27. März 2019
"Eine Überdosis Wahnsinn"
Interview geführt von Philipp KauseFünf Alben hat Neneh Cherry unter eigenem Namen veröffentlicht, mit dem jüngsten im Gepäck spielte sie im Februar zwei ihrer seltenen Konzerte in Berlin und in Köln. Dort haben wir sie getroffen.
Ihre letzten Open Air-Auftritte in Deutschland liegen weit zurück: Juni 1997. Im Ausland gastiert sie im Sommer 2019 nach langer Abstinenz bei einigen Festivals, dem Primavera in Barcelona und dem Glastonbury-Festival in England, dem Cactusfestival im belgischen Brügge. Trotz weniger Alben und spärlicher Tourneen: Um die 200 Songs mit ihr am Mikrofon kursieren aus ihrer gesamten Laufbahn. Zudem war sie indirekt die Mama des Trip Hop. Zeit für eine Werkschau.
Sie machte "Weltmusik" salonfähig und landete damit 1994 in 13 Ländern unter den Top 3. Neneh Cherry dachte immer international und hat selbst familiäre Wurzeln in Sierra Leone, den USA und in Schweden. Sie lebte in Schweden und England sowohl auf dem Land wie in großen Städten, zeitweise in Spanien und in New York City. Heute blickt sie skeptisch auf die USA, etwa in "Shotgun Shack", einem Song über Waffenbesitz in den Staaten.
Auf dem Album "Broken Politics" knüpft sie musikalisch an ihre Zeit mit Tricky und dem Kollektiv Massive Attack in den frühen 90ern an. Trip Hop, diese Musik überlässt den Worten viel Platz und verleiht ihnen Gewicht.
Du lebst zeitweise in Großbritannien und kommst dort gerade von einem Konzert in Bristol. Der Brexit beschäftigt uns auch hier, und dein Albumtitel "Broken Politics" erinnert mich an die "Broken Window"-Theorie: Ist ein Fenster eingeschlagen und wird nicht repariert, sinkt drumherum die Hemmschwelle und weitere Fenster werden eingetreten. - Wenn Großbritannien die EU verlässt, wird es vielleicht dieser Theorie zufolge einen "Frexit" geben.
Neneh Cherry: Ich kann mit deiner Theorie etwas anfangen, ja, und ich verstehe, was du sagst, weil ich in Großbritannien lebe. Dort fühle ich mich wie auf einem Schiff, das eine Menge Lecks hat und die irgendwie mit Flicken gestopft werden, indem man sie hier, da und dort herumflickt. Die ganze Idee zu 'einen', zum Beispiel Europa zu einen und wie in einer Art 'Think Tank' zu versuchen zusammenzuarbeiten, das ist für mich und viele andere Leute ein Schritt vorwärts. Dialog und Kooperation oder der Versuch zu kooperieren, sind - vielleicht - die stärksten Ansatzpunkte im Sinne einer Lösung für Probleme. Der Brexit dagegen ist crazy Separatismus, aber (lacht) in ihm steckt auch eine 'Suizid-Maschinerie'. Für mich ist das ein Desaster, eine Tragik.
Andere Länder mögen vielleicht erst mal gedacht haben, dass es anfangs ein ganz interessanter Plan war, als das erste Votum stattfand - als England für den Austritt abstimmte. Aber wenn man das Durcheinander jetzt sieht, dürfte das viele Leute einfach gar nicht interessieren, denn es fühlt sich nur schrecklich an. Für die jüngeren Generationen ist es natürlich eine fürchterliche Sache - und für jeden, der keine riesigen Geldmengen in der Tasche hat. Ich denke, es wird eventuell so etwas wie eine Hafenenklave entstehen, wie ein Hongkong Europas, wo man dann nur in Wirtschaftswachstum investiert. Ich meine aber: Jeder der zur Mittelschicht gehört, verliert dabei: Leute, die kleine Geschäfte führen oder selbständig sind oder zur Working Class gehören ...
... oder Bands, die auf dem Kontinent touren wollen ...
