Vom Folk-Messias zum Rock'n'Roll-Rebell - im neuen Biopic von James Mangold überzeugt Timothée Chalamet als Bob Dylan.
Berlin (jmb) - "I don't believe you, you're a liar" – Bob Dylans berühmte Antwort auf den Publikumszuruf, der ihn als "Judas" beschimpfte, hallt bis heute nach. Sein plötzlicher Wechsel zur elektrischen Gitarre war für viele in der 60er-Folkszene ein unverzeihlicher Verrat. James Mangolds Dylan-Biopic "A Complete Unknown" widmet sich diesem Konflikt und zeigt die Ereignisse rund um das Newport Folk Festival 1965, als Dylan die Musikgeschichte neu schrieb.
Timothée Chalamet bereitete sich fünf Jahre auf diese Rolle vor – er studierte Dylan, lebte Dylan. Wochenlang reiste er zu den prägenden Orten von Dylans Leben, von Duluth bis New York City. Eine Legende wie Dylan glaubhaft darzustellen, besonders in Anbetracht der Horden langjähriger Fans und kritischer, selbstgefälliger Dylanologen, war keine leichte Aufgabe für einen jungen Schauspieler. Von einer Herausforderung zu sprechen, wäre an dieser Stelle derb untertrieben. "Überforderung" wäre das passendere Wort.
Vielleicht ahnte Dylan die Unmöglichkeit dieser Aufgabe, zumal der heranziehende Shitstorm seiner Fangemeinde vorprogrammiert schien. Schützend stellte sich das Urgestein noch vor Veröffentlichung des Films vor Chalamet – Zuspruch von höchster Stelle: "Timmy ist ein brillanter Schauspieler, also bin ich mir sicher, dass er mich absolut glaubhaft darstellen wird. Oder ein jüngeres Ich. Oder ein anderes Ich."
Aus Timmy wird Zimmy
Mit diesem Rückenwind radelte Chalamet Mitte Januar mit dem E-Bike zur Londoner Filmpremiere, frei nach dem Motto "The Freewheelin' Bob Dylan". Allen Skeptikern zum Trotz war Timothée die Idealbesetzung. Nicht nur äußerlich überzeugt er mit einer verblüffenden Ähnlichkeit zum selbstbetitelten "Song-and-Dance-Man". Chalamet lernte eigens für den Film Gitarre und Mundharmonika und studierte die einzigartigen gesanglichen Intonationen Dylans. Das hätte alles ganz peinlich enden können – Dylan-Imitatoren hat es immerhin in den letzten sechzig Jahren zur Genüge gegeben. Dylans Nuscheln und die Eigenarten seiner Betonung verlocken zur plumpen Parodie. Doch Chalamets Interpretation bleibt stets geschmackvoll.
Für den Feinschliff dieser Charakterstudie arbeitete Chalamet mit denselben Dialektcoaches und Gesangslehrern zusammen, die auch Austin Butler auf seine Rolle in "Elvis" (2022) vorbereiteten. Das Ergebnis fällt ähnlich beeindruckend aus. Klar, Dylan bleibt Dylan, und ihm wird nie jemand das Wasser reichen können. Timothée kommt aber ganz schön nah ran. Selbst hartgesottene Fans dürften bei dem Anblick der ikonischen Outfits und Chalamets hingebungsvollen Songinterpretationen weich werden. Der Schauspieler nahm die Verkörperung des Sängers äußerst ernst, fing dabei jedoch auch Dylans selbstironische Ader ein – insbesondere während der Presseauftritte rund um den Film. Bei der amerikanischen Premiere in New York warf er sich beispielsweise in Dylans ikonischen "Justin-Bieber"-Look.
Wer ein Biopic dreht, hat zwei Möglichkeiten: Entweder die gesamte Karriere abbilden (wie Todd Haynes' "I'm Not There", 2008) oder einen prägenden Moment herausgreifen. Mangold wählt Letzteres. Sein Drehbuch basiert auf Elijah Walds "Dylan Goes Electric" (2015) und begleitet Dylans Transformation vom unbekannten Newcomer zum kontroversen Rockstar. Die Geschichte beginnt in New York mit dem jungen Musiker, der sein Idol Woody Guthrie im Krankenhaus besucht, Open-Mic-Abende in Greenwich Village spielt und mit fantasievollen Lebensgeschichten beeindruckt. Die Einzige, die an seinen Flunkereien zweifelt, ist Joan Baez.
