laut.de-Biographie
Motorpsycho
Aus Norwegen stammt manch interessante Band, man denke nur an A-ha oder die Dirty Street Punk'n'Roll-Fraktion der 90er mit Namen Hellacopters, Gluecifer und natürlich Turbonegro. Soll heißen, in Norwegen stehen nicht nur Berge - es wird gerockt.
Seit 1989 tun dies mit stetig wachsender Fangemeinde auch Motorpsycho. Sänger und Basser Bent Sæther, Gitarrist Hans Magnus "Snah" Ryan und Drummer Kjell Runar "Killer" Jenssen entlehnen ihren Bandnamen dem Titel eines Russ Meyer-Films, nachdem Mudhoney und Faster Pussycat schon vergeben sind. Nach dem Debut "Lobotomizer" verlässt Killer die Band und Håkon Gebhardt steigt ein - bis 2005 steht diese Stammformation.
Mit ihrem druckvollen, nicht selten epischen Spacerock schmettern sie ihren Zuhörern die volle Breitseite ins ahnungslose Antlitz, um im nächsten Moment wieder in tiefste Melancholie zu verfallen. Als erster Durchbruch darf das Hardrock atmende "Demon Box"-Album gelten, das von der landeseigenen Presse selbstbewusst zu einem der besten Rockalben aller Zeiten gewählt wurde. Fehlenden Arbeitseifer kann man der Band angesichts unzähliger EPs, Special Gatefolds und sonstiger Gimmicks, die munter in den ohnehin straffen Veröffentlichungsmodus eingereiht werden, zudem auch nicht vorwerfen.
Nachdem Mitte der 90er, dank überzeugender Visiten auf sämtlichen namhaften Festivals, der Bekanntheitsgrad noch gesteigert wird, kommen vor allem die sehr am Indierock orientierten Alben "Blissard" und "Angels And Daemons At Play" in Resteuropa gut an. Mit ihrem achten regulären Studiowerk "Let Them Eat Cake" geben sich die drei Norweger überraschend zurückhaltend, legen, wenn das denn möglich ist, noch mehr Wert auf die Melodien als bisher und verzichten weitgehend auf die charakteristischen Gitarrenausbrüche.
Dass sie in ihrer Heimat längst zu wahren Superstars herangereift sind, dürfte die Anekdote belegen, nach der ihr Song "Vortex Surfer" beim Contest des einzigen norwegischen Rocksenders "P3" Europes "Final Countdown" knapp besiegte und daraufhin an Silvester 1999 24 Stunden lang nonstop (!) gespielt wurde.
Mit "Roadwork Vol.2" erscheint Ende 2000 ein mit den norwegischen Free Jazzern von The Source entstandenes Livealbum, das bereits 1995 auf einem Jazzfestival mitgeschnitten wurde. Der Untertitel "TheMotorSourceMassacre" gibt bereits tiefe Einblicke in das recht lärmige Fusionsergebnis. "Barracuda" dagegen enthält Aufnahmen, die die Band für das vorangegangene Studioalbum nicht verwenden wollte. Dass man dennoch wunderschöne Songs darauf finden kann, überrascht nicht.
Nach dem 2002er Album "It's A Love Cult" wird es ruhiger um die Norweger. Ein ziemlich abgefahrenes Lebenszeichen geben sie 2003 noch einmal mit "In The Fishtank" von sich. Die Aufnahmen stammen aus Sessions mit der Bläsertruppe Jaga Jazzist Horns und entstehen weitestgehend in Jams. 2005 gehen sie mit ihrem neuaufgelegten Westernsoundtrack "The Tussler" auf Tour. Schlagzeuger Håkon Gebhardt verabschiedet sich schließlich von Motorpsycho. Bent und Snah entscheiden sich daraufhin, als Duo weiterzumachen.
Furios melden sich die beiden 2006 mit dem Doppelalbum "Black Hole/Blank Canvas" zurück. Mit einer klassischen Rockinstrumentierung walzen sie auf mehr als 80 Minuten alle Sorgen um ein Ende der Band platt. Für die Aufnahmen ziehen sich die Musiker zuvor sechs Wochen in ein Studio im niederländischen Eindhoven zurück.