... oder Bands oder kreative Leute. Ich denke, für sie alle wird es crazy. Ich habe schon eine Überdosis Wahnsinn mit dieser ganzen Brexit-Sache eingenommen, denn es ist buchstäblich jeden Tag, wenn du in England das Radio anmachst, immer wieder derselbe Dialog: 90 Prozent der Stimmen, die du hörst, sind die Führungsleute, wie sie einander anschreien und miteinander streiten, "Sie sind Lügner!", "Sie lügen!", "Nein, Sie lügen!", und so denke ich, wenn wir es aufs Album herunterbrechen, und metaphorisch auf den Albumtitel "Broken Politics", steckt darin, dass wir die Stücke des Zerbrochenen nehmen und unseren eigenen Weg nehmen - denn Mensch sein und als Mensch im Leben stehen, ist politisch. Und dann hast du noch den Aspekt, dass ich das "Zerbrochene" sogar als dominierend empfinde, für den Stil, wie unsere Welt regiert wird. Das ist etwas, womit ich mich einfach nicht zufrieden gebe.
Aufs Kooperieren, auf diese 'Idee' komme ich später zurück. Denn du kooperierst unheimlich viel mit anderen Artists, aus vielen Genres. Aber sprechen wir erst über Großbritannien und die jüngeren Generationen: Du hast die jüngeren Menschen gerade erwähnt. Deine Tochter Mabel hat heute, während wir sprechen, ihren Geburtstag und lebt in England. Wie verbringt sie ihren Geburtstag?
Sie verbringt ihn leider nicht mit mir, worüber ich schon sehr traurig bin. Schon verrückt, dass ich nicht bei ihr sein kann. Zeitgleich sind die Brit Awards, und ich finde, sie sollte einen Brit Award empfangen, ich wünsche mir das. Sie sollte einen überreicht bekommen. Ich verfolge das jeden Tag mit, beobachte was sie macht. Ich meine: Sie lebt nicht mehr bei mir zuhause, sie arbeitet. In alles, was sie macht, legt sie Herz und Seele, weißt du. Sie ist auf eine interessante Reise, weil das alles sehr schnell passiert, und sie ist dabei aufzusteigen. Es sind jetzt erst ein paar - gerade zwei, drei - Jahre. Aber ich finde es ist Zeit für sie, eine kleine Statue zu bekommen und die mit heim zu nehmen und (lacht) auf ihr Regal zu stellen.
Jetzt ist sie 23. Ich habe gerade ein Künstlerporträt über eine 19-Jährige geschrieben, Koffee, eine Reggaekünstlerin, die bei Columbia unterschrieben hat und jetzt gehyped wird.
(Nickt wissend): Ja ... oh ja ...
Hast du sowas auch erlebt? Wie alt warst du nochmal, als "Raw Like Sushi" herauskam?
25 - das war schon alt. Ich meine nicht 'alt', aber im Vergleich dazu schon, wobei ich lange vorher bereits Musik machte. Ich war fast immer in Bands, seit ich 16, 17 war. Also, ich denke, für viele Leute wäre es so, dass sie denken, mit 25 fing es an. Aber da fand eine lange Entwicklung statt, die dorthin führte. Und ich möchte nicht sagen, es war surreal, aber es war in genau dem Moment 'anders', als ich einen Plattenvertrag unterzeichnete ...
... mit Virgin ...
... Vir-... ja, Vir-... zuerst war es mit Circa Records, (redet sehr schnell, nuschelt) die dann einige Verbindungen zu Virgin hatten und so kam es dann dazu. (wieder normal:) Ich habe bei Circa unterschrieben, weil es ein kleineres Label war. Und da lag etwas in der Luft, ich meine: In den meisten größeren Plattenfirmen - (gelangweilt) ich ging zu London Records und hatte dort Meetings, Crysalis, da gab es einen Typen und ... - (vertraulich) und da war etwas an der Sache, das fühlte sich fernab meiner 'Tiefe' an, unpersönlich. Und ich hatte das Gefühl, dass ich das, was die dachten, wer ich war, nicht war. Als ich bei Circa unterschrieb, kannte ich Ashley Newton, der der Kopf des Labels war, also ... ein bisschen kannte ich ihn. Und ich arbeitete mit Cameron (Anm. d. Red.: ihr Lebensgefährte seitdem).
Auf "Raw Like Sushi" ist "My Bitch" der einzige Song, an dem er nicht mitgeschrieben hat, und alles andere habt ihr zusammen verfasst, stimmt's?
Ja, und das wurde dann eine Reise, die noch andauert - eine lange Reise. Aber wir waren ziemlich selbstgenügsam, autark. Wir wussten irgendwie instinktiv, was und wie wir Sachen angehen und versuchen würden. Und wir wollten Unabhängigkeit und nicht einen Haufen A&R-Typen um uns, die uns dann sagen, wie alles auszusehen hat. Cameron kam von Buffalo, einer Art Kollektiv für Mode, Fotografie und sowas.
