise vom Fado zunächst nichts mehr wissen. Er steht für kleingeistiges Spießbürgertum. Die Konservativen stören sich hingegen an Mísias Innovationen. Somit verbucht die Fadista ihre ersten Erfolge im Ausland. Spanien, Japan, Frankreich und Deutschland nehmen ihre Konzerte und Veröffentlichungen verzückt auf. Etwas später reüssiert die Sängerin auch in heimischen Gefilden.
Sie kollaboriert mit Künstlern wie Maria de Medeiros, Fanny Ardant und Ute Lemper. 2005 zieht die Weltenbummlerin nach Paris. Im selben Jahr zeigt sie mit ihrem Album "Drama Box", dass sie auch weiterhin für Neuerungen zu haben ist. Auf der Scheibe befinden sich neben Fado-Kompositionen auch Tangos und Boleros. Auf ihrem 2009 erscheinenden Album "Ruas" interpretiert sie gar französische Chansons und covert Joy Division und Nine Inch Nails. In der Folge veröffentlich sie weitere schöne Alben, darunter "Senhora Da Noite" (2011), "Para Amália" (2015), "Do Primeiro Fado Ao Ultimo Tango" (2016) und "Animal Sentimental" (2022)
Mísias musikalische Leistungen bringen ihr den Beinamen "Königin des Fado" ein. Mittlerweile genießt sie weltweit ein ebenso hohes Ansehen wie die 1999 verstorbene Fado-Legende Amália Rodrigues. Der portugiesische Literatur-Nobelpreisträger José Saramago schwärmt von ihr: "Misias Stimme ist ein wunderbares Instrument, mit dem sie dem Zuhörer alle Gefühlsnuancen auf einem unsichtbaren Fluss zutreiben lässt. Liebe, Leidenschaft und Melancholie, die das Bewusstsein der Vergänglichkeit ausdrückt."
Am 27. Juli 2024 stirbt Misia nach langer Krankheit in einem Krankenhaus in Lissabon. Sie wurde 69 Jahre alt.
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