Die Arbeitswut kennt bei den drei Nordlichtern seit dem Einstieg von Drummer Kenneth Kapstad keine Grenzen. Der junge Trommel-Virtuose erweitert nicht nur den musikalischen Horizont der Combo sondern wirkt zudem wie eine Art Frischzellenkur für die alternden Frontmänner Ryan und Saether.
So präsentiert das Trio in den Folgejahren zwei weitere Roadwork-Alben sowie "Little Lucid Moments", "Child Of The Future" und "Heavy Metal Fruit". Fünf Alben in vier Jahren sprechen eine deutliche Sprache: "Kenneth hat uns wieder wach gerüttelt. Wir waren ein wenig eingerostet. Seit er dabei ist, sprudeln die Ideen wieder", so Ryan.
Zwischen all den Studio-Aufenthalten präsentiert sich das Trio aber immer wieder live. Im Jahr 2010 spielt der Dreier unter anderem auf dem Molde Jazz-Festival zusammen mit dem Trondheimer Jazzorchester und Star-Keyboarder Stale Storbokken.
Das einmalige Happening hinterlässt bleibende Eindrücke, und so gipfelt die Zusammenarbeit aller Beteiligten Anfang 2012 in der Veröffentlichung des Doppelalbums "The Death Defying Unicorn": "Wir sind eine Band, die stetig auf der Suche nach Entwicklung ist. Die Zusammenarbeit mit Stale und dem Orchester war nicht nur eine Herausforderung sondern auch ein Fingerzeig." Auf der dazugehörigen Tour spielt man die Platte jeden Abend komplett.
Etwas traditioneller geht es auf den beiden Nachfolgern "Still Life With Eggplant" (2013) und "Behind The Sun" (2014) zu. Motorpsycho greifen darauf auch auf alte Songfragmente zurück. Für die beiden Scheiben gewinnen sie außerdem noch Reine Fiske als Gastgitarristen, der die Band fortan live unterstützt und auch auf einigen späteren Alben der Norweger zu hören ist. "Here Be Monsters" fällt ein wenig ruhiger und zurückhaltender aus, ohne sich im Mainstream anzubiedern.
2016 kommt es zu einer Zäsur im Gefüge. Kenneth Kapstadt verlässt die Band und widmet sich fortan Spidergawd, die wiederum Motorpsycho-Bassist Bent Sæther verlässt. Mit Neuling Thomas Järmyr kommt neuer Schwung in das Trio und angefacht von der Produktion unter kalifornischer Sonne und dem skurrilen US-Wahlkampf hauen die Norweger 2017 mit "The Tower" ein Doppelalbum raus, in dem Love & Peace und Rock'n'Roll Hand in Hand gehen. Mit "The Crucible" erscheint 2019 der kleine Bruder. In Sachen Artwork und Experimentierfreude knüpft das Trio an das Vorgänger-Epos an. Dass die Platte nur halb so lang ausfällt, geschenkt! Dafür gibt es drei Longtracks auf und um die Ohren, die wild in den Sechzigern und Siebzigern des zwanzigsten Jahrhunderts verankert sind. Mit "N.O.X. (I-V)" auf dem ein Jahr danach veröffentlichten Nachfolger "The All Is One" übertreffen Motorpsycho dann die Spielzeit von "The Crucible" mit nur einem Longtrack. Auf der Scheibe übernehmen sie ihren altbewährten Sound mit in neue musikalische Bereiche.
2021 kommt dann mit "Kingdom Of Oblivion" ein recht abwechslungsreiches Album auf den Markt, das sich zwischen krachigem Hardrock und ruhigen Balladen bewegt. 2022 widmen die Band sich auf "Ancient Astronauts" mehr ihrer psychedelischen Seite, ohne ihre Kreativität und Spielfreude aus den Augen zu verlieren.
Befragt in einem Interview, was die Band nach all den Jahren noch am Laufen hält, sagt Bent Sæther: "Wir müssen irgendwie unseren Lebensunterhalt bestreiten und sind außerdem völlige Musikenthusiasten. Aus seiner Leidenschaft einen Beruf machen zu können, ist eine tolle Sache." Im Juni 2023 erscheint "Yay!", das Corona-Album der Band. Aufgenommen unter Demobedingungen mitten in der Pandemie, wurde es nachproduziert und atmet das deutlich gemäßigtere Tempo seiner Begleitumstände.
1 Kommentar
Wurde hier "The All Is One" wirklich nicht rezensiert?