"Schon damals gab es faszinierende Rapperinnen"
Lass uns die Jahre zuvor zusammenfassen, du bist aus dem Punk hervorgegangen. Ich habe hier die Rip, Rig & Panic-CD "Attitude". Mit dieser Band hast du deine ersten Plattenaufnahmen gemacht. Darauf hat mich besonders der "Do The Tightrope"-Track beeindruckt.
(Blättert verzückt im Booklet) Oh, das war gar nicht ich, die da gesungen hat. Das war Andrea, meine Freundin Andrea Oliver singt darauf. Eine gute Freundin von mir, die auf dem Cover-Foto nicht drauf ist. Ja, ein wirklich schöner Tune ...
Also war das mehr eine Art Kollektiv als eine Band? So viele Leute, wie hier aufgeführt sind.
Ja, wir waren echt viele und manchmal hatten wir Chaos auf der Bühne, wir waren zehn, manchmal sechs Leute.
Frage: Saxophon, Trompete, ... und etliche Frauen. Nicht ganz so üblich, damals wie heute.
Ja, das war ziemlich angetrieben von Frauen, und als ich in meinen 'Clan' in England kam, waren dort viele Frauen an der Front. Auch bei The Slits, Freunden von mir, The Raincoats, Polystyrene. Und sogar Nico war tatsächlich auf einem Track, den wir damals für eine John Peel-Session (Anm.: bei der BBC) aufnahmen.
Oh, da steckte so viel Leidenschaft drin, das bedeutete mir alles. Manchmal waren wir natürlich total Scheiße, weil es so chaotisch war. Aber wenn es richtig klappte, war es sehr faszinierend und kraftvoll. Auch mein Stiefvater, Don Cherry, stieß dazu, spielte auf dem zweiten Album und tourte mit uns. Dadurch war das eine Phase, in der ich auch besser begann zu verstehen, woher ich komme. Ich hatte dieses ganze Zeug in mir drin, irgendwo ...
Bist du als Englisch-Muttersprachlerin aufgewachsen?
Nein, meine erste Sprache war Schwedisch, ich habe erst nur Schwedisch gesprochen. Dann kam mein Stiefvater Don Cherry dazu um mit uns zusammenzuleben, als ich sehr klein war, und dann lernte ich Schwedisch und Englisch zeitgleich, auf eine Art simultan und somit war ich dann bilingual. Aber ich schätze, - und das ist lustig – Schwedisch ist sowas wie meine vorrangige Sprache, aber um Songs zu schreiben, benutze ich Englisch. Ich habe eine viel tiefere Verwurzelung im Englischen in puncto Kommunikationsfähigkeiten, ich kann mich darin besser ausdrücken.
"Raw Like Sushi" war dann am Ende des Jahrzehnts, 1989, eines der ersten weiblichen und eines der ersten europäischen Rap-Alben ...
Ich denke, es war eines der ersten, aber ich hasse es zu sagen, hey wir waren die ersten. Aber einflussreich! Darin Gesang und Rap zu mixen, war es als solch eine Kombination eine der ersten. Es war keine reine Pop-Platte im engeren Sinne von Pop, aber eine Fusion, die ihren Weg raus in die Pop-Welt fand. Aber es gab einige faszinierende Rapperinnen in der Zeit damals…
Bahamadia, Queen Latifah ...?
Ja! Ich fühle mich wie ein kleines Licht neben denen, oder: MC Lyte, Roxanne Shanté, da gab's so gute ...
Die aber später kamen, oder? Mitte der 90er ...
Ja, ein bisschen, etwas später, frühe 90er ... Für mich waren sie Pioniere. Ich hab meine erste Frauen-Rap-Platte übrigens in New York gekauft.
Als Vinyl?
Ja! Vinyl, in der 34th Street, in Manhattan, da gab's diese eine Platte, von Tanya Winley, "Sweet Vicious Rap" (Anm. Maxi-Single "Vicious Rap", 1980). Als ich diesen Track hörte, machte das einiges mit mir: Ihre Stärke, ihre Tonlage, ihre 'Rawness' - das hatte alles eine sehr direkte Wirkung auf mich. Eine phänomenale Platte. Immer wenn ich gefragt werde, eine Playlist zusammenzustellen, dann wähle ich sie aus. Sehr inspirierend!