Dylan ließ seine bescheidenen Anfänge als unbekannter junger Mann aus dem Mittleren Westen schnell hinter sich. Vom "Complete Unknown" stieg er zum bekanntesten Folk-Idol auf. Zu danken hatte er dafür nicht zuletzt seinen talentierten Freunden und Unterstützern, die das Potenzial des Sängers erkannten und förderten. Es ist eigentlich ein Sakrileg, bei solch musikalischen Schwergewichten wie Pete Seeger (Edward Norton), Joan Baez (Monica Barbaro) und Johnny Cash (Boyd Holbrook) von bloßen Nebencharakteren zu sprechen. Der Film fängt die Komplexität dieser Musiker aber gut ein und hebt ihre Bedeutung sowohl für die Folk-Musik als auch für Dylan hervor. Die gesangliche Leistung Barbaros beeindruckt dabei ähnlich wie die Chalamets. Nach der Baez-Doku "I Am A Noise" (2023) liefert Barbaro einen wichtigen Beitrag zur oft zu kurz gekommenen Würdigung der Folksängerin.
Der Bruch mit der Folk-Welt
Es ist schwer, das Folk-Universum der 60er-Jahre nicht komplett zu romantisieren. Und auch "A Complete Unknown" kommt nicht darum herum. Die Geschichte klingt auch einfach zu bezaubernd: Da gab es diesen Freundeskreis talentierter Musiker, die für Bürgerrechte einstanden und sich gegenseitig huldigten. Doch der Zauber hielt nicht ewig: Die Personen, die Bob zum Rampenlicht verhalfen, standen schon bald in seinem Schatten. Dylan ließ die anfangs weitaus bekanntere Joan im Staub zurück. Das Traumpaar Baez und Dylan endete mit Dylans zunehmender Hinwendung zum Rock'n'Roll, symbolisiert von seinem Motorrad, ebenso wie die innige Freundschaft zum Folk-Puristen Seeger.
Die Legende besagt, dass dieser in Newport bei Bobs Rock-Rebellion mit dem Gedanken rang, die Lautsprecherkabel mit einer Axt zu zerschlagen. Im Film wird dieser Impuls in letzter Sekunde von Seegers Frau Toshi verhindert. Für die Folkszene war Dylans Hinwendung zu E-Gitarren eine derartige Enttäuschung, dass er sich zunehmend einem buhenden Publikum ausgesetzt sah. Für Dylans Kritiker war es eine Kapitulation vor dem Kommerz, ein Verrat an den Idealen der Szene. Auch seine Texte veränderten sich: Klare Protestsongs wichen poetischen Rätseln, deren Bedeutung bis heute diskutiert wird.
"How Does It Feel"
Der Film lässt die Privatperson hinter dem popkulturellen Phänomen Dylan an einigen Stellen durchschimmern und stellt dabei die Frage, wie es sich für ihn angefühlt haben muss ("How does it feel..."), vom Woody Guthrie- und Buddy Holly-Fan zu einem der größten Weltstars aufzusteigen. Dass dies nicht nur Vorteile mit sich brachte, wird im Biopic an mehreren Stellen deutlich. Dylan sah sich zunehmend von Verehrer*innen und opportunistischen Trittbrettfahrern umgeben. Seine Starallüren nahmen dabei ebenso zu wie seine Isolation.
Dylans Aufstieg bedeutete auch das Ende wichtiger Beziehungen. Besonders war davon seine Beziehung zu seiner Freundin betroffen, die im Film Sylvie Russo (Elle Fanning) heißt. Der Charakter basiert auf Dylans früherer Partnerin Suze Rotolo. Mangold änderte den Namen auf Dylans Wunsch – Suze sei keine Person des öffentlichen Lebens gewesen. Leider wird sie als graue Maus und eifersüchtige Randfigur dargestellt, während die echte Rotolo eine engagierte Bürgerrechtlerin war, die Dylan entscheidend prägte.
Das Biopic feiert Dylans musikalische Entwicklung, blendet aber einige kulturell bedeutende Aspekte aus. Sein Auftritt beim March on Washington wird nur kurz auf einem Fernsehbildschirm angedeutet, ohne seine politische Dimension weiter zu beleuchten. "Blowing In The Wind" und "The Times They Are A-Changin'" waren mehr als nette Hits mit Lagerfeuer-Romantik-Charme. Vielmehr setzten sie ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung.
"Play It Fucking Loud"
"A Complete Unknown" ist eine Hommage an Dylan, die vor allem Kenner begeistert. Der Film verlangt ein gewisses Vorwissen – eine tiefergehende Einordnung von Dylans politischer und kultureller Bedeutung hätte nicht geschadet. Dennoch gelingt es ihm, den Geist des jungen Dylan einzufangen und den Musiker in seiner Komplexität darzustellen. Timothée Chalamet schlägt eine Brücke zwischen den Generationen und lässt angesichts der aktuellen weltpolitischen Lage die tiefe Bedeutung der Songs des Barden neu aufleben: "Come senators, congressmen please heed the call. Don't stand in the doorway. Don't block up the hall."
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