Dein "Raw Like Sushi" ist für uns ein Meilenstein, wird aber nicht mehr so oft gespielt im Radio. "Kisses On The Wind" oder "Buffalo Stance" daraus liefen bis Anfang der 2010er Jahre regelmäßig in den Rotationen, aber inzwischen sind sie nach meinem Empfinden verschwunden. Dagegen überwiegt heute ziemlich homogen die Electronic Dance Music.
Ich meine, Radio ist ziemlich seltsam geworden, überall. Ich höre NTS, eine großartige Internet-Radiostation aus London, die du natürlich überall heute im Stream verfolgen kannst. Aber zwei Stunden lang Pop-Radio hören? (lacht) Da wiederholen sich ja die Tracks schon in der kurzen Zeit, mit diesen lächerlichen Kurzbeiträgen.
"Afrika hat so viele Reichtümer"
Was wäre für dich heute die Überschrift über "Raw Like Sushi"?
"Immer noch dabei"? Ich weiß nicht genau, was meine Überschrift zu "Raw Like Sushi" heute wäre. Was ich mag, ist heute, wenn ich so das Publikum sehe, diese witzige Mischung: Leute aus meiner Generation, die offensichtlich schon da waren, als das Album rauskam, dann aber auch wirklich junge Leute. "Raw Like Sushi" ist sehr stark eine Platte, die nach 80ern, 90ern klingt, aber sie hat auch – hoffe ich - eine Art 'Zeitlosigkeit' in sich. Sie hat Relevanz. Immer noch. Vielleicht ist es aber auch etwas, was Leute hören, nur um nostalgisch zu sein.
Wobei ich Nostalgie hasse - weißt du, was ich meine? Angesichts einer so langen Reihe von Sachen, die im Laufe der Geschichte aufgenommen wurden, hasse ich es, wenn man nur rumsitzt und Dinge anhört um sich an das Zeug zu erinnern. Zugleich ist es ein zweischneidiges Schwert: Denn ziemlich oft gehen mit Musik, die du wiederholt in einer bestimmten Phase hörst, später seltsame Gefühle einher, weil sie in dir buchstäblich gefühlsbeladene Erinnerungen auslösen. Ich hoffe aber auch, dass es vielleicht einen zeitlosen Aspekt daran gibt.
Wobei, wenn du in den Bereich Mode schaust, sind doch die späten 80er, frühen 90er gerade heute ziemlich 'in'. In der Zeit waren Soul II Soul aktiv – die haben für mich auch einen Meilenstein gesetzt. In einem Interview, das dein Label für alle Medien herausgegeben hat, erwähnst du die Bristoler Musikszene - und eine kleines Detail: "Nellee ging weg, zu Soul II Soul". Nellee war auch ein bisschen an "Raw Like Sushi" beteiligt. Bei diesem Projekt, Soul II Soul, steckten afrikanische Musik, Acid-Jazz, etwas Reggae im Sound drin ...
Ja, das war faszinierend, Soul II Soul. Wir waren alle in der Zeit unterwegs, das war großartig. Und die brachten etwas – da fühlte ich mich so Pop-mäßig neben ihnen. Also, Nellee kam aus Bristol, und da traf ein wildes Sammelsurium an Leuten zusammen, darunter entstand so die Massive Attack-Geschichte. Jazzie B. (Anm. d. Red.: Rapper und Gründer von Soul II Soul) wiederum gehörte ein Club in London, eine Location namens "The African Center". Jeden Sonntag war da Betrieb. Der Club war sehr stark Teil der Londoner Soundsystems-Untergrund-Szene, schwarz, jung, einer Art Generations-Projekt – aber nicht nur, da waren auch andere Leute - London war sehr offen. Diese Leute sorgten dafür, dass eine richtige neue Soundsystems-Szene aufkam, die öffentlich ins Auge stach: Leute mit Dreadlocks, die stolz waren, und die Musik war faszinierend.
Von den frühen 90ern und dem Album "Broken Politics" kann man einen Bogen spannen. Damals hast du mit Tricky gearbeitet und heute ...? Spoken Word-artige Musik, passt die in unsere Zeit? Bei dir muss man sich ganz schön konzentrieren, um die Botschaften zu erfassen.
Ja, ich spreche mehrmals auf dem Album genau übers Langsame, darüber langsamer zu sein, und ich war - glaube ich - immer süchtig nach Bass. Und nach einem Gefühl, Schwermut, nicht der ganz tiefen Melancholie, aber schon süchtig nach den Blue Note-artigen, 'dunkleren' Referenzen. Sicher in dem Sinne, wie das Leute wie Massive Attack, Tricky, Smith & Mighty, auch aus Bristol, gemacht haben.
Zu Bristol habe ich eine lange Beziehung. Zwei der Leute, mit denen ich in der Band Rip, Rig & Panic zusammen gespielt habe, waren aus Bristol. Zur Schule gingen sie mit einigen der Leute, die dann später Massive Attack gründeten, und so kannten wir uns schon lange Zeit zuvor. Und Cameron machte in Bristol eine Menge auf "Blue Lines", dem ersten Massive Attack-Album. Wenn du mal schaust, wo diese Einflüsse her kamen, wie Reggae, Soundsystem Culture, geriet ich in diese Sachen in dem Moment rein, als ich nach England zog.
Dort entwickelte sich das Punk-Ding, in eine andere Richtung, wurde etwas anderes, Leute entdeckten andere Musik, machten neue Sounds. The Slits zum Beispiel (Anm. d. Red.: erste Band, mit der Neneh auf der Bühne war), die auch sehr von Reggae und Soundsystems beeinflusst waren. Als ich Jah Shaka das erste Mal hörte, haute mich das weg. Der Spirit und die politische Essenz dessen, was sich damals in England abspielte, Riots, Leute, die sich wirklich auflehnten, gegen das System zurückschlugen ...
Also die Zeit, als Großbritannien in die EU eintrat ...
Genau! Es gab damals ein Aufeinandertreffen zwischen Punk und Reggae, die eine ähnliche Haltung gegenüber dem System teilten und eine Art Revolution machten. Ich denke also, dass eine große Menge an Einflüssen in den Sound überging, so wie Massive Attack den machten. Wir transportierten das alles, wir ehrten das. Trip Hop, für mich ist das sowohl Kunst als auch Interpretation anderer Stile, als auch eine Hochzeit, eine Vereinigung aus Dub, Hip Hop und anderem Zeug.
Auch in den USA hast du schon eine Menge erlebt und dort gewohnt, einmal wurde dein Apartment – in den 90ern – in New York ausgeraubt. Wenn du damals und heute das Gefühl vergleichst, dort anzukommen, aus dem Flugzeug zu steigen, was sind deine Eindrücke?
Ich denke da an den Klang. Wir lebten in einer Art Daueraustausch zwischen Schweden und New York, schon als ich aufwuchs. Das Haus meiner Familie in Schweden, in das wir 1970 einzogen, war auf dem Land. Wenn ich dann in New York ankam – nahm ich zuallererst die Klänge wahr und was für eine Attitude die Leute hatten: "Hey ihr, kommt hier herüber, stellt euch in die Reihe!", brüllten sie dich an. Dann, wenn du rauskamst aus dem Flughafen, und auch allgemein, wenn du in New York auf den Straßen warst, dann war es der Klang der Autohupen. Der Sound einer amerikanischen Autohupe klingt für mich 'anders'. Also, mit dem Sound war einiges, und dann stiegst du in eins dieser Taxis, die kuscheligen Taxisitze darin, die gehörten dann zu einer Liste an Dingen, die ich haben wollte, Frühstück, Pizza, ein Stück Pizza.
Und Fernsehen! Als wir Kinder waren, war das für mich und meinen jüngeren Bruder neu: Fernsehen gab es in Schweden buchstäblich nicht während des Tages. Wir hatten eine halbe Stunde Kinderprogramm nachmittags um halb fünf. So, und dann kamen wir dort mit Jet-Lag in New York an, und schauten uns gleich nach dem Aufstehen schon Cartoons an, lauter verrücktes Zeug, "The Brady Bunch" (Anm. d. Red.: US-Comedy auf ABC in den frühen 70ern), all solche Sachen. Und dann das andere, was mich tief in meinem Verhältnis zu New York prägte, war natürlich immer die Musik. Ich hatte dauernd das Radio an…
Was hören denn deine Kids heute?
Meine älteste Tochter Naima hat eine Band namens Exotic Sin, die cool sind; sie hört auch viel Jazz, Free Jazz, auch ein großer Reggae-Fan, einigen Hip Hop, wahrscheinlich fällt der mehr unter Oldschool Hip Hop. Tyson hört eine Menge interessanter neuer Leute, die in der Londoner Szene aufkommen. Mabel ist sehr in der Afrobeat- und aktuellen Hip Hop-Szene drin, Skepta und so.
Frage: Elektronische Afrobeats?
Ja, Nigeria ist gerade der Dreh- und Angelpunkt für alles.
Über Sierra Leone wissen wir dagegen wenig.
Ich war dort gerade, aber nur kurz, vier Tage oder so. Sierra Leone ist dabei stärker zu werden, nach diesem furchtbaren Krieg und allem, was dort passierte. Viele Leute kehren dorthin zurück, aus England und den Staaten, jüngere Leute, und es interessiert mich zu beobachten, wie's sich entwickelt.
Kannst du dir wieder so eine Zusammenarbeit wie mit Youssou N'Dour vorstellen, um jemanden vom afrikanischen Kontinent zu pushen?
Ja, für mich war das aber wie ein Meeting: Ich habe nicht mit Youssou N'Dour gearbeitet um ihn zu pushen. Ich denke, es war ein wichtiges Symbol dass wir zusammen kulturell etwas zusammenführten, sehr wichtig, dass wir auf eine Art zeigten, wie gleich alles ist. Youssou war ja schon ein Superstar im Senegal und hatte auch in Europa schon Erfolg und so. Aber ich denke, dass es wichtig war, dass wir sagten: "Wir nehmen uns, wie wir sind, wir kommen aus verschiedenen Orten, wir teilen so viel. Das ist unsere Musik, und das ist das, was wir zusammen machen können."
Deswegen ist Kooperation so wichtig, und das Bewusstsein: Youssou sprach so viel darüber, dass es darauf ankommt, Bewusstsein zu verbreiten, das sich meines Erachtens auch sehr verändert hat in den letzten zehn Jahren. Denn wir schauen jetzt nicht mehr auf den afrikanischen Kontinent als einfach 'einen' Platz. Und Afrika ist auch nicht einfach nur abhängig von der westlichen Welt. Es gibt dort so viel, so viele Reichtümer, so viel Spirit!
Um das nochmal zu präzisieren, du hast Youssou nicht gefeatured im Sinne dessen wie Paul Simon, Peter Gabriel oder David Byrne sowas machten, als Mentorin?
Nein, nein. Ich habe so nicht empfunden. Ich habe nicht zu Youssou gesagt, "oh, komm, ich führe dich jetzt in eine neue Sache ein, und das wird großartig für dich". Wir haben uns getroffen und machten zusammen einen Song, der richtig gut lief, wow, es war aber nicht gesteuert. Manchmal finde ich das etwas pompös, wenn Leute sagen: "Komm, arbeite mit mir zusammen". Ich denke einfach, ich war privilegiert, denn Youssou ist ein faszinierender Künstler und Sänger, und wir lernten beide viel, dann gab es auch einen politischen Aspekt im Sinne von 'Überleben, nicht aufgeben, den Fokus beibehalten'. Und das Entscheidende war auch die Kombination: einen Popsong nehmen, der drei Sprachen enthält. Für mich war das Wichtigste, dass Youssou in Wolof sang.
Zum Schluss musst du uns bitte was über Tricky erzählen.
Oh, mein Gott, ich liebe Tricky, er ist mein Kumpel. Wir haben viel Spaß zusammen, ich hab ihn aber seit ein paar Jahren nicht gesehen. Es gibt bei ihm nie dieses Gefühl, dass er was verkaufen oder kommerziell machen will, und das spürst du, wenn du neben ihm stehst. Wenn ich mit ihm zusammengearbeitet habe, hat er mich definitiv aus meiner Komfortzone rausgestoßen, das war sehr schön.
Wir haben eine riesige Ladung Material zusammen aufgenommen, wahrscheinlich genug, um ein ganzes Album aufzunehmen, wobei ich das nicht herausgebracht habe. Es war aber faszinierend, denn er hat etwas, durch seine ansteckende Energie, was mich dazu bringt, das Überdenken und Grübeln zu stoppen, so dass wir sehr freie, wilde Sessions spielten. Tja, weißt du, ich liebe Tricky. Ich liebe ihn sehr, und ich hoffe, ich sehe ihn bald. Das letzte Mal hatte ich mit ihm über Telefon Kontakt. Und ich denke, er ist ein wahrhaftiger Künstler